Sterbehilfe in Deutschland

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Girlxxx

Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Girlxxx »

And hat geschrieben: @ Girl - von der Logik des gesunden Verstandes gebe ich Dir recht. Nur geht es hier rein um das strafrechtliche Dogma, laut dem keine Mittäterschaft strafbar sein kann, wenn die Haupttat nicht strafbar ist (Ausnahme: der Haupttäter ist schuldunfähig, der Helfer schuldfähig & dies war vor der Tat nachweisbar bekannt).
Manipulation & Erpressung ist ja in den meisten Fällen nicht nachweisbar, darum stimme ich Dir hinsichtlich des Missbrauchsarguments auch völlig zu, was die Absurdität des Ganzen anbelangt.
Mir scheint die von dir genannte Ausnahme merkwürdigerweise dennoch gerade kompatibel mit dem was ich schrieb. Solange der Mittäter den `autonomen` Willen und die dadurch bestimmte Tat des Haupttäters unterstützt (dessen Tat nicht strafwürdig ist), dann kann auch der Mittäter nicht bestraft werden (weil sein Wille nur die Bestärkung/Verdoppelung jenes des Haupttäters ist, der nicht strafwürdig ist). Genau das ist aber nicht gegeben, wenn man annimmt, dass zwar der Suizid unterstützt wird, dieser aber nicht dem Willen des Haupttäters entspricht, der eigentlich in eine andere Richtung zielte. Der so Manipulierte ist ja auch eigentlich schuldunfähig, da er manipuliert wurde, und nicht gemäss seinem Willen handelte (sondern unter objektivem Zwang), ganz im Gegensatz zum Mittäter. Aber die von dir genannte Ausnahme macht für mich keinen Sinn, wenn sie bezogen wird auf eine Tat die nicht strafbar ist...was spielt da die Schuld(un)fähigkeit für eine Rolle, wenn die Tat grundsätzlich nicht bestrafbar ist? Du hast natürlich Recht was die Problematik der Nachweisbarkeit einer Manipulation betrifft, das ist kaum nachzuweisen (was allerdings gerade als Argument für die Potenzierung der Relevanz des Missbrauchsargumentes dient im Verbot von SH: mit einem Verbot werde Missbrauch grundsätzlich verunmöglicht, welches anderweitig nicht zu verhindern oder feststellbar ist...ganz unplausibel ist solches Argument ja wirklich nicht, auch wenn es bestimmt anderweitig präventive Massnahmen gibt. Das Problem ist, dass mögliche Missbräuche gegenüber den Folgen eines Verbotes von SH nicht gewichtet werden, wie auch Türen für nahe liegende Missbräuche geöffnet werden: Angehörige). Aber an sich entsteht kein Widerspruch wenn die Gültigkeit des strafrechtlichen Dogmas in Kombination mit der Unterstellung von Manipulation behauptet wird.
Aber wie auch immer. Im Grundsätzlichen stimmen wir wohl überein.
Psychiatrische "Kriminalisierung" meine ich natürlich im übertragenen Sinn. Bei Vereitelung oder Scheitern erfolgt (meines Wissens) immer eine Einweisung, wobei letztlich (v.A. bei Renitenz / "fehlender Krankheitseinsicht" o.ä.) unbegrenzter Freiheitsentzug, Medikationszwang & totale Entmündigung via Betreuungsanordnung möglich ist. Dies kommt m.E. einer Bestrafung bzw. Abschreckung durch Angst vor Bestrafung gleich - mit dem Unterschied, dass der Betroffene nicht einmal sein "Strafmass" kennt, welches weitgehend der Willkür von Ärzten, Gutachtern etc. unterliegt. Jeder, der einmal gegen seinen Willen hospitalisiert & medikalisiert wurde, wird dem wohl zustimmen.
Verstehe was du meinst. Historisch ist ja eindeutig eine Entkriminalisierung hin zu einer Pathologisierung des Suizidenten geschehen. Welche Folgen die zu bevorzugenden sind? Ich weiss nicht genau was die strafrechtlichen Folgen waren, Todesstrafe? :evil:
And
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von And »

