Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

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Seelenschmerz
Beiträge: 401
Registriert: Montag 28. Dezember 2009, 16:35

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von Seelenschmerz »

Das Eisenbahngleichnis

Wir sitzen alle im gleichen Zug
Und reisen quer durch die Zeit.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir fahren alle im gleichen Zug.
Und keiner weiß, wie weit.

Ein Nachbar schläft. Ein andrer klagt.
Der dritte redet viel.
Stationen werden angesagt.
Der Zug, der durch die Jahre jagt,
kommt niemals an sein Ziel.

Wir packen aus. Wir packen ein.
Wir finden keinen Sinn.
Wo werden wir wohl morgen sein?
Der Schaffner schaut zur Tür herein
Und lächelt vor sich hin.

Auch er weiß nicht, wohin er will.
Er schweigt und geht hinaus.
Da heult die Zugsirene schrill!
Der Zug fährt langsam und hält still.
Die Toten steigen aus.

Ein Kind steigt aus. Die Mutter schreit.
Die Toten stehen stumm
Am Bahnsteig der Vergangenheit.
Der Zug fährt weiter, jagt durch die Zeit.
Und niemand weiß, warum.

Die 1. Klasse ist fast leer.
Ein dicker Mensch sitzt stolz
Im roten Plüsch und atmet schwer.
Er ist allein und spürt das sehr.
Die Mehrheit sitzt auf Holz.

Wir reisen alle im gleichen Zug
Zur Gegenwart in spe.
Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.
Wir sitzen alle im gleichen Zug.
Und viele im falschen Coupé.

Erich Kästner, 1932
berlinichbins
Beiträge: 218
Registriert: Dienstag 25. September 2012, 11:37

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von berlinichbins »

@lena-marie, bin schon gespannt auf deine sicht! und finde deine beiträge meist gut, um meine eigene position finden zu können :D
berlinichbins
Beiträge: 218
Registriert: Dienstag 25. September 2012, 11:37

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von berlinichbins »

@seelenschmerz: dein gedicht, berührt mich sehr. mir kamen so viele bilder und gleichnisse. ich sitze mit gänshaut hier und finde es so treffend! danke dir für das gedicht
LOL1556
Beiträge: 30
Registriert: Donnerstag 22. November 2012, 11:25

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von LOL1556 »

Ich bin das Nichts, keiner hört mich, weil ich das Nichts bin,
keiner sieht mich weil ich das Nichts bin, keiner versteht mich weil ich das Nichts bin,
dann höre ich diese wundervolle Melodie und ich gehe zu ihr, ich tanze mit ihr und fühle mich wohl.
Ich tanze und tanze und erkenne zu spät...dass dies mein letzter Tanz im Leben sein wird, mein Tanz mit dem Tod.
Doch keiner wird mich vermissen, keiner wird je meine Geschichte erfahren, weil ich das Nichts bin...
Zuletzt geändert von LOL1556 am Sonntag 2. Dezember 2012, 14:41, insgesamt 1-mal geändert.
berlinichbins
Beiträge: 218
Registriert: Dienstag 25. September 2012, 11:37

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von berlinichbins »

ein schönes gedicht. das nichts in meiner person, wenn ich nicht selbst aus dem nichts heraustrete...
Windsbraut
Beiträge: 34
Registriert: Dienstag 16. Oktober 2012, 18:05

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von Windsbraut »

@ LOL1556
Kennst du "Hallo Jule, ich lebe noch"? Da kommt genau das gleiche Gedicht vor. Kennst du den Verfasser?

LG, Windsbraut
LOL1556
Beiträge: 30
Registriert: Donnerstag 22. November 2012, 11:25

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von LOL1556 »

nein kenne es nicht. hab das gedicht aus einem anderen Forum und fand es ziemlich gut und passend für mich deshalb hab ich es hierhin gepostet
Thanatos
Beiträge: 1580
Registriert: Freitag 5. Februar 2010, 10:48

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von Thanatos »

Schlussstück

Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.

