geborgenheit

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

berlinichbins
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geborgenheit

Beitrag von berlinichbins »

ich eröffne mal ganz frei und ohne viel Worte zum thema "Geborgenheit" diesen thread und bin gespannt, was euch spontan dazu einfällt, egal ob positiv oder negativ oder neutral oder gar nicht?!
Thanatos
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Re: geborgenheit

Beitrag von Thanatos »

Oh, welch hübsches Wort. Ich muss doch gleich mal googeln, um zu schauen, was das überhaupt bedeutet....
Wie ich sehe, beinhaltet der Begriff „Geborgenheit“ auch Nähe und Wärme. Jetzt wundert mich nicht mehr, dass ich mich nie richtig geborgen fühlte, da ich eben bei mir zu große Nähe nicht zulasse; das wiederum, weil das die Gefahr, verletzt zu werden, zu sehr steigert. Und ohne Nähe bekommt man wohl auch keine Wärme.... Oder?
Soweit meine ersten Gedanken zum Thema.
Seelenschmerz
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Re: geborgenheit

Beitrag von Seelenschmerz »

Die anderen Menschen sind wie ein Lagerfeuer zu betrachten..
Auf den richtigen Abstand kommt es an, zu nah, verbrennt man sich, zu weit, hat man keine Wärme :wink:
Seelenschmerz
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Re: geborgenheit

Beitrag von Seelenschmerz »

Geborgenheit.. natürlich habe ich eine riesige Sehnsucht danach. Aber wie soll ich mich jemals in dieser Welt geborgen fühlen, ich kenne das Gefühl nicht. Erst der Tod kann mir etwas verschaffen, was zumindest das Gegenteil von Geborgenheit ausschaltet..
berlinichbins
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Re: geborgenheit

Beitrag von berlinichbins »

Thanatos hat geschrieben:Oh, welch hübsches Wort. Ich muss doch gleich mal googeln, um zu schauen, was das überhaupt bedeutet....
Wie ich sehe, beinhaltet der Begriff „Geborgenheit“ auch Nähe und Wärme. Jetzt wundert mich nicht mehr, dass ich mich nie richtig geborgen fühlte, da ich eben bei mir zu große Nähe nicht zulasse; das wiederum, weil das die Gefahr, verletzt zu werden, zu sehr steigert. Und ohne Nähe bekommt man wohl auch keine Wärme.... Oder?
Soweit meine ersten Gedanken zum Thema.
ja :D sehe ich auch so, lieber thanatos. und das meinte ich als du sagtest, du hast die liebe zur seite geschoben und lässt dich auf nichts mehr ein :-( ich kann es nur all zu gut verstehen und dennoch habe ich da raus gefunden. man kann nähe und wärme auch außerhalb von sexuellen lieben erfahren. oft passiert es darüber, aber es ist nicht der einzige Zugang zu einem geborgenen gefühl.
berlinichbins
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Re: geborgenheit

Beitrag von berlinichbins »

Seelenschmerz hat geschrieben:Geborgenheit.. natürlich habe ich eine riesige Sehnsucht danach. Aber wie soll ich mich jemals in dieser Welt geborgen fühlen, ich kenne das Gefühl nicht. Erst der Tod kann mir etwas verschaffen, was zumindest das Gegenteil von Geborgenheit ausschaltet..
dieses gefühl von geborgenheit hatte jeder mal, als er im mutterleib schwamm. und klar: es kann so sein, dass man es "wie nicht hat". bei mir war es genauso, aber man kann es entwickeln und da ausbauen, wo es damals sich ganz tief verkrochen hat, um einen selbst das überleben möglich zu machen. man braucht dazu warme menschen als gegenüber und einen guten Therapeuten. sicherlich gehts auch anders.ich nenne es für mich: menschen mit herzenweisheit können einem helfen selbst zu einem menschen mit ganzer hülle und fülle zu werden. das gefühl von geborgenheit erleben zu können, muss wohl als erstes enstehen können bevor man hinaus in die welt geht und gestaltet. dann wird das leben besser als der tod.
Thanatos
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Re: geborgenheit

Beitrag von Thanatos »

