Wie egoistisch ist ein Suizid?

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Kai
Beiträge: 602
Registriert: Sonntag 26. Juli 2009, 07:08

Wie egoistisch ist ein Suizid?

Beitrag von Kai »

Zur Einführung eine kleine Geschichte, die ich mal gehört habe. Jemand hatte einen Selbsttötungsversuch überlebt und lag im Krankenhaus. Dort wurde er von einem ihm nahestehenden Menschen besucht. Das erste, was dieser Mensch gemacht hat: Er hat dem Rekonvaleszenten kräftig eine reingehauen.

Aus der Sicht desjenigen, der den Versuch überlebt hat, halte ich sowas geradezu für die ideale Methode, jemandem, der diese Welt verlassen wollte, den nächsten Versuch schon mal so richtig schmackhaft zu machen. Mit Prügel und Härte hat derjenige das Diesseits sicher schon vorher verbunden. Sonst hätte er er es nicht zu verlassen versucht.

Aus der Sicht des Besuchers hingegen war vermutlich jede Menge Wut im Spiel, die sich durch die Geste Luft gemacht hat. Er war wütend, weil der nahestehende Mensch nur an sich gedacht hat und ihn auf der Welt allein zurücklassen wollte.

Irgendwie finde ich, dass dieses Beispiel recht gut deutlich macht, worum es bei dem Thema eigentlich geht. Es geht auf beiden Seiten um die knallharte Durchsetzung von Eigennteressen. Die Frage, die sich mir dabei stellt, ist die, wer von beiden denn wohl egoistischer ist. Und ich komme zu dem Schluss, es ist nicht der Überlebende, es ist eher der Besucher.

Jeder ist - zumindest nach deutschem Recht - verpflichtet, bei einem konkreten Verdacht auf einen geplanten Suizid alles zur Lebensrettung zu unternehmen, notfalls auch gegen den Willen des Betroffenen. Wer damit konfrontiert wird und nichts unternimmt, macht sich also strafbar ... und quält sich möglicherweise zusätzlich noch sehr lange mit der Frage herum, ob er in der Stress-Situation falsch reagiert hat und wie er hätte anders hätte reagieren können. Der Überlebende hat ihm vielleicht nichts von seiner Absicht erzählt, weil er vorhatte, das ohne Schwierigkeiten durchzuziehen. Aber vielleicht auch ein bisschen aus den oben erwähnten Gründen. Egoistisch ....?

_Niemand_ versucht sich aus Spaß an der Freud das leben zu nehmen. Es bedarf nicht unbedingt einer physischen Erkrankung, um sich als Ballast und als Bürde für seine Mitmenschen zu empfinden. Dass dich ständig Leute anschreien, das sei nicht so oder das sei nicht schlimm, hilft auch nicht unbedingt weiter. Man möchte nicht mehr Ballast sein. Um seiner selbst willen nicht, aber vielleicht auch ein bisschen, um der anderen willen. Egoistisch ...?

Mein Eindruck ist folgender:

Die Haltung, Suizid sei egoistisch und somit verpönt, hat sich in unserer Gesellschaft allgemein eingebürgert. In Fällen, wo ein Versuch funktioniert hat, sehen wir nur die Hinterbliebenen, und da überwiegt selbstverständlich die Trauer und vielfach sicherlich auch die Wut. In Fällen, wo ein Versuch gescheitert ist, wird seitens der Betroffenen oftmals geschwiegen aus einem Scham- und Schuldgefühl gegenüber den Angehörigen. Das mag daran liegen, dass diejenigen sich die allgemeine Konvention "Hauptsache Leben" zu eigen gemacht haben. Eine Konvention, die sich aber letztlich gegen sie selbst und gegen ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse richtet.

Natürlich spielt ein Aspekt eine besondere Rolle, und das ist die Art des Suizids. Wer Unbeteiligte mit in den den Tod reißt, der handelt m.E. wirklich egoistisch.

Was meint ihr dazu?
xenia26
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Beitrag von xenia26 »

Hallo Kai

Ist ein intresantes Thema das Du hier anschneidest.

Meine Meinung ist folgende: Obwohl ich mich selbst mit dem Suizid auseinander setzte, finde ich es immer sehr schlimm, wenn sich jemand das Leben nimmt. Denn ich finde, man sollte halt wirklich alles versuchen, um vielleicht doch einen anderen Weg einzuschlagen. Egoistisch? Muss sagen, finde nicht, dass es das ist. Der Betroffene macht das ja nicht um jemanden absichtlich zu verletzen. Er ist einfach so am Ende, dass er nicht mehr weiter leben kann oder will.