(Rainer Maria Rilke)
Lacuna
Beiträge: 81
Registriert: Montag 18. Juni 2012, 04:00

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von Lacuna »

Es weht der Wind ein Blatt vom Baum,
von vielen Blättern eines;
dies eine Blatt, man merkt es kaum,
denn eines ist ja keines.
Doch dieses eine Blatt allein,
war Teil von uns'rem Leben,
drum wird dies eine Blatt allein
uns immer wieder fehlen.

(Autor unbekannt)
LOL1556
Beiträge: 30
Registriert: Donnerstag 22. November 2012, 11:25

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von LOL1556 »

Kinderseelen sind wie Schmetterlingsflügel, genauso zart, wunderschön und
furchtbar zerbrechlich. Sind sie einmal kaputte kann sie kein Mittel und keine Liebe
der Welt wieder richten. Der Schmetterling wird nie wieder fliegen können und
die Kinder können nie wieder wirklich lachen, denn die Erinnerung nimmt ihnen keine Macht der Welt.
( Quelle unbekannt)
Forgotten World
Beiträge: 19
Registriert: Mittwoch 22. Juni 2011, 14:37

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von Forgotten World »

Wie wahr :(
Grenzwelten
Beiträge: 515
Registriert: Freitag 1. Juni 2012, 00:27
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Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von Grenzwelten »

Laß mich verzweifeln, Gott, an mir,
Doch nicht an dir!
Laß mich des Irrens ganzen Jammer schmecken,
Laß alles Leides Flammen an mir lecken,
Laß mich erleiden alle Schmach,
Hilf nicht mich erhalten,
Hilf nicht mich entfalten!
Doch wenn mir alles Ich zerbrach,
Dann zeige mir,
Daß du es warst,
Daß du die Flammen und das Leid gebarst,
Denn gern will ich verderben,
Will gerne sterben,
Doch sterben kann ich nur in dir.


Hesse
MortiDebitus
Beiträge: 29
Registriert: Mittwoch 5. März 2014, 17:10
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Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von MortiDebitus »

Hochgeistige Lyrik - schön. ^^
Meines ist eher unterste Schublade:

Geschwisterliebe

Es waren einmal Geschwister,
die liebten sich so sehr.
Jeden Tag gingen sie an den Strand,
denn sie liebten ja das Meer.
Sie waren jung und freuten sich des Lebens,
ihnen fehlte es nicht an Glücklichkeit.
Sie hatten was sie brauchten,
und waren für alles bereit.

Doch Weh und Ach, eines Morgends am Strand,
sie war so glücklich und frohgemut,
fand sie ihren Bruder im Sand.
Blut klebte an ihren zierlichen Händen,
sie weinte und war in großer Not.
Ihr geliebter Bruder lag leblos da,
er war schon länger tot.

Das erwachsen werden ward schwer für sie,
nur aus Verzweiflung wuchs sie heran.
Viele Tränen auf dem Weg sie vergossen hat,
ihr Leben endete bevor es begann.
Nie vergaß sie die Liebe ihres Bruders,
der sie begleitet hatte; Tag um Tag.
In Gedanken immer bei ihm ist,
gerade dann, wenn sie weinend im Bett lag.

Nun steht sie Nachts am kühlen Strand,
betet zum Herrn, das er sie erhört.
Ein Messer in ihrer linken Hand,
den Tod sie sich selbst schwört.
"Oh bitte, Herr", so sprach sie schwer,
"lass mich zu ihm hinauf. Ich halte mein
Leben nicht mehr aus. Die Schmerzen nehm' ich gern' in kauf !"

So sprach sie leise zu sich selbst,
stach mit dem Messer zu.
Sie schloß die tränenden Augen,
und kam endlich zur ersehnten Ruh'.

Die Tränen die sie zuletzt vergoss,
flossen nicht aus Schmerz.
Ihr Bruder hatte sie abgeholt,
und drückte sie an sein Herz !...
Grimnir
Beiträge: 16
Registriert: Freitag 16. Januar 2015, 08:18

Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von Grimnir »

Ich hab diesen alten Threat mal wieder vorgeholt, sind echt schöne Gedichte dabei und es wäre schade wenn der Threat irgendwo auf Seite 100xx vergessen würde...
Eine kleine Auswahl meiner Lieblingsgedichte zum Thema:

Das kranke Mädchen
Robert Reinick

Es geht ein krankes Mädchen
Hin durch die Sommernacht;
Ihr Liebster ist gestorben,
Das hat sie krank gemacht.

