Thanatos hat geschrieben:
a)Wenn ich mir also einbilde, Napoleon zu sein, ist das maßgebend?
Heute lasse ich Benatar, den Dalai Lama und auch eine Kritik des Subjektivismus als „Maß aller Dinge“ weg.
b)Seit ich meine Mitmenschen beobachte – und das ist schon ziemlich lange der Fall -, stelle ich fest, dass eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen das Jammern und Klagen über unzählige Dinge ist. Das mag daran liegen, dass Deutsche, mit denen ich überwiegend verkehre, nicht nur Weltmeister im Reisen, sondern auch im Jammern sind, aber leider hatte ich bisher keine Gelegenheit, meine empirischen Studien auf die gesamte Weltbevölkerung auszudehnen.
Wie dem auch sei, ich stellte also fest, dass Unzufriedenheit, auf die mich dieses Gejammer schließen lässt, den größten Teil des Lebens meiner Mitmenschen beherrscht. Da diese Unzufriedenheit nicht angenehm ist, sondern leidvoll, haben wir hier eine Form des Leides. - Übrigens hätte eigentlich eine Begriffsanalyse von „Leid“ vorausgehen müssen, aber ich möchte mich hier nicht zu einer philosophischen Abhandlung erdreisten, die höchstwahrscheinlich noch eine umfangreichere Diskussion zur Folge hätte, wie sie sich sowieso schon entwickelt hat.
Also, meine Privatforschungen kamen zu dem Schluss, dass bei den Objekten meiner Untersuchung das Leid überwiegt.
c)Sicher sind sich die meisten Leute dessen gar nicht bewusst, wenn sie aber einmal ihr Leben kritisch auf dessen Bestandteil an Leid überprüfen würden, kämen sie wohl selbst zu dem Ergebnis, dass das Leid überwiegt,
d)(...)auch wenn ihre Gefühle vielleicht sagen „Das Leben ist ja so schön“. Oder anders ausgedrückt: Ich bin der Überzeugung, dass sich die meisten Menschen selbst belügen, wenn sie davon „überzeugt“ sind, dass ihr Leben so schön ist, dass sie aber durch kritische Prüfung feststellen könnten, dass sie sich tatsächlich selbst etwas vormachen, dass ihr vermeintliches Glück in Wahrheit ein Wahn ist.
e)Wer es erkannt hat, dass das Leben Leid ist, ist seinen Wahn los. Sollte er mir anschließend sagen: "Okay, das Leben besteht überwiegend aus Leid, aber ich lebe trotzdem gerne", kann ich das akzeptieren. Ansonsten halte ich ihn eben für jemanden, der sich selbst etwas vormacht, seine Gefühle über die Realität stellt.
Zum Thema: "
Wann werde ich endlich aufhören zu sterben?" (Cioran)
Beste Grüße,
Thanatos
zu a) Nein, der je einzelne Mensch ist nicht das Mass aller Dinge...aber gewisser "Dinge" eben schon (auch wenn selbst diese offenbar legitimen und unausweichlich subjektiven Urteile nicht unproblematisch sind). Wenn einer glaubt Napoleon zu sein, so ist er wirklich Napoleon aus seiner Sicht...jeder Mensch ist in Illusionen solcher Art befangen (das Eigenbild entspricht nie der Realität,ebensowenig das Fremdbild... ja, was ist meine Realität?)...solange sie gesellschaftsverträglich sind wird auch keiner darauf bestehen sie korrigieren zu wollen.
zu b) "Die Funktion des Jammerns und ihre Korrelation zur Unzufriedenheit/zum Unglücklichsein".
Inwiefern und ob Jammern auf Leid schliessen lässt, ist nicht so offenkundig wie es du darlegst (Jammern kann auch ein lustvoller Zeitvertreib sein. Sind die Menschen auf die du dich beziehst repräsentiv? Suggerierst du das Jammern mit? etc.etc,). Was die Definition von Leid betrifft: weit gefasst wäre alles was man nicht erfahren will leidhaft, worauf man lieber verzichten würde. Ein objektives Mass für Leiden kann es nicht geben, aber eine subjektive Skala liesse sich erstellen, wo man differenzieren könnte zwischen unangenehm/irritierend-leidhaft-unerträglich.(Zur inhaltlichen Differenzierung menschlichen Leides: Helge E.Bass "Der elende Mensch", habs gelesen, würde es aber nicht empfehlen wegen eines fast unleserlichen Schreibstils).
zu c) Ich sehe gerade hier riesige methodische Probleme: wenn jemand sein eigenes Leben beurteilt an Hand der Kategorien Lust/Leid: wie will man hierbei jemals Objektivität ereichen?
