Zuerst muss ich wieder einmal darauf hinweisen, dass wir das Wort "unzulässiges Wort" nicht mehr gebrauchen sollten. Es ist eine Wortschöpfung, welche eine zutiefst menschliche Handlungsweise von vornherein ins Negative, ins Kriminelle, wendet.
Der Wortbestandteil "...mord" erinnert daran, was in Absatz 2 von § 211 des deutschen Strafgesetzbuches steht:
"Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet."
Derart negative Absichten kann man allenfalls einem Menschen anlasten, der sich einen Sprengstoffgürtel um den Leib schnallt und sich selbst in die Luft jagt, um wahllos andere Menschen mit in den Tod zu reissen.
Doch im Normalfall gibt es keine derartige negative Motive, die einen Menschen dazu bringt, sein eigenes Leben zu beenden.
Deshalb sprechen wir davon, dass jemand an Suizid denkt; wir können auch das Wort "Selbsttötung" als neutralen Begriff oder "Freitod" verwenden.
Soviel zum Sprachlichen.
Nun zu den Gefühlen von "sadangel" - dem "traurigen Engel":
Suizidgedanken treten eigentlich bei jedem normalen Menschen in dessen Leben immer mal wieder auf. Leben, insbesondere in unserer westlichen und meist rücksichtslosen Gesellschaft, die vielfach als kalt empfunden wird, ist eine stete Herausforderung, und gelegentlich wird man solcher Herausforderungen müde.
Kommen noch persönliche, oft altersbedingte besondere Umstände hinzu, wie etwa "Sturm und Drang" in der Jugend, oder das Erleben allmählichen Abbaus und zunehmender gesundheitlicher Probleme im Alter, wird der Gedanke stärker, und das Gefühl, welches nach der Überlegung, was denn wäre, wenn mein Leben beendet wäre, hat etwas Verlockendes: Das Ende der Mühen, das Ende der Anstrengungen, das Ende der Konflikte, das Ende des Kampfes. Da kann einem schon mal ein Lächeln über das Gesicht huschen.
Aber ich meine: Leben ist grundsätzlich etwas Unerhörtes und Schönes, und es ist selten. Soweit wir auch immer das Universum kennen, bislang haben wir Menschen nirgendwo im näheren oder ferneren Weltall auch nur geringste Anzeichen für Leben ausserhalb der Erde gefunden. Das kann ein starker Grund dafür sein, zu Leben Sorge zu tragen. Leben gibt uns die Möglichkeit, uns anderen Menschen liebend zuzuwenden, ihnen Gutes zu tun und ihnen das Leben zu verschönern. Leben lässt uns anderes Leben - etwa von Tieren und Pflanzen - beobachten und uns daran freuen. Weil Leben so etwas Seltenes ist, ist es wichtig, dass Leben zu anderem Leben solidarisch ist - sei es menschliches, tierisches oder pflanzliches. Diese Solidarität aber schulden wir zuallererst uns selbst; uns selbst sollten wir zuerst Sorge tragen.
Nun spricht "sadangel" ein Thema an, das in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. Da heisst es: "... aber über meine unzulässiges Wort Gedanken rede ich kaum...". Dafür wird dann eine Begründung gegeben: "...weil ichs auf ne Art für immer behalten möchte, der Weg muss frei bleiben."
Das ist ein Beleg für meine Auffassung, dass unsere Gesellschaft Menschen, welche suizidale Gedanken hegen, nicht nur allein lässt, sondern sie ängstigt: Sie können mit anderen darüber nicht reden, weil sie befürchten, "der Weg könnte nicht mehr frei sein" - mit anderen Worten: in die Psychiatrie eingesperrt zu werden und so am Suizid gehindert zu werden.
Es ist dieses gesellschaftliche Phänomen, welches meiner Auffassung nach zu einem erheblichen Teil dafür verantwortlich ist, dass Menschen mit suizidalen Gedanken sich immer stärker abkapseln und schliesslich wirklich keinen Ausweg mehr finden.
Mit DIGNITAS kann man über suizidale Ideen angstfrei sprechen, weil wir den Suizid grundsätzlich akzeptieren. Wir raten nicht davon ab. Wir fragen nur danach, ob er wirklich die aktuell richtige Lösung ist, oder ob es andere Lösungen gäbe. Wir möchten, dass nur noch "gerechtfertigte" Suizide erfolgen.
