Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

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n°cturne
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Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von n°cturne »

Ich verwehre mich ja vehement der Ansicht, Suizide und Suizidalität seien einer, salopp gesagt, "Geisteskrankheit" geschuldet. Vielleicht mögen endogene Prozesse und Veranlagungen durchaus eine Rolle spielen, aber letztlich stellt sich selbst bei einer chemischen Imbalance im Gehirn die Frage, ob der Auslöser endogener oder exogener Natur ist. Ich für meine Belange konstatiere, dass meine Lebensmüdigkeit einfach einer Resignation und Überlastung aus äußeren Miseren heraus geschuldet ist. Und das ist ja auch genau die Problematik des heutigen Therapie-Paradigmas: Man therapiert am Betroffenen herum, anstatt erst einmal die Umstände zu normalisieren. In der Psychotraumatologie spricht man insofern ja auch von einer normalen Reaktion auf unnormale Umstände. Wird der traumatische Auslöser nicht beseitigt, kann man da noch so viel herumtherapieren, es bringt einfach nichts. So, als würde man eine Wunde versorgen wollen, während die Hyäne weiterhin gemütlich am Opfer nagt.

Und ich habe es nun auch schon oft bei anderen erlebt: Kaum ändern sich die Lebensumstände oder die eine schlimme Sache - plötzlich ist wieder Lebensmut da, wo vorher kein Gras mehr zu wachsen schien. Die Narben bleiben zwar sicherlich, aber plötzlich wird das Leben trotzdem wieder lebenswert. Geht es Dir auch so? Gäbe es da die eine Sache, die sich ändern müsste, damit Du wieder leben willst? Und die einfach keine Therapie der Welt ausgleichen kann?
Scotti
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Scotti »

Spannendes Thema, da möchte ich gerne mit einsteigen :)
Für mich ist es ganz klar, dass es sowas wie ausschließlich "psychische Gründe" für Suizide nicht gibt! Ganz klar gibt es Fälle, auch gut dokumentierte, wo der Suizident sein Leben eben nicht aufgrund von psychischer oder unheilbar physischer Krankheit beendet hat, sondern weil die sozialen Umstände und damit meine ich jetzt nicht das liebe Geld, einfach so waren, dass der Mensch seinen einzigen Ausweg im Suizid gesehen hat. Eben ein Bilanzsuizid!

Ich weiß, dieser Terminus wird von Ärzten und Psychologen nicht gern gelesen, aber: er trifft absolut zu, denn wenn z.B. der Mann unmittelbar nach seiner Scheidung den Freitod zuhause sucht, weil er mit den sozialen Folgen nicht leben mag oder die Trennung von den Kids und seiner Ex nicht verkraftet hat, wenn ein Buchhalter sich suizidiert, weil er gravierende Fehler gemacht und so die Firma in den Abgrund getrieben hat oder ein Mensch aufgrund eines drohenden schmachvollen Prozesses vorher den Freitod wählt, dann ist dies alles ja nicht auf die Psyche oder Physis zu schieben, was ja einfach wäre, sondern eben die logische Schlussfolgerung eines gesunden Menschen, der für sich alleine zu dem Schluss kam, dass er in seinem Leben nicht mehr weiter kommt und die Aussichten auf den Tod (ggf. Reinkarnation ähnlich eines Neustarts eines Spiels, Erstellung eines neuen Char wie z.b. in einem MMORPG, salopp ausgedrückt) besser sind als das, was ihn erwartet, seiner Meinung nach.

Womit ich zu deinem schönen Vergleich mit der Hyäne komme: besser kann man es fast nicht vergleichen, denn nicht alle Umstände lassen sich therapieren, wie z.B. die o.G. denn da hilft ja keine Psychotherapie der Welt bei. Gut, man hätte dem Mann nach der Scheidung evtl. Wege aufzeigen können, wie er trotz Scheidung für die Kinder ein toller Papa sein kann usw., aber es hätte ihm Null geholfen, seine persönlichen Umstände zu ändern, höchstens, sie zu akzeptieren und dann? Vielleicht ein, zwei Jahre später wäre er dann den Weg trotzdem gegangen. Ähnlich wie einige anders gelagerte Fälle, die gut dokumentiert sind, wäre durch eine Therapie ja auch nicht der Umstand, sondern nur die unmittelbaren Symptome behandelt worden, was aber eben nicht zu dem gewünschten Erfolg führt und die Hyäne widmet sich inzwischen dem nächsten saftigen Bein.

