Tagesbetrachtungen
Verfasst: Samstag 29. Dezember 2018, 23:22
Ich würde ich diesen Thread gerne als offene Plattform für Gedanken nutzen, die bei den Nutzern dieses Forums während des Tages auftreten. Auf diese Weise könnte der ein oder andere eventuell spontanen Gedankenflüssen Ausdruck verleihen, die ihn bewegen, aber ansonsten nirgendwo so richtig reinpassen. Als grobe Richtung hatte ich angedacht, dass es durchaus Gedanken sein sollten, die sich nicht nur in "ich will sterben" erschöpfen, aber auch keinen Anspruch darauf erheben, in jeder Facette perfekt durchdacht oder strukturiert zu sein.
Ich mache mal den Anfang mit einem längeren Text, der sich mir heute aufdrängte und werde wohl in der nächsten Zeit auch regelmäßig etwas hinzufügen:
Die Unsäglichkeit, welche darin besteht, Menschen, die durch ihren persönlichen Leidensweg bis zur unausweichlichen Konsequenz des Freitods getrieben wurden, an ihrer letzten selbstbestimmten Handlung zu hindern, gehört zu den bedeutsamsten Irrwegen der modernen Menschheit. Das Dasein derjenigen, welche die unerträgliche Hybris besitzen, über den finalen Willen eines anderen zu richten oder ihm seine Entscheidungsbefugnis abzusprechen, weist keine Gemeinsamkeiten mit dem Schicksal jener auf, die den Tod suchen. Alleine für die Überwindung des elementaren Selbsterhaltungstriebs ist eine so immense Differenz zum menschlichen Durchschnittsniveau vonnöten, dass diese Dimension gänzlich unvorstellbar ist, wenn man sie nicht selber über lange Zeitstrecken erlebt hat.
Der moderne westliche Mensch hat – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht den geringsten Begriff davon, welches Ausmaß körperlicher Schmerz oder auch negative Veränderungen im Gehirnstoffwechsel usw. im ungünstigsten Fall annehmen können. Der damit verbundene, sich in jeden Winkel des subjektiven Seins hineinbrennende Horror besitzt den Charakter des Absoluten, Metaphysischen und kann durch profanes Glück niemals ausgeglichen werden. Es gibt darin keine Helden, keine Durchhalteparolen, keine Entscheidungen. Es besteht nur noch die nackte Sehnsucht, dass das Grauen enden möge, ganz gleich auf welchem Weg; - in allen anderen Fällen hält sich das Leid in Grenzen. Das wahre Grauen hat kein Gesicht; es ist so endlos und der gewöhnlichen menschlichen Vorstellungskraft enthoben wie eine theistische Gottheit. Niemand geht unverändert daraus hervor und nichts in der gegebenen Welt kommt dieser Dimension gleich. ”Was Ihnen hier widerfährt, gilt für immer”, so auch bei meinem alten Freund Marc (*Name geändert).
Die strategisch perfekte Systematik, mit der er sukzessive durch Mobbing zerstört wurde, war eingedenk des Alters und des Bildungsniveaus seiner damals 13-jährigen Mitschüler überaus bemerkenswert. So konditionierten sie ihn beispielsweise darauf, dass er immer nach dem Satz "psst, Marc" von ihnen getreten wurde, bis er vor Schmerzen weinte. Dies wiederholten sie so oft, dass schließlich schon der bloße Ausspruch "psst, Marc" ausreichte, um ihn zu sichtbarer Verzweiflung zu treiben. Diesen Prozess setzten sie dann gezielt im Unterricht ein, um den Lehrern zu verdeutlichen, dass Marc von Natur aus verrückt war und gänzlich ohne Grund die Nerven verlor.
Durch immer weitere Maßnahmen trieben sie seine Aufzehrung voran: Er wurde mit dem Kopf in die Toilette getaucht, fortwährend verbal und körperlich gedemütigt und mit immer neuen psychologischen Spielen traktiert. Einmal fragten sie ihn, was er gerade denke und er antwortete, dass er sich gefragt habe, wie spät es ist. Daraufhin schlugen sie mit voller Gewalt auf ihn ein und brüllten immer wieder: "Wie spät ist es, Marc? Wie spät ist es???". Ein weiteres der damaligen Manöver bestand darin, ständig gegen ihn zu laufen, als ob er nicht existiere und sich mit steigernder Intensität gegen ihn zu werfen.