Hab mir auch schon anhören müssen, wie egoistisch das ganze ja von mir ist. Ich glaube, dass es sich die Geselschaft so natürlich sehr einfach macht.

Liebe Grüsse
Xenia26
sabbersack
Beiträge: 184
Registriert: Dienstag 30. September 2008, 14:54

Beitrag von sabbersack »

Mir völlig egal, wie egoistisch es ist!
Jedenfalls ist es weniger egoistisch, als andere Leute mit falschen Versprechungen zum Leben zu ermutigen oder zu zwingen, weil man selbst zu feige ist, die (tödlichen) Konsequenzen für sich zu ziehen.

LG mrbuthidae
INUTILE
Beiträge: 8
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Beitrag von INUTILE »

##
Zuletzt geändert von INUTILE am Mittwoch 24. März 2010, 18:59, insgesamt 1-mal geändert.
broken_fairy
Beiträge: 23
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Beitrag von broken_fairy »

Ich denke auch, dass Suizid nur dann wirklich egoistisch ist, wenn man andere mit hineinzieht.
Der "Suizidfall" hat ja keine Hintergedanken, die darauf hinausgehen, anderen zu schaden.
Ganz im Gegenteil! Die meisten haben doch wirklich lange durchgehalten, bevor sie gehen, um die anderen nicht zu verletzten!
Sie haben also meist lange FÜR DIE ANDEREN gelebt. Und das beweist doch, dass dieser Mensch kein Egoist ist.

Allerdings habe ich auch mit dem Gedanken zu kämpfen. Ich frage mich ständig, ob ich den anderen das antun kann. Aber das kennt ihr ja wahrscheinlich.

Liebe Grüße
Wanderer
Beiträge: 93
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Beitrag von Wanderer »

Das Grundproblem ist meines Erachtens nach,
dass nahezu sämtliche Handlungen unseres Lebens
von einer gehörigen Portion an Egoismus durchzogen sind,
wahre Formen des Altruismus ( http://de.wikipedia.org/wiki/Altruismus )
finden sich doch eher selten.

Aus der Perspektive eines Schwarzsehers:

Mein Chef kann mich im besten Fall gut leiden, aber auch nur,
wenn ich entsprechende Leistungen innerhalb des Unternehmens
erbringe, was z.B zu Kostenreduktion führt, die wiederum meinem
Arbeitgeber einen Vorteil bringt.

Meine Familie hat nicht so viel Geld und Aufmerksamkeit
in meine Erziehung und Bildung gesteckt, damit ihr offenbare,
dass ich unsere Gene nicht weitertragen und mich suizidieren werde.

Meine Partnerin schenkt mir Geborgenheit/körperliche Nähe/
Nachkommen, aber sie erwartet dafür im Gegenzug "Schutz"
(heute eher im übertragenen Sinne) und finanzielle Absicherung
etc. pp.

Es ist also fast immer ein Geben und Nehmen, wobei sich der
Gegenüber bewusst oder unbewusst einen Vorteil aus der
eingegangenen Verbindung erhofft.

Mit einem Suizidversuch breche ich einseitig diese Verbindungen,
dann tritt häufig Wut ins Spiel und solche genialen
Fragen von Elternteilen, Freunden, wie z.B.:
"Warum tust Du MIR das an?" werden gestellt.

Niemand fragt nach der Vorgeschichte, wie viele Nächte und
Tage der des Lebens Müde damit verbracht hat, eben diese
Gedanken zu wälzen, die unzähligen Versuche, sich still oder
laut bemerkbar zu machen, hinzu kommen ungehörte Hilferufe, Kapitulationserklärungen gegenüber den unerträglichen
Qualen eines körperlichen oder seelischen Leidens, ein Wechselspiel
aus Lichtblicken und Niederlagen etc. etc.

Auch wenn die Adressaten (gemeint sind die Eltern, Angehörigen,
Freunde, Kollegen) diesen Beitrag nicht lesen werden - in dieser
auf Funktionalität, Verfügbarkeit und Leistung getrimmten Gesellschaft
solltet ihr euch eines fragen: Warum gedenkt ihr so ehrend der
Toten, die dahinsiechend in einem langen Martyrium ihre letzte
Reise antraten - muss man sich, wie alles im Leben, auch den
Tod "erarbeiten"?