:shock: Ja, es gab (unter bestimmten Umständen) tatsächlich Todesstrafen für missglückte Versuche sowie im MA wohl generell "postmortale Hinrichtungen" (!!) + Enteignung & Bestrafung der Familie bei erfolgreichen Suiziden:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eselsbegräbnis

Die Ausnahme meine ich bezogen auf das grundsätzliche strafrechtl. Dogma der Haupt- & Mittäterschaft, was natürlich nur bei Straftaten eine Rolle spielt. Man geht ja (ebenfalls rein rechtlich betrachtet) erstmal von der Freiwilligkeit des Suizids aus, andernfalls müsste man jedem Freitod per se als manipuliert oder unzurechnungsfähig begangen betrachten.
Mglw. spielt offizielle Schuldunfähigkeit tatsächlich eine Rolle ob der Strafbarkeit, bspw., wenn der Suizident unter Betreuung des Helfers stand. Aber da habe ich keine Ahnung.

So what - was die Missbrauchsthematik angeht, kann man darüber sicher end- & erfolglos mutmassen - es gibt ja nichts, was es nicht gibt. Darum würde ich klar für assestierten & eindeutig dokumentierten Suizid durch Ärzte und-oder Sterbehelfer bzw. eine ebenso eindeutig dokumentierte Vergabe von Substanzen plädieren. Fälle von Mord durch Ärzte / Pfleger gab es wohl schon immer (& vermutlich eine Dunkelziffer), hier würde eine Liberalisierung m.E. keine neuen Risiken schaffen.

Ziemlich schrecklich finde ich Geschichten wie die kürzliche eines verzweifelten Ü-80-Paares, wo der Mann erst seine kranke Frau erwürgt & sich dann selbst aus dem Fenster gestürzt hat (nicht auszudenken, wenn er überlebt hätte).
Girlxxx

Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Girlxxx »

And hat geschrieben:Die Ausnahme meine ich bezogen auf das grundsätzliche strafrechtl. Dogma der Haupt- & Mittäterschaft, was natürlich nur bei Straftaten eine Rolle spielt. Man geht ja (ebenfalls rein rechtlich betrachtet) erstmal von der Freiwilligkeit des Suizids aus, andernfalls müsste man jedem Freitod per se als manipuliert oder unzurechnungsfähig begangen betrachten.
Entscheidend ist doch, dass dies `Dogma` im Rahmen des Verbotes von SH zu interpretieren ist. Wenn nun Missbrauchsgefahr als Begründung für das Verbot genannt wird, dann ist das Dogma mit dieser Begründung in Einklang zu bringen (und dann wird eben nicht a priori davon ausgegangen, dass Suizid oder Beihilfe zum Suizid immer freiwillig geschieht). Ich sehe darum (d.h. wenn mit Missbrauch argumentiert wird) nicht warum hier ein Widerspruch bestehen sollte.
So what - was die Missbrauchsthematik angeht, kann man darüber sicher end- & erfolglos mutmassen - es gibt ja nichts, was es nicht gibt.
(Es gibt natürlich Dinge die es nicht gibt.) Ich denke, dass hier empirische Erfahrungen/Studien z.B. aus Ländern mit liberaler SK-Gesetzgebung (Holland) am ehesten irgend ein argumentatives Gewicht hätten/haben sollten. Dann die abwägende Gewichtung solcher Gefahr gegenüber den Folgen bei Verbot von SH etc. (hab ich alles bereits irgendwo geschrieben).
Darum würde ich klar für assestierten & eindeutig dokumentierten Suizid durch Ärzte und-oder Sterbehelfer bzw. eine ebenso eindeutig dokumentierte Vergabe von Substanzen plädieren. Fälle von Mord durch Ärzte / Pfleger gab es wohl schon immer (& vermutlich eine Dunkelziffer), hier würde eine Liberalisierung m.E. keine neuen Risiken schaffen.
Meine Ansicht bzw. ideale Argumentation(sgrundlage): siehe oben. Bei Zulassung von SH wären strikte (aber realistische) Vorgaben zu erfüllen, so wie du das auch schreibst.
And
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von And »