Letztlich wurde auch eine Beziehung zwischen ihm und einem Mädchen, welches er offenkundig liebte, inszeniert. Nach einigen Tagen, in denen sie so getan hatte, als teile sie seine Gefühle aus tiefstem Herzen, überschüttete sie ihn in der Schule plötzlich mit wüsten Beschimpfungen; mehrere Mitschüler kamen dazu, stimmten ein, verprügelten ihn wie selten zuvor und verspotteten ihn fortlaufend dafür, wie er nur so dumm gewesen sein konnte, an eine echte Beziehung mit ihr zu glauben.
Als ihn seine Mutter an seinem letzten Tag in jener Schule schließlich begleitete, verhielten sich alle Schüler hingegen übermäßig freundlich und überzeugten seine – bedauerlicherweise überaus naiv-gutgläubige - Mutter davon, dass sie Marc immer sehr gut behandelt hatten und dieser lediglich aufgrund seiner eigenen psychischen Unzulänglichkeit die Schule verlassen musste. 13 Jahre dauerte sein Kampf danach, angereichert von langen Psychiatrie-Aufenthalten und persönlichen Qualen. Er schaffte zwar tatsächlich noch einen sehr guten Ausbildungsabschluss, aber das Grauen gräbt sich ein wie ein Skalpell, das ein immerwährendes Stigma hinterlässt.
In Romanen, geschönten Biographien und naiven Vorstellungen werden Menschen wie Marc zu bewunderten Figuren, wachsen über sich und ihre Vergangenheit hinaus, ziehen aus ihren Erfahrungen Stärke, begehen heroische Taten und alle früheren Furchtbarkeiten münden in eine große, göttergleich gleißende Apotheose. Indes, in der Realität verglühen all ihre Ambitionen inmitten der zermalmenden Gleichmütigkeit des gesellschaftlichen Alltags; die Überreste ihrer alten Angst erscheinen als Schwäche, ihre Vorsicht ist Anlass für Misstrauen, das ihnen anhaftende Grauen erweckt Unbehagen, ihre Kämpfe bleiben ungesehen, ihre heißen Tränen der Selbstüberwindung sind wertloses Pathos, die Momente, in denen sie ihr Fatum überwinden, erzeugen Stirnrunzeln und müdes Schulterzucken. Und schon nach einer Zeit, die dem Betroffenen vorkommen muss wie Sekunden, fragt man ihn erzürnt-irritiert, woher das Gift in seinen Adern kommt, das ihn von aller bürgerlichen Funktionalität und Behaglichkeit immer noch so weit entfernt.
Trotz seines Abschlusses und seiner ungebrochenen Freundlichkeit und Herzenswärme stieß Marc zum Großteil auf Ablehnung, konnte im Berufsleben nicht Fuß fassen und auch seine tiefe Liebesfähigkeit, die stets erhalten geblieben war, wurde niemals auch nur ansatzweise erwidert. Es folgten weitere Jahre der Rückschläge und Misserfolge, des inneren Erstickens und der Medikamentenabhängigkeit.
Schließlich nahm er sich das Leben, ohne dass jemals einer seiner Träume Gestalt angenommen hatte. Jahre des heillosen Leidens und vergeblichen Kämpfens endeten mit literweise vergossenem Blut und einer Umwelt, die schon bald wieder ihre alte Gleichgültigkeit zurückgewann.
Ebenso bemerkenswert wie die damalige Kreativität der Schüler ist der Erfindungsreichtum, welchen die Menschheit selbst in primitiven Zivilisationsstufen für die Marterung ihrer Artgenossen aufbrachte. Diese Art der absoluten Grausamkeit ist unter allen Spezies singulär und bislang durch psychologische Erklärungsmodelle nicht plausibel begründbar. Bis zum heutigen Tag werden die Methoden weiterentwickelt und - wenn nötig - auch so weit verfeinert, dass keine äußeren Spuren sichtbar sind. Das allgemeine Desinteresse an dieser Situation ist bemerkenswert, unter anderem auch im Vergleich zur - zumindest simulierten - Anteilnahme an Todesfällen, insbesondere, wenn diese mit spektakulären Auslösern wie Terrorismus einhergehen.
Die Einblicke, welche ich aus eigener Erfahrung mittlerweile in die möglichen Ausprägungen körperlichen Schmerzes erhalten habe (und die von den theoretisch möglichen Maximalausprägungen des Leidens noch zahlreiche Stufen entfernt sind), reichen aus, um mit absoluter Sicherheit sagen zu können, dass 500 Jahre eines Lebens, welches man gemeinhin als "glücklich" bezeichnen würde, nicht ausreichen, um einen Tag der Folter aufzuwiegen, so es sich denn um eine der grausameren Methoden handelt. Wer zu Beginn jenes Tages gefragt wird, ob er ein Ende der Folter oder eine Ewigkeit im Paradies vorzieht, welches sich ihm aber nur eröffnet, wenn er noch den restlichen Tag die Tortur auf sich nimmt, wird nie das Paradies wählen können; es wäre ebenso unmöglich, wie aus eigenem Willen das Atmen gänzlich zu unterlassen.
