Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Persönliche Hoffnungen, Wünsche und Lebensperspektiven

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Lexx
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von Lexx »

Und schon wäre man im nächsten mentalen Dilemma...

Ich denke die Freiheit eigenständig zu entscheiden ob, wie und wann man selbstbestimmt geht gibt einem zumindest ein Gefühl von Kontrolle. Man könnte es heute tun, morgen oder niemals, man kann Pläne aufstellen und jederzeit aufschieben oder ändern, man hat Zeit.

Eine potentiell tödliche Diagnose schmeißt dieses Modell wohl ziemlich über den Haufen- da tritt dann ganz faktisch der Endgegner in den Ring und dreht die Sanduhr um, und man selber hat maximal noch die Wahl der Waffen.

Ich kann mir vorstellen dass psychisch ganz viel mit einem passiert und dass man ungeahnte Überlebenskräfte entwickelt, wenn die eigene Existenz plötzlich durch Fremdeinwirkung massiv gefährdet wäre.
Zuletzt geändert von Lexx am Freitag 9. August 2024, 20:59, insgesamt 1-mal geändert.
OutofOrder
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von OutofOrder »

Lexx hat geschrieben: Samstag 27. Juli 2024, 03:19
Ich kann mir vorstellen dass psychisch ganz viel mit einem passiert und dass man ungeahnte Überlebenskräfte entwickelt, wenn die eigene Existenz plötzlich durch Fremdeinwirkung massiv gefährdet wäre.
Nicht unbedingt..ich hatte z. B. vor knapp 2 Jahren einen schweren Herzinfarkt und es wäre nicht unwahrscheinlich gewesen, dass ich es nicht überlebt hätte (da alleine zuhause). Da würden manche vl. glauben, dass man wieder (im KH oder später bei der Genesung) psychische Kräfte entwickelt oder vielleicht sogar etwas wie einen neuen Lebensmut. Bei mir ist genau das Gegenteil passiert. Eigentlich denke ich mir seitdem nur regelmäßig, warum zum Teufel hab ich es (noch) geschafft, die Rettung zu rufen bzw. wieso hat mein elender Selbsterhaltungstrieb die Oberhand gewonnen? Hätte ich vl. nur einige Minuten zugewartet (wenn auch mit schlimmem Leiden), hätte ich vermutlich das Bewusstsein verloren und wäre 100%ig verstorben..

Und mittlerweile geht es mir (wieder einmal) so mies und dreckig wie selten zuvor, ich würde derzeit wirklich ALLES dafür geben, meinem jämmerlichen Dasein ein einigermaßen schmerzfreies Ende zu bereiten!
Lexx
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von Lexx »

OutofOrder hat geschrieben: Sonntag 28. Juli 2024, 21:51 (...)
ich hatte z. B. vor knapp 2 Jahren einen schweren Herzinfarkt und es wäre nicht unwahrscheinlich gewesen, dass ich es nicht überlebt hätte (da alleine zuhause). Da würden manche vl. glauben, dass man wieder (im KH oder später bei der Genesung) psychische Kräfte entwickelt oder vielleicht sogar etwas wie einen neuen Lebensmut. Bei mir ist genau das Gegenteil passiert.
(...)
@OutofOrder
Das muss eine grauenvolle und traumatische Erfahrung für dich gewesen sein, einen Herzinfarkt zu erleiden und in dieser Lage auch noch ganz alleine gewesen zu sein. Das tut mir sehr leid, auch dass es dir seitdem noch schlechter geht als zuvor. Liebe Grüße, Lexx
OutofOrder
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von OutofOrder »

Lexx hat geschrieben: Dienstag 30. Juli 2024, 03:20
Das muss eine grauenvolle und traumatische Erfahrung für dich gewesen sein, einen Herzinfarkt zu erleiden und in dieser Lage auch noch ganz alleine gewesen zu sein. Das tut mir sehr leid, auch dass es dir seitdem noch schlechter geht als zuvor. Liebe Grüße, Lexx
Danke für dein Mitgefühl..
n°cturne
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von n°cturne »

