Sterbehilfe bei Autismus

Es ist nur ein Lesezugriff möglich.

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Gesperrt
Serviette
Beiträge: 5
Registriert: Donnerstag 14. Juni 2007, 13:20

Sterbehilfe bei Autismus

Beitrag von Serviette »

Ich entnehme dem Informationsmaterial von Dignitas, daß aktive Sterbehilfe in Fällen von unheilbarer oder tödlicher Krankheit und Behinderung möglich ist, nicht jedoch bei psychischer Krankheit. Nun stellt sich die Frage, in welche Kategorien eine leichte Form von Autismus (Asperger) fallen würde. (Bei schweren Formen von Autismus ist ohnehin nicht zu erwarten, daß die Betroffenen den Wunsch nach vorzeitiger Beendigung ihres Lebens eigenständig äußern.) Es folgen meine Thesen:

1. Autismus ist eine Behinderung -- Das Zustandekommen von Autismus ist nicht mit lernpsychologischen oder tiefenpsychologischen Ansätzen zu erklären, sondern durch das Fehlen von Strukturen im Gehirn, die soziale Interaktion, Emotionalität usw. bei normalen Menschen ermöglichen. Dies kann durch Hirntraumen oder erbliche Gründe bedingt sein. Autismus ist damit nicht heilbar, da Psychotherapie sich an einem oder beiden der obengenannten Schemen orientiert. Auch eine medikamentöse Behandlung kann höchstens sekundäre Symptomatik, wie Nervosität, Depressionen o.ä. lindern. (Die Tatsache, daß Psychotherapie bei Autisten angewandt wird, erklärt sich damit, daß Verhaltensweisen erlernt werden sollen, um den Alltag besser zu bewältigen. Das Grundleiden wird damit nicht verändert, anders als z.B. bei der Therapie einer schweren Persönlickeitsstörung.)

2. Autismus ist unheilbar -- ergibt sich aus 1, da Behinderungen per definitionem unheilbar sind

3. Autismus kann als psychische Krankheit gesehen werden, ist aber kein Grund den Zugang zu Sterbehilfe zu verwehren -- Es ist grundsätzlich sinnvoll, psychisch Kranken keine Sterbehilfe zu leisten, da die Krankheit die moralische Handlungs- und Urteilsfähigkeit beeinträchtigen kann, so z.B. bei einem Schizophrenen die Wahnsymptomatik oder der Pessimismus und Nihilismus in der Depression. In solchen Fällen kann der Beweggrund für den Todeswunsch mit einer angemessenen Behandlung wegfallen. Nichts davon gilt aber für den Autismus: Hier gibt es keine eigentliche Therapie (wie oben gezeigt), noch beeinträchtigt die Krankheit das Urteilsvermögen, da hier der Intellekt normal (statistisch) ausgebildet ist.

4. Autismus ruft erhebliches Leiden hervor -- Auch bei leichten Formen von Autismus, sehen sich die Betroffenen Einschränkungen ausgesetzt, die ihnen die Verwirklichung eines normalen Lebens nicht ermöglichen. Autisten sind in ihrem Beruf weitaus weniger leistungsfähig, was mit mangelnder Kooperationsfähigkeit und auch Fähigkeit zur Begeisterung und Selbstmotivation zusammenhängt. An Familienleben ist ohnehin nicht zu denken, da normale Menschen die emotionale Distanz ihres autistischen Partners nicht auf Dauer ertragen würden. (Es ist demgegenüber auch unwahrscheinlich, daß eine Beziehung zwischen zwei Autisten funktionieren würde.) Auch wären Autisten mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert, da sie deren Gefühlsreaktionen nicht verstehen und ernst nehmen könnten. Wenn man von diesen beiden Bereichen absieht, (die wohl für normale Menschen die wichtigsten in ihrem Leben sind), kommt noch hinzu, daß die heruntergefahrene Emotionalität einen Zustand bewirkt, in dem es keine besondere Freude oder Lustempfindungen gibt. Man kann, wenn man all dies zusammennimmt von einem deutlichen Mangel an Leben sprechen, den der Autist auch mit fremder Hilfe nicht zu überwinden fähig ist. Viele Autisten benötigen zudem ihr ganzes Leben hindurch eine Art von Führung, da sie unfähig sind, sich zu organisieren.

