Ist Leben freiwillig?

Themenbezogene Diskussionen, die sich nicht nur auf eine Person beziehen; Ursachen und Auslöser für Depressionen und Daseins-Ängste; Bewältigungsstrategien bei Lebensmüdigkeit; psychische Krankheitsformen; Suchtkrankheiten; Alkohol-, Drogen- und Medikamenten-Abhängigkeit; Beziehungsprobleme

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Chron
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Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Chron »

Deadly Snowflake, zu [url=http://www.dignitas.ch/for/viewtopic.php?f=9&t=4730&p=78523#p78523]Beitrag[/url], hat geschrieben:
Zu 1) Natürlich können manche den Todeswunsch auch umsetzen...und manche nicht. Für erstere ist das Leben freiwillig, weil sie es beenden können wenn sie es nicht mehr wollen, für letztere nicht, da sie gegen ihren Wunsch am Leben kleben bleiben.
"Natürlich" ist dabei für Menschen schon lange nichts mehr (möglich).
Ob jemand seinen Todeswunsch umsetzen konnte oder nicht, wird er/sie (der/die Tote) nicht mehr erfahren. Vor dem Tod, für noch Lebende, ist es also nur eine Einschätzung bzw. ein Glaube, ob man freiwillig "vorzeitig" sterben könnte, wenn man wollte (und demzufolge freiwillig lebt, wenn man das geglaubt Gelingende nicht versucht/tut) oder nicht (und also unfreiwillig leben muss, bis es dann endlich doch irgendwie endet). Laut Statistiken scheitern viel mehr Todesversuche, als dass sie gelingen, also woher sollte so ein Glaube an die jederzeitige Selbsttötungsmöglichkeit bzw. Nach-Wunsch-Sterbemöglichkeit und somit freiwilliges Leben kommen können, wenn man die Realitäten wahrnimmt?
Deadly Snowflake, zu [url=http://www.dignitas.ch/for/viewtopic.php?f=9&t=4730&p=78523#p78523]Beitrag[/url], hat geschrieben:
Zu 2) Deine erste Begründung betrifft ja nur einen Teil der Sterbewilligen: jene die sich nicht suizidieren können (weil es psychisch/instinktbedingt eine zu hohe Hürde darstellt) und keine Beihilfe erhalten und jene die aus Handlungsunfähigkeit (also alle die physisch die Möglichkeit zum Suizid nicht haben) am Leben sind (weil ihnen wiederum keine Hilfe zum Tod gewährt wird). Potentiell zum Suizid Fähige aber sind freiwillig am Leben.
Ich habe etwas dagegen, alles auf die Psychoschiene zu schieben und/oder für nicht mögliche Selbsttötungen gleich völlige Handlungsunfähigkeiten (was immer das dann sei) der Sterbewilligen anzunehmen; s. wiederum die Statistiken über die riesige Zahl von Selbsttötungs(-nur)-Versuchen, und ebenso alles in diesem Forum bzw. dass es dieses Forum überhaupt gibt: Es ist mit den derzeit vorhandenen (Un)möglichkeiten eben leider tatsächlich und praktisch in der Mehrzahl der Fälle schwierig bis unmöglich, einfach so mal nach Wunsch (gut) zu sterben - und "potentiell" wirkt für mich wie Hohn in Bezug auf die Wirklichkeit, oder drückt dann wiederum einen (Aber-)Glauben aus, was der/ein Mensch alles könne, aber letztlich eben doch nicht oder nur (relativ zu allen Versuchen aller Leute) selten kann.

