Was bin ich doch froh...

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

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Abendstern
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Registriert: Montag 28. September 2015, 08:03

Was bin ich doch froh...

Beitrag von Abendstern »

... über dieses Forum. Ein Ort, an dem auch traurige, absurde und desillusionierende Schicksale eine Würdigung erfahren und man nicht dauerlustig und erfolgreich sein muß, um als Mensch Achtung zu erfahren...

Diese Maxime des Dauerglücks in der heutigen Gesellschaft macht mich noch ganz krank. Warum darf man nicht auch mal über einen längeren Zeitraum niedergeschlagen und erschöpft sein, wenn die Umstände es einfach nicht anders hergeben? Immerhin hat man es sich ja so nicht ausgesucht. Und an manchen Dingen kann man nun einmal auch nichts ändern, so gerne man es ja wollte! Jeder, der an seinen Problemen selbst etwas ändern kann, der soll sich froh schätzen, daß er noch nichts Schlimmeres erlebt hat.

Ich bin schon so weit, daß ich manchen Leuten selbst einmal so ein idiotisches Schicksal an die Backe wünsche, um ihrer selbstgerechten Herumschlaumeierei Lügen zu strafen... Ist ja eigentlich schon genug, daß man mit solch ungnädigen Umständen gesegnet ist, aber dieses hochnäsige Gequatsche von Leuten, die das Schicksal anderer an ihren eigenen kleinen Problemchen messen, ist dann wirklich noch das Allerletzte.

:roll: :( :cry: :? :|
Thorsten3210
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Re: Was bin ich doch froh...

Beitrag von Thorsten3210 »

Zum einen ist es leider so, dass den Menschen ihr eigenes Zahnweh viel wichtiger ist als das Unglück anderer Menschen. Jeder denkt zuerst an sich oder oft auch NUR an sich. Zum anderen ist Deutschland eine Leistungsgesellschaft, wer nicht mithalten kann, wird ausgegrenzt. Und es können viele nicht mithalten, hier ein paar Zahlen: In Deutschland leiden z.B. etwa 4 Millionen Menschen an einer depressiven Störung (weltweit 350 Mio), jeder dritte Notarzteinsatz hat mit psychischen Krisen zu tun. Oder eine andere Zahl: Es leben 7,5 Millionen (!) schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Etwa 17% aller Deutschen sind von lang anhaltenden, chronischen Schmerzen betroffen – also mehr als 12 Millionen Menschen.

Natürlich wünscht man den (gesunden und leistungsfähigen) Menschen kein Leid an den Hals, damit sie mal sehen, wie das ist. Allerdings wachen viele nach einem Schicksalsschlag erstmals auf, und plötzlich verstehen sie, wie es in anderen aussieht, die körperl. oder seelische Leiden mit sich rumschleppen müssen, teils jahrzehntelang.
Abendstern
Beiträge: 621
Registriert: Montag 28. September 2015, 08:03

Re: Was bin ich doch froh...

Beitrag von Abendstern »

Thorsten3210 hat geschrieben:Zum einen ist es leider so, dass den Menschen ihr eigenes Zahnweh viel wichtiger ist als das Unglück anderer Menschen.


Ich will ja bescheiden sein und noch nicht einmal verlangen, daß sich jemand für mein Unglück interessiert... Ich wäre schon froh, wenn man nicht auch noch doof darauf angesprochen werden würde, weshalb das denn alles nicht schneller geht und man nicht schon längst wieder jauchzend und frohlockend erfolgreich im Leben steht... Die realitätsfernen Ratschläge dieser vermeintlich Erleuchteten sind da nur noch ein weiterer Schlag ins Gesicht.
Natürlich wünscht man den (gesunden und leistungsfähigen) Menschen kein Leid an den Hals, damit sie mal sehen, wie das ist.
Ach, die Menschheit hat wirklich lange genug von meinem empathischen und idealistischen Gefühlsgedusel profitiert... Und sogar in dieser Situation kämpfe ich noch dafür, daß anderen Ähnliches erspart bleibt... Da erlaube ich mir nach allem wenigstens aus tiefster Seele heraus, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen... Würde abgesehen davon jedem auch das erlösende Wunder gönnen. Ich glaube jedenfalls, die Welt wäre um einiges besser, wenn die Menschen darin begreifen und nachvollziehen könnten... Und wenn dazu eigenes Erleben notwendig ist, warum nicht. Ich bin da mittlerweile sehr pragmatisch. All die politisch ach so Korrekten sollen erst einmal beweisen, daß sie denselben Mut und dieselben Hürden auf sich nehmen würden, um tatsächliches Leid zu verhindern.

Aber wenn ich eines in meinem Leben gelernt habe, dann ist es ohnehin, daß Wünsche nicht in Erfüllung gehen.
In Deutschland leiden z.B. etwa 4 Millionen Menschen an einer depressiven Störung (weltweit 350 Mio), jeder dritte Notarzteinsatz hat mit psychischen Krisen zu tun. Oder eine andere Zahl: Es leben 7,5 Millionen (!) schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Etwa 17% aller Deutschen sind von lang anhaltenden, chronischen Schmerzen betroffen – also mehr als 12 Millionen Menschen.
Danke für die interessanten Zahlen. Diese sind wirklich erschreckend. Mamma mia.
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