Präsuizidales Syndrom
Folgender Text besteht aus Zitaten unterstehender Quellen; lediglich die als solche gekennzeichneten Anmerkungen wurden durch mich hinzugefügt. Konkret beschrieben werden zwei Modelle von durchlaufenen Suizidalitätsphasen, wobei es noch einige weitere derartige Schemata gibt.
Suizidalität-Stadien nach Pöldinger
Ein bewährtes Modell zur Verlaufsbeschreibung der Suizidalität ist das Stadien-Modell [Anm.: begründet 1968] des österreichischen Psychiaters Walter Pöldinger. Es gliedert die suizidale Entwicklung in drei Phasen:
1. Erwägung
Typisch für die erste Phase sind wiederholte suizidale Gedanken, Gefühle der Ausweglosigkeit sowie der soziale Rückzug der Betroffenen. Auch die Autoaggression, also die gegen sich selbst gerichtete Aggression, nimmt zu. Zudem nehmen die Betroffenen suizidale Ereignisse, zum Beispiel in den Medien oder im eigenen Umfeld, aufmerksamer wahr. Sie können sich in dieser Phase aber noch von ihren suizidalen Gedanken distanzieren, sind noch fähig zur Selbststeuerung. Oft senden sie versteckte Signale aus, um auf ihre Notlage aufmerksam zu machen.
2. Ambivalenz
Im zweiten Stadium schwanken Betroffene zwischen einem selbstzerstörerischen und dem selbsterhaltenden Trieb, also zwischen ihren suizidalen Gedanken und dem Wunsch zu leben. Sie wägen die Gründe für und gegen einen Suizid gegeneinander ab. In dieser Phase haben die Betroffenen keine Kontrolle mehr über ihre suizidalen Gedanken. Viele äußern diese außerdem erstmals direkt gegenüber Angehörigen oder Freunden. Auch beobachtet man häufig eine Art Hilferuf oder Kontaktaufnahme mit dem Hausarzt, einem Psychiater oder einer Beratungsstelle.
3. Entschluss
Diese Phase wird auch als „Ruhe vor dem Sturm“ bezeichnet. Die Betroffenen wirken häufig gelöst und entspannt, die Entscheidung ist gefallen, und die damit einhergehende Last fällt weg. Das Umfeld deutet die Ruhe der Betroffenen oft fälschlicherweise als Zeichen der Besserung. Der Suizid wird nur noch indirekt angekündigt. Tatsächlich treffen die Betroffenen in diesem Stadium jedoch konkrete Vorbereitungen für den Suizid. Sie formulieren möglicherweise ihr Testament, verabschieden sich von Familie und Freunden oder kündigen eine längere Reise an – solche Warnsignale sollte man sehr ernst nehmen!
Präsuizidales Syndrom nach Erwin Ringel
Der Psychiater Erwin Ringel befragte in den 1950er Jahren rund 750 Menschen, die einen Suizidversuch überlebt hatten. Auf Basis der Ergebnisse formulierte er das sogenannte präsuizidale Syndrom [Anm.: begründet 1953]. Es beinhaltet spezifische Merkmale, die typischerweise vor einem Suizidversuch auftreten. Sie gelten als Warnzeichen und sollten immer ernst genommen werden:
1. Einengung
Die Betroffenen sehen immer weniger Wahlmöglichkeiten bzw. Alternativen zum Suizid. Die Einengung durch Wahrnehmung von negativen Gefühlen (Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung) und Gedanken (Verlust von Werten, Interessen) kann durch die eigene Lebenssituation oder bestimmte Ereignisse begründet sein (z.B. soziale Isolation, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Verlust des Partners). Sie kann aber auch auf einer psychischen Erkrankung (z.B. Depression) beruhen.
2. Aggression
Die Betroffenen haben ein großes Aggressionspotenzial, können ihre Wut aber nicht nach außen zeigen und adressieren, sondern richten sie gegen sich selbst. Man spricht hier von einer Aggressionsumkehr. Gefühle von Selbstabwertung und -verurteilung, Schuld und Sinnlosigkeit beherrschen diese Aggression.