Ich hoffe mit diesen Ausführung plausibel gemacht zu haben, daß Autismus subjektiv ein hinreichender Grund für die Betroffenen ist, Sterbehilfe zu suchen und daß objektiv nichts dagegen spricht, diesem Wunsch zu entsprechen.
ameisenbär
Beiträge: 154
Registriert: Freitag 1. Juni 2007, 15:30

Beitrag von ameisenbär »

Hallo

ich bin mit Asperger Syndrom diagnostifizert worden, und ich denke ernsthaft über den Freitod nach, als Folge (?) des Asperger Syndroms habe ich eine Transsexualität entwickelt, aber es gibt für mich keine Hilfe, da ich skurile Lebenswünsche und Entwürfe habe, die ich nie verwirklichen konnte, der damit verbundene Schmerz und das Wissen das ich mein Leben nie mit gewünschten Inhalten füllen kann/konnte, ist für mich Grund den Freitod zu erwägen, leider ist es in Deutschland unmöglich auch nur dieses Thema zu reden. Ich denke für Asperger gillt bei Dignitas die gleiche Regel, wie auch bei Deppresionen, ein Fachgutachten.

Leider habe ich bisher keinen auch nur im Ansatz offenen Arzt gefunden.
Mit Ärzten ist es unmöglich über dieses Thema auch nur offen und ohne gleich an Pillen und so zu denken, zu reden.

Allerdings kann mensch sicher auch mit Asperger ein lebenswertes Leben haben, es kommt eben auf Wünsche, Person und Umwelt an.

Gruss
ameisenbär
KDK
Beiträge: 9
Registriert: Samstag 16. Juni 2007, 22:55

Beitrag von KDK »

Hallo Ameisenbär ,

als ich Deinen Beitrag las , hat mich ein leichter Schauer überlaufen .
Es hätte genauso gut mein Posting gewesen sein können .
Auch ich habe autistische Züge .
Aber vor allen Dingen habe ich , für die anderen Menschen , seltsame Vorstellungen von einem glücklichen , erfüllten Leben . Ich stosse damit nur auf Unverständnis und Belustigung .
Ich sehe keine Chance für die Verwirklichung meines Traumes und habe mich schon mit Dignitas in Verbindung gesetzt .

Schreibe mir bitte eine E-Mail ( Adresse steht in meinem Profil ). Ich würde mich sehr gern mit Dir austauschen .

Gruss , KDK
Zuletzt geändert von KDK am Mittwoch 31. Oktober 2007, 01:37, insgesamt 1-mal geändert.
ameisenbär
Beiträge: 154
Registriert: Freitag 1. Juni 2007, 15:30

Beitrag von ameisenbär »

Du hast Post
Serviette
Beiträge: 5
Registriert: Donnerstag 14. Juni 2007, 13:20

Danke für euere Antworten

Beitrag von Serviette »

Ich danke euch ameisenbär und KDK für eure Antworten. Mir ging es darum darzulegen, daß Autisten zu einer verantworteten Entscheidung bezüglich Sterbehilfe kommen können und daß dieses Krankehitsbild als Grund für diesen Wunsch hinreicht. Ich habe mir offen gesagt erwartet, daß ich eine Stellungnahme hierzu von einem Dignitas-Mitarbeiter bekäme. Eine theoretische Diskussion ist hier leider nicht entstanden. Ich bleibe bei meinem Standpunkt.
Es geht mir auch nicht darum, Sterbehilfe für Leute zu propagieren, die ihre gewünschte Lebensweise für nicht zu verwirklichen halten. In diesen Fällen wäre es meiner Meinung nach kein wirklicher unzulässiges Wort. Dazu müßte meiner Meinung nach ein gewisser Leidensdruck gegeben sein und/oder die begründete Auffassung, daß das eigene Leben wertlos oder sagen wir unwürdig ist. Die Ausgrenzung, die Mangelerfahrungen, die ich machen mußte, sind meines Erachtens Grund genug, zu einer solchen Überzeugung gekommen zu sein.
ameisenbär
Beiträge: 154
Registriert: Freitag 1. Juni 2007, 15:30

Re: Sterbehilfe bei Autismus

Beitrag von ameisenbär »

Serviette hat geschrieben:Ich entnehme dem Informationsmaterial von Dignitas, daß aktive Sterbehilfe i

.
Ich denke mal die Sache ist doch klar, ein Gutachten auf neurologisch-psychiatrischer Basis, dass eben der Todeswunsch konstant und nicht Teil der Erkrankung ist. Ausserdem ist aktive Sterbehilfe in der Schweiz nicht möglich.
Anonymous

PN für ameisenbär

Beitrag von Anonymous »

Lieber Ameisenbär,

ich würde gerne Kontakt abseits des öffentlichen Forums zu dir aufnehmen, aber leider hast Du Deine PN nicht aktiviert. Schreibe mir doch bitte eine Nachricht, wenn du das lesen solltest.

