Ist Leben freiwillig?

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Thanatos
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Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Thanatos »

Da hier so gerne über Freitod, also den freiwilligen Tod, diskutiert wird, brachte mich das zu der Frage, wie freiwillig eigentlich das Leben ist. Auf eure Gedanken zu dieser Frage bin ich gespannt.
Beste Grüße,
Thanatos
Lena-Marie
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Lena-Marie »

So "freiwillig" ist es meiner Ansicht nach:


Jetzt bist du schon gegangen, Kind,
Und hast vom Leben nichts erfahren,
Indes in unsern welken Jahren
Wir Alten noch gefangen sind.

Ein Atemzug, ein Augenspiel,
Der Erde Licht und Luft zu schmecken,
War dir genug und schon zuviel;
Du schliefest ein, nicht mehr zu wecken.

Vielleicht in diesem Hauch und Blick
Sind alle Spiele, alle Mienen
Des ganzen Lebens dir erschienen,
Erschrocken zogst du dich zurück.

Vielleicht wenn unsere Augen, Kind,
Einmal erlöschen, wird uns scheinen,
Sie hätten von der Erde, Kind,
Nicht mehr gesehen als die deinen.

Hermann Hesse


:roll: (was für eine Gnade)
Lena-Marie
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Lena-Marie »

Weisst du eigentlich, dass du mit diesem Threadtitel Deadly den Startschuss gibst? :mrgreen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Freier_Wille

:wink:
Lena-Marie
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Lena-Marie »

Meine Meinung:

JA, ist es! Ob es "frei" ist, darüber streiten sich die Philosophen (und ich halt mich da raus), aber wenn man lebt und sein Leben nicht beendet, ist man "willig" es zu leben. Meiner Meinung nach.

Deshalb halte ich auch überhaupt nichts von Patientenverfügungen, wonach nach man niederschreibt, dass man nicht am Leben erhalten werden möchte.

Ich bin der Überzeugung, dass man Niemanden am Leben erhalten kann, der nicht leben möchte. Ob mit Beatmung oder sonstwas.

Ich weiss, dass mein Lebenswille ganz direkt mit meinem Immunsystem verbunden ist, das in dem Moment, wo ich beschliesse, nicht mehr leben zu wollen, auch seinen "Dienst" aufgibt.

Und wer noch darüber spekuliert, welcher Grillanzünder der Beste (oder schadstoffärmere :mrgreen: ) ist, der ist noch nicht "willig".

Wer noch lebt, will noch leben, sonst wäre er tot. (es gibt genug Möglichkeiten, für Jeden!)
Grenzwelten
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Grenzwelten »

meine gedanken dazu;

meinem empfinden nach ist das leben nicht nur freiwillig
im sinne von hingenommen und ein ok dazu gegeben
sondern seelisch vereinbart mit "gott".

meinem empfinden nach sind wir Seelen die einen Körper haben
auf begrenzte zeit. die Seele ist bedingungslose liebe und göttlich.
gott erfährt sich durch uns in dieser ganz speziellen einzigartigkeit.

meinem empfinden nach kamen wir alle auf die erde in liebe
um zu helfen und zu wirken in unserem so-sein.

deshalb sage ich; ja das leben ist freiwillig.

die freiheit zum leben beinhaltet auch die freiheit zum tode.


aber das sind nur meine gedanken. auch mein empfinden und inneres erleben.
an allem zweifel ich selbst oft.
Grenzwelten
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Grenzwelten »

Lena-Marie hat geschrieben:
JA, ist es! Ob es "frei" ist, darüber streiten sich die Philosophen (und ich halt mich da raus), aber wenn man lebt und sein Leben nicht beendet, ist man "willig" es zu leben. Meiner Meinung nach.
ich würde sagen; am leben zu sein bedeutet nicht es (im moment) bejaht zu haben.
man muss auch unterscheiden zwischen leben und existieren meiner meinung nach.

aber wie kann man leben im scheinbaren widerspruch zu leben und lieber tot zu sein?
wie kann man ablehnung leben?

es ist verständlich aber vergrößert leiden meist noch.

"muss" man das leben ablehnen ehe man sich tötet?

ich versuche eine andere variante :)
Lena-Marie
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Lena-Marie »

Lena-Marie hat geschrieben:Meine Meinung:

JA, ist es! Ob es "frei" ist, darüber streiten sich die Philosophen (und ich halt mich da raus), aber wenn man lebt und sein Leben nicht beendet, ist man "willig" es zu leben. Meiner Meinung nach.

Deshalb halte ich auch überhaupt nichts von Patientenverfügungen, wonach nach man niederschreibt, dass man nicht am Leben erhalten werden möchte.