OutofOrder hat geschrieben: Sonntag 28. Juli 2024, 21:51
Lexx hat geschrieben: Samstag 27. Juli 2024, 03:19
Ich kann mir vorstellen dass psychisch ganz viel mit einem passiert und dass man ungeahnte Überlebenskräfte entwickelt, wenn die eigene Existenz plötzlich durch Fremdeinwirkung massiv gefährdet wäre.
Nicht unbedingt..ich hatte z. B. vor knapp 2 Jahren einen schweren Herzinfarkt und es wäre nicht unwahrscheinlich gewesen, dass ich es nicht überlebt hätte (da alleine zuhause). Da würden manche vl. glauben, dass man wieder (im KH oder später bei der Genesung) psychische Kräfte entwickelt oder vielleicht sogar etwas wie einen neuen Lebensmut. Bei mir ist genau das Gegenteil passiert. Eigentlich denke ich mir seitdem nur regelmäßig, warum zum Teufel hab ich es (noch) geschafft, die Rettung zu rufen bzw. wieso hat mein elender Selbsterhaltungstrieb die Oberhand gewonnen? Hätte ich vl. nur einige Minuten zugewartet (wenn auch mit schlimmem Leiden), hätte ich vermutlich das Bewusstsein verloren und wäre 100%ig verstorben..

Und mittlerweile geht es mir (wieder einmal) so mies und dreckig wie selten zuvor, ich würde derzeit wirklich ALLES dafür geben, meinem jämmerlichen Dasein ein einigermaßen schmerzfreies Ende zu bereiten!
Sehe da eigentlich keinen Widerspruch. Es ja genau das Dilemma: Da wünscht man sich die meiste Zeit, nicht existent zu sein, und wenn sich dann unerwartet die Gelegenheit bietet, setzt doch der Überlebenstrieb ein.

Insofern deutet auch alles wieder einmal darauf hin, dass man eigentlich nicht unbedingt sein Leben beenden möchte, sondern nur die Lebensumstände, aus denen man keinen anderen Ausweg mehr weiß, als gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.

So gesehen hat mir mein Klinikaufenthalt in einer ähnlichen Situation auch tatsächlich wieder zu psychischen Kräften verholfen. Allein, weil ich dort so positive menschliche Erfahrungen machen durfte, wie ich sie schon gar nicht mehr kannte. Aber sobald man wieder zurück ist in seiner ganzen Lebenssituation, überkommt einen eben leider auch sehr schnell wieder der übliche Alltag mit seinen üblichen deprimierenden Parametern. Und dann fragt man sich natürlich in vielen Momenten auch wieder, warum man diesen ganzen Terz eigentlich noch mitmacht. Aber dann geht man doch wieder zur nächsten Vorsorgeuntersuchung …
OutofOrder
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von OutofOrder »

n°cturne hat geschrieben: Donnerstag 8. August 2024, 21:28

Sehe da eigentlich keinen Widerspruch. Es ja genau das Dilemma: Da wünscht man sich die meiste Zeit, nicht existent zu sein, und wenn sich dann unerwartet die Gelegenheit bietet, setzt doch der Überlebenstrieb ein.
Ich schätze, du hast mich da missverstanden! Ich hab nichts von irgendeinem Widerspruch geschrieben, sondern davon, dass es (zumindest in meinem Fall) nicht der Tatsache entspricht, dass man das Leben vorübergehend wieder mehr schätzen würde, wenn es durch äußere Umstände (also einem realen externen Ereignis vs. dem psychischem Leid) gefährdet wird - ich hab die Formulierung von Lexx vermutlich einfach anders interpretiert, also nicht in Bezug auf den Selbsterhaltungstrieb, der ja leider in beiden Fällen wirksam wird, egal ob man psychisch leidet oder durch körperliche Umstände an den Rand des Todes gedrängt wird)..