Danke,
o
ameisenbär
Beiträge: 154
Registriert: Freitag 1. Juni 2007, 15:30

Re: PN für ameisenbär

Beitrag von ameisenbär »

osiris hat geschrieben:Lieber Ameisenbär,

ich würde gerne Kontakt abseits des öffentlichen Forums zu dir aufnehmen, aber leider hast Du Deine PN nicht aktiviert. Schreibe mir doch bitte eine Nachricht, wenn du das lesen solltest.

Danke,
o

Hi Osiris

So wie das aussieht, sind PMs hier ganz deaktiviert.
Sende mir doch eine e-mail.

Gruss
Ameisenbär
Anonymous

Beitrag von Anonymous »

Hallo Leute,

Also ich habe auch eine Diagnose als Asperger.
Ich finde Asperger oder Autismus allein aber ganz und garnicht ausreichend für einen Freitod!

Viele wichtige Entwicklungen oder Erfindungen wurden von Autisten oder Aspergern gemacht. Wo kämen wir denn da hin?
Ja, wir sind anders, wir haben Probleme, manchmal sehr grosse, ganz gewiss. Aber deswegen Freitod?
Nee. Das fänd ich übertrieben!

Transsexuell bin ich nicht, da kann ich nicht mitreden, aber Transsexuelle haben doch oft sehr grosse Probleme und Depressionen, die vielleicht nicht immer mit Autismus / Asperger zusammenhängen, oder?

Gruss,
Mark
ameisenbär
Beiträge: 154
Registriert: Freitag 1. Juni 2007, 15:30

Beitrag von ameisenbär »

Hi Mark


nicht jeder fühlt gleich, auch sind nicht alle Personen mit Autismus/Asperger zu vergleichen. Ich für mich! sehe nach 37 Jahren keine Chance ein sinn und inhaltsvolles Leben zu führen, habe ich nie und werde ich nie.

Ich bin es leid mich von Tag zu Tag zu quälen.

Natürlich ist Asperger nicht generell ein Grund zum Freitod.

gruss
ameisenbär
Anonymous

Beitrag von Anonymous »

Hallo Serviette,

auch ich bin Asperger-Betroffene. Auch ich sehe keinen Sinn in einem weiter existieren. Habe aber schon zwei mal aus diesem Tief heraus gefunden. Im Moment scheint aber alles verfahren. Möchtest du mir eine PN schreiben? Vielleicht können wir uns helfen.

Gruß
Aspie
Serviette
Beiträge: 5
Registriert: Donnerstag 14. Juni 2007, 13:20

Beitrag von Serviette »

Es ist nun ungefähr ein Jahr her, daß ich diesen Artikel hier ins Forum gestellt habe. Ich hätte nicht erwartet, daß dieser soviel rezipiert wird und sogar Kontroversen in anderen Foren auslöst. Und gerade in diesen anderen Foren, wo mein Beitrag in der Regel verkürzt (!) zitiert wird, fühle ich mich gegen meine Intentionen ausgelegt. Deswegen halte ich es für nötig, meine Aussagen von oben zu präzisieren und bitte jeden, der mich zitieren will, diesen Eintrag mitzuberücksichtigen. Es folgen Erläuterungen zu den Thesen:

zu 1.)