Zu deiner letzten Frage muss ich ganz klar sagen JA, das gibt es. Auch bei mir, keine Frage! Allerdings und da bin ich ehrlich, dürfte es so ziemlich unmöglich sein, diesen Umstand aus der Welt zu schaffen, so dass ich meinen Plan fallen lasse und mein Leben versuche, wieder auf solide Füße zu stellen und eben nicht konkrete Pläne für den Ausstieg zu besitzen.
Auch ich sehe den Tod als möglichen Neustart um es beim nächsten Mal eben besser zu machen und eben nicht wieder an einem Punkt zu stehen, wo ich nicht mehr kann, bzw. will. Eben ein typischer Bilanzsuizid.
n°cturne
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von n°cturne »

Hallo Scotti, vielen Dank für Deinen interessanten Beitrag! Wollte eigentlich etwas näher darauf eingehen, aber im Moment geht es mir einfach mal wieder zu bescheiden ...
Scotti
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Scotti »

n°cturne hat geschrieben: Dienstag 26. Juli 2022, 18:30 Hallo Scotti, vielen Dank für Deinen interessanten Beitrag! Wollte eigentlich etwas näher darauf eingehen, aber im Moment geht es mir einfach mal wieder zu bescheiden ...
Das tut mir sehr leid für dich und ich würde mich freuen, wenn du es tun könntest, wenn es dir wieder besser geht!
Black2Light
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Black2Light »

Hi,

sehr interessanter Ansatz, habe mich direkt darin wiedergefunden. Auch auf das Thema Bilanzsuizid bin ich mehrfach gekommen, da ich mich ebenfalls nicht für psychisch krank oder labil halte. Ich bin - leider - im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und klarem Verstand und kann dazu noch ziemlich gut analysieren, planen und vorausschauend denken. Ich mache das sogar beruflich und bin eigentlich sehr gut darin. Deswegen kann ich auch ganz klar absehen wo bei mir die Reise hingeht, ich weiß genau an welchen (Lebens)Umständen ich etwas ändern kann oder könnte und welche mir einfach (vor)gegeben werden, bzw. fremdbestimmt sind und auf die ich keinen Einfluss habe.

Was machst du dann, wenn du vor dir ein Leben siehst das du so gar nicht haben willst, das dir jetzt schon unerträglich erscheint, mit dem du jetzt schon weißt das du dich damit niemals arrangieren kannst, in dem du absolut nichts haben kannst was dir jemals wichtig war, auf das du dich jemals gefreut hast.

Auch der Vergleich mit dem Video-Spiel ist gut. So habe ich mir das auch oft vorgestellt...


Mit freundlichen Grüßen
n°cturne
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von n°cturne »

Black2Light hat geschrieben: Donnerstag 15. September 2022, 11:28 Ich bin - leider - im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und klarem Verstand und kann dazu noch ziemlich gut analysieren, planen und vorausschauend denken.
Darin finde ich mich nun sehr gut wieder. Und gerade heute erst habe ich mir gedacht, ob Demenz nicht vielleicht auch eine Erlösung in's Vergessen ist ... Nur wer dann allein ist, gute Nacht ...
Black2Light
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Black2Light »

Weißt du was hilft? Also was mir hilft? Cannabis… wenn ich genug geraucht hab schaltet mein Hirn für einige Stunden komplett ab und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen oder verfolgen. In den letzten 2,5 Jahren war die einzige Zeit in der ich mich nicht beschissen gefühlt habe, die Zeit, in der ich betrunken oder high und weggetreten war…

Ein gut funktionierender Verstand kann, wenn man in einer beschissenen Situation feststeckt, etwas furchtbares sein…

Mit freundlichen Grüßen
n°cturne
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von n°cturne »

Vielen lieben Dank für den Tipp. Leider bin ich selbst auf dem Gebiet absolut unbedarft. 🙄 Wüsste noch nicht einmal, wo ich so etwas herbekomme. 😁 Manchmal denke ich mir schon, schade, dass ich noch nicht mal eine gepflegte Alkoholsucht habe. 🥺 Gefangen im eigenen Verstand. Mist.
Rawsens
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Rawsens »

Kiffen ist sicherlich besser. Bin leider zum Trinker geworden.

Prost.
Black2Light
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Black2Light »

Das sehe ich auch so. Leider habe ich hier wo ich wohne auch quasi keine Quellen.
n°cturne
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von n°cturne »

Rawsens hat geschrieben: Samstag 17. September 2022, 11:24 Kiffen ist sicherlich besser. Bin leider zum Trinker geworden.

Prost.
😞
Rawsens
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Rawsens »

Liebe :cry:
Black2Light
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Black2Light »

Rawsens hat geschrieben: Sonntag 18. September 2022, 01:09Liebe :cry:
Da kann man fast nichts mehr hinzufügen…
Rawsens
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von Rawsens »

Black2Light hat geschrieben: Montag 19. September 2022, 18:51
Rawsens hat geschrieben: Sonntag 18. September 2022, 01:09Liebe :cry:
Da kann man fast nichts mehr hinzufügen…
Ich habe das Problem, dass ich ganz alleine dastehe. Vielleicht ist "Liebe" für meine Situation als Wunsch erstmal übertrieben, aber wenn die Einsamkeit nicht ganz so brutal wäre, würde ich vielleicht tatsächlich etwas Lebensmut schöpfen können.

In dem Video zu Suizid, das ich in dem anderen Thread verlinkt habe, sagt der Dozent, dass "verhinderte Zugehörigkeit" ein starker Auslöser für Suizidalität ist. Ja, da ist was dran :(
n°cturne
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Re: Was müsste passieren, damit Du wieder leben willst?

Beitrag von n°cturne »

Rawsens hat geschrieben: Sonntag 18. September 2022, 01:09Liebe :cry:
❤︎❤︎❤︎
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