Ja, Frau Burke, nicht bei allen vielleicht, aber bei mir definitiv. Nach allem, was ich erlebt habe und über diese Welt weiß, könnte ich es nicht verantworten, das Risiko einzugehen, möglicherweise einen weiteren Menschen einem solchen Leid auszusetzen. Und was sollte ich meinem Kind auch erzählen über diese Welt? All meine Werte, an die ich einmal geglaubt habe, haben sich als bitterste Farce herausgestellt. Allein, daß sich ganze Branchen am Leid anderer Leute eine goldene Nase verdienen. Völlig empathielos, herzlos, unerbittlich. Nein, niemals hätte ich in einer solchen Welt leben wollen. Und niemals hätte ich gedacht, daß dies die Realität sein soll. Jeder kann sich glücklich schätzen, weiterhin in seiner rosaroten Blase zu leben, dem diese teuflischen Machenschaften nie im Leben begegnen. Hat man erst einmal begriffen, wie zerbrechlich die Illusion von "Menschlichkeit" ist, dann gibt es kaum mehr ein Zurück...Antinatalisten erklären, warum die Menschheit aussterben sollte
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Der Begriff „Antinatalismus" wurde von David Benatar geprägt, der Professor für Philosophie an der Universität von Kapstadt war. Sein Buch Better Never to Have Been ist das grundlegende Werk zu diesem Thema.
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„Ich bin dafür, dass alles ausstirbt, weil ich glaube, dass die Fähigkeit etwas zu fühlen nur Leid verursacht—sowohl beim Menschen als auch bei Tieren", erklärt Laura. „Ich weiß, das ist unrealistisch, aber ich bin gegen die gesamte Schöpfung. Man spielt im Grunde einfach nur mit dem Leben anderer." Eine weitere Antinatalistin namens Charlotte sagt, dass sie einfach glaubt, dass es „besser wäre, wenn wir aussterben würden. Es besser gnädiger für die Menschheit und definitiv auch besser für die Umwelt."
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Doch Antinatalisten haben nicht nur Probleme, mit Freunden und der Familie über ihre Ansichten zu sprechen. Erwartungsgemäß haben sie auch im Netz häufig mit Beleidigungen zu kämpfen. Laura und Charlotte erzählen mir, dass eine der typischsten Trollreaktionen „Warum bringst du dich dann nicht einfach selbst um?" ist.
„Diese Pronatalisten begegnen einem mit einem solchen Mangel an Empathie", sagt Laura. „unzulässiges Wort ist schrecklich und die meisten Antinatalisten würden ihren Familien so etwas nie antun wollen. Wir wollen nicht noch mehr zu dem Leid beitragen."
Dennoch scheinen Depressionen und Suizidgedanken innerhalb der Community weit verbreitet zu sein—auch wenn es sich dabei nicht um die Regel handelt. „Ich habe den Eindruck, dass die meisten unserer Mitglieder positiv über unzulässiges Wort denken, wenn man das so sagen kann", meint Kenqwi. „Das liegt daran, dass wir uns darüber einig sind, dass wir zumindest bestimmen können sollten, ob und wann wir sterben wollen. Schließlich können wir uns schon nicht aussuchen, ob wir geboren werden wollen oder nicht."
Charlotte sagt weiter: „Ich glaube, dass [der Antinatalismus] auch depressive Menschen anzieht, weil sie hier zum ersten Mal zu hören bekommen: ‚Dein Blick auf die Welt ist richtig.' Man muss allerdings nicht depressiv sein, um hinter der Philosophie zu stehen. Trotzdem glaube ich, dass Menschen, die depressiv sind, realistisch sind. Unsere Gesellschaft ignoriert depressive Menschen, anstatt sich anzuhören, wie es ihnen geht. Ihnen wird nur gesagt: ‚Mit dir stimmt was nicht. Wir müssen dich wieder hinbiegen.'"
Ist es denn nicht schwierig, das Leben andauernd als inhärent schmerzvoll zu betrachten? „Es ist nicht einfach, eine solche Sicht auf die Welt zu haben", gibt Charlotte zu. „Es fällt manchmal schwer, nicht in Verzweiflung zu versinken. Es hat mir aber auch geholfen, die kleinen Dinge schätzen zu lernen—eine Tasse Tee oder einen Spaziergang in der Natur. Ich bin nicht ständig auf der Suche nach dem noch größeren Glück. Ich mache mir auch keinen Gedanken über mein Vermächtnis. Ich weiß, dass das Leben keinen Bedeutung hat."
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Die Psychotherapeutin und Paarberaterin Hilda Burke erklärt mir, dass sie es interessant fände, wenn einer ihrer Patienten sich selbst als Antinatalist bezeichnen würde. Sie würde gerne herausfinden, ob diese Einstellung zum Leben ein Hinweis auf irgendeine Form von Trauma sein könnten.
Nur weil wir hier vermeintlich so weit wenig von Krieg und Kriegsverbrechen leben, wäre es fatal und naiv zu glauben, daß Menschen, die zu solchen Taten fähig sind, nicht nach wie vor auch unter uns leben. Ihre unmenschliche Seite leben sie lediglich anders aus. Und wer, der dies am eigenen Leib und der eigenen Seele erfahren hat, würde so etwas einem anderen Menschen oder gar einem zweiten Ich in Form des eigenen Kindes antun wollen...
Die Antinatalisten mit denen ich gesprochen habe, sind trotz allem fest davon überzeugt, dass es kein Zurück mehr für sie gibt. „Ich versuche die Welt mit anderen Augen zu sehen, aber wenn man die Welt erst einmal aus dieser Perspektive gesehen hat, ist das sehr schwer", sagt Laura. Kenqwi gibt zu: „Ich versuche ja, meine Sicht auf das Leben zu ändern, aber ich habe nach wie vor kein pronatalistisches Argument gehört, das mich überzeugen kann. Ehrlich gesagt, ist es eine sehr schwierige Philosophie. Man wird ziemlich einsam."