Erloesung hat geschrieben:Ich finde es auch super, dass du sein Werk mal analysiert hast.
Ist ganz schön komplex. Aber was ist denn jetzt mit den Menschen, die BEREITS am Leben sind, also wir? Was sollten wir laut Benatar machen? Uns umbringen oder weiterleben?
Zunächst: ich habe nicht alle seine Ansichten bzw. Argumente eingehend analysiert. Wirklich eingehender nur das Asymmetrie-Argument und das `very bad`-Argument.
So weit ich mich entsinne, impliziert er keineswegs den eigenen Suizid als die notwendige Folgerung seiner Betrachtungen. Darüber was andere tun sollten oder nicht, kann er sich natürlich aus ethischer Perspektive nur bedingt äussern, ausser hinsichtlich deren Fortzeugungsverhalten, welches er als ethisch nicht zu rechtfertigen einschätzt. (Auch wenn ich sein Asymmetrie-Argument als wenig stichhaltig ablehne, ebenso sein zweites `very bad`-(Haupt-)Argument, so bin ich grundsätzlich durchaus auch der Ansicht, dass die Zeugung von Menschen, ob von spezifisch einzelnen, oder auch einer allgemeinen Menschheit ethisch nicht zu rechtfertigen ist. Aber diesbezüglich gibt es weit plausiblere, sich u.a. auch auf bestimmte Asymmetrien stützende Argumente.)
Aus Sicht Benatars zählt das Gute wie das Schlechte gleichermassen für jedes faktisch lebende Lebewesen. Zwar unterschlägt er (aber nur im Asymmetrie-Argument!), dass faktische Lebenswertungen sich auf eine Bilanzierung, so weit möglich, solch konträren Erlebens gründet.
Des weiteren meint er aber, dass jedes Leben insgesamt nicht nur weit schlechter sei, als vom je einzelnen Subjekt bewertet, sondern, dass noch das beste Leben `very bad` sei. Diese These habe ich auch umfassend kritisiert. (Es gibt diverse Argumente, die solche These schlicht absurd erscheinen lassen.) Der zentrale Kritikpunkt ist jener, dass solche These, nicht rechtfertigbar ist, weder psychologisch noch ethisch. Seine Objektivität beanspruchende Kriterien-Liste möglichen guten Lebens, erachte ich, zumindest wenn solche eine, auch nur annähernd allgemeine Geltung beansprucht, sowohl ihre je individuelle Relevanz wie deren je gegebenen Erfülltheit betreffend, als wenig stichhaltig. (Im ersten `Kapitel` meiner `Studie`, die jenem der Kritik des Asymmetrie-Argumentes vorhergeht, beschreibe ich die faktischen und ideal-objektiven Grundlagen, je einzelner Lebensbewertungen, so wie ich es sehe.)
Wenn Benatar jedes Leben (auch das beste) nun als `objektiv` `very bad`klassifiziert, dann rät er freilich nicht auch explizit zum Suizid. Dies ist freilich ein Kritikpunkt des Argumentes überhaupt. Wenn jedes Leben so schlecht wäre, in einem relevanten, d.h. in als je sehr schlecht
erlebter Weise, dann muss gefragt werden, ob der Suizid nicht doch jedem, im Sinne dessen `aufgeklärten Eigeninteresses`, zu empfehlen wäre. (Hier kommt freilich sein `Leben schön reden`-Argument ins Spiel...eine psychologisch unhaltbare These, zumindest hinsichtlich deren Möglichkeit wirklich schlechtes Leben wirksam schönreden zu können. Was ich ausführlich im entsprechenden `Kapitel` betrachte.)
Nimmt man also Benatar beim Wort (dass jedes Leben sehr schlecht sei), dann ist es naheliegend zu folgern, dass so schlechtes Leben, doch jeweils am besten mittels Suizid zu beenden wäre.
Zumindest Benatars Leben muss sehr schlecht sein, aber doch nicht so schlecht, dass er sich darum (schon) suizidiert. Aber, ich behaupte, