Ist Selbsttötung je berechtigt?

Meinungs- und Erfahrungsaustausch zum Thema Suizid; Berichte über gescheiterte Suizidversuche; suizidales Verhalten; Leben mit Suizidgedanken; Hilfestellungen

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bluebanana_51
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Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von bluebanana_51 »

Mich würden Meinungen zum Thema interessieren. Ich finde unzulässiges Wort in manchen Fällen definitiv berechtigt, es muss sich aber meiner Meinung nach um sehr starkes und langes körperliches oder geistiges Leid handeln. Was denkt ihr darüber? In welchen Fällen ist es okay, in welchen nicht?
Erloesung
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Erloesung »

Zu dieser Frage wirst du 7 Milliarden Meinungen hören.. :)
Abendstern
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Registriert: Montag 28. September 2015, 08:03

Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Abendstern »

Darauf gibt es eine ganz einfache Antwort. Sie läßt sich sogar mit Phrasen beantworten:

Mein Körper gehört mir.

Die Freiheit des einen hört da auf, wo die Freiheit des anderen beginnt.

Und vor dem Hintergrund, daß wir zumindest in diesen Gefilden sogar Schwangerschaftsabbrüche erlauben - also die Auslöschung eines anderen Lebens, sollte sich die Frage in puncto Suizid für diese Länder somit eigentlich erübrigen.
Riesenschnauzer
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Riesenschnauzer »

Erloesung hat geschrieben:Zu dieser Frage wirst du 7 Milliarden Meinungen hören.. :)
Genau. Und nicht nur abstrakt, sondern auch was die Gründe im Einzelnen angeht.

Wenn jemand sich ernsthaft die Frage nach Suizid stellt, kann sich die Frage nach "darf man das?" eigentlich nicht mehr stellen. Sollte sich nicht mehr stellen. Es sei denn, man ist ein religiöser Fundamentalist mit in Beton gegossenem Weltbild.
Verloren
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Verloren »

Das ist eine interessante Frage. In einem Suizidforum wird es natürlich andere Antworten geben, als woanders. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass zur Selbstbestimmung auch die Möglichkeit der Selbsttötung gehört.

Ich muss aber zugeben, dass sich meine Meinung dazu im Laufe meines Lebens geändert hat. Ich selbst leide unter psychischen Problemen, welche von den meisten Menschen nicht als Gründe für einen Suizid akzeptiert würden. Für die Gesellschaft scheint klar zu sein, dass das Leben etwas Positives ist. Aber diese Meinung basiert meiner Ansicht nur auf einem Gefühl der meisten Menschen. Es ist nichts objektives. Es ist eine menschliche Sicht. Es ist kein naturwissenschaftlicher Befund.

Insgesamt werte ich diese Sicht vieler Menschen als sehr positiv, da sie vielleicht auch zu humanerem Verhalten führt. Aber beim Thema Suizid macht diese Sichtweise meiner Meinung Probleme.

Häufig wird argumentiert, dass Suizidgedanken Folge von psychischen Krankheiten sind und betroffene Menschen diesbezüglich keinen freien Willen haben und irrational denken und handeln. Für mich ist diese Argumentation so nicht ganz nachvollziehbar. Man könnte genauso gut den Selbsterhaltungstrieb als Mangel vom freiem Willen sehen.

Die Menschen können nicht anders, als leben zu wollen. Ist das ein freier Wille? Viele Forscher sind gar der Meinung, dass es gar keinen freien Willen gibt. Auch nicht bei gesunden Menschen. Die Wahrheit ist doch eher, dass der sogenannte freie Wille zum Thema Suizid ja/nein Schwankungen unterworfen ist.

Sollte ein Suizid verhindert werden dürfen, weil die Aussicht besteht, dass jemand später doch wieder leben möchte?

Ist gibt natürlich noch Probleme anderer Art. Was ist, wenn es Menschen gibt, die von einem abhängen? Kinder, pflegebedürftige Eltern.