3. Flucht in eine Phantasiewelt
Die Betroffenen entwickeln eine alternative Scheinwelt, da sie sich der Realität nicht mehr gewachsen fühlen. Durch das intensive Eintauchen in eine Phantasiewelt wächst die soziale Isolation. In dieser Phantasiewelt nehmen die suizidalen Gedanken immer mehr Raum ein und werden konkreter bis es schließlich zum Suizid(versuch) kommt.
Quelle: https://www.netdoktor.de/krankheiten/suizidalitaet/
Als demonstrierendes Beispiel für das Syndrom nennt er [Anm.: Erwin Ringel] das Gedicht eines Suizidenten aus dem 19. Jahrhundert. Dabei sollen die ersten Zeilen die Einengung, die mittleren vier die Isolierung und die letzten die Aggressionsproblematik sowie Suizidphantasien [Anm.: hier unzulässiges Originalwort durch "Suizid" ersetzt] darstellen:
"Immer enger wird mein Denken
immer blinder wird mein Blick,
mehr und mehr erfüllt sich täglich
mein entsetzliches Geschick.
Kraftlos schlepp ich mich durchs Leben
jeder Lebenslust beraubt,
habe keinen, der die Größe
meines Elends kennt und glaubt.
Doch mein Tod wird Euch beweisen,
daß ich jahre-, jahrelang
an des Grabes Rand gewandelt,
bis es jählings mich verschlang."
Quelle: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A ... es_Syndrom
Präsuizidales Syndrom
Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator
Re: Präsuizidales Syndrom
Sehr gerne. Die Bezeichnung "präsuizidales Syndrom" kannte ich zuvor noch gar nicht und bin wirklich verblüfft, wie treffend das Ringel-Modell eigentlich mein komplettes früheres Leben(sgefühl) bereits weit vor Beginn der Erkrankungen etc. pp. beschreibt:
1.) Empfinden von permanenter Einengung und dem Nichtvorhandensein realistischer und gut umsetzbarer Alternativen zu system- und gesellschaftskonformer Lebensführung ohne negative Konsequenzen
2.) Extremer Widerwille vor Unterordnung; daraus resultierende innere Aggression gegen übergestellte Instanzen, welche über meine Person verfügen (dürfen); daraus resultierende Wut auf mich selber, weil ich diese Fremdsteuerung überhaupt zulasse
3.) Gefühl, den weltlichen Anforderungen weder gewachsen zu sein, noch dies meinerseits ernsthaft zu wollen; Rückzug "aus der Realität" wann immer möglich: Beschäftigung mit Tieren, tägliche lange Aufenthalte in der Natur, Bücher und Filme bzw. Serien aus Genren ohne Realitätsbezug ("Fantasiewelten")
Wenn alleine schon die offizielle Anzahl bei 79 Menschen pro Stunde liegt, dann wird die Dunkelziffer vermutlich noch um einiges höher sein. Ich stelle mir vor, dass insbesondere bei Todesfällen, welche man augenscheinlich sehr leicht auf alters-, krankheits- und unfallbedingte Ursachen zurückführen kann, weder auf Suizid noch Fremdeinwirkung untersucht wird; und dass exakt dieses Vorgehen zugunsten medientauglicher Kleinhaltung derlei unpopulärer Daten auch ganz ausdrücklich so gewünscht ist.
Durch frühere Bekannte aus dem ÖD habe ich erfahren, dass zumindest hiesige Kriminalstatistiken dadurch öffentlichkeitswirksam geschönt und bei Bedarf "angepasst" werden, indem zB Einbruch- bzw. Diebstahldelikte von Vornherein erst ab einem Schaden von x Euro überhaupt in ebenjene Datenpools einfließen; mit Veränderung der Anzahl solcher Straftaten kann die Schadenshöhe x ebenfalls munter variiert werden, damit am Ende das anvisierte offizielle Ergebnis herauskommt. Unterm Strich bestimmen demzufolge nicht Fakten die Zahlen, sondern genau umgekehrt.