Ich bin der Überzeugung, dass man Niemanden am Leben erhalten kann, der nicht leben möchte. Ob mit Beatmung oder sonstwas.

Ich weiss, dass mein Lebenswille ganz direkt mit meinem Immunsystem verbunden ist, das in dem Moment, wo ich beschliesse, nicht mehr leben zu wollen, auch seinen "Dienst" aufgibt.

Und wer noch darüber spekuliert, welcher Grillanzünder der Beste (oder schadstoffärmere :mrgreen: ) ist, der ist noch nicht "willig".

Wer noch lebt, will noch leben, sonst wäre er tot. (es gibt genug Möglichkeiten, für Jeden!)
Deswegen auch mein Unbehagen, wenn ich (wie hier so oft) Cioran zitiert lese.

Wer ein Leben lang den Suizid verherrlicht und so uralt wird, ist in meinen Augen unglaubwürdig!

Das ist einfach nur verlogenes Gelaber, der Mann hing an seinem Leben.

Schlimm finde ich nur, dass er mit seinen "suizidalen Ergüssen" bestimmt viele Menschen, die sich in ihrer Entwicklungsphase befanden, beeinflusst hat, die sich nach dem Lesen seiner Bücher dann das Leben nahmen.

:evil:
Grenzwelten
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Grenzwelten »

hm... ich finde es gar nicht so unglaubwürdig.
der bilanzsuizid vollzieht sich ja oftt erst im alter.
und davor stehen ablösungsphasen.
Lena-Marie
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Lena-Marie »

Grenzwelten hat geschrieben:hm... ich finde es gar nicht so unglaubwürdig.
der bilanzsuizid vollzieht sich ja oftt erst im alter.
und davor stehen ablösungsphasen.
Naja, dann bestand Ciorans Leben halt nur aus "Ablösungsphasen" :mrgreen:
Lena-Marie
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Lena-Marie »

"Ist Leben freiwillig?"

Die Entstehung sicherlich nicht, das weisst du auch :mrgreen:

Und das "Am-Leben-bleiben" hängt m.M. nachvom Lebenswillen ab.

Und ob der "frei" ist: Nein!

Denn der hat wiederum damit zu tun, wie ich das, was ich im Leben erlebe, verarbeite.
Deadly Snowflake

Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Deadly Snowflake »

Thanatos hat geschrieben:Da hier so gerne über Freitod, also den freiwilligen Tod, diskutiert wird, brachte mich das zu der Frage, wie freiwillig eigentlich das Leben ist. Auf eure Gedanken zu dieser Frage bin ich gespannt.
Beste Grüße,
Thanatos
Da muss das Wort "freiwillig" definiert werden, denn davon hängt die ganze Antwort ab (ohne Gewähr auf vollständige Fallunterscheidung):

a) Das Leben ist freiwillig insofern es auf einem freien Willen basiert. Antwort: ja oder nein (abhängig davon ob man die grungsätzliche und situative Existenz eines freien Willens annimmt oder nicht).
b) Das Leben ist freiwillig insofern damit Handlungsfreiheit gemeint ist:
Antwort: ja, falls die Lebenstriebe (oder Überlebensinstinkte) dem eigenen Wollen zugerechnet werden (Spezialfall: wenn man zwar den Tod dem Leben vorziehen würde, aber zu sehr Angst vor dem Suizid hat).
Antwort: nein, falls die Lebenstriebe (oder Überlebensinstinkte) nicht dem eigenen Wollen zugerechnet werden und/oder schon das Geborenwerden als nicht meinem Wollen zugerechnet wird (wobei dieser Fall logisch/psychologisch problematisch ist). Ausserdem wenn mein Weiterleben von Aussen aufgezwungen wird (z.B. bei gewünschter aber unterlassener Sterbehilfe). Auch jeder Suizid der als Krankheitsbedingt verstanden wird (wenn die entsprechenden Ursachen, z.B. Depressionen, nicht dem eigenen Wollen zugerechnet werden) .