„Under the spreading chestnut tree, I sold you and you sold me.”
Ich mache mal den Anfang mit einem längeren Text, der sich mir heute aufdrängte und werde wohl in der nächsten Zeit auch regelmäßig etwas hinzufügen:
Die Unsäglichkeit, welche darin besteht, Menschen, die durch ihren persönlichen Leidensweg bis zur unausweichlichen Konsequenz des Freitods getrieben wurden, an ihrer letzten selbstbestimmten Handlung zu hindern, gehört zu den bedeutsamsten Irrwegen der modernen Menschheit. Das Dasein derjenigen, welche die unerträgliche Hybris besitzen, über den finalen Willen eines anderen zu richten oder ihm seine Entscheidungsbefugnis abzusprechen, weist keine Gemeinsamkeiten mit dem Schicksal jener auf, die den Tod suchen. Alleine für die Überwindung des elementaren Selbsterhaltungstriebs ist eine so immense Differenz zum menschlichen Durchschnittsniveau vonnöten, dass diese Dimension gänzlich unvorstellbar ist, wenn man sie nicht selber über lange Zeitstrecken erlebt hat.
Der moderne westliche Mensch hat – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht den geringsten Begriff davon, welches Ausmaß körperlicher Schmerz oder auch negative Veränderungen im Gehirnstoffwechsel usw. im ungünstigsten Fall annehmen können. Der damit verbundene, sich in jeden Winkel des subjektiven Seins hineinbrennende Horror besitzt den Charakter des Absoluten, Metaphysischen und kann durch profanes Glück niemals ausgeglichen werden. Es gibt darin keine Helden, keine Durchhalteparolen, keine Entscheidungen. Es besteht nur noch die nackte Sehnsucht, dass das Grauen enden möge, ganz gleich auf welchem Weg; - in allen anderen Fällen hält sich das Leid in Grenzen. Das wahre Grauen hat kein Gesicht; es ist so endlos und der gewöhnlichen menschlichen Vorstellungskraft enthoben wie eine theistische Gottheit. Niemand geht unverändert daraus hervor und nichts in der gegebenen Welt kommt dieser Dimension gleich. ”Was Ihnen hier widerfährt, gilt für immer”, so auch bei meinem alten Freund Marc (*Name geändert).
Die strategisch perfekte Systematik, mit der er sukzessive durch Mobbing zerstört wurde, war eingedenk des Alters und des Bildungsniveaus seiner damals 13-jährigen Mitschüler überaus bemerkenswert. So konditionierten sie ihn beispielsweise darauf, dass er immer nach dem Satz "psst, Marc" von ihnen getreten wurde, bis er vor Schmerzen weinte. Dies wiederholten sie so oft, dass schließlich schon der bloße Ausspruch "psst, Marc" ausreichte, um ihn zu sichtbarer Verzweiflung zu treiben. Diesen Prozess setzten sie dann gezielt im Unterricht ein, um den Lehrern zu verdeutlichen, dass Marc von Natur aus verrückt war und gänzlich ohne Grund die Nerven verlor.
Durch immer weitere Maßnahmen trieben sie seine Aufzehrung voran: Er wurde mit dem Kopf in die Toilette getaucht, fortwährend verbal und körperlich gedemütigt und mit immer neuen psychologischen Spielen traktiert. Einmal fragten sie ihn, was er gerade denke und er antwortete, dass er sich gefragt habe, wie spät es ist. Daraufhin schlugen sie mit voller Gewalt auf ihn ein und brüllten immer wieder: "Wie spät ist es, Marc? Wie spät ist es???". Ein weiteres der damaligen Manöver bestand darin, ständig gegen ihn zu laufen, als ob er nicht existiere und sich mit steigernder Intensität gegen ihn zu werfen.
Letztlich wurde auch eine Beziehung zwischen ihm und einem Mädchen, welches er offenkundig liebte, inszeniert. Nach einigen Tagen, in denen sie so getan hatte, als teile sie seine Gefühle aus tiefstem Herzen, überschüttete sie ihn in der Schule plötzlich mit wüsten Beschimpfungen; mehrere Mitschüler kamen dazu, stimmten ein, verprügelten ihn wie selten zuvor und verspotteten ihn fortlaufend dafür, wie er nur so dumm gewesen sein konnte, an eine echte Beziehung mit ihr zu glauben.
