Thanatos hat geschrieben:Deadly Snowflake hat geschrieben:
Nenn mir die notwendigen bzw. hinreichenden Bedingungen die vorliegen müssen, dass man zu recht von Selbsttäuschung sprechen darf. Wenn du solche nicht benennen kannst, ist deine Ansicht nicht falsch sondern schlicht unreflektiert.
Du weißt so gut wie ich, dass eine Letztbegründung, die jeden zufriedenstellt, gar nicht möglich ist. Und da ich ahne, dass dich keine meiner Begründungen zufriedenstellen würde, versuche ich es erst gar nicht. Beweise du mir erst einmal, dass du zwei Hände hast, ohne dass man deine Begründung anzweifeln könnte. Dann reden wir weiter.

Also, ich glaube da verwechselst du zwei Dinge: 1. Bei Letztbegründungen geht es um den Aufweis einer Begründung bzw. Rechtfertigung die unabweisbar sein soll, sei das im Bereich des Wissens oder der Moral. Solche Begründungen können sich eigentlich nur auf Evidenzen beziehen, also Sachverhalte welche selber nicht mehr begründbar sind aber auch nicht begründungsbedürftig, weil sie "intuitiv" als richtig erkannt werden können. In diesem Sinne unabweisbares Wissen gibt es nur bezüglich der je subjektiv erlebten mentalen Phänomene (über deren Wesen lässt sich aber bereits nichts mehr sicheres aussagen, also ob sie einer Aussenwelt angehören oder nicht). Ein anderes Feld wo von Letztbegründungen geredet wird sind transzendentale Ansätze (also Ansätze wo auf die Möglichkeitsbedingungen von etwas rekurriert wird).
2. Bei Definitionen geht es um das Angeben der notwendigen und falls möglich hinreichenden Bedingungen die gegeben sein müssen, damit ein x zur Klasse des nämlichen Begriffes gezählt werden kann. Viele Definitionen werden recht willkürlich bzw. mittels Konsens erstellt, dies ist erlaubt, da nicht Wahrheit das Kriterium bildet sondern Nützlichkeit oder ähnliches. Begriffe deren hinreichenden Bedingungen nicht angegeben werden können, könnte man in einem abgewandelten Sinn als nicht letztbegründbar umschreiben, allerdings wäre das eine Verwendung die nicht gebräuchlich ist. Ein Beispiel ist das Gettier-Problem beim Wissens-Begriff. Jedes Beispiel welches aufzeigen kann, dass die bisherige Definition zu weit war, könnte zu einer Neudefinition führen, dass auch das zunächst widerlegende Beispiel im Begriff enthalten wäre. Nur ist wohl kaum zu beweisen, dass die Definition irgendwann jedes mögliche Gegenbeispiel mit umfassen könnte.
Bezüglich der Hände würde ich auf G. E. Moore verweisen und seinen Vortrag "Proof of an external world" (ob ich zwei Hände habe, zielt ja auf den Nachweis, dass eine Aussenwelt existiert). Hier zitiere ich nun aus dem Buch "Die Philosophie der Physiker" von E. Scheibe:
"An seinem Ende, nach mühsamen Entwicklungen, die mit grosser Ausführlichkeit auch Kant einschliessen, und in einer Haltung, die einen an Luthers Bekenntnis auf dem Reichstage zu Worms denken lässt, besteht der fragliche Beweis überraschenderweise darin, dass zwei menschliche Hände existieren, und auf die ausdrückliche Frage, wie dieser Beweis aussehe, lässt Moore seine Hörer noch wissen, er erbringe ihn dadurch "dass ich meine beiden Hände hochhalte und sage, `Hier ist eine Hand!` und dann hinzufüge, indem ich eine gewisse Bewegung auch mit der linken mache, `Und hier ist noch eine!`"
Dieser Beweis rekurriert auf die Evidenz der alltäglichen Gewissheiten, nur sind sie natürlich skeptisch hinterfragbar. Ich denke, dass der Solipsismus zwar nicht widerlegbar ist, aber höchst unwahrscheinlich, da man auf etliche ad hoc Annahmen zurückgreifen müsste um die Konsistenz und Kontinuität der erfahrenen Welt zu begründen wäre sie tatsächlich nur in meinem Bewusstsein.