Seelenschmerz hat geschrieben:Die anderen Menschen sind wie ein Lagerfeuer zu betrachten..
Auf den richtigen Abstand kommt es an, zu nah, verbrennt man sich, zu weit, hat man keine Wärme :wink:
Das erinnert mich doch gleich an Schopenhauers Stachelschweinparabel:

Arthur Schopenhauer
Die Stachelschweine
Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertage recht nah zusammen, um sich durch die gegenseitige Wärme vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder von einander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so daß sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.
So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder voneinander ab. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte. Dem, der sich nicht in dieser Entfernung hält, ruft man in England zu: keep your distance! - Vermöge derselben wird zwar das Bedürfnis gegenseitiger Erwärmung nur unvollkommen befriedigt, dafür aber der Stich der Stacheln nicht empfunden.
Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat, bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben, noch zu empfangen.
Hans
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Re: geborgenheit

Beitrag von Hans »

Bevor ich 1998 zum ersten mal in eine Psychiatrie kam, hatte ich via e-mail und Telefon Kontakt zu einer Psychologie Studentin. Die hat mir damals wenigstens mal einen "Psychologischen Werkzeugkoffer" vermacht.

Ich möchte Euch dieses Wissen nicht vorenthalten, weil es mir auch ein Stück weiter geholfen hat.

In der Psychiatrie gab es die Station A1 für besonders schlimme und jahrzehnte lange Behandlungen. Dort sind Patienten, die einen Integralhelm tragen und mit dem Helm immer gegen die Wand rennen. Daniela hat mir erklärt, dass diese Patienten früh von der Mutter weggeschmissen wurden, auf Müllkippen letal gefunden wurden etc. pp. Je weniger Mutterliebe im Säuglingsalter stattfand, desto mehr psychiatrische Probleme entwickeln solche Kinder. Dort sind Patienten, die weit mehr als 20 Jahre in Behandlung sind, um diese so einigermaßen gesellschaftsfähig zu machen und denen ihre schreckliche Todesangst und Selbstzerstörung allmählich zu nehmen.

Ich für meinen Teil gehöre ein großes Stück weit in diese Richtung. Ich habe meine letzten Puffer der zwischenmenschlichen Beziehungen im Kindes- und Jugendalter verbraucht, so daß ich mit der Ellenbogengesellschaft dort draussen nicht mehr zurecht komme. Zur Zeit lebe ich völlig alleine und ich komme besser mit mir alleine zurecht als mit "Freunden" und Feinden. Stichwort: Seelenruhe. Meiner Meinung nach dreht sich vieles um gerade diesen Puffer. Liebe von den zwei Beziehungen die ich hatte, haben mir nur vorübergehend geholfen. EIn wirkliches Auftanken der Puffer waren beide Beziehungen nicht.

Zur Zeit bin ich froh, dass ich alleine Lebe. Ich bin absichtlich in ein ehemaliges Altenheim gezogen. Die alten Leute hier leben alle alleine und kommen mit sich selbst zurecht und gehen mir nicht auf den Keks. Wenn ich weiterhin mit mir selbst zurecht komme, so wie die ganzen Rentner, dann kann ich irgendwann genau ausgewählte Personen in meinem Leben zulassen, vorher aber nicht.

Man braucht halt diesen Puffer, um Konfliktsituationen und Trennungen zu meistern. Jede Trennung ist eine erneute sehr starke Verletzung.
Seelenschmerz
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Re: geborgenheit

Beitrag von Seelenschmerz »

Meine Therapeutin nannte es "Schutzhülle".
Ich hätte keine ausreichende "Schutzhülle".