Zusammengefasst: Freiwilligkeit des Lebens (= Möglichkeit des jederzeitigen freiwilligen Todes und der Entscheidung zwischen beidem) ist vermutlich eine Glaubens- und Bewusstseinsfrage, die Jeder aus seiner Sicht und Lebenserfahrung anders beantworten kann/wird. Ein allgemeiner Konsens "so ist es (nicht)" ist vermutlich so gar nicht möglich.
Deadly Snowflake, zu [url=http://www.dignitas.ch/for/viewtopic.php?f=9&t=4730&p=78523#p78523]Beitrag[/url], hat geschrieben:
Menschen wollen ja nicht sterben weil es schon im Ursprung nicht gewollt war...es war im übrigen aber nicht nur nicht-gewollt sondern auch nicht nicht-gewollt.
Im Ursprung war es instinktiv/unbewusst wohl gewollt, da bestand aber noch kein Bewusstsein darüber. Ob es später je bewusst gewollt wird, hängt wohl vom Verlauf eines Lebens ab; es kann Einem z. B. bewusst werden, dass man leben möchte, wenn man bei einem Unfall oder einer Krankheit nur knapp am Tod vorbeigeschrammt ist. Wenn Einem aber bewusst wird, dass man sterben möchte/sollte (weil das weiter Leben nicht mehr lohnt, sondern nur noch schlimmer wird, allen bisherigen Erfahrungen von sich und Anderen nach), dann wird Einem auch bewusst, dass Leben (zu der Zeit ab dem Todeswunsch) nicht (mehr) freiwillig/gewollt ist.
Ungewollt
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Ungewollt »

Man wird zur Geburt gezwungen. So wie Leute zur Arbeit in Arbeitslagern gezwungen werden.
Deadly Snowflake

Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Deadly Snowflake »

Ungewollt hat geschrieben:Man wird zur Geburt gezwungen. So wie Leute zur Arbeit in Arbeitslagern gezwungen werden.
Schlechter Vergleich: zum Geborenwerden kann man ja vorgängig nicht Stellung beziehen, im Gegensatz zu Ereignissen im Leben.
Chron
Beiträge: 642
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Chron »

Deadly Snowflake hat geschrieben:zum Geborenwerden kann man ja vorgängig nicht Stellung beziehen, im Gegensatz zu Ereignissen im Leben.
Kann man schon. Natürlich nicht mit Worten. Aber Manche wollen nicht geboren werden. Werden "übertragen" (bis sie dann doch raus müssen), oder verabschieden sich vorzeitig ("Fehlgeburten").
Thanatos
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Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Thanatos »

Ungewollt hat geschrieben:Man wird zur Geburt gezwungen. ...
Aber man hat die Möglichkeit, sein Geborensein zu korrigieren, wenn es einem nicht passt.
glycerine

Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von glycerine »

Also gefragt hat mich keiner ob ich hier in diese Welt will, jedenfalls nicht dass ich wüsste
Lebensmüde

Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Lebensmüde »

glycerine hat geschrieben:Also gefragt hat mich keiner ob ich hier in diese Welt will, jedenfalls nicht dass ich wüsste
Ich hätte die Frage sicher verneint.
Jedenfalls wenn ich damals gewusst hätte, was auf mich zukommt.

Leicht OT: Um ein Haar hätten meine Eltern ein Kind adoptiert.
Und dann hat's letztendlich doch noch geklappt. Was für ein Glück :-(
Peterchen
Beiträge: 742
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 13:02

Re: Ist Leben freiwillig?

Beitrag von Peterchen »

In meinen Augen ist das Leben freiwillig. Man betritt es nicht freiwillig, aber gerade deshalb sollte man die Möglichkeit haben, es jederzeit wieder zu verlassen. Wenn mich jemand entführt und auf seine Gartenparty verschleppt, dann habe ich doch wenigstens das Recht wieder zu gehen, wenn es mir nicht gefällt, oder? :D Und die Geburt ist eine solche Entführung. Wir werden ungefragt aus einem Zustand absoluter Schmerz- und Bedürfnislosigkeit gerissen, und in eine Situation versetzt, die für manche ganz nett ist, aber für viele andere ein deprimierendes Nullsummenspiel; für manche sogar die Hölle auf Erden.

Leider wird das in unserer Gesellschaft anders gesehen. Gegen jede Evidenz hält man fest an der Mär vom "unbedingten Wert des Lebens", das notfalls gegen seinen Eigentümer geschützt werden muss.

Ich denke, das Leben wäre für alle einfacher, wenn man einsehen würde, erstens: Dass der Tod etwas harmloses ist. Zweitens: Dass jeder das Recht hat, sein Leben zu verlassen. Man könnte das Leben dann als Leben-auf-Probe ansehen. Als einen Traum, aus dem man jederzeit aufwachen kann, wenn er sich in einen Alptraum verwandelt.
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