Und ich für mich würde mir so oder so wünschen, dass ich den Selbsterhaltungstrieb endlich überwinden könnte (sofern das überhaupt bewusst irgendwie steuerbar ist, was ich leider nicht glaube, es sei denn der Leidensdruck übersteigt irgendwann das persönliche Maß der Leidensfähigkeit in signikantem Maße..).
Hurlinger
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von Hurlinger »

Ich habe bei meinem eigenen Bruder, der schwer an Krebs erkrankte, erlebt, dass er nach 7 Jahren unterschiedlichster Therapien zum Arzt gesagt hat, jetzt ist Schluss mit Behandeln. Jetzt möchte er nur noch palliativ betreut werden, da alles andere eh nichts gebracht hatte,
Spätestens dann, denke ich, ist der Punkt erreicht dem Überlebenstrieb keinen Raum mehr zu geben, da man weiß wohin die Reise geht.
Drei Tage vor seinem Tod hat er seinen Ehering mit den Worten abgelegt, dass er nicht möchte, dass er mitverbrannt wird, und den Palliativdienst gebeten die Schmerzmitteldosis zu erhöhen. Von da an hat er nur noch einmal die Augen aufgemacht und mich mit einem ertaunten, aber freundlichem "Hallo" begrüßt und die Augen danach für immer verschlossen.
Er hatte und hätte wirklich noch sehr gerne gelebt aber dann irgendwann ganz rational entschieden und auch ausgesprochen:
"Jetzt ist genug"
Und somit war der Lebenserhaltungstrieb dahin.
Ich bin heute noch immer mächtig stolz auf ihn, wie er das für sich gelöst hat, muss aber dazu sagen, dass der Palliativdienst auch eine wirklich große Stütze war, damit er friedlich gehen konnte.
Vieleicht kann diese Geschichte einigen hier helfen, die es nicht hinbekommen würdevoll durch Sterbehilfe zu gehen, dass bei gewissen Erkrankungen ein Palliativdienst auch eine gute Lösung sein kann.
Ich habe heute gelesen, dass ein Palliativmediziner in Berlin wohl nachweislich vier Menschen umgebracht und dann die Wohnungen wegen Vertuschung angezündet hat. Schade, dass es so dumme Typen gibt.
Das sind natürlich wieder Dinge , die es in Zukunft für die Ärzte wieder schwieriger macht ja nicht zu hoch zu dosieren, damit man nicht des Mordes bezichtigt werden kann.
Ich hatte mich mit einer Ärztin von meinem Bruder unterhalten, und die sagte schon damals (fünf Jahre ist es her) , dass sie immer fast mit einem Bein im Knast steht.
Wehe es kommt raus, dass die Dosis eines Medikament dafür gesorgt hat, dass jemand eine Woche früher verstorben ist. und eine Woche weniger gelitten hat. Das ist ja ein Skandal.
Ich würde mir für mich wünschen, dass ich es entweder irgendwann mal selbst schaffe zu gehen, oder dass es so läuft wie bei meinem Bruder.
Einen großen Unterschied zwischen uns gibt es: Ich lebe nicht gerne.
Gruß
Hurlinger
Ps. Passt wahrscheinlich nicht so recht zum Thema. Aufhänger für mein Geschreibsel war der Überlebenstrieb, den man anscheinend irgendwann überwinden kann.
Zuletzt geändert von Hurlinger am Freitag 9. August 2024, 19:45, insgesamt 1-mal geändert.
Lexx
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von Lexx »