Hier nun die Darlegung von K. Beier bezüglich den notwendigen Bedingungen von "Selbsttäuschung". Eine Selbsttäuschung läge dann vor, wenn:
i) eine Person an einen Glauben festhält, obwohl sie
zugleich weiss oder zumindest ahnt, d.h.
leicht wissen könnte, dass dieser
Glaube falsch ist (
Wissensbedingung)
ii) das, was sich die Person glauben macht, tatsächlich falsch, das Gegenteil davon wahr ist (
Wahrheitsbedingung)
iii) die Person selbst es ist, die Mittel und Wege
ersinnt, die Falschheit des eingeredeten bzw. die Wahrheit des verleugneten Glaubens nicht wahrhaben zu müssen (
Intentionalitäts- oder Motivationsbedingung)
iv) das, was der Gegenstand des eingeredeten bzw. des verleugneten Glaubens ist der Person wichtig ist
(Bedeutsamkeitsbedingung)
Das in fett Geschriebene wäre Ansatz für meine Kritik. Punkt ii) scheint mir zudem vielfach schlicht nicht verifizierbar.
Ich mache „Privatstudien“ hinsichtlich Selbsttäuschungsmechanismen. Nicht nur, dass ich mich selbst hin und wieder dabei erwische, dass ich mir in irgendeinem Punkt etwas vormache oder vorgemacht habe, nein, hauptsächlich beobachte ich meine Mitmenschen. In vielen Fällen bemerke ich überdeutlich, wie sich jemand selbst täuscht.
Hier würde mich die Gesamtheit des empirisch Zugänglichen interessieren welches dir mit Überdeutlichkeit die Selbsttäuschung vor Augen führt.
Auch erlaube ich mir ganz einfach zu fragen. Bei Leuten, die sich gut kennen, fällt Selbsttäuschung ganz besonders leicht auf. Dazu befragte ich eine alte Dame, die wohl so etwa 50 Jahre mit dem selben Mann verheiratet ist. Sie bestätigte mir, dass sich solche Täuschungen oft dadurch zeigen, dass unterschiedliche, sich widersprechende Erinnerungen an das gleiche, gemeinsam erlebte Ereignis geäußert werden. Üblicherweise sind diese Verfälschungen der Erinnerung positiv. Die Vergangenheit wird also schöngeredet.
Hier nennst du ein Beispiel und folgerst dann dass die meisten Verfälschungen positiv seien. Das ist natürlich kein gültiger Schluss. Vielleicht ist es auch ein enthymematischer Schluss, dann müsstest du aber die restlichen Prämissen nennen. Zudem scheint aber auch dieses Beispiel für sich offen zu lassen ob hier geschönt wurde oder das Gegenteil. Wenn zwei gegenteilige Aussagen zum selben gemeinsam erlebten vergangenen Geschehnis vorliegen, braucht man ein Kriterium um feststellen zu können wer nun die Wahrheit sagt...zumindest nennst du kein solches.
Ja, ich darf meine diesbezüglichen „Forschungsergebnisse“ selbstverständlich nicht einfach verallgemeinern und auf alle Menschen beziehen
Du darfst es nicht einmal in einem Einzelfall wenn ein solcher wie der oben beschriebene vorliegt. Um Verallgemeinern zu können, müsste man wohl mit sehr vielen Menschen Experimente etc. durchführen. Solche gibt es auch, nur habe ich mich noch nicht damit befasst (was aber demnächst ansteht). Ausserdem sind Antworten auf Fragen nach der Vergangenheit sehr anfällig auf die Art der Frage, auch dem, also dem Methodischen, wäre Rechnung zu tragen.
aber ich darf dich auf die evolutionäre Psychologie hinweisen, die sich, unter anderem, genau mit diesem Thema beschäftigt und versucht herauszufinden, welche Vorteile für die (evolutionäre) Fitness Selbsttäuschungsmechanismen hatten und haben. Da sich ein Wissenschaftszweig damit beschäftigt, scheint ja irgendwas dran zu sein. Das muss zwar nicht so sein, aber zumindest könnte man annehmen, dass Selbsttäuschungsmechanismen tatsächlich existieren.