Irgendwas stimmt ja da nicht. Wenn die Welt wirklich so toll ist, wie die Psychologen behaupten, warum braucht man dann eine mega starke Schutzhülle?
berlinichbins
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Re: geborgenheit

Beitrag von berlinichbins »

keine Welt ist zu 100 prozent toll, aber wenn nur schon 20 prozent ganz gut sind, dann lohnt es sich. schließlich lebt man mit anderen menschen, die auch nicht so eine gute schutzschicht haben bzw. sich eine aufgeblasene zulegten, zusammen .... deshalb braucht man diesen Schutz. es ist allerdings mehr ein innere, keine Maschinengewehre mit denen auch manche menschen umherlaufen.
diese art Puffer ist eventuell auch das was man "ich-stabil" nennen kann - das "ich" fällt nicht gleich auseinander, wenn jmd sich trennt oder ein Konflikt droht. es ist ein bisschen, wie klebemasse. problem ist: wenn man sich nicht selbst zusammenhalten kann, dann ist man abhängig von dem, was außen passiert. und das ist das problem: deshalb ziehen sich viele zurück(inkl) meiner Wenigkeit. dann kann auch nichts passieren...aber wirklich erfüllend ist das nicht.
Thanatos
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Re: geborgenheit

Beitrag von Thanatos »

berlinichbins hat geschrieben:... das was man "ich-stabil" nennen kann - das "ich" fällt nicht gleich auseinander, wenn jmd sich trennt oder ein Konflikt droht. es ist ein bisschen, wie klebemasse....
Ist das nicht das, was man früher – und wohl auch heute noch in der Umgangssprache - „ein dickes Fell haben“ nennt? In „Therapeutisch“ heißt das also „ich-stabil“ oder „Schutzhülle“? Lustelig.
Und wo kriegt man diese Schutzhülle her, wenn man sie nicht schon hat?
Oder anders ausgedrückt: Wie kommt man an Geborgenheit, wenn es einen stört, eine solche nicht zu haben?
berlinichbins
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Re: geborgenheit

Beitrag von berlinichbins »

nee, ich denke, ein dickes fell hat man, wenn man zu oft enttäuscht wurde. hinter dem dicken fell, kann eine sehr instabile ich-konstruktion stecken. manche legen sich auch einen panzer an und ballern umher, auch hier ist eher etwas sehr verletztes im inneren. es gibt so viele Sinnbilder für den schutz der menschen....die hülle ist eher ein gesunder Selbstschutz, der eben aber nicht verhindert, dass man sich auf etwas einlassen kann. so eine hülle hat mehr transparenz zum außen, mehr Kontakt, mehr durchlässigkeit, aber schützt eben auch. das dicke fell lässt eher abprallen. mit der hülle kannst du eben noch das holen, was du brauchst.

also, hmmm "therapeutisch" mag es auch anders heißen, es ist mehr meine konstruktion, um es zu beschreiben.

ja, eine hülle entsteht erst, wenn man geborgenheit erfahren kann. bei mir ging und geht es über eine tiefenpsychologisch fundierte psychotherapie bei einer sehr authentischen:-) Therapeutin, bücherlesen und mit anderen besprechen, und dem zugewinn von freundschaften, die mir früher immer verborgen blieben. es sind menschen, die ebenso diese wunden haben, sie aber auch in worte fassen können und sich da entwickeln wollen. eine gute freundin fällt mir da ein, die sehr sensibel und offen durch die welt läuft - mit ihr habe ich wunderbare gespräche und fühle mich geborgen. ein gefühl von geborgenheit kann sich einstellen, wenn man selbst ein bisschen zutrauen hat und nicht abwehrt + menschen findet mit denen man das, was einem wichtig scheint, teilen kann. geborgenheit stellt sich mehr ein, wenn man eine verbindung zur umwelt herstellen kann und diese nicht gänzlich als Kriegsschauplatz auf dem man immer auf der hut sein muss. ich stelle fest, je offener und ehrlich ich zu meinen mitmenschen bin, umso mehr Offenheit und auch Vertrautheit bekomme ich zurück. kleine Kinder z.b. gehen oft sehr offen auf vieles drauf zu, wenn sie auf offene menschen treffen, entsteht etwas sehr schönes. wenn sie auf jmd sehr zugemauerten treffen, der sich nicht beim kind öffnen kann, entsteht eine nicht so gute Erfahrung für das kind: es sendet ein signal und bekommt entweder nichts zurück oder etwas sehr ?. wenn das zu oft passiert, fängt es an, sich zu schützen und im schlimmsten falle haben wir einen suizidgefährdeten erwachsenen später.
in resonanz-sein mit anderen, das schafft Verbindung, nähe und wärme. immer in unterschiedlichen Qualitäten, manchmal auch das gegenteil, wenn das gegenüber total "zu" ist. aber es ist eben alles möglich und nicht nur die option "mich mag eh keiner". klar manchmal ist man auch so unausstehlich, dass es sich lohnt sich ein bisschen im therapeutischen rahmen zu entwickeln - lach, dafür sind therapeuten da, damit sie erstmal das was da ist, aushalten können und trotzdem noch sehen können, was sich hinter den Mechanismen versteckt: oft ein mensch dem liebe fehlt und der sehr enttäuscht vom leben wurde. und für perfektionisten ist therapie auch ideal, da kann man sich hervorragend verfeinern:-)