Sind die Erinnerungen an schöne gemeinsame Momente
ihres Wertes beraubt, dadurch, dass ich selbst meinem
Leben ein Ende setze?

In meinen Augen ist dies Heuchelei und das Attribut "Egoismus"
wird im Zusammenhang mit Suizid oft deshalb ins Spiel gebracht,
um den Selbstmörder mit einem Schuldkomplex zu beladen,
der die innere Zerrissenheit einer solchen Person nur weiter
fördert.

Entschuldigt bitte den ausufernden Beitrag, es stecken
viele persönliche Erfahrungen dahinter.
sabbersack
Beiträge: 184
Registriert: Dienstag 30. September 2008, 14:54

Beitrag von sabbersack »

@Wanderer
Du hast mit allem was ich nachvollziehen kann recht. Ich habe den Link nachgelesen: so ist Altruismus ein "Verhalten" - kein Gefühl. Das passende Gefühl dazu, stellt sich -wie in der von dir beschriebenen Weise- erst über etliche Umwege ein: "...wie viele Nächte und
Tage der des Lebens Müde damit verbracht hat, eben diese
Gedanken zu wälzen, die unzähligen Versuche, sich still oder
laut bemerkbar zu machen, hinzu kommen ungehörte Hilferufe, Kapitulationserklärungen gegenüber den unerträglichen
Qualen eines körperlichen oder seelischen Leidens, ein Wechselspiel
aus Lichtblicken und Niederlagen etc."
Das nenne ich mal treffend formuliert. Und zu den Eltern: ja; die wollen immer nur das Beste! Und -wenn man es so sieht- ist somit das zweitbeste schon nicht mehr gut genug?! Aber was bleibt dann in der Realität noch übrig? Und allgemein? Die Verbindung zu brechen; sich wie ein Aussetziger vor der Gesellschaft selbst aus dem Staub zu machen. Wer's tatächlich tut, erntet vermutlich meist simplen Neid.
Aber das Wichtigste ist; wenn ich schon zu Lebzeiten unter meinem eher starken Altruismus zu leiden hatte, dann lasse ich mir den beim Sterben Wollen nicht auch noch nachsagen. Und für den Vorwurf "...egoistisch!", gibt's erst recht was auf die Schnauze!
8)
Grüße
mrbuthidae
broken_fairy
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Registriert: Sonntag 23. August 2009, 15:46
Wohnort: Niedersachsen

Beitrag von broken_fairy »

Ich denke auch, dass viele einem Egoismus nur vorwerfen, um uns weiter am Leben zu erhalten.
Aber wenn sie wirklich nur das beste für uns wollen, dann sollen sie uns gehen lassen!
broken_fairy
Beiträge: 23
Registriert: Sonntag 23. August 2009, 15:46
Wohnort: Niedersachsen

Beitrag von broken_fairy »

Ich denke auch, dass viele einem Egoismus nur vorwerfen, um uns weiter am Leben zu erhalten.
Aber wenn sie wirklich nur das beste für uns wollen, dann sollen sie uns gehen lassen!

@wanderer:
Ich finde es sehr toll, wie du schreibst! Du klingst wirklich unglaublich intelligent! :wink:
Wanderer
Beiträge: 93
Registriert: Mittwoch 29. April 2009, 21:02
Wohnort: Westerwald

Beitrag von Wanderer »

sabbersack hat geschrieben:@Wanderer
Du hast mit allem was ich nachvollziehen kann recht. Ich habe den Link nachgelesen: so ist Altruismus ein "Verhalten" - kein Gefühl. Das passende Gefühl dazu, stellt sich -wie in der von dir beschriebenen Weise- erst über etliche Umwege ein....
8)
Grüße
mrbuthidae
...Oh ja, stimmt- ich danke Dir für die Korrektur, Du hast Recht,
es handelt sich um eine Verhaltensweise, die man nicht
als Emotion charakterisieren kann.

Gruß
Wanderer
Beiträge: 93
Registriert: Mittwoch 29. April 2009, 21:02
Wohnort: Westerwald

Beitrag von Wanderer »

broken_fairy hat geschrieben: @wanderer:
Ich finde es sehr toll, wie du schreibst! Du klingst wirklich unglaublich intelligent! :wink:
Haha, danke... ich denke aber, Du übertreibst ein wenig ;-) -
es überwiegt bei mir wohl mehr der Verdruss und die
Niedergeschlagenheit.

Habe früher einmal einige (nicht viele) Gedichte verfasst,
wenn Du magst, würde ich Dir ein oder zwei Texte per PN
zukommen lassen.
Schnucki
Beiträge: 21
Registriert: Sonntag 26. Juli 2009, 15:14

Beitrag von Schnucki »

Kai, ich bin Dir sehr dankbar für das Anstoßen dieses wichtigen Thema, denn diese Frage beschäftigt mich auch ungemein in letzter Zeit, dabei frage ich mich nicht so sehr, ob es wirklich egoistisch ist (klar ist es das zum Teil, wie jedes andere Verhalten auch, Wanderer hat es sehr gut auf den Punkt gebracht), sondern ob meine Freunde das so sehen werden, wenn ich tot bin. Obwohl es mir eigentlich egal sein könnte, ist es aber nicht. Wer von Egoismus spricht, sollte sich bewusst machen, dass sich niemand einen Suizid leicht macht, es gehört auf jeden Fall ein ziemlich hoher Leidensdruck dazu, so etwas wirklich durchzuziehen.

Vor allem um meine Mutter mache ich mir Sorgen, für sie lebe ich überhaupt nur noch, alle anderen kommen auch gut ohne mich klar, auch wenn sie erst einmal trauern werden, aber meine Mutter wird es am Härtesten treffen. Sie hat so viel für mich getan. Sie weiß auch von meinen Absichten und ich habe sie im Voraus schon um Verzeihung gebeten.

Ich bin da echt hin- und hergerissen. Oft tröstet mich aber der Gedanke, dass ich ja irgendwann sowieso sterben muss, ich ziehe den Zeitpunkt nur etwas vor.
Oder muss ich wirklich warten, bis ich alt und krank bin, möglicherweise dement, keine Familie oder Freunde mehr habe und somit keiner traurig wäre, und die Pfleger wären vermutlich sogar erleichtert... Das wäre dann wirklich altruistisch ;-)

Schnucki
schluss
Beiträge: 25
Registriert: Montag 27. Juli 2009, 21:08

Beitrag von schluss »

Oder muss ich wirklich warten, bis ich alt und krank bin, möglicherweise dement, keine Familie oder Freunde mehr habe und somit keiner traurig wäre
Da ich leider Tag für Tag viele Menschen sehe den es so geht...ist meine Option schon länger klar....ich werde solch ein dahinsiechen für mich niemals zulassen.
broken_fairy
Beiträge: 23
Registriert: Sonntag 23. August 2009, 15:46
Wohnort: Niedersachsen

Beitrag von broken_fairy »

Meine Oma ist gestern erst gestorben, ebenfalls war die wirklich krank und ich denke, dass ihr letzter Lebensabschnitt nicht gerade der schönste war. So möchte ich auch unter keinen Umständen enden!!!

@wanderer: Klar, sehr gerne! Würde mich wirklich darüber freuen :)
Kai
Beiträge: 602
Registriert: Sonntag 26. Juli 2009, 07:08

Beitrag von Kai »

Schnucki hat geschrieben:Vor allem um meine Mutter mache ich mir Sorgen, für sie lebe ich überhaupt nur noch, alle anderen kommen auch gut ohne mich klar, auch wenn sie erst einmal trauern werden, aber meine Mutter wird es am Härtesten treffen.
Kann ich verstehen. Andererseits hat deine Mutter dich ja vorher auch nicht gefragt, ob du in diese Welt hineingeboren werden möchtest. Bzw. ob du ein leben führen möchtest, das letztlich auf den Gedanken an Freitod hinausläuft. Beides konnte sie nicht.
Oder muss ich wirklich warten, bis ich alt und krank bin, möglicherweise dement, keine Familie oder Freunde mehr habe und somit keiner traurig wäre, und die Pfleger wären vermutlich sogar erleichtert... Das wäre dann wirklich altruistisch ;-)
In der Tat.

Aber ist es etwa ein erfülltes Leben, nur noch dazusein, damit es anderen nicht schlecht geht, bzw. damit irgendwelche fremden Fachkräfte - die mit dir rein sachlich-beruflich zu tun haben - zu Arbeit und Geld kommen, indem sie sich um dich "kümmern" ...? Zum Überleben mag das reichen ... aber gewiss nicht zum Leben.
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