Nochmals: ich negiere Selbsttäuschungen nicht, sondern sehe die Extension derselben als wesentlich weitergespannt an als du. Was ich bestreite ist, dass sich der Mensch wissentlich-willentlich etwas vormachen kann, im Gegenteil: Selbsttäuschungen (wie alles menschliche Verhalten) strikt deterministisch bedingt sind und insoweit auch kein Gegenstand wertender Rede sein können, wie auch das Wort Selbsttäuschung zu ersetzen wäre, da es anderes, sprich: Gegenteiliges, suggeriert. Ausserdem müsste ich es offen lassen, ob der Mensch tendenziell sein Leben eher schönt als schlechtredet.
Es ist recht witzig wenn man die doch sehr materialistische Evolutionstheorie in ihrem Bemühen sieht, mentale Phänomene als Anpassungen zu erklären. Wie aber schon dargelegt: jeder Materialismus (auch ein nicht-reduktiver) impliziert den Epiphänomenalismus. Und, wie auch schon dargelegt, besagt dieser, dass Mentales kausal nie wirksam ist/sein kann, weder auf physisches noch auf anderes Mentales (letzteres folgt aus ersterem). Was nicht wirksam sein kann, kann aber auch nie eine Funktion haben (sprich: einen Unterschied machen). Der Widerspruch ist dermassen evident, dass man sich fragt, warum darüber nicht bereits mehr geschrieben wurde. Denn: entweder ist der Materialismus falsch oder aber die sog. Evolutionspsychologie! Auch da also so man will Täuschung, bzw. Inkonsequenz.
Doch noch kurz zum Thema Religionen: „An den Widersprüchen werdet ihr sie erkennen.“ (Thanatos)
Natürlich kann ich nicht für alle Religionen sprechen. Ich weiß nicht mal, wie viele Religionen es gibt. Mag sein, dass es irgendwo eine Religion mit 183 Gläubigen gibt, die den Großen Bumba verehren. Es könnte tatsächlich sein, dass dieser Große Bumba existiert und die Erkenntnisse dieser Religion Tatsachen sind. Das ändert jedoch nichts daran, dass der weit überwiegende Teil der Weltbevölkerung in Wahnsysteme verstrickt ist - zumal deren Anhänger ja nicht den Großen Bumba verehren, sondern andere, illusorische Götter.
Grundsätzlich können Wahnsysteme in sich sehr logisch sein, allenfalls auch immunisiert gegen Kritik (womit sie natürlich ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit verlieren). Widerspriche müssen also nicht notwendigerweise Teil eines solchen Systems sein (wobei der Nachweis solcher Widerspruchlosigkeit je komplexer ein System wird umso schwieriger wird).
Dass die Mehrzahl der Menschen an irgendetwas metaphysisches glauben, stimmt wohl. Das würde zumindest bedeuten, dass die Mehrzahl, ihren Glauben wörtlich nehmend, an etwas falsches glaubt. Wie auch immer: die Wahrscheinlichkeit sagt mir, dass wohl alle irren. Aber auch hier, und jenseits der Letztbegründungsidee, könnte man notwendige Bedingungen formulieren die ein umfassend Sinn garantierendes `Was-auch-immer` zu erfüllen hätte, auch wenn seine Existenz nie beweisbar wäre (allerdings könnten die notwendig zu erfüllenden Bedingungen die Unwahrscheinlichkeit solchen Seins noch deutlicher zu Tage treten lassen).
PS: Dies Antwort hat nun doch beinahe eine Stunde gedauert...künftig muss ich mich da wohl etwas bescheiden...