Jede Erinnerung ist unauthentisch, es gibt keine Erinnerung wo wir sicher sein können uns nicht zu täuschen und schon gar nicht bezüglich der Leid-/Glückintensität etc....können wir einen darauf basierenden Lebensrückblich objektiv nennen? Hier scheint doch ein nicht eliminierbares subjektives Moment vorzuherrschen. Weiter: welche Methode wäre gültig: das Urteil am Lebensende (getrübt durch Altersmilde, Altersvergesslichleit, starke momentane Schmerzen welche die ganze Vergangenheit in ein trübes Licht tauchen...oder müsste eine valide Bilanzierung nicht aus je für sich gültige Wochenbilanzen, ja Tagesbilanzen , aus denen dann auf methodisch plausiblem Wege eine Gesamtbilanz zu eruieren wäre, bestehen und wenn diese dem am Lebensende getätigten Bilanzierung widerspräche?). Da stellen sich Fragen über Fragen...die man natürlich nicht einfach übergehen darf.
zu d) Wenn meine kritische Einschätzung zum Resultat kommt: es war überwiegend Leid, mein Gefühl aber sagt: "Mein Leben ist schön"...also sehr plausibel ist das Szenario nicht (und auch hier: wie objektiv ist denn meine kritische Einschätzung wirklich?). Aber entscheidend bleibt doch allemal das Gefühl...das Gefühl ist doch die Instanz welche über Glück/Leid bestimmt und nicht irgendeine kopfgeburtige angeblich objektive Bilanzierung.
Durch eine Gehirnwäsche könnte man Personen gewiss ihr jämmerliches Glück austreiben...denn Glück ist immer eine Frage individueller Sinnhorizonte, Erwartungen, Ideale etc. (gibt es aber objektive Kriterien an denen jedermanns Erleben zu messen wäre?). Ein Erleuchteter würde sagen, dass das allzumenschliche Glück illusionär ist, aber auch ALLES Leid.
zu e) Hier wechselst du offenbar von der Beurteilung des je eigenen Lebens zur Beurteilung des Lebens als solchem ohne dies klar zu trennen. Darüber habe ich genug gesagt, aus meiner Sicht ist eine Gesamtbilanzierung allen Leides/Glückes ein Denkfehler (nur ein Supersubjekt hätte diesen Zugang und würde eine solche Bilanzierung verständlich machen). Es gibt nur individuelles Leben welches nicht addierbar ist. Und wenn man jeden Menschen nach der Einschätzung seiner Leid-/Glückbilanz fragen würde: wie wollte man damit verfahren? Welche Schlüsse liessen sich legitimerweise daraus folgern?
Aus meiner Sicht übergehst du etliche Fragen die das Resultat entscheidend mitbestimmen (nur schon wie der je einzelne Mensch sein Leben bewerten soll/darf/muss, scheint mir letztlich unentscheidbar und praktisch meist undurchführbar...und definitiv immer jenseits der von dir geforderten Objektivität). Zudem gibt es für mich einige Argumente deren Status für mich schlicht offen bleibt.
Mir scheint eine abschliessende negative Antwort dient auch einer paradoxen negativen Sinngebung/Selbstvergewisserung...aber alles in allem bleibt sie empirisch unhaltbar, zumindest solange obige Fragen nicht OBJEKTIV geklärt sind (und etliche Fragen/Probleme mehr würden sich wohl zeigen bei einer vertiefter Auseinandersetzung). Zudem erachte ich den Lösungsansatz ? Art (dem du folgst) als schlicht falsch (was nicht ausschliesst, dass es andere Argumentationen gibt die seine Position stützen könnten).