Mein abschließendes Urteil ist, dass Suizid ok / berechtigt ist, aber sehr gut überlegt sein sollte, da es kein zurück mehr gibt.
Lovecraft
Beiträge: 299
Registriert: Montag 26. Juni 2017, 12:09

Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Lovecraft »

Riesenschnauzer hat geschrieben:
Erloesung hat geschrieben:Zu dieser Frage wirst du 7 Milliarden Meinungen hören.. :)
Genau. Und nicht nur abstrakt, sondern auch was die Gründe im Einzelnen angeht.

Wenn jemand sich ernsthaft die Frage nach Suizid stellt, kann sich die Frage nach "darf man das?" eigentlich nicht mehr stellen. Sollte sich nicht mehr stellen. Es sei denn, man ist ein religiöser Fundamentalist mit in Beton gegossenem Weltbild.
Nur - das Problem ist - von diesen religiösen Fundamentalisten mit - nicht nur diesbezüglich - mittelaterlichen Vorstellungen laufen noch immer sehr viele herum - Tendenz steigend, siehe z.B. in Bayern - aber längst nicht mehr nur dort: die CSU ist ja im Grunde nichts anderes als ein Club von religiösen und politischen Extremisten und Fanatikern....doch gibt es sie eben leider nicht nur dort...und diesen Leuten geht es immer nur darum, ihre Vorstellungen von "gut" und "böse" der gesamten Menschheit aufzuzwingen...

...es spricht rational besehen weitaus mehr gegen das Leben als dafür, die Behauptung, das Leben sei an sich gut und unter allen Umständen zu befürworten, ist eine von der Gesellschaft - in ihrem eigenen Interesse - aufrechterhaltene Illusion...

...doch davon einmal abgesehen, gibt es durchaus einige wenige - vernünftig begründete - Ausnahmen, Situationen, wo man den geplanten Abgang zumindest noch verschieben sollte, Kinder oder Eltern, die von einem abhängig sind, wurden ja schon genannt, denn aus genau diesem Grunde bin ich bis jetzt immer noch hier: weil meine Eltern mich brauchen - und solange sie leben, wird sich daran leider nicht viel ändern...erst danach ist der Weg frei...aber im Moment stelle ich meinen eigenen, persönlichen Wunsch zu sterben meinen Eltern zuliebe hintenan...
Lebensmüder
Beiträge: 128
Registriert: Dienstag 6. Juni 2017, 12:50

Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Lebensmüder »

Warum soll das nicht berechtigt sein bzw. nur in bestimmten Fällen?
Mein Leben kann ich beenden wann ich will. Ende.
Leider muss man dazu in dieser kranken Welt zu unwürdigen Mitteln greifen.
Peterchen
Beiträge: 742
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 13:02

Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Peterchen »

Der Freitod ist als Menschenrecht an keine Bedingungen geknüpft. Wenn es etwas gibt, das bedingungslos uns gehört, dann unser Leben. Somit hat man auch das Recht, es nach Belieben zu beenden.

Zwar ist der Übeberlebenstrieb so stark, dass die meisten einen Suizid nur in großer Not in Betracht ziehen werden. Aber wenn jemand die Stärke hat, ein erträgliches Leben zu beenden, einfach weil es witzlos und ungenießbar ist, dann finde ich das vollkommen in Ordnung. Die Tatsache, dass man nicht vor Schmerzen brüllt, macht das Leben nicht zu einem dankens- und erhaltenswerten Gut.

Das Recht auf Suizid sehe ich als Entschädigung für die Unfreiwilligkeit der Geburt. Wenn wir schon nicht gefragt werden, ob wir dieses Leben wollen, dann sollten wir es wenigstens wieder verlassen können, wenn es uns nicht (mehr) gefällt.

Die einzige moralische Einschränkung sind minderjährige Kinder, die von einem abhängig sind. Ist für mich ein weiterer Grund, keine Kinder zu bekommen: Man verliert eine wesentliche Freiheit und ist dem Leben und allen Übeln, die es mit sich bringen kann, noch viel schonungsloser ausgeliefert.
Zuletzt geändert von Peterchen am Montag 13. August 2018, 00:18, insgesamt 2-mal geändert.
Sadness
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Sadness »