Als ihn seine Mutter an seinem letzten Tag in jener Schule schließlich begleitete, verhielten sich alle Schüler hingegen übermäßig freundlich und überzeugten seine – bedauerlicherweise überaus naiv-gutgläubige - Mutter davon, dass sie Marc immer sehr gut behandelt hatten und dieser lediglich aufgrund seiner eigenen psychischen Unzulänglichkeit die Schule verlassen musste. 13 Jahre dauerte sein Kampf danach, angereichert von langen Psychiatrie-Aufenthalten und persönlichen Qualen. Er schaffte zwar tatsächlich noch einen sehr guten Ausbildungsabschluss, aber das Grauen gräbt sich ein wie ein Skalpell, das ein immerwährendes Stigma hinterlässt.
In Romanen, geschönten Biographien und naiven Vorstellungen werden Menschen wie Marc zu bewunderten Figuren, wachsen über sich und ihre Vergangenheit hinaus, ziehen aus ihren Erfahrungen Stärke, begehen heroische Taten und alle früheren Furchtbarkeiten münden in eine große, göttergleich gleißende Apotheose. Indes, in der Realität verglühen all ihre Ambitionen inmitten der zermalmenden Gleichmütigkeit des gesellschaftlichen Alltags; die Überreste ihrer alten Angst erscheinen als Schwäche, ihre Vorsicht ist Anlass für Misstrauen, das ihnen anhaftende Grauen erweckt Unbehagen, ihre Kämpfe bleiben ungesehen, ihre heißen Tränen der Selbstüberwindung sind wertloses Pathos, die Momente, in denen sie ihr Fatum überwinden, erzeugen Stirnrunzeln und müdes Schulterzucken. Und schon nach einer Zeit, die dem Betroffenen vorkommen muss wie Sekunden, fragt man ihn erzürnt-irritiert, woher das Gift in seinen Adern kommt, das ihn von aller bürgerlichen Funktionalität und Behaglichkeit immer noch so weit entfernt.
Trotz seines Abschlusses und seiner ungebrochenen Freundlichkeit und Herzenswärme stieß Marc zum Großteil auf Ablehnung, konnte im Berufsleben nicht Fuß fassen und auch seine tiefe Liebesfähigkeit, die stets erhalten geblieben war, wurde niemals auch nur ansatzweise erwidert. Es folgten weitere Jahre der Rückschläge und Misserfolge, des inneren Erstickens und der Medikamentenabhängigkeit.
Schließlich nahm er sich das Leben, ohne dass jemals einer seiner Träume Gestalt angenommen hatte. Jahre des heillosen Leidens und vergeblichen Kämpfens endeten mit literweise vergossenem Blut und einer Umwelt, die schon bald wieder ihre alte Gleichgültigkeit zurückgewann.
Ebenso bemerkenswert wie die damalige Kreativität der Schüler ist der Erfindungsreichtum, welchen die Menschheit selbst in primitiven Zivilisationsstufen für die Marterung ihrer Artgenossen aufbrachte. Diese Art der absoluten Grausamkeit ist unter allen Spezies singulär und bislang durch psychologische Erklärungsmodelle nicht plausibel begründbar. Bis zum heutigen Tag werden die Methoden weiterentwickelt und - wenn nötig - auch so weit verfeinert, dass keine äußeren Spuren sichtbar sind. Das allgemeine Desinteresse an dieser Situation ist bemerkenswert, unter anderem auch im Vergleich zur - zumindest simulierten - Anteilnahme an Todesfällen, insbesondere, wenn diese mit spektakulären Auslösern wie Terrorismus einhergehen.
Die Einblicke, welche ich aus eigener Erfahrung mittlerweile in die möglichen Ausprägungen körperlichen Schmerzes erhalten habe (und die von den theoretisch möglichen Maximalausprägungen des Leidens noch zahlreiche Stufen entfernt sind), reichen aus, um mit absoluter Sicherheit sagen zu können, dass 500 Jahre eines Lebens, welches man gemeinhin als "glücklich" bezeichnen würde, nicht ausreichen, um einen Tag der Folter aufzuwiegen, so es sich denn um eine der grausameren Methoden handelt. Wer zu Beginn jenes Tages gefragt wird, ob er ein Ende der Folter oder eine Ewigkeit im Paradies vorzieht, welches sich ihm aber nur eröffnet, wenn er noch den restlichen Tag die Tortur auf sich nimmt, wird nie das Paradies wählen können; es wäre ebenso unmöglich, wie aus eigenem Willen das Atmen gänzlich zu unterlassen.
„Under the spreading chestnut tree, I sold you and you sold me.”