Re: Präsuizidales Syndrom
Für mich ist die Einengung im Ringel-Modell ebenfalls der Punkt, welchen ich als Unumstrittensten einschätzen würde; das Wort "Aggression" in Punkt 2 musste ich ob seiner Härte erstmal wirken lassen, und der dritte Punkt irritiert mich genau in der Hinsicht, die du benannt hast: Die Flucht in Fantasiewelten würde ich eher als parallel verlaufende Versuche des Gegensteuerns begreifen, da sich zumindest meine eigenen Gedanken über den Akt des Suizids per se zum jetzigen Zeitpunkt keineswegs "traumhaft" oder realitätsentrückt anfühlen. Dennoch kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sich insbesondere die ersten beiden Ringel-Punkte gegenseitig immer weiter hochschaukeln und schlussendlich in Richtung eines (Bilanz)Suizids entwickeln könnten.
Persönlich sehe ich ein großes Problem und weiteren Anlass zur Steigerung der eigenen Frustration darin, dass die für das eigene Leid verantwortlichen Ursachen oftmals eben nicht an veränderbaren Faktoren oder ein paar einzelnen Personen festgemacht werden können, sondern vielmehr in den menschenverachtenden Lebensführungsvorgaben diverser Organisationen liegen und in diesem Sinne kaum (an)greifbar sind. Liegt der Fehler im herrschenden System selber, dann stehen einem logischerweise weder ausreichend legale Rechtsmittel zur Gegenwehr zur Verfügung, noch würde das symbolische Besiegen einer kleinen Zelle das gesamte System als solches stürzen oder wenigstens zum Guten hin verändern, noch würden sich die eigenen Lebensumstände innerhalb dieses weiterhin bestehenden Systems verbessern.
Eine stetig befeuerte Wut, die durch das penetrante Eindringen in den eigenen Freiraum inklusive spürbar zunehmender Einschränkung der offiziell geltenden aber keinen Offiziellen ernsthaft zu interessieren scheinenden Persönlichkeitsrechte, ergo durch das Empfinden permanenter Drangsalierung und Verletzung der eigenen Person gespeist wird, lässt sich ggf. irgendwann einfach nicht mehr durch "harm"lose Techniken kompensieren, noch lässt sich in dieser Situation auf Dauer leben. Ist der Gegner gar nicht oder nur unter Inkaufnahme überaus negativer Folgen auf die eigene Existenz zu fassen, dann bleibt in letzter Konsequenz nur noch man selber als Ziel der somit umgekehrten Aggression übrig. An dieser Stelle stolpere ich über die Wortwahl und bin unsicher, inwieweit man Suizidenten eventuell im Nachgang eine psychische Erkrankung unterjubeln dürfte, sofern der Suizid als Resultat pathologischem autoaggressiven Verhaltens gewertet würde.
Sollte man jedoch anhand nicht abwendbarer und weit über die Grenzen des Erträglichen gehender Druck- und Drohmaßnahmen von Menschen, Organisationen, Staatsorganen usw. systematisch so massiv in die Ausweglosigkeit gedrängt worden sein, dass einem am Ende nur noch Suizid als einzige Lösung erschienen ist, dann wäre meine persönliche Definition hierfür allerdings Mord- ein jedes Motiv einer jeden Person oder Institution sei hierbei automatisch als "niedriger Beweggrund" anzusehen, sobald Betroffene dadurch faktisch in den Tod getrieben werden. Wenn dann auch noch ein dies bestätigender Abschiedsbrief mit brisantem politischen bzw. systemkritischen Inhalt entdeckt wird, ist es mE absolut naheliegend, dass dieser ad hoc verschwindet, um weder den Hinterbliebenen einen uU tatsächlich klagefähigen Beweis zu liefern, noch jemals den Weg in die Öffentlichkeit zu finden.