n°cturne hat geschrieben: Donnerstag 8. August 2024, 21:28 (...)
Da wünscht man sich die meiste Zeit, nicht existent zu sein, und wenn sich dann unerwartet die Gelegenheit bietet, setzt doch der Überlebenstrieb ein.
(...)
So gesehen hat mir mein Klinikaufenthalt in einer ähnlichen Situation auch tatsächlich wieder zu psychischen Kräften verholfen. Allein, weil ich dort so positive menschliche Erfahrungen machen durfte, wie ich sie schon gar nicht mehr kannte.
(...)
In deinen Worten finde ich mich gerade persönlich sehr wieder, denn erst vor wenigen Monaten ergab sich kurz zusammengefasst diese (für mich*) nahezu perfekte Möglichkeit:
Stationäre Durchführung mehrerer Plasmapheresen, Zugang in die Halsvene gelegt, am Wochenende eine Nacht ganz alleine auf dem Zimmer. Eine Gelegenheit wie auf dem Silbertablett serviert... But guess what? Still there.

Und ja, ausgerechnet während Krankenhausaufenthalten fühle ich mich "so wie ich jetzt bin" auf eine herrlich selbstverständliche Weise wahr- und angenommen, wie es daheim in meinem verbliebenen privaten Umfeld vermutlich auch aufgrund der großen emotionalen Komponente einfach nicht möglich ist. Vielleicht sind Krankenhäuser für mich mittlerweile wirklich Orte der (Barriere)Freiheit für Körper und Geist geworden, an dem geteiltes Leid wahrhaftig halbes Leid sein kann- wenn auch nur für einen kleinen Moment.


(*) multimorbid erkrankt und schwerbehindert, Versorgung und Betreuung zuhause durch Angehörige; Bevorzugung o.g. Situation, um Angehörige nicht zu traumatisieren
Lexx
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von Lexx »

Hurlinger hat geschrieben: Freitag 9. August 2024, 00:14 Ich habe bei meinem eigenen Bruder, der schwer an Krebs erkrankte, erlebt, dass er nach 7 Jahren unterschiedlichster Therapien zum Arzt gesagt hat, jetzt ist Schluss mit Behandeln. Jetzt möchte er nur noch palliativ betreut werden,
(...)
Er hatte und hätte wirklich noch sehr gerne gelebt aber dann irgendwann ganz rational entschieden und auch ausgesprochen:
"Jetzt ist genug"
Und somit war der Lebenserhaltungstrieb dahin.
Ich bin heute noch immer mächtig stolz auf ihn, wie er das für sich gelöst hat, muss aber dazu sagen, dass der Palliativdienst auch eine wirklich große Stütze war, damit er friedlich gehen konnte.
Vieleicht kann diese Geschichte einigen hier helfen
(...)
Hallo Hurlinger,
ich habe selten eine so tragische Geschichte so schön und positiv erzählt gelesen. Du hast den Fokus eben nicht auf das jahrelange Leiden deines Bruders gelegt, sondern viemehr seine immense Stärke und seinen Mut zur selbstbestimmten palliativ begleiteten Erlösung hervorgehoben. Hier ist das Ende kein traurig-dramatisches Finale; es ist ein Abschluss voller Würde und Frieden. Ich lese in deinem Beitrag ganz viel Liebe, Achtung, Wertschätzung und definitiv auch Hoffnung. Nun weiß ich ehrlich gesagt nicht, ob es angebracht und ok für dich ist- ich möchte dir dennoch mein aufrichtiges Mitgefühl ausdrücken.
Liebe Grüße, Lexx
Hurlinger
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von Hurlinger »

Vielen Dank für die schöne Antwort Lexx.
Ja, ich bin immer noch sehr traurig, aber beneide ihn um seinen Weg und seinen Zustand jetzt.
Gruß
Hurlinger
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von OutofOrder »