Wenn ich Autismus als Behinderung bezeichnet habe, dann habe ich mich an eine medizinische Defintion gehalten, die in etwa meiner Meinung nach so lauten sollte: "Eine Behinderung ist eine nicht vorübergehende und nicht heilbare schwerwiegende Beeinträchtigung der Fähigkeiten einer Person, die ihren Grund in deren körperlichen und/oder geistigen Verfassung hat." Natürlich kenne ich die Diskussion darüber, ob Asperger nun eine Behinderung, Krankheit, Lebensweise oder gar ein evolutionärer Fortschritt sei. Dies habe ich hier aber außer Acht gelassen, da es zum einen für mich eine ideologische oder lebenspraktische Frage darstellt, in der jeder für sich selbst zu entscheiden hat, auch in Ermangelung von objektiven Kriterien. Wie man sich mit seiner Kondition auseinandersetzt oder abfindet, ob diese nun durch medizinische, soziologische, politische, religiöse oder welche Gründe auch immer bedingt sei, ist eine rein subjektive Sache, bei der man allenfalls Ratschläge geben kann. Ich habe mich zum anderen bewußt auf eine derartige Defintion berufen, da in unserem Kontext die medizinische Fragestellung entscheidend ist.

zu 2.)

Ähnliches wie für 1.) gilt auch für die Unterstellung von Unheilbarkeit. Es ist lediglich die Konsequenz aus jenen Darlegungen. Damit war keine Herabsetzung intendiert, durch die man sich zu Recht beleidigt fühlen würde.

zu 3.)

Wenn hier der Begriff "psychische Krankheit" gefallen ist, dann nicht um die betreffenden Leute zu pathologisieren, sondern um zu betonen, daß deren neurologische Kondition keine Beeinträchtigung der rechtlichen Handlungsfähigkeit verursacht. In diesem Sinne werden Autisten in diesem Abschnitt ja rehabilitiert gegenüber populären Mißkonzeptionen. Außerdem verbietet schon die einschränkende Formulierung der These die Annahme, daß hier eine Prädizierung als psychisch krank vorgenommen würde. Die Zielrichtung war also eine völlig andere und zwar defensiv.

zu 4.)

Was in diesem Abschnitt steht, muß anscheinend relativiert werden, wie ich inzwischen eingesehen habe. Das geschilderte Empfinden ist wohl eher zu erwarten bei Aspergern die aufgrund ihrer Einschränkungen, die ihnen in irgendeiner Weise schmerzhaft zu Bewußtsein gekommen sind, Depressionen entwickelt haben. An diese Leute richtet sich eigentlich dieser gesamte Thread. Folgerichtig müßte eigentlich dieser Abschnitt mit einem einschränkenden "kann" in der Überschrift versehen sein, die dargestellten Erfahrung sind lediglich Beispiele für Mangelerfahrungen, die ein Asperger machen kann. Nur wer sich in diesen Ausführungen wiedererkennt oder bei dem aus anderen Gründen 4.) erfüllt ist und sei es durch eine z.B. körperliche Erkrankung, die in keinem Kausalzusammenhang mit Asperger steht, wird einen vernünftigen Grund haben, Sterbehilfe zu verlangen. Im übrigen berufe ich mich auf das, was in diesem Forum schon mehrfach behauptet wurde: Der Grund für das Begehr nach Sterbehilfe ist immer ein unerträglicher psychischer Zustand, ganz gleich durch was er verursacht wurde.

-----------

Ich schließe damit, daß ich vor allem die Behauptung, ich würde mit meinem Beitrag Autisten bewußt diskriminieren, nicht nachvollziehen kann. Dies hier ist nicht mehr als eine theoretische Darlegung, die durch meine eigene Betroffenheit von dieser Problematik motiviert ist. Die Annahme, daß ich Autisten zur Nutzung von Sterbehilfe aufrufen würde, entspringt einer Überinterpretation meines Beitrags. Mir geht es vielmehr und lediglich darum, das Recht eines Autisten zu verteidigen, Sterbehilfe für sich in Anspruch zu nehmen, eben indem ich dargelegt habe, daß die Kriterien dafür meiner Meinung nach grundsätzlich erfüllbar sind. Der Behauptung, ich hätte dies aus einer sadistischen Neigung heraus geschrieben, eben weil ich Autisten degradieren oder um es anders auszudrücken "mobben" wöllte, widerspricht allein schon die obengenannte persönliche Involvierung.

Ich danke allen, die meinen Beitrag gelesen und sich dazu geäußert haben. Ebenso danke ich denen, die das hier in anderen Foren verrissen haben und mich damit auf die Notwendigkeit einer Klarstellung hingewiesen haben. Besonderer Dank geht auch an die Betreiber dieses Forums und die Leute vom Verein Dignitas, die es mir hier erlaubt haben, über ein derart sensibles Thema ohne Zensur zu schreiben.
Gesperrt