Artikel: "Warum es hilft, über Suizid zu reden"
Verfasst: Dienstag 7. Februar 2017, 10:21
http://www.tagesspiegel.de/themen/repor ... 12316.html
Aber weil das Reden über unzulässiges Wort in Deutschland selbst als gefährlich gilt, geht es hier auch um ein großflächig zugeschnittenes Tabu. Denn wegen des befürchteten Nachahmereffekts ist es verschrien, über spezifische unzulässiges Wort zu schreiben. Dieses Tabu, das unzulässiges Wort verhindern soll, sei in Wahrheit der schwerwiegendste Grund dafür, dass unzulässiges Wort unbemerkt bleiben, weil die Gefährdeten sich niemandem anvertrauen. Es treibe sie in die Isolation. Malte Diester hält das für lebensgefährlich. Was aber ist zu tun, wenn das vermeintlich präventive Beschweigen in Wahrheit einsame Entscheidungen fördert? Ist Totschweigen im Wortsinn möglich?
Schon die Dimension des Problems ist den meisten gar nicht bewusst: 10.000 Menschen nehmen sich durchschnittlich in Deutschland im Jahr das Leben, davon 600 junge Leute unter 25 Jahren. Das sind jeweils mehr, als durch Autounfälle und Drogen zusammen sterben. Haben wir die alle totgeschwiegen? Als Gesellschaft?
... Suizidgedanken haben Ursachen, und um die gehe es in den Mails häufiger als um die Sache selbst, sagt Diester. ... Es falle vielen leichter, Gleichaltrigen zu vertrauen als einer älteren Autorität, dann auch noch anonym im Netz. „Professionelle“ Hilfe würden sie gar nicht suchen, sagt Diester. Trotz aller Erfolge komme „harter Gegenwind von Professionellen“. Meist fürchteten Psychologen, dass ihnen jemand den Rang ablaufe. „Klar, wir sind nicht professionell.“ Aber darum geht es eben: Die Hemmschwelle zu senken, keine Autorität zu sein. Der Kontakt soll freundschaftlich sein.
... Alles, was normalerweise über unzulässiges Wort öffentlich werde, sei negativ, sagt Gleiniger: der bedrohliche Werther-Effekt. Der Zugausfall am Morgen. Das Sterben als Zumutung für andere. Und erst die trauernden Angehörigen! Wie könne einer das verantworten! Bei Waisenkindern und sogar Obdachlosen sehe jeder ein, dass jemand unverschuldet in eine Situation hineingeraten sei. Aber beim Suizid? Der war im christlichen Abendland über Jahrhunderte Todsünde. Die Schuld lag beim Unglücklichen selbst.
Statt sich an den Statistiken über Nachahmer festzuklammern und deshalb das Thema insgesamt zu meiden, müsse sich die Gesellschaft eingestehen, „dass man Suizid verhindern kann“, sagt Gleiniger. Schon Depressionen würden nur teilweise anerkannt. Das Problem beginne da, wo man auf ein „Wie geht es Dir“ eigentlich nur ein „Gut“ erwarte.