Ich wurde aus dem Egoismus meiner Eltern heraus auf diese Welt gebracht. Wie jedes Kind. Entweder aus Egoismus oder aus Unvorsichtigkeit/Dummheit/Unvermögen. Deswegen sollte jeder, der zumindest an dieser Entscheidung nicht mitwirken durfte, wenigstens die Freiheit besitzen, das Leben zu beenden, wenn es ihm/ihr nicht zusagt. Unabhängig vom Grund.
Verantwortlichkeit für eigene Kinder, länger zu bleiben, ja, wobei es mir absolut unverständlich ist, wie jemand, der so unter diesem "Leben" leidet, ein Kind gebären kann, zumal es zum Glück die Möglichkeit zur Abtreibung gibt (z.B. sollte die Schwangerschaft ungewollt z.B. durch Vergewaltigung entstanden sein - sonst soll hat verhütet werden). Ich verstehe nicht, wie jemand mit klarem Verstand Kinder kriegen kann, um sie dieser Welt auszusetzen und bewusst Leid zu provozieren.
Verantwortlichkeit, wegen den Eltern zu bleiben: Nein, denn sie erst haben das Leid entstehen lassen. Da ist es mir herzlich egal, ob die ein Problem damit haben, dass ihr Produkt nicht damit einverstanden ist, in diese unzulässiges Wort Welt gepresst zu werden.
Lovecraft
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Lovecraft »

Sadness hat geschrieben:Ich wurde aus dem Egoismus meiner Eltern heraus auf diese Welt gebracht. Wie jedes Kind. Entweder aus Egoismus oder aus Unvorsichtigkeit/Dummheit/Unvermögen. Deswegen sollte jeder, der zumindest an dieser Entscheidung nicht mitwirken durfte, wenigstens die Freiheit besitzen, das Leben zu beenden, wenn es ihm/ihr nicht zusagt. Unabhängig vom Grund.
Verantwortlichkeit für eigene Kinder, länger zu bleiben, ja, wobei es mir absolut unverständlich ist, wie jemand, der so unter diesem "Leben" leidet, ein Kind gebären kann, zumal es zum Glück die Möglichkeit zur Abtreibung gibt (z.B. sollte die Schwangerschaft ungewollt z.B. durch Vergewaltigung entstanden sein - sonst soll hat verhütet werden). Ich verstehe nicht, wie jemand mit klarem Verstand Kinder kriegen kann, um sie dieser Welt auszusetzen und bewusst Leid zu provozieren.
Verantwortlichkeit, wegen den Eltern zu bleiben: Nein, denn sie erst haben das Leid entstehen lassen. Da ist es mir herzlich egal, ob die ein Problem damit haben, dass ihr Produkt nicht damit einverstanden ist, in diese unzulässiges Wort Welt gepresst zu werden.
Das stimmt zwar alles ganz genau - meine Eltern haben mich gegen meinen Willen "hierher gebracht" und sind so gesehen für meine - von mir nie gewollte - Existenz verantwortlich...nur leider haben sie aus einem tragischen Irrtum heraus gehandelt, der ihnen zum "Tatzeitpunkt" nicht bewußt war: nicht aus böser Absicht, sie haben schlichtweg einen Fehler begangen, weil sie sich in einem Irrtum befanden...

...sie haben einfach aus der Annahme heraus gehandelt, das beste zu tun, heute ist aber zumindest meiner Mutter klar, daß ich das vollkommen anders sehe...sie fühlt sich in gewisser Weise schuldig dafür...ich selbst hingegen wollte niemals Kinder, aus ebenjenem Grunde: wenn ich meine Existenz schon nicht verhindern konnte, so kann ich dasselbe jetzt zumindest anderen ersparen, also meinen eigenen Kindern - die es nie gab und nie geben wird...
Sadness
Beiträge: 209
Registriert: Donnerstag 29. April 2010, 10:26

Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Sadness »

...sie haben einfach aus der Annahme heraus gehandelt, das beste zu tun, heute ist aber zumindest meiner Mutter klar, daß ich das vollkommen anders sehe...sie fühlt sich in gewisser Weise schuldig dafür...ich selbst hingegen wollte niemals Kinder, aus ebenjenem Grunde: wenn ich meine Existenz schon nicht verhindern konnte, so kann ich dasselbe jetzt zumindest anderen ersparen, also meinen eigenen Kindern - die es nie gab und nie geben wird...
Wow, ich habe Respekt davor, dass Deine Mutter ein Stück weit Verantwortung/Schuld empfindet. Das ist alles andere als selbstverständlich.