Nun, kriminelle Missbrauchsargumente stehen gerade nicht im Vordergrund (& stünden im Widerspruch zur vglw. unkontrollierbaren Freiheit Angehöriger), sondern der angeblich gesellschaftliche Druck auf Alte & Kranke sowie die "Unantastbarkeit des Lebens". Darum ist es auch klar auf Vereine und die Ärzteschaft ausgelegt (Bei Ärzten / Pfegenden sollte Profit per se eher durch Lebenserhaltung als durch SH zu erwarten sein).
Wie glaubhaft sind diese Lebensschutz-Worte wohl seitens einer Regierung, die fragwürdigste Milliardendeals mit Waffen durchwinkt & in mehreren Kriegen mitmischt?

Einzig SthD bzw. potenziellen SH-Vereinen wurde (unbewiesen bzw. "präventiv") Breicherungsabsicht unterstellt - obgleich man hier nach dem CH-Modell auf einfache Weise Sicherheit gewährleisten könnte. Oder nach Benelux-Modell bei ärztl Begleitung.

Es gibt natürlich im kriminellen Spektrum nichts, was - so machbar - undenkbar wäre... :wink: Nur eine Anerkennung Deiner Bedenken - was nix an der Frage ändert, auf welche Weise letztlich schlimmere(r) Misshandlung / Missbrauch stattfinden kann. & da sind wir uns - glaub´ ich - einig.

Angeblich (!!) soll das neue Gesetz sogar derart ausgelegt werden, dass das Unterlassen lebenserhaltender Massnahmen (bislang legale passive SH) wieder unter das Verbot fällt. Dies ist eine völlig unbelegte gelesene Behauptung, doch rein vom - sehr unkonkreten - Text her ist es u.U. auf alle Arten der SH anwendbar.
Wie unklar das Ganze ist & welch weitreichende Unsicherheit es aktuell geschaffen hat, ist hier zu erahnen: http://www.lto.de/recht/hintergruende/h ... e-analyse/
Balduin
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Balduin »

Der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch muss sich nicht wegen Totschlags im Zusammenhang mit einem Suizid von zwei Frauen vor Gericht verantworten.
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/h ... 67920.html
And
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von And »

Das kann man dann wohl einen Pyrrhussieg nennen... Er ist ja nun ausgeknockt.
Thanatos
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Thanatos »

Frage an den Mediator:
Welche Folgen hat das neue deutsche Sterbehilfegesetz für die Schweizer Sterbehilfeorganisationen bzw. für deren Mitglieder in Deutschland? Wenn es denn Folgen hat.
Falls diese Frage zu indiskret für eine öffentliche Antwort ist, möge er mir bitte per PN antworten.
Es grüßt,
Thanatos
Rasiel
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Rasiel »

Ich denke die Menschen müssen nach wie vor in die Schweiz reisen.
Für viele kaum möglich.
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Peterchen »

Balduin hat geschrieben:Der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch muss sich nicht wegen Totschlags im Zusammenhang mit einem Suizid von zwei Frauen vor Gericht verantworten.
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/h ... 67920.html
Kein Wunder. Diese offensichtlich politisch motivierte Anklage ist ja durch das Schandgesetz vom November obsolet geworden.
Peterchen
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Peterchen »

Rasiel hat geschrieben:Ich denke die Menschen müssen nach wie vor in die Schweiz reisen.
Für viele kaum möglich.
Die Menschen bräuchten vor allem bessere Aufklärung. Mit dem nötigen Wissen könnten viele sich selbst helfen. Die von Kusch benutzten Medikamente kann man sich z.b. relativ leicht selbst besorgen.

