Assistierter Suizid in Deutschland

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Dissolved_Alice
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Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Dissolved_Alice »

Ich teile das Gespräch mal hier. Hab es selbst aber noch nicht gehört, weil mich das Thema einfach so sehr aufwuehlt emotional :?

Assistierter Suizid in Deutschland :vom Gutachten zum Sterbebett

https://youtu.be/7d5_9VAZWtA
Hurlinger
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Hurlinger »

Hallo Alice.
Danke für den Link.
Ein wirklich großartiges Interview.
Die Ansichten der Fr. Landis sind m.E. auch sehr einfühlsam und menschenwürdig.
Man kann aber auch hier raushören, dass es für "nur psychische Erkrankungen" auch von ihr kein grünes Licht kommen würde, bzw. ganz schwierig.
Aber es geht so langsam den Weg in die richtige Richtung.
Gruß
Hurlinger
Dissolved_Alice
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Dissolved_Alice »

Hab nur ein wenig reingehört...

Ich find es schon total krank, dass ein Gutachter über so etwas entscheidet, also ich würde mir das nicht zutrauen wollen.
Aber es muss einfach darüber gesprochen werden. :!:
Es ist zb fast unmöglich in Armut (und Krankheit/Einsamkeit) und gleichzeitig in Würde zu altern...
Ach... :|
Hurlinger
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Hurlinger »

Wenn du es mal schaffst dir das anzuschauen, und dir die Bedenken der Moderatorin zu der sehr liberalen Einstellung Kanadas in Sachen FTB anhörst, ist es mitunter schon nicht schlecht, dass der Wunsch nach FTB nochmal geprüft wird, einerseits.
Andererseits pflichte ich Dir schon bei, dass es der eigene freie Wille, egal ob körperlich oder psychisch erkrankt, in dieser Frage zu respektieren gilt.
Ich glaube, dass die Fr. Dr. Landis sehr gewissenhaft und im Patientensinne an die Gutachten rangeht. Ich würde meine Geschichte mit ihr erläutern wollen. Aber das ganze geht ja auch nur mit Geld und über Organisationen hier in "D"
Armut, Krankheit und Einsamkeit sind wahrscheinlich schon schwer genug auszuhalten.
Damit wird es einem sicherlich auch nicht einfacher gemacht.
Gruß
Hurlinger
Dissolved_Alice
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Dissolved_Alice »

Es ist einfach so ein komplexes und hypersensibles Thema, schon klar. Und dann dieses durch und durch kranke, kapitalistische System.
Ach...
ich hab wirklich keine Kraft mehr
Thomas_Aquinas
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Thomas_Aquinas »

https://m.faz.net/aktuell/politik/ausla ... 3.amp.html

„Der Gesetzestext wurde mehrmals umformuliert. Das Gesetz gilt nur für Erwachsene, die unter „anhaltenden“ und „unerträglichen“ Schmerzen leiden. Ausgenommen sind Menschen, die geistig nicht in der Lage sind, eine solche Entscheidung zu treffen.“

Leider ein unpräziser Artikel, gemeint ist wohl die aktive Sterbehilfe.

In Deutschland soll es laut den vier Verfassern dieses Artikels https://m.faz.net/aktuell/politik/inlan ... 6.amp.html
so aussehen:

„Keiner der vorliegenden Gesetzentwürfe hilft Menschen, die einen Suizid erwägen, in ihrer existenziell schwierigen Lage. Anstatt komplizierte Konstruktionen zu ersinnen, die die (juristisch sogenannte) Freiverantwortlichkeit bei einer Entscheidung für einen selbst gewählten Tod si­cherstellen sollen, und in der Folge er­hebliche finanzielle und personelle Ressourcen in flächendeckende Suizidassistenzberatung zu stecken, sollte dieses Geld primär in Suizidprävention sowie die Palliativ- und Hospizversorgung in­vestiert werden.“

Der ärgerliche Rest ist hinter der Bezahlschranke.
Ein Blick auf die Autoren offenbart: Zwei Theologen, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin sowie ein ehemaliger Staatsrechtler, der von 2012 bis 2020 Mitglied des Deutschen Ethikrates war.
So lange Palliativmedizin und Hospizbewegung als einzige legale Alternative zur (aktiven) Sterbehilfe aufgebaut werden, wird sich hier auch nichts ändern.