Meine wollten halt unbedingt Kinder. Eins haben sie produziert, das bin ich und hat im Endeffekt hat das ganz viel zerstört, für alle - mich und meine Eltern, zumindest für meine Mutter. Ich war nicht das Kind, das sie wollten (zumindest meine Mutter nicht), ich war falsch, ich war nicht richtig, ich war im Weg. Und als ich mit 11 dann das erste Mal (suizidal war ich schon lange vorher) endlich den Fehler korrigieren und mich umbringen wollte, war auch das wieder nicht richtig.
Je nach Generation kennt man die Sprüche ja, "unzulässiges Wort ist feige", "Selbstmörder werden am Bahndamm verscharrt, die dürfen nicht auf einem Friedhof begraben werden" usw.
Ich glaube nicht, dass meine Mutter nicht in böser Absicht gehandelt hat. Obwohl. Wie man es sieht - ich denke, meine Mutter wollte ihre eigenen unerfüllten Träume auf mich übertragen, sie wollte sie durch mich leben. Das hat aber nicht geklappt, und darum ist das ganze Projekt gescheitert.
Was ich ein Stück weit pervers finde ist, dsas ie immer noch versucht, mich dazu zu überreden, "ihr doch endlich ein Enkelkind" zu schenken". Ich wollte nie Kinder und ich werde auch nie eines bekommen. Abgesehen davon, dass die biologische Uhr zum Glück auch abläuft, ich wollte das nie. Aber sie fährt immer noch ihren alten Film, sie begreift nicht das Leid, dass sie in die Welt gebracht hat, und das macht mich oft wütend und verbittert. Wenn sie mal sagenm würde "es tut mir leid, dass ich Dich geboren habe", und das wirklich echt meinen würde, also dass es ihr UM MICH lei´d tut und nicht um sich selbst, weil ich hr Leben versaut hab, dann könnte ich ihr vielleicht verzeihen. Aber so ...nein.
Lovecraft
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Lovecraft »

...so ähnlich war es auch immer bei mir, ich bin auch so ein "gescheitertes Projekt" meiner Eltern, wobei die treibende Kraft dahinter immer mein Vater war: er hat sich jedoch schon früh von mir abgewandt, seit er erkannt hat, daß ich nicht der Traumsohn war, den er sich immer gewünscht hat, sondern eher "Spaßbremse" und "lästiges Insekt", das ihm die Show stiehlt und nur peinlich ist, und andere "Projekte" außer mir gab es keine, und so wurde ich aufs Abstellgleis geschoben - nach mir und meinen Bedürfnissen, die völlig andere waren als seine, hat er nie gefragt, ich war wohl eher als eine Art Statussymbol, also ähnlich wie ein Auto, eingeplant, mit dem man vor "Freunden" angeben und renommieren konnte, als Karriere-Sprungbrett sozusagen...aber anstelle eines Rolls Royce oder eines Ferrari hat er nur eine schäbige Rostlaube bekommen, derer man sich schämen mußte...die einzige Person, die sich zumindest ein wenig um mich bemüht und versucht hat zu verstehen, was mich wirklich umtreibt, war stets meine Mutter...

...mein Vater hingegen wollte immer, daß ich es ihm gleichtue, und das hieß vor allem, Leistung erbringe wo es nur geht, gute Noten in der Schule,
Abitur, studieren, anschließend Karriere, toller Job und viel Geld verdienen...tja, mit alledem, konnte ich ihm nicht dienen, ich wurde gewogen - und für zu leicht befunden, heute bin ich eine Art Ruine aus dem kalten Krieg der bürgerlichen Gesellschaft, ein Relikt, ein ausgebranntes Etwas, eine Art von Tschernobyl in Menschengestalt...mein Vater bekommt von alledem nun nichts mehr mit, seit er alt und dement geworden ist...
Sadness
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Sadness »