Es scheinen Mond und Sterne
Vom lichten Himmel her,
Und wie sie aufwärts schauet,
Da weint das Mädchen sehr.

«Ach, könnt' ich doch mich schwingen
In den lichten Himmel hinein!
Da würd' ich wiederfinden
Den Herzallerliebsten mein.

Du schöner lichter Himmel,
Erhör' mein heißes Flehn,
Senk' dich herab zur Erde,
Daß ich hinein kann gehn!«

Und während sie's gesprochen
Aus ihres Herzens Grund,
Da war sie weiter gegangen,
Auf einer Brücke sie stund.

Und als sie schaute nieder
In die stille Fluth hinein,
Sieht sie den Himmel drinnen
Und Mond- und Sternenschein.

«Hab' Dank, du lieber Himmel!
Du hast erhört mein Flehn,
Und bist zur Erde kommen,
Daß ich hinein kann gehn.

«Es winkt der Mond so freundlich
Und jeder lichte Stern,
O Gott, und auch der Liebste
Aus weiter, weiter Fern'!

«Ich komme schon, ich komme!
Du Erde, gute Nacht!« --
Da haben die stillen Fluthen
Sie in den Himmel gebracht.



Bin zwar alles andere als ein Christ, aber nachdenklich macht es auf jeden Fall...
August Wolf:
Fragment

Laß ab, mein Herz, es ist Nothwendigkeit,
Laß ab, du siehst, es ist ein Gotteswille;
Dein kalter Gott, er kennt nicht Lust und Leid,
Und fragt nicht, ob sich eine Sehnsucht stille.

So geh` durch`s Leben groß und kalt wie er,
Verlerne du, zu wünschen und zu klagen,
Vom Leben hier erwartest du nichts mehr,
Vielleicht kann dir der Tod die Antwort sagen.

Du stirbst dann ohne Beten, ohne Bitten;
Und kann er`s nicht, so war die Fabel Spott,
Daß einst ein Gott für uns gelitten,
Dann leidet nur der Mensch für Gott. -



Gräberfrieden
Olga von Gerstfeldt

Du wandest durch des Kirchhofs stille Gänge,
Und friedevoll fühlst du der Gräber Weihe;
Du grüsst die schlichten Kreuze Reih́ um Reihe,
Bei Todten ruht sich`s wohl, fern vom Gedränge -
Du lebst, und sie sind todt!

Du sinnst Vergang`nem nach. Wie tiefe Wunden
Hat grausam dir das Leben schon geschlagen!
Wo blieb das Glück in deinen jungen Tagen?
Hinstarben sie die selig - flücht`gen Stunden,
Du lebst, -und sie sind todt!



Wilhelm Arent
ohne Titel aus dem Buch "Aus tiefster Seele"

Des Lebens Räthselfrage,
Buddha hat sie gelöst:
Geh`hin, leb und entsage
Bis dir der Leib verwest.

Von jeder Lust und Plage,
Von jedem Wunsche frei,
Verhauchst du ohne Klage
Im ewigen Einerlei.

--

Bald kommt der Morgen,
Bald kommt die Frist,
Wo all`dein Sorgen
Zerstoben ist.

Wo all` dein Bangen
Um gestern und heut
Spurlos vergangen
Im Strom der Zeit.


Hieronymus Lorm

Das Chaos war ein ruhevoller Bronnen,
Der ohne Grenzen tief und weit sich dehnte,
Wo nichts das Leben, nichts den Tod ersehnte;
Umschlungen schliefen Erden drinn und Sonnen.

Da hat der See zu träumen einst begonnen;
Es schied, was innig aneinander lehnte,
In Tag und Nacht, in Mann und Weib es gähnte
Ein Abgrund plötzlich zwischen Wunsch und Wonnen.

Das ist der böse Traum, den "Welt" sie hießen!
Und ist es aus, wird alles was geschieden,
sich neu zu sel`gem Eins zusammenschließen.

O predigt nicht Unsterblichkeit hinieden!
Ist Leben Traum, muß auch das Herz zerfließen.
Was lebt, will Rückkehr zu des Chaos` Frieden.



