jester hat geschrieben:Wenn ich müsste, würde ich durchdrehen. Ganz, ganz sicher.
Zwangspsychatrie und aufgenötigte Kriseninterventionen entwürdigen und entmenschlichen.
Ich kann da leider nicht nur in Konjunktiven sprechen, sondern aus Erfahrung. Ich kenne die Klapsmühle seit langem genügend von innen, sowohl freiwillig als auch zwangsweise, offen und geschlossen.
"deadsoul" als thread Ersteller mutmaßt, andere wissen es: Zwangsweise Behandlung ist entwürdigend, klarer Fall. Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich mich diesem Medizin-Apparat freiwillig aussetze (und jederzeit gehen kann), oder ob ich behandelt werde wie ein Verbrecher und abgeführt und eingesperrt werde. Nur, dass ich eben kein Verbrecher bin. Ich habe nichts getan, niemanden bedroht oder gar geschädigt, und ein Haftbefehl liegt gegen mich auch nicht vor.
Was ich getan habe? Ich war so blöde, mit einem Menschen am Telefon darüber zu sprechen, wie ich mich fühle. Dummerweise hat dieser Mensch dann mit seinem Freund darüber gesprochen, der das nach dem Prinzip "stille Post" wohl als akute Suizidabsicht missverstanden und (ohne vorher mit mir überhaupt gesprochen zu haben!!!) die Polizei gerufen hat.
Jedenfalls lag ich Sonntag Abend schon friedlich im Bett, Frau Wills Talkshow war fast zu Ende, als draußen das Blaulicht-Gewitter losging. 2 Polizei-Fahrzeuge und 1 Notarzt, 4 Beamte und 2 Sanis vor meiner Tür. Nach kurzer Diskussion (mein Fehler, ich war ehrlich zu den Polizei) hiess es: kommen sie freiwillig mit oder nicht? Ich: natürlich nicht, warum denn? Also wurde noch ein Notarzt gerufen, der dann die Einweisungspapiere unterzeichnet hat. Dürfen die Polizei ja nicht. Dann hiess es, vom Arzt abgesegnet: wenn sie nicht freiwillig mitkommen, legen wir ihnen Handschellen an. Tasche packen durfte ich noch, aber was aus Hund und Katze im Haus werden sollte, ob die was zu trinken und Fressen haben, war denen schon unzulässiges Wort.
Und ab ging's, mit Blaulicht-Eskorte in die nächste Klapsmühle. Ein Polizeiwagen voraus, der Rettungswagen mit mir und einem Polizei drin (der aufpassen sollte, dass ich unterwegs auch ja nicht die Luft bis zum Erstickungstod anhalte) in der Mitte, und ein Bullenfahrzeug hinterher. Nach Ankunft Taschen ausleeren, Handy, Ladekabel, Schnürsenkel und Gürtel abgeben, und dann bei Licht und Videoüberwachung eingeschlossen. Vorher noch das Gespräch mit dem Bereitschaftsarzt, das im wesentlichen ein Ziel hatte: mir die Unterschrift auf dem Formular abzupressen, mit der ich bestätige, dass ich freiwillig auf der Geschlossenen bin. War ich natürlich nicht - warum sowas unterschreiben?
Hat er mir erklärt: wenn ich unterschreibe, dass ich freiwillig eingesperrt bin, kommt morgen früh die Visite, die Ärzte reden ganz freundlich mit mir, und dann bin ich ("ich sehe ja, dass sie nicht suizidal sind") mittags wieder draussen. Wenn ich darauf "bestehe", dass ich zwangsweise da bin, müßte er jetzt sofort ein Fax an den zuständigen Vormundschaftsrichter schicken, der dann spätetens morgen Nachmittag vor Ort sein müßte. Das würde ihm als Arzt ebenso unerwünschte Arbeit machen wie dem Richter. Und erst den anderen Ärzten in der Klapse, die mich vorher angucken und für den Richter ein Gutachten über mich anfertigen müßten. Nee, da bekämen die bei soviel Arbeit richtig schlechte Laune, das wisse er aus Erfahrung. Und ich könne mir ja vorstellen, was dann in diesem Gutachten stehen würde. Ein Patient, der sich verweigert, keine "compliance" zeigt, renitent und uneinsichtig ist...
"Muss ich ihnen doch nicht extra erklären, sie haben ja schon genug Psychiatrie-Erfahrung". Und auf einen unabhängigen Richter (ja, Richter sind in D nach dem Gesetz unabhängig) zu hoffen, das könne ich mir gleich abschminken. "Wir haben hier ein sehr gutes Verhältnis zum zuständigen Vormundschaftsrichter. Der unterschreibt immer das, was wir im Gutachten über sie schreiben". Also lief das Gespräch auf die Kernfrage hinaus: "Sind sie jetzt freiwillig hier (da unterschreiben!) und wahrscheinlich morgen wieder Zuhause, oder bestehen sie darauf, zwangseingewiesen worden zu sein und erstmal mindestens eine Woche lang hier zu bleiben?"
Tja... ich hatte kein Rückgrat, sondern wollte so schnell wie möglich wieder in Freiheit. Also war ich laut meiner Unterschrift "freiwillig" da und tatsächlich am nächsten Tag wieder Zuhause. So einfach kann das sein, wenn man Psychiater nicht unnötig ärgert...
Was bleibt? Die praktische Erkenntnis, warum in den geschlossenen Stationen deutscher Klapsmühlen fast alle Patienten "freiwillig" eingesperrt sind. Und die Erkenntnis, dass Wohlverhalten gegenüber der medizinischen Macht schnell wieder in die Freiheit führt.
Und, zum Thema des threads, die Erkenntnis: ja, ich wäre da völlig durchgedreht, wenn ich nur 3 Tage auf so einer Station hätte zubringen müssen. Ich lebe hier auf dem Dorf , bin fast den ganzen Tag draußen, wenn es nicht gerade in Strömen regnet, und laufe jeden Tag 10 km mit meinen Hunden. Ich kann nicht stillsitzen und nichts tun - dann gehe ich ein. Auf einer Station mit 20 m langen Flur eingesperrt zu sein, den ich hundert mal am Tag auf und ab laufe, hätte mich innerhalb kurzer Zeit nach Tranquilizern und Neuroleptika betteln lassen, um das irgendwie durchzustehen.
Viele Grüße,
Stefan