Lovecraft, Du sprichst mir echt aus der Seele, ich bin auch die Rostlaube statt dem erwarteten Ferrari. Die Leistungsanforderung war bei mir im Elternhaus auch so immens. Einzig die Geschlechter sind umgekehrt, bei mir Mutter/Tochter, bei Dir Vater/Sohn.
Ich renne immer noch dem Anspruch hinterher, versuche zu erfüllen, was erwartet wurde und wird, bin aber komplett ausgebrannt, war in x Kliniken und letztendlich bestätigt sich, was meine Mutter schon früher immer sagte: "Du gehörst doch ins Irrenhaus/In die Anstalt." Nach außen verberge ich den Rost ganz gut, ich roste von innen, bis irgendwann das ganze Konstrukt zerbricht, wie es auch schon in der Vergangenheit der Fall war. Dann wurde drübergespachtelt und weiter gings, so gut es geht.
Ich wollte mal im Studium von der Uni auf die FH wechseln, weil ich dachte, ich wär einfach zu blöd für die Uni und schaff das nicht. Meine Güte, gab das eine Arie von meine Mutter, was für eine Schande ich für die Familie sei usw. Nun, ich blieb auf der Uni. Hab tatschlich nen Abschluss geschafft, aber aus der Karriere wurde nichts. Statt Führungskraft Psychiatrieinsasse und inzwischen auch körperlich eingeschränkt nach Unfall.
Mein Papa hatte andere "Spezialitäten", er hat mindestens genauso viel zerstört, aber da weiß ich, da war auch echte Liebe. Auch er wird jedoch dement und man merkt ihm auch an, dass er immer mehr in der Vergangenheit lebt, in seinen eigenen, ebenso grausamen Welten.
Letztendlich ist die ganze Familie gescheitert. Es ist gut, dass ich das letzte Glied bin und dieser Strang dann zumindest komplett stillgelegt ist.
Lovecraft
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Lovecraft »

@Sadness:

Meine Familiengeschichte wird ebenfalls mit mir enden - was auch gut so ist...der letzte Abkömmling einer Familie zu sein - das hat schon fast wieder etwas an sich , eine Art von morbidem Charme, wie er sich etwa in der Figur des Roderick Usher aus E.A. Poes bekannter Erzählung "Der Fall des Hauses Usher" findet...

...überhaupt die Literatur: zeitweise wurde sie für mich zum Rettungsanker, zur einzigen Zuflucht vor der trostlosen Realität...ich habe das Abitur schließlich auch noch geschafft, auf dem zweiten Bildungsweg, nachdem ich zuvor nur Realschulabschluß hatte - habe dann sogar noch mit Magisterabschluß an der Uni studiert: Literatur, Germanistik und Geschichte...in der Literatur fand ich all das, woran es mir zuvor gemangelt hatte, den Zugang zu mir selbst, zu meinen Träumen und Wünschen...ich war H.P. Lovecrafts "Außenseiter", der sich erst mühsam seinen Weg aus der finsteren unterirdischen Gruft nach oben zum Licht und zum freien Himmel bahnen mußte...zu einer wahren Offenbarung wurden in dieser Hinsicht für mich die Romane und Erzählungen Franz Kafkas, "Der Prozeß", "Der Verschollene", "Das Schloß"...und am meisten beeindrucke mich "Die Verwandlung": In der Figur des Gregor Samsa, der über Nacht zum Ungeziefer, zum Insekt verwandelt aufwacht, erkannte ich mich selbst am deutlichsten wieder...und die bekannte "Türhüter-Legende" (Vor dem Gesetz) wurde zum Welterklärungsmodell schlechthin für mich...jetzt wußte ich auf einmal alles, wußte genau Bescheid, warum mein Leben und alles weitere im Sande verlaufen war...der Türhüter konnte es mir erklären: "Denn dieser Eingang war nur für Dich bestimmt - ich gehe jetzt und schließe ihn..."
Lebensmüder
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Re: Ist Selbsttötung je berechtigt?

Beitrag von Lebensmüder »

Lovecraft hat geschrieben: ich wurde gewogen - und für zu leicht befunden, heute bin ich eine Art Ruine aus dem kalten Krieg der bürgerlichen Gesellschaft, ein Relikt, ein ausgebranntes Etwas, eine Art von Tschernobyl in Menschengestalt...
Ich bin einmal mehr von euren Beiträgen überwältigt :shock:
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