ich hoffe, es ist verständlich, was da so meinem kopf entspringt.
Grenzwelten
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Re: geborgenheit

Beitrag von Grenzwelten »

Seelenschmerz hat geschrieben:Meine Therapeutin nannte es "Schutzhülle".
Ich hätte keine ausreichende "Schutzhülle".

Irgendwas stimmt ja da nicht. Wenn die Welt wirklich so toll ist, wie die Psychologen behaupten, warum braucht man dann eine mega starke Schutzhülle?

kann ich unterschreiben...... das ist bei mir auch so :(
interessante gedanken... ja warum brauch man dann diese schützhülle...?

weil ich keine "ausreichende schützhülle" habe
nehme ich neuroleptika und werde zum Zombie :D
Thanatos
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Re: geborgenheit

Beitrag von Thanatos »

berlinichbins hat geschrieben:... ich stelle fest, je offener und ehrlich ich zu meinen mitmenschen bin, umso mehr Offenheit und auch Vertrautheit bekomme ich zurück. ...
Das erlebte ich in der Tat ebenfalls oft, dass dem so ist. Ich habe auch heute kein Problem, ehrlich zu sein, aber offen doch lieber nicht. „offen“ bedeutet für mich, unbedarft viel von sich preiszugeben.
Die letzte Periode meines Lebens, in der ich für einige Monate ehrlich und sehr, offenbar viel zu offen war, endete in einem Desaster. Der Grund war, dass in einem gewissen Kreise, zu dem ich vertrauen gefasst hatte und daher viel von mir persönlich preisgab, eine Person saß, die zwar nicht besonders helle war, aber ein ausgezeichnetes Gedächtnis hatte. Kurz: Sie verwendete sehr private Dinge, die sie über mich erfuhr, bei einer für sie günstigen Gelegenheit gegen mich, was unter anderem eine schöne Freundschaft zerstörte.
„Als ob ich nicht schon oft genug in meinem Leben erfahren hätte, dass man Menschen nicht trauen darf!“ sagte ich mir hinterher. Selbst schuld, dass ich daraus nichts lernte....
Huch, was bin ich heute wieder offen! :mrgreen:
berlinichbins
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Re: geborgenheit

Beitrag von berlinichbins »

ja, ich denke, dass es tatsächlich so ist, dass man nicht jedem alles erzählen kann(je nachdem, wie viel Stabilität man hat). ich habe auch bekannte, denen ich nicht alles erzähle, weil ich in der vergangenheit sah, wie sie details von anderen menschen nicht gut behandelten. ich bin mit diesen menschen immer mehr auf abstand. aber es gibt eben auch andere menschen, die ich nun auch kenne.
was dir passierte, tut mir sehr leid. soetwas ist unfair, allerdings frage ich mich, wie es eine gute Freundschaft zerstören kann. eigentlich sollte man in einem rahmen der guten Freundschaft nach einem erdbeben wieder zusammenfinden können. es sei denn, du sprichst von "liebesverwicklungen". da ist es um einiges schwieriger.
ich bin auch schon gespannt, wann meine Offenheit hier im forum auf mich zurückfällt und wenn es passiert, wie ich dann damit umgehen kann:-) aber ich sage dir: probieren geht über studieren :lol: an sich bringt es einfach nichts, nur verschlossen herumzulaufen, das ist ein blödes leben. ich spiele oft "steh-auf-männchen" und es kann sogar neue kraft geben.
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