Und noch zwei von mir..

Der letzte Weg

Es ruft die Nacht zu sich empor
Ein Menschenkind in seinem Leid,
Dass Glück und Liebe längst verlor
Und lange schon dem Tod geweiht.

Selbst Tränen hat es keine mehr
Und Hoffnung ist ein dummes Wort;
Die Zeit gab nur die Sehnsucht her
Nach Frieden eines ander`m Ort.

Epilog:
Es steigt der Mond am Himmelszelt,
Die Sonne sinkt in blut`ges Rot;-
Das Kind flieht aus der alten Welt
Gar freudig in den eignen Tod. ...



MEMENTO MORI

Wellen steigen, Wellen fallen;
Zeiten kommen und vergehn;
Alle Freuden doch verhallen,
Alle Schmerzen auch verwehn.

Was wir trachten zu gewinnen
Ist zerronnen über Nacht;
Niemand kann der Zeit entrinnen
Wenn auch froh das Leben lacht.

Wenn dir flieht das schnelle Glück
Und es beugt dich tiefe Not;
Erlösung weist dir das Geschick,
Wenn einst du kalt und bleich und tot.

Was wir streben, was wir wollen;
Vergessen einst ist all Geschehn;-
Wellen steigen, Wellen fallen,
Leben kommen und vergehn.



Das solls fürs erste gewesen sein..

:twisted: Grimnir :twisted:
And
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Re: Gedichte zum Thema "Sterben" und "Tod"

Beitrag von And »

Jacques Brel - les vieux http://youtu.be/M-nyLvIuHDU

Übersetzung

Die Alten sprechen nicht und wenn, verstehn sie sich durch einen Augenblick. Selbst reich, sind sie doch arm, Sie machen sich nichts vor. Ein Herz schlägt noch für zwei. Es riecht nach Thymian, Lavendel und Sakrotan, doch mehr noch riecht’s nach einst. Lebt man auch in Paris, man lebt in der Provinz, wenn man zu lange lebt. Rührt es vom Lachen her, dass ihre Stimme krächzt, wenn sie reden von einst. Oder vom vielen Trauern, dass die Tränen noch kullern wie Tropfen an den Mauern. Und wenn sie zittern leis, ist es, weil sie stets sehn, wie die Pendeluhr ergreist, die im Salon noch tickt, die nein sagt, und ja nickt, die sagt, ich wart auf dich. Die Alten träumen nicht. Die Bücher schlafen schon. Ihr Klavier ist verstummt. Die kleine Katz ist tot. Der Sonntagwein färbt rot, doch bringt kein Lied zustand. Die Alten rühr’n sich nicht. Die Gesten sind erschlafft. Ihre Welt ist zu klein. Vom Bett ans Fenster ran, vom Bett zum Sessel dann vom Bett ans Bett. Bis wann? Und geh’n sie doch noch aus Dann gehen sie Arm in Arm gekleidet, steif wie einst, um traurig im Sonnenlicht einen Ältren heim zu tragen oder Hässlichen zu beklagen. Einen Schluchzer lang nur vergessen sie die Zeit auf ihrer Pendeluhr, die im Salon noch schnurrt, die nein sagt, und ja knurrt, und dann wartet auf sie. Die Alten sterben nicht. Sie schlafen einfach ein und schlafen dann zu lang. Sie halten sich die Hand. Sie woll’n sich nicht verlieren und verlieren sich doch bald. Der Andere bleibt zurück, ob es der Bessere war, der Strenge oder Sanfte? Es ist doch einerlei. Wer bleibt, macht kein Geschrei. Die Höll wird’s für ihn sein. Sie können ihn dann sehn. Sie sehen sie dann gehn, im Regen und mit Gram, durch die Gegenwart ziehn, mit einem knappen Pardon, dass sie nicht schneller gehn. So weichen sie nur aus, aus ihrem letzten Haus, der Pendeluhr zuhaus, die im Salon noch tickt, die nein sagt, und doch nickt, die sagt, ich warte auf dich, die im Salon noch schnurrt, die nein sagt, und ja knurrt, …… und dann wartet auf uns.
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