Wenn ich fit wäre und Geld übrig hätte, würde ich eine professionelle Aufklärungsseite bauen und auf einen ausländischen Server legen.
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Träumerin2 »

Peterchen hat geschrieben:Dann solltet ihr euch beeilen. Nach der absehbaren Gesetzesänderung wird auch Arnold seiner Tätigkeit als Sterbehelfer nicht mehr nachgehen können.
Warum nicht Peterchen?

VG, Träumerin
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Träumerin2 »

Thanatos hat geschrieben:
Rasiel hat geschrieben:...
Ich finde es sehr schlimm wenn immer behauptet wird man muss heute keine Schmerzen mehr haben, vor allem nicht in der Sterbephase.
Das ist so was von gelogen.
...
Eben, dieser Mythos der Palliativmedizin, der hierzulande offenbar stark genug ist, jede vernünftige Diskussion in Sachen Sterbehilfe im Keime zu ersticken.
Ich selbst erlebte Fälle, die diesen Mythos als Lüge enlarvten. Aber wer will das schon hören?
Ich selbst bin jährlich in einer Schmerzklink, die die Aussage trifft:
'Niemand muß unerträgliche Schmerzen haben!'
Sie handelt auch danach...zu meinem Glück

VG, Träumerin
Peterchen
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Peterchen »

Träumerin2 hat geschrieben:
Peterchen hat geschrieben:Dann solltet ihr euch beeilen. Nach der absehbaren Gesetzesänderung wird auch Arnold seiner Tätigkeit als Sterbehelfer nicht mehr nachgehen können.
Warum nicht Peterchen?

VG, Träumerin
Na weil es jetzt verboten ist.
Ich selbst bin jährlich in einer Schmerzklink, die die Aussage trifft:
'Niemand muß unerträgliche Schmerzen haben!'
Sie handelt auch danach...zu meinem Glück
Das ist zwar schön, aber es gibt Schmerzen, bei denen die Palliativmedizin an ihre Grenze stößt.

Zumal die Abwesenheit von unerträglichen Qualen ja nicht gleichbedeutend ist mit einer guten Lebensqualität.
Träumerin2
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Träumerin2 »

Peterchen hat geschrieben:
Träumerin2 hat geschrieben:
Peterchen hat geschrieben:Dann solltet ihr euch beeilen. Nach der absehbaren Gesetzesänderung wird auch Arnold seiner Tätigkeit als Sterbehelfer nicht mehr nachgehen können.
Warum nicht Peterchen?

VG, Träumerin
Na weil es jetzt verboten ist.
Ich selbst bin jährlich in einer Schmerzklink, die die Aussage trifft:
'Niemand muß unerträgliche Schmerzen haben!'
Sie handelt auch danach...zu meinem Glück
Das ist zwar schön, aber es gibt Schmerzen, bei denen die Palliativmedizin an ihre Grenze stößt.

Zumal die Abwesenheit von unerträglichen Qualen ja nicht gleichbedeutend ist mit einer guten Lebensqualität.
Moin Peterchen,
das es verboten ist,ist mir auch klar, aber es war vorher doch auch verboten :?:
Ausnahme in Berlin, wenn ich dass richtig gelesen habe in dem Link gestern.

Glaube mir, ich weis sehr gut was unerträgliche Schmerzen sind. Ich bin nicht umsonst schon über Jahre hier, und nehme u.a. hochdosiert Morphine.
Aber noch siegt der Überlebenswille (Lebensquälität) vs Suizid

VG, Träumerin
Balduin
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Re: Sterbehilfe in Deutschland

Beitrag von Balduin »

Die Niederlande diskutieren intensiver denn je die "Sterbepille für jeden", ab 70, wie früher berichtet wurde.z
Leicht zu haben in NL? Kann uns das helfen?

http://www.spiegel.de/gesundheit/psycho ... 65819.html
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