Wir erleben es in solchen Gesprächen immer wieder, wie sich nach und nach der Horizont wieder weitet. Kreisen die Gedanken anfänglich in dem ganz engen Kreis, wie man sein Leben beenden kann, ergibt sich nach und nach, dass erkannt werden kann, welche Ursachen hinter den Gedanken wirksam waren. Es sind oft durchaus lösbare Probleme. Da sie aber meist im Umgang mit anderen Menschen entstanden sind, sind sie auch nur im Umgang mit anderen Menschen wieder zu lösen. Es bedarf dafür der zwischenmenschlichen Kommunikation, und die kann nur dort funktionieren, wo sie nicht durch Angst und Befürchtungen unmöglich gemacht wird.
Nur schon die Frage: "Weswegen möchten Sie denn Ihr Leben beenden?", die in ganz normalem Gesprächston gestellt wird, kann den Weg aus der nach innen führenden und immer enger werdenden Spirale umdrehen.
DIGNITAS vertritt ganz konsequent die Auffassung, es sei das Recht jedes Menschen, selber zu entscheiden, wann und wie er sterben will. Das Schweizerische Bundesgericht hat diese Auffassung ausdrücklich bestätigt (BGE 133 I 58).
DIGNITAS will Menschen, die ihr Leben beenden wollen, dabei helfen, dass sie dies tun können, ohne dass sie das Risiko des Scheiterns - oft mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen - oder das Risiko, dass andere geschädigt werden, laufen müssen.
Weil es dabei im eigentlich Sinn des Wortes aber um Leben und Tod geht, hält es DIGNITAS auch für wichtig, dass niemand seinem eigenen Leben ein Ende macht, ohne dies vorher sorgfältig und mit anderen zusammen daraufhin überprüft zu haben, ob wirklich der Tod die richtige Lösung ist.
Wir leben nicht alleine; alle haben wir eine ganze Anzahl mehr oder weniger nahestehender Personen. Gehen wir aus dem Leben, ohne uns von diesen zu verabschieden, und ohne ihnen die Möglichkeit gegeben zu haben, zu verstehen und sicher zu wissen, weshalb wir das tun, belasten wir deren Leben.
Nun zu den beiden letzten Punkten im Beitrag von "sadangel": Ich glaube nicht an einen Test, mit welchem jemand herausfinden kann, dass er "100 % an unzulässiges Wort" stirbt. So etwas gehört in das Gebiet der sogenannten "self-fulfilling prophecies", also der sich selbst erfüllenden Prophezeihungen. Man nehme nur an, jemand, der einen solchen "Test" gemacht hat und diese 100 %-Sicherheit vorausgesagt bekommen hat, werde hinterher Opfer eines Strassenverkehrsunfalls! Also bitte Vorsicht vor solchen angeblichen Tests.
Suizidgedanken sind in aller Regel auch nicht etwa eine Krankheit, sondern sie sind in gewissen Lebensphasen und besonders in Lebenskrisen absolut normal. Sie sind, wie zu Anfang bereits gesagt, dem Menschen gemäss, weil er über Bewusstsein und dadurch Einsichtsfähigkeit in die für ihn wirksamen Bedingungen verfügt. Ich halte es deshalb auch für grundfalsch, jeden, der an Suizid denkt, als "psychisch gestört" oder gar für internierungsbedürftig zu halten. Anderseits gibt es gewisse Krankheiten, bei welchen ein Suizidwunsch zu den Krankheitssymptomen gehört. Dieser Satz ist jedoch nicht umkehrbar.
Dass ein Teil der Ärzte Suizidwünsche als blosses Krankheitssympton deuten, liegt in der Natur ihres Berufes. Die menschliche Eigenschaft, in Gegensätzen zu denken, mag dafür verantwortlich sein: Wer sich nicht wohl fühlt, ist nicht gesund; also ist er krank.
Zu bedenken ist, und man wird mir wohl auch zustimmen, wenn ich meine, dass man in bestimmten Phasen oder Krisen nicht über die vollen Fähigkeiten verfügt, seine eigene Situation richtig einzuschätzen.
Deshalb wäre es so wichtig, dass wir in solchen Situationen mit anderen angstfrei über unsere Gefühle - auch wenn es sich dabei um ein Chaos handelt - sprechen können.
Deshalb sollten wir alle lernen, mit solchen Gedanken Anderer ebenfalls angstfrei umzugehen, zuzuhören, zu raten, wo zu raten ist, und an Hilfe zu verweisen, wo man die eigenen Grenzen für Hilfe spürt - ohne Zwang, ohne Aufregung, in mitmenschlicher Zuwendung. Wir sollen den Anderen spüren lassen, dass wir ihn schätzen, dass wir uns bemühen, ihn zu verstehen, und dass wir bereit sind, ihm auf dem nicht immer einfachen Weg durchs Leben wenigstens vorübergehend Begleiter zu sein.
In diesem Sinne kann sich "sadangel" gerne direkt an uns wenden, am einfachsten via e-mail:
info@dignitas.ch