Lexx hat geschrieben: Freitag 9. August 2024, 18:58
Und ja, ausgerechnet während Krankenhausaufenthalten fühle ich mich "so wie ich jetzt bin" auf eine herrlich selbstverständliche Weise wahr- und angenommen, wie es daheim in meinem verbliebenen privaten Umfeld vermutlich auch aufgrund der großen emotionalen Komponente einfach nicht möglich ist. Vielleicht sind Krankenhäuser für mich mittlerweile wirklich Orte der (Barriere)Freiheit für Körper und Geist geworden, an dem geteiltes Leid wahrhaftig halbes Leid sein kann- wenn auch nur für einen kleinen Moment.
Ich kann es zumindest gut nachvollziehen, dass Menschen sich generell in einem solchen Umfeld (je nach den persönlichen Merkmalen und Problembereichen) ganz anders fühlen als in ihrem privaten Alltagsleben. Soweit ich das im Nachhinein beschreiben kann, hatte das bei mir sehr viel mit Gefühlen der Verantwortung sowie der "Qual der Wahl- und Entscheidungsfreiheit" zu tun. Im Gegensatz zu meinem sonstigen Leben hatte ich im KH zumindest nicht das Gefühl, ich müsste ständig irgendwelche großartigen Enscheidungen treffen oder darüber nachdenken, wie der jeweils aktuelle Tag so verläuft..es ist quasi durch die äußeren Umstände alles vorgegeben, man muss nicht großartig darüber nachdenken und grübeln (wie man das sonst praktisch ständig macht..)..was für eine gewisse Erleichterung und Entlastung sorgt..

Ich hatte zwar (vermutlich anders als bei dir) keine sonderlich tollen sozialen Identifikationserlebnisse (kann mich nur an ein einziges nettes Gespräch mit einem Patienten im selben Zimmer erinnern..), und ich fühlte mich auch nicht irgendwie frei oder sonderlich wertgeschätzt (halt ganz normal im Rahmen dessen was man als Zuwendung von Krankenpflegern und -schwestern so erfährt und erwarten kann), aber ich hatte zumindest das (eher positive) Gefühl, dass mir die "Last der Verantwortung" in diesem Rahmen genommen wurde, und ich fühlte mich vermutlich gegenwärtiger und weniger "ausgeliefert" als im normalen Leben, mehr als "gewöhnlicher" Mensch, und nicht - wie immer wieder mal - als ein Häufchen Elend aus endlos vielen Gedanken, Ängsten, Verwirrungen und überfordernden Gefühlen der Einsamkeit, Wut, Frustration und Enttäuschung..
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von Lexx »

OutofOrder hat geschrieben: Samstag 10. August 2024, 19:14 Ich kann es zumindest gut nachvollziehen, dass Menschen sich generell in einem solchen Umfeld (je nach den persönlichen Merkmalen und Problembereichen) ganz anders fühlen als in ihrem privaten Alltagsleben.
(...)
Ich hatte zwar (vermutlich anders als bei dir) keine sonderlich tollen sozialen Identifikationserlebnisse (...), und ich fühlte mich auch nicht irgendwie frei oder sonderlich wertgeschätzt (...), aber ich hatte zumindest das (eher positive) Gefühl, dass mir die "Last der Verantwortung" in diesem Rahmen genommen wurde, und ich fühlte mich vermutlich gegenwärtiger und weniger "ausgeliefert" als im normalen Leben, mehr als "gewöhnlicher" Mensch,
(...)
Da hast du gerade wunderbar treffend einen wichtigen Aspekt beschrieben: die "Last der Verantwortung" für einen Moment von den eigenen Schultern nehmen und abgeben zu können. Sich einfach mal nicht mit all den kleinen zermürbenden Banalitäten und den großen (Über)Forderungen des Alltags beschäftigen zu müssen. Ein paar Unterschriften hier, ein paar Kreuzchen da, that's it- quasi einzige verbleibende "Aufgabe" und Voraussetzung für alles weitere Geschehen: Anwesenheit. Lächeln und Winken optional;))

In meinem Fall ist es tatsächlich genauso wie du bereits vermutet hast; im Unglück der Notwendigkeit von Krankenhausbehandlungen per se hatte ich immerhin doch das Quäntchen Glück, im Rahmen dieser Aufenthalte eine Vielzahl an positiven Eindrücken, Begegnungen und Gesprächen zu erleben. Der Vollständigkeit halber und um dem Eindruck eines verklärt-romantisierenden Realitätsverlustes zart entgegenzuwirken: ich bin auch für kleine Gesten der Aufmerksamkeit sehr empfänglich, und selbstverständlich bestehen neben den schönen Momenten auch genügend deutlich weniger erfreuliche Erfahrungen; im Sinne dieses Threads jedoch meinerseits als vernachlässigungswürdig erachtet.

