Meine Entscheidung

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

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Marieisthename
Beiträge: 1
Registriert: Montag 14. Mai 2018, 16:28
Wohnort: Hamburg

Meine Entscheidung

Beitrag von Marieisthename »

Hallo,

ich weiß nicht, wo ich in diesem Forum genau "hingehöre". Ich lese schon eine Weile still mit und starte nun einmal ein Posting.
Auch um mich vorzustellen.

Ich (53) komme aus dem hohen Norden von Deutschland. Habe meine kleine Familie, Mann und Tochter, und bin schon sehr lange
in psychotherapeutischer Behandlung.

Da ich schlecht schlafe, surfe ich des nachts bei Youtube herum, nicht nur um Musik zu hören, sondern auch um Dokus zu sehen mit
Themen, die mich interessieren.
Dabei kam ich zu einem Video über einen begleiteten Suizid von Dignitas. Die Frau war Anfang 70 und schwer krank und ihre letzten
Stunden wurden festgehalten.
Sie ist eingeschlafen und irgendwie war das friedlich und sie war in dem Moment nicht alleine.

Seitdem lässt mich das Thema "Meine Entscheidung" nicht mehr ganz los.
Ich habe eine Patientenverügung, wo vieles drinsteht, was ich nicht will.
Ich habe einen Zusatz geschrieben, was ich gerne möchte im Falle, dass..

Ich habe lange Jahre ehrenamtlich in einem Seniorenstift gearbeitet und da waren Situationen, die ich nicht am eigenen Leib erfahren möchte.
Vor allem möchte ich nicht, das mir jemand meinen Sabber vom Mund wischen muss und mich auf die Bettpfanne heben.

Ich hoffe, so lange im Vollbesitz meiner Kräfte zu sein, das ich entscheide, wann Schluss ist.

Meine erwachsene Tochter weiß, das ich nicht als Pflegefall enden möchte, nicht jahrelang in einem Heim dahinsiechen.
Da mein Mann fast 20 Jahre älter ist als ich - und somit aus reinen Statistikgründen schon gegeben ist, das er eher sterben wird als ich - werde ich
einen Tages alleine (ohne Partner) und einen Mann nach meinem Mann kann es nicht geben.

Für mich steht meine Entscheidung fest, für meine Tochter wird das ganz schlimm und kompliziert und ich mag nicht mir ihr darüber sprechen, weil
ich weiß, sie hätte dann ständig um mich Angst.
Das hatte sie schon viele Jahre, und ich glaube, es reicht.

Doch, ich stampfe ein bisschen auf...es ist meine Entscheidung.

Es sind nicht nur meine eigenen Befindlichkeiten die mich müde, ich bin der Welt so müde geworden. Und es tröstet mich zu wissen, eines Tages ist es vorbei.
Wobei es gute Tage gibt, viel Lachen und Liebe und Schutz und doch auch viele Tage mit Angst, Chaos und dem Gefühl totaler Einsamkeit und Unsicherheiten.

Danke für's Lesen.

Marie
Abendstern
Beiträge: 621
Registriert: Montag 28. September 2015, 08:03

Re: Meine Entscheidung

Beitrag von Abendstern »

Hach ja, liebe Marie, ich denke, viele hier können Dich verstehen. Ich zumindest kann es.

"Es sind nicht nur meine eigenen Befindlichkeiten die mich müde, ich bin der Welt so müde geworden. Und es tröstet mich zu wissen, eines Tages ist es vorbei. Wobei es gute Tage gibt, viel Lachen und Liebe und Schutz und doch auch viele Tage mit Angst, Chaos und dem Gefühl totaler Einsamkeit und Unsicherheiten."