PS: Sehr informativ zum Thema Suizid und Sterbehilfe im Allgemeinen sind die Bücher von Hector Wittwer.
Thomas_Aquinas
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Thomas_Aquinas »

Stummfilm
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Stummfilm »

Alles Andere als vollständige Freigabe jeglicher Sterbehilfe ohne Wenn und Aber für Großjährige und voll Geschäftsfähige ist einfach barbarisch. Die Vorstellung, dass die eigene Entscheidung von mehreren Personen begutachtet und gutgeheißen werden müsste, ist sowas von 1938-45-mäßig, anders kann ich das nicht mehr verdeutlichen. Dabei wird auch noch munter alles in einen Topf geworfen, dass einem einfach nur noch schlecht werden könnte. Missbrauch, Gebrauch, Freiwilligkeit, Wohlüberlegtheit...
Da wäre mal der Punkt des Missbrauchs. Dafür werden Menschen in Notlagen oder in emotionalen Ausnahmezuständen angeführt, die nur den Suizid als Lösung sehen. Ist das Missbrauch? Natürlich nicht, diese Menschen beabsichtigen ja ihren Tod. Von einem Missbrauch könnte man sprechen, wenn kein Todeswunsch vorliegt wie bei Mord, Totschlag etc. Und freiwillig handeln sie auch, sofern dem keine rechtlichen Gründe wie Minderjährigkeit oder eingeschränkte Geschäftsfähigkeit entgegenstehen. Über den Punkt wohlüberlegt könnte man diskutieren, aber letztendlich bestimmt das die Person selbst. Gespräche anbieten, Mut machen, ja. Letztendlich entscheidet es der Sterbewillige selbst, ob und welche Therapien/Angebote er in Anspruch nimmt oder in Kauf nimmt, dass seine Depression zum Suizid führt.

Und schauen wir uns mal klassische, fiktive Zankäpfel an. Da wäre die Oma im Altersheim, die schon mehr tot ist als lebendig. Fakt ist, ihre Behandlung frisst ihr Erspartes auf, das sie vielleicht gern ihren Kindern und Enkeln vermacht hätte. Und wer sich als Belastung fühlt, ist es meistens auch. Menschen sind soziale Wesen und haben gute Antennen dafür, wo sie stehen im sozialen Gefüge. Sie haben kein echten Halt mehr und belasten auch die, die sie lieben. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie andere um sich haben. Halt der übergebliebene Rest im Sozialbereich. Asche zu Asche.
Aus Sicht der zumeist migrantischen und ausländischen Pflegenden: Warum sollte ich mir das bitte antun? Ich darf mich tagtäglich mit Leid und Tod abquälen, während mich die alte Schachtel ansabbert und intellektuell sogar von Siri locker überflügelt wird. Beim eigenen Spross ist das postpubertäre Verhalten nahtlos in die Midlife-Crisis übergegangen, an die sich die schwierigen Fünfziger und die Alterskrise anschließen werden. Kurz: Taugenichtse, die neuerdings wieder die Ausländer und andere Randgruppen für ihre eigene Unfähigkeit entdeckt haben. Aber leider müssen wir andererseits Hinternabwischer und moderne Sklaven importieren.
Kurz: Alte nerven und sie spüren das. Da fährt der Zug drüber.
Dasselbe gilt in ähnlichem Ausmaß auch für Menschen mit Behinderungen, die überwiegend von Zuwendungen abhängig sind.
Abtreten zu können, wenn es einem zu viel wird, ist eine gute Lösung. Und zuletzt ist die Absurdität himmelschreiend, dass der freie Zugang zum Tod als Tor für Mord und Totschlag erachtet wird bei denen, denen die Menschen ausgeliefert sind. Als ob potenzielle Täter heute ihre Opfer mit Aufopferung und Liebe behandeln würden. Das Misstrauen gegen die Sterbehilfe ist zu Allererst ein Eingeständnis der Schieflage im Sozialbereich und letztendlich auch die Angst, andere könnten die Zeit mit uns doch nicht so toll finden.
Hurlinger
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Hurlinger »

Was ich an dem o.g. Fall noch nicht verstehe ist, warum der Herr Dr. Spittler überhaupt vor Gericht steht.
Irgendwer muss ihn dann doch angezeigt haben. Wer soll denn das dann gewesen sein? Der Arzt, der den Tod feststellen musste?
Anscheinend ist die Freitodbegleitung ja im Einklang mit der Mutter geschehen.
Wenn der Name Spittler doch gar nicht gefallen wäre hätte man ihn doch gar nicht vor Gericht stellen können.
,
Black2Light
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Black2Light »

Bei bestimmten Delikten ermittelt die Staatsanwaltschaft von alleine. Die haben einen Toten gefunden, Todesursache vorerst ungeklärt. Bei der Obduktion kommt raus Suizid aber mit „Beihilfe“. Dann wird geschaut wer das gewesen sein könnte… evtl gab es Zeugen die ihn in der Nähe gesehen haben… vielleicht war sein Handy in der Nähe eingeloggt und dann gabs Monate/ Jahre vorher einen anderen Fall wo man ebenfalls schonmal sein Handy zur „Tatzeit“ in der Nähe des anderen „Opfers“ festgestellt hat.. und schon haben sie ihn….
(Reine Vermutung, hab noch nicht mal den Bericht ganz gelesen…)
Hurlinger
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Hurlinger »

Vielleicht möchte er ja auch einen Präzedenzfall vor Deutschen Gerichten schaffen.
Das wäre dann sehr mutig.
JustMe14
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von JustMe14 »