Auch das Wort Freitod müsste entsprechend definiert werden. Viele Autoren lehnen das Wort Freitod ab, entweder weil sie den freien Willen negieren (und das Wort diesbezüglich falsche Assoziationen weckt) oder aber Suizid generell als Krankheit definieren (und diesbezüglich Assoziationen zur Handlungsfreiheit vermeiden wollen).
Deadly Snowflake

Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Deadly Snowflake »

Lena-Marie hat geschrieben:Meine Meinung:

1)Deshalb halte ich auch überhaupt nichts von Patientenverfügungen, wonach nach man niederschreibt, dass man nicht am Leben erhalten werden möchte.
Ich bin der Überzeugung, dass man Niemanden am Leben erhalten kann, der nicht leben möchte. Ob mit Beatmung oder sonstwas.
2)Ich weiss, dass mein Lebenswille ganz direkt mit meinem Immunsystem verbunden ist, das in dem Moment, wo ich beschliesse, nicht mehr leben zu wollen, auch seinen "Dienst" aufgibt.
3)Und wer noch darüber spekuliert, welcher Grillanzünder der Beste (oder schadstoffärmere :mrgreen: ) ist, der ist noch nicht "willig".
4)Wer noch lebt, will noch leben, sonst wäre er tot. (es gibt genug Möglichkeiten, für Jeden!)
Zu 1) Gute Nacht wenn eine solche, im schlechtesten Sinn, esoterische Argumentation Gewicht hätte (im entsprechenden Diskurs).
Zu 2) Deine Aussage impliziert, dass auch komatöse Menschen noch entscheiden können, das ist völlig unplausibel. Es gibt tatsächlich das Phänomen des psychogenen Todes (auch bei Tieren) nur spielt die eigene bewusste Entscheidung da kaum eine Rolle (und bei komatösen Menschen kann wohl plausiblerweise davon ausgehen, dass sie überhaupt keine Entscheidungen mehr treffen können).
Zu 3) Warum? Wenn jemand befürchtet, dass ein gewisser Anzünder die Produktion von CO mindert, ist das ein Zeichen dafür, dass die Handlungsfreiheit noch gegeben ist bzw. gewisse Bedingungen für eine rationale Entscheidung.
Zu 4) Auch falsch. Denkbar ist der Fall, dass jemand lieber Tod wäre, aber der Suizid in welcher Form auch immer für ihn ein (psychisch) unüberwindbares Hindernis darstellt. Zudem kann ein Weiterleben von ständiger oder partieller Ambivalenz bestimmt sein.
Zuletzt geändert von Deadly Snowflake am Sonntag 18. November 2012, 14:11, insgesamt 1-mal geändert.
so-lebt-der-lurch
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von so-lebt-der-lurch »

Lena-Marie hat geschrieben:
Lena-Marie hat geschrieben: Schlimm finde ich nur, dass er mit seinen "suizidalen Ergüssen" bestimmt viele Menschen, die sich in ihrer Entwicklungsphase befanden, beeinflusst hat, die sich nach dem Lesen seiner Bücher dann das Leben nahmen :evil:
Lena, bei solchen Argumenten, die auf vorgeschobenem Verantwortungsbewusstsein für andere basieren, wird mir immer übel.
Ich halte das nicht für ehrlich. Würdest du sonst höchstpersönlich Ratschläge in einer für alle frei zugänglichen Methodendiskussion geben? :roll:
Thanatos
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Thanatos »

Vielen Dank für eure bisherigen Antworten, die ich alle mit großem Interesse las.
Lena, was deine Kritik an Cioran betrifft: Du hast Recht, dass der Mann gerne lebte, aber er hatte auch depressive Phasen. Eine Aussage von ihm lautet – sinngemäß wiedergegeben -: „Ich schreibe nur, wenn es mir schlecht geht. Wozu sollte ich schreiben, wenn es mir gut geht?“ Davon ausgehend, dass Cioran diese seine Worte ausnahmsweise mal ernst meinte, sollte sich schließen lassen, warum das, was man von ihm zu lesen bekommt, sich meist negativ anhört.
berlinichbins
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von berlinichbins »

[quote="Lena-Marie"]So "freiwillig" ist es meiner Ansicht nach:


Jetzt bist du schon gegangen, Kind,
Und hast vom Leben nichts erfahren,
Indes in unsern welken Jahren
Wir Alten noch gefangen sind.

Ein Atemzug, ein Augenspiel,
Der Erde Licht und Luft zu schmecken,
War dir genug und schon zuviel;
Du schliefest ein, nicht mehr zu wecken.

Vielleicht in diesem Hauch und Blick
Sind alle Spiele, alle Mienen
Des ganzen Lebens dir erschienen,
Erschrocken zogst du dich zurück.

Vielleicht wenn unsere Augen, Kind,
Einmal erlöschen, wird uns scheinen,
Sie hätten von der Erde, Kind,
Nicht mehr gesehen als die deinen.

Hermann Hesse


ein wirklich schönes und zutreffendes gedicht von hesse. sicherlich trifft es mehr auf die menschen hier im forum zu, was er uns sagt, als auf menschen, die gern leben und viel neues erschaffen.
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