Eine bestimmte Sache zum Thema Wertschätzung möchte ich abschließend sehr gerne noch "in eigener Sache" loswerden. Als eingeschränkter und entsprechend betreuungs-intensiverer Patient empfinde ich eine riesige Dankbarkeit gegenüber all jenen Krankenhausmitarbeitern und freiwilligen ehrenamtlichen Helfern, die trotz menschenfeindlicher Arbeitsbedingungen immer noch die Kraft aufbringen, dem Patienten mit Freundlichkeit, Verständnis, Trost, Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit zu begegnen.
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von OutofOrder »

Lexx hat geschrieben: Sonntag 11. August 2024, 17:15
Der Vollständigkeit halber und um dem Eindruck eines verklärt-romantisierenden Realitätsverlustes zart entgegenzuwirken: ich bin auch für kleine Gesten der Aufmerksamkeit sehr empfänglich, und selbstverständlich bestehen neben den schönen Momenten auch genügend deutlich weniger erfreuliche Erfahrungen; im Sinne dieses Threads jedoch meinerseits als vernachlässigungswürdig erachtet.

Eine bestimmte Sache zum Thema Wertschätzung möchte ich abschließend sehr gerne noch "in eigener Sache" loswerden. Als eingeschränkter und entsprechend betreuungs-intensiverer Patient empfinde ich eine riesige Dankbarkeit gegenüber all jenen Krankenhausmitarbeitern und freiwilligen ehrenamtlichen Helfern, die trotz menschenfeindlicher Arbeitsbedingungen immer noch die Kraft aufbringen, dem Patienten mit Freundlichkeit, Verständnis, Trost, Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit zu begegnen.
Ich hab anhand deiner Worte noch ein wenig darüber nachgedacht. Diese kleinen "Gesten" der Aufmerksamkeit und des Wohlwohlens hab ich doch auch ein paar Mal erlebt. Ich kann mich z. B. an eine Krankenschwester erinnern, die während meines Aufenthaltes leider nur 1x Nachtdienst hatte, aber die ich unfassbar empathisch, aufmerksam und dazu auch noch sehr attraktiv empfunden hab. Das war einer dieser Momente, wo einem wirklich die Sehnsucht überkommt (nachdem man ja im privaten Leben so einsam und isoliert lebt). Leider hab ich sie danach nie wieder gesehen :-( Ich hab ihr aber zum Abschied (nach ihrem Nachtdienst) dann noch extra quasi einen Abschiedsgruß mitgegeben, wo ich zum Ausdruck gebracht hab, wie überaus nett und aufmerksam ich sie empfunden habe, usw.

Ja, diesen Eindruck hab ich teilweise (nicht immer) auch bekommen, dass manche Krankenschwestern und Pfleger wirklich Außerordentliches leisten, was Verständnis, Empathie, Hilfsbereitschaft und "Toleranz" bei der Betreuung betrifft. Auf der Beobachtungsstation, auf die ich unmittelbar nach dem Schockraum gekommen bin, gab es einen z. B. einen extrem mühsamen, älteren Patienten, der den Krankenschwestern wirklich alles an Geduld und Toleranz abgefordert hat, was man sich so vorstellen kann, da er teilweise recht orientierungslos war, sich ständig den Vorschriften widersetzt hat (z. B. ständig seine Atemmaske heruntergerissen hat, mitten in der Nacht geschriehen hat, usw.), und teilweise nicht mal wusste, wo und weswegen er überhaupt im KH war..das erfordert wirklich ein besonderes Maß an Hingabe, so wie ich das erlebt hab..
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von n°cturne »