So in etwa empfinde ich auch. Wobei Liebe und Lachen bei mir in den letzten Jahren leider auch mehr als kurz gekommen sind. Aber ich weiß sehr wohl, was Du meinst, wenn Du schreibst, daß Du trotz der guten Tage im Gesamten der Welt überdrüssig geworden bist. So ergeht es mir auch. Einerseits versuche ich, mich nach einem kolossalen Schicksalsschlag wieder ins Leben zu kämpfen, andererseits wird alles, was noch kommen wird, nur eine schale Nachahmung, eine Simulation, ein Abklatsch dessen sein, was Leben eigentlich bedeuten sollte. Nach außen versuche ich, mir wieder so etwas wie ein normales Leben aufzubauen, innerlich habe ich mich jedoch schon lange von dieser Welt verabschiedet. Selbst die schönen Tage und Momente sind somit stets von einer inneren Wehmut und Melancholie begleitet, in dem Wissen, daß jeder schöne Moment eigentlich nur noch eine Überbrückung ist, aber keine tiefere Bedeutung mehr besitzt. Man könnte dies als innere Leere bezeichnen. Dort, wo meine Seele vorher noch von Sinnhaftigkeit und hoffnungsvollen Idealen durchzogen war, ist nun schlicht ein gähnendes Nichts. Ein Nichts, das durch profunde Desillusionierung über diese Welt all meinen einstigen Glauben an die Menschheit und deren Werte aufgefressen hat.

Beir Dir ist es sicherlich noch etwas anders, da Du eine Familie hast, in der Du Dich offenbar geliebt und aufgehoben fühlst. Und noch habe ich nicht ganz verstanden, ob Du Deinen Gedanken, Dich aus dem Leben zu verabschieden, ausschließlich an einer potentiellen Pflegebedürftigkeit festmachst oder auch an einer möglichen Einsamkeit ohne Partner. In jedem Fall möchte ich zu bedenken geben, daß Dich Deine Tochter in vielen Lebenslagen noch brauchen wird. Gerade da Ihr eine so kleine Familie seid. Ich weiß nicht, wen Deine Tochter sonst noch hätte, wenn Ihr beide einmal nicht mehr da seid. Ich selbst habe leider die Situation, ohne Eltern durch's Leben gehen zu müssen, obwohl beide noch leben. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände habe ich auch keine eigene Familie. Und das hätte sicherlich nie jemand für möglich gehalten. Ich auch nicht. Und dieses Gefühl, so alleine und verloren auf der Welt zu sein, trägt ganz erheblich dazu bei, innerlich mit diesem Leben und dieser Welt abgeschlossen zu haben. Und ich würde mir von Herzen wünschen, daß es Deiner Tochter eines Tages nicht genauso ergehen möge. ❤︎
Erloesung
Beiträge: 281
Registriert: Montag 26. Januar 2009, 00:00

Re: Meine Entscheidung

Beitrag von Erloesung »

Hallo Marie,

willkommen hier im Forum.

Mir gehts momentan nicht so gut, deshalb schreibe ich nur kurz was dazu.

Ich bin auch müde von dieser Welt, aber wisst ihr wieso? Ich wäre nicht "müde" von dieser Welt, wenn die Menschen nicht so ein "schlechtes" Verhalten hätten. Und wenn Leute immer meinen, "ja, aber das hat die Natur so gemacht" - JA, aber Menschen KÖNNEN sich auch ÄNDERN in ihrem Verhalten !!! Aber sie tun es nicht.

Wie auch immer. "Es ist meine Entscheidung" ist eine gute Meinung.
bluebanana_51
Beiträge: 33
Registriert: Dienstag 17. Juli 2018, 11:45

Re: Meine Entscheidung

Beitrag von bluebanana_51 »

Hallo und willkommen.
Ich kann das gut nachvollziehen, bin aber etwas jünger als du und habe keine Kinder. Ich würde es aber genauso handhaben wie du. Ich will im Alter auch nicht als Pflegefall enden und werde mir irgendwann auch selbst ein Ende setzen sobald ich keine Lust mehr habe.
Ich denke deine Tochter wird es irgendwann akzeptieren. Ich wünsche dir alles Gute.
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