Persönlich sehe ich ein großes Problem und weiteren Anlass zur Steigerung der eigenen Frustration darin, dass die für das eigene Leid verantwortlichen Ursachen oftmals eben nicht an veränderbaren Faktoren oder ein paar einzelnen Personen festgemacht werden können, sondern vielmehr in den menschenverachtenden Lebensführungsvorgaben diverser Organisationen liegen und in diesem Sinne kaum (an)greifbar sind. Liegt der Fehler im herrschenden System selber, dann stehen einem logischerweise weder ausreichend legale Rechtsmittel zur Gegenwehr zur Verfügung, noch würde das symbolische Besiegen einer kleinen Zelle das gesamte System als solches stürzen oder wenigstens zum Guten hin verändern, noch würden sich die eigenen Lebensumstände innerhalb dieses weiterhin bestehenden Systems verbessern.
Eine stetig befeuerte Wut, die durch das penetrante Eindringen in den eigenen Freiraum inklusive spürbar zunehmender Einschränkung der offiziell geltenden aber keinen Offiziellen ernsthaft zu interessieren scheinenden Persönlichkeitsrechte, ergo durch das Empfinden permanenter Drangsalierung und Verletzung der eigenen Person gespeist wird, lässt sich ggf. irgendwann einfach nicht mehr durch "harm"lose Techniken kompensieren, noch lässt sich in dieser Situation auf Dauer leben. Ist der Gegner gar nicht oder nur unter Inkaufnahme überaus negativer Folgen auf die eigene Existenz zu fassen, dann bleibt in letzter Konsequenz nur noch man selber als Ziel der somit umgekehrten Aggression übrig. An dieser Stelle stolpere ich über die Wortwahl und bin unsicher, inwieweit man Suizidenten eventuell im Nachgang eine psychische Erkrankung unterjubeln dürfte, sofern der Suizid als Resultat pathologischem autoaggressiven Verhaltens gewertet würde.
Sollte man jedoch anhand nicht abwendbarer und weit über die Grenzen des Erträglichen gehender Druck- und Drohmaßnahmen von Menschen, Organisationen, Staatsorganen usw. systematisch so massiv in die Ausweglosigkeit gedrängt worden sein, dass einem am Ende nur noch Suizid als einzige Lösung erschienen ist, dann wäre meine persönliche Definition hierfür allerdings Mord- ein jedes Motiv einer jeden Person oder Institution sei hierbei automatisch als "niedriger Beweggrund" anzusehen, sobald Betroffene dadurch faktisch in den Tod getrieben werden. Wenn dann auch noch ein dies bestätigender Abschiedsbrief mit brisantem politischen bzw. systemkritischen Inhalt entdeckt wird, ist es mE absolut naheliegend, dass dieser ad hoc verschwindet, um weder den Hinterbliebenen einen uU tatsächlich klagefähigen Beweis zu liefern, noch jemals den Weg in die Öffentlichkeit zu finden.
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Re: Präsuizidales Syndrom
Danke fürs Teilen, der Artikel spricht mir quasi aus dem Herzen!Fragil hat geschrieben: ↑Sonntag 6. April 2025, 01:59
Wie ich sterbe, ist mir genauso wichtig, wie mein Leben zu planen. (Ob das alles nach Plan läuft - sei dahin gestellt). Nur, wir haben heute die Möglichkeiten einen leidlosen Tod den Menschen zu ermöglichen. Warum wird das so schwer gemacht. Warum sollte das pathologisch sein?
Habbo Schütz hat zu dem Thema in der Humanistischen Presse einen lesenswerten Artikel geschrieben - Über den Wert eines bewussten Abschiedes:
https://hpd.de/artikel/ueber-den-wert-e ... ieds-22973
Zitat:
"...Belastung der Angehörigen in den Mittelpunkt zu stellen, ist es mir wichtig, die Perspektive der sterbewilligen Person zu respektieren. Der Tod bleibt ein unvermeidbarer Teil unseres Lebens.
Letztendlich zählt für mich nicht, wie lange ein Leben dauert, sondern welche Qualität es hat. Eine freie Gesellschaft sollte die Entscheidung für einen bewussten Freitod nicht nur zulassen, sondern sie als Ausdruck von Menschlichkeit und Selbstbestimmung respektieren."