Lexx hat geschrieben: Freitag 9. August 2024, 18:58 Und ja, ausgerechnet während Krankenhausaufenthalten fühle ich mich "so wie ich jetzt bin" auf eine herrlich selbstverständliche Weise wahr- und angenommen, wie es daheim in meinem verbliebenen privaten Umfeld vermutlich auch aufgrund der großen emotionalen Komponente einfach nicht möglich ist.
Ja, selten habe auch ich mich in meiner Verletzlichkeit und Verletztheit derart angenommen gefühlt. Fast schon fühlte ich mich so umsorgt und geborgen wie in Mutters Bauch. Es war fast schon verrückt, wenn ich bedenke, was man mir im Alltag an Stärke und Härte abverlangt. Und plötzlich wurde ich verhätschelt wie ein Kleinkind. Ich wusste fast gar nicht, wie mir geschah. :lol: Die Welt, wie sie sein sollte …
Lexx hat geschrieben: Sonntag 11. August 2024, 17:15 Der Vollständigkeit halber und um dem Eindruck eines verklärt-romantisierenden Realitätsverlustes zart entgegenzuwirken: ich bin auch für kleine Gesten der Aufmerksamkeit sehr empfänglich, und selbstverständlich bestehen neben den schönen Momenten auch genügend deutlich weniger erfreuliche Erfahrungen; im Sinne dieses Threads jedoch meinerseits als vernachlässigungswürdig erachtet.
Ja, auch kleine Gesten können so viel bewirken. Oft bin ich fast schon überenthusiastisch dankbar für ebendiese kleinen Aufmerksamkeiten und Freundlichkeiten, die im Alltag einfach viel zu selten geworden sind. Auch und gerade leider im medizinischen Kontext. Umso positiver heben sich diejenigen hervor, die einen Unterschied machen.
Lexx hat geschrieben: Sonntag 11. August 2024, 17:15 Eine bestimmte Sache zum Thema Wertschätzung möchte ich abschließend sehr gerne noch "in eigener Sache" loswerden. Als eingeschränkter und entsprechend betreuungs-intensiverer Patient empfinde ich eine riesige Dankbarkeit gegenüber all jenen Krankenhausmitarbeitern und freiwilligen ehrenamtlichen Helfern, die trotz menschenfeindlicher Arbeitsbedingungen immer noch die Kraft aufbringen, dem Patienten mit Freundlichkeit, Verständnis, Trost, Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit zu begegnen.
Mein Eindruck ist, dass sich auch die Arbeitsbedingungen unmittelbar auf den Umgang mit dem Patienten auswirken. Diesbezüglich schon sehr unterschiedlich geführte Häuser erlebt, die eben auch ein völlig unterschiedliches Klima hervorgerufen haben …
n°cturne
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Re: Habt ihr noch Hoffnung und Ziele ausser zu sterben

Beitrag von n°cturne »

OutofOrder hat geschrieben: Donnerstag 8. August 2024, 23:28 Ich schätze, du hast mich da missverstanden! Ich hab nichts von irgendeinem Widerspruch geschrieben, sondern davon, dass es (zumindest in meinem Fall) nicht der Tatsache entspricht, dass man das Leben vorübergehend wieder mehr schätzen würde, wenn es durch äußere Umstände (also einem realen externen Ereignis vs. dem psychischem Leid) gefährdet wird - ich hab die Formulierung von Lexx vermutlich einfach anders interpretiert, also nicht in Bezug auf den Selbsterhaltungstrieb, der ja leider in beiden Fällen wirksam wird, egal ob man psychisch leidet oder durch körperliche Umstände an den Rand des Todes gedrängt wird)..
In der ganzen von Paradoxien erfüllten Situation hatte ich das offenbar als Widerspruch empfunden. Letztlich ist aber jede einzelne Situation eben auch individuell.
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