Sterben ist "Privatsache"?

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

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Chron
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Sterben ist "Privatsache"?

Beitrag von Chron »

Vorhin habe ich über einen Teletext bei TV RTL zufällig mitbekommen, dass es in der CH eine Volksiniative "Abtreibung ist Privatsache" geben soll (ob es sie gibt, also ob sie genügend Unterschriften bekommen wird oder hat, weiss ich nicht). Ich meinte, Abtreibung sei längst geregelt und erlaubt (ebenso in D) - was also soll das nun wieder?

Googlen ergab:
http://privatsache.ch/ hat geschrieben:
Abtreibungen sind keine Krankheit! Deshalb will die Volksinitiative die Streichung der Kosten der Abtreibungen aus dem Leistungskatalog der obligatorischen Krankenversicherung. Die Vorteile liegen auf der Hand:
  • Die direkten und indirekten Gesundheitskosten werden reduziert.
  • Die Selbstverantwortlichkeit der Versicherten wird gestärkt: Wer für sich die Möglichkeit einer Abtreibung in Betracht zieht, kann eine freiwillige Zusatzversicherung abschliessen oder die Kosten direkt bezahlen.
  • Die Initiative stellt sicher, dass die obligatorische Krankenversicherung eher Leben rettet und heilt, nicht aber Leben vernichtet.
  • Die Initiative stoppt den finanziellen Anzreiz durch die Krankenversicherung, Schwangerschaften abzubrechen. Das reduziert die Zahl der Abtreibungen.
stellt sicher, dass die obligatorische Krankenversicherung eher Leben rettet und heilt, nicht aber Leben vernichtet
Ich bin entsetzt! Ähnliche Fehl-Meinungen bestehen ja wohl auch zu Sterbehilfe, bei und zu Medizinern und deren Anhängern/Gläubigen.
Wie kam es zu diesem Wahn, man könne oder müsse jedes Leben "retten" oder heilen (das dann vielleicht mal im Jahr 3000 oder so ...)?
Es gibt auch Abtreibungen, weil das Kind schwer behindert (vielleicht nicht mal bis zur Geburt lebensfähig) ist, die Schwangerschaft/Geburt die Mutter gefährden würde, Kinder durch eine Vergewaltigung gezeugt wurden und vieles mehr - wobei es mir hier aber nicht um die Abtreibungsdiskussion geht (die gab es schon mal; das ist wirklich aufgewärmter uralter schon bald verfaulter Kaffee), sondern um diesen unsäglichen Satz darin.

Typisch für die Schweiz vermutlich, dass es dabei wieder mal scheinbar nur um Geld gehen soll (und wer möchte nicht kleinere Krankenkassenprämien ... Wobei ich aber denke, dass das Meiste eben gerade nicht für "Lebensvernichtung" drauf geht, sondern für superteure Operationen und Therapien/Medikamente bei immer länger lebenden kranken Menschen).

Aber der Satz verrät, finde ich, dass es eben um anderes geht.
"Privatsache". Man bzw. frau soll selber abtreiben (analog: sich selber töten, wenn man nicht mehr leiden mag) oder wie?
Für Abtreibungen gab es früher "Engelmacherinnen" oder sowas (wobei dann vermutlich viele Frauen, nicht nur deren ungeborene Kinder, "Engel" wurden, heisst, starben). Derzeit sind dafür Mediziner/-innen zuständig. Ebenso wie für die Verschreibung des Sterbemittels Natriumpentobarbital. Und was Mediziner/-innen tun, wird von Krankenkassen bezahlt. So war die Regel. Quasi eine Berufsversicherung für medizinische Doktoren. Die dann ihrerseits aber z. T. manches nicht tun wollten, das aber auch niemand Anderer tun darf. Wie viele davon Abtreibungen verweigern, weiss ich nicht - wie viele Sterbehilfe (im erlaubten Rahmen), auch nicht.

Ich verstehe diese blinde Idee nicht, es müsse immer nur um möglichst viel und lange Leben gehen. Diese Ausklammerung von Leiden, Sterben, Tod. Das doch ebenso zum Menschsein und zum Leben (meistens nicht nur eines Menschen, sondern auch seiner Umgebung) dazu gehört. Diese Meinung, wenn man den Tod verbiete (könnte man das, würden sie vermutlich ...), gebe es mehr Lebensqualität. Das Gegenteil wäre doch der Fall (bei Abtreibungsverboten für Mütter, Kinder, weitere Angehörige davon usw., bis zuletzt wieder "dem Staat", der die Folgen "ausbügeln" soll - indem man wiederum Leben/Leiden verlängert, ad infinitum ...).

Mir fehlen gerade etwas die Worte. (Fast) sprachlos entsetzt ...
Thanatos
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Re: Sterben ist "Privatsache"?

Beitrag von Thanatos »

Chron hat geschrieben:...
Ich verstehe diese blinde Idee nicht, es müsse immer nur um möglichst viel und lange Leben gehen ...
Das ist nun mal die allgemeine Weltsicht. Ob sie genetisch programmiert, von religiösen Institutionen oder Therapeuten erzeugt, oder ob sie wer weiß woher kommt, sei mal dahingestellt. Wehe dem aber, der es wagt, ein anderes Weltbild zu haben! Zumindest macht er oder sie sich unbeliebt; im schlimmsten Fall droht der Scheiterhaufen.....
Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Sterben ist "Privatsache"?

Beitrag von Chron »

Danke - ich musste etwas schmunzeln, und zumindest mein Entsetzen hat sich mittlerweile etwas beruhigt.
Aber so recht Worte finde ich dafür immer noch nicht.

Genetisch programmiert, angeboren bzw. angezeugt: Da behaupte ich Nein dazu. Als ich die ersten Tode (von Tieren, Menschen) mitbekam, war das einfach eine Erfahrungstatsache des Lebens (anderer Lebewesen, klar aber auch, eines Tages gilt das auch für mich), aber ich hatte keinen Grund, dieses Sterben (jeder Stubenfliege und Mücke, die man tot schlägt, usw.) abzulehnen, zu ignorieren, verbieten lassen zu wollen oder so etwas.

Religiös war ich unbeeinflusst (das Wort "Gott" habe ich zum ersten Mal mit ca. 10-jährig gehört; von anderen Religionen habe ich wenige Jahre später erfahren). Das Wort "Therapie" war mir völlig unbekannt.

Weltbild ... Für mich ein Werden und Vergehen, Entstehen und Sterben, unendlich ... Wie ist das für Andere?
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