Die Staatsanwaltschaft unterstellt dem Suizidanten, nicht freiverantwortlich " gehandelt " zu haben. Sie werfen Dr. Spittler vor, dass der ca 40 jährige Mann nicht " Herr seiner Sinne " war .... also " psychisch Kranke " haben sozusagen keine freie Willensentscheidung.
Es steht übrigens noch ein sehr bekannter Sterbehelfer vor Gericht. Und zwar Dr. Turowski.
Da geht es auch um Sterbehilfe einer schwer depressiven Frau.
Also sind psychisch Kranke sozusagen im Sinne der STA nicht freiverantwortlich........
Thomas_Aquinas
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Thomas_Aquinas »

https://www.berliner-zeitung.de/mensch- ... li.2188855

“Der Andrang ist riesig an diesem ersten Prozesstag, sodass die Leute auf den noch freien Presseplätzen sitzen dürfen.”

Wichtig ist dabei:
“Er sitzt nicht auf der Anklagebank, weil er bisher schon 100 Menschen beim Suizid assistiert hat. Das ist seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 straffrei.
Der Arzt hat einer schwer depressiven Studentin bei ihrem Suizid geholfen. In dem viel beachteten Prozess, dem sich Turowski seit diesem Dienstag stellen muss, geht es um die Frage, ob psychisch kranke Menschen freiverantwortlich entscheiden können, ob sie freiwillig aus dem Leben scheiden dürfen.
Turowski muss sich wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft verantworten.”


Es ist ja nicht so, daß es niemanden interessieren würde. Nur die differenzierte Berichterstattung ist…sagen wir…ausbaufähig.

Ich habe die große Befürchtung, daß das ganze Thema uns eines Tages in naher Zukunft um die Ohren fliegen wird, wenn es nicht eine klare gesetzliche Regelung des gesamten Komplexes gibt. Gesetze, die dann auch um- und durchgesetzt werden. Stichworte: Abgabe von Pentobarbital, Verbot bereits jeder Diskussion um jede Art von Sterbehilfe in bestimmten Pflegeheimen…

Aber immerhin gibt es ja eine gewisse Öffnung der Diskussion, auch wenn die Thematik immer von einzelnen angestoßen werden muß, die sich gegen das Gros ihrer Berufszweige stellen (Nikolaus Schneider, Christoph Turowski).

Mein Tip ist: So lange es für das Problem “freiverantwortliche Willensbildung” nicht eine praktikable Lösung gibt, wird es bei 5 Gerichtsverfahren 10 verschiedene Urteile geben.
Balduin
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Balduin »

So kann es sein, so sollte es sein. Das bewusste, selbstbestimmte Lebensende, hier eines Ehepaares.

Der frühere niederländische Premier Dries van Agt ist am Montag vor einer Woche zusammen mit seiner Frau Eugenie van Agt-Krekelberg gestorben. Beide wurden 93 Jahre alt. Wie nun mehrere Medien übereinstimmend berichten, sollen sie sich bewusst für eine gemeinsame Beendigung des Lebens entschieden haben.

https://www.berliner-zeitung.de/news/st ... li.2186416
https://www.theguardian.com/world/2024/ ... ie-van-agt
Thomas_Aquinas
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Re: Assistierter Suizid in Deutschland

Beitrag von Thomas_Aquinas »

Wieder etwas Lektüre:
https://www.fr.de/panorama/assistierte ... 67213.html

“ Nach vier Jahren zieht die Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) Bilanz. 419 ihrer Mitglieder haben 2023 assistierte Suizid in Anspruch genommen, wie der Verein am Dienstag (27. Februar) mitteilte. Das sind mehr, als im Jahr zuvor (229), sowie 2021 (120). Wer die Zahl der Freitodbegleitungen von anderen Vereinen und einzelnen Ärzten nach Schätzungen der DGHS hinzuzählt, kommt auf etwa 1000 Personen.”

“Viel mehr Menschen wählten ihren eigenen Weg, Suizid zu begehen, der oft viel grausamer ist und Mitmenschen stärker belastet. Insgesamt nahmen sich im vergangenen Jahr etwa 10.000 Menschen das Leben.”

Zum Thema “psychische Krankheiten” heißt es:

“Wenn Menschen schwere psychische Krankheiten über Jahre hinweg haben und therapeutisch alles probiert haben, ist es würdiger, den assistierten Suizid zu erlauben, als in Kauf zu nehmen, dass sie sich selbst eine Suizidmethode suchen“

Leider ist dies aber nicht die Auffassung der Justiz in Deutschland:

“Das deutsche Gesetz zum selbstbestimmten Sterben schließt psychische Erkrankungen als Begründung eigentlich nicht aus. Zwei aktuelle Gerichtsprozesse könnten es psychisch kranken Menschen in Zukunft jedoch schwer machen, assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen […]”

@ Balduin:
Richtig, so sollte es sein:“and most cases are carried out by the family doctor at home.”
(Aus dem “Guardian Artikel“)
Klingt nicht nur nach einer anderen Praxis, sondern auch nach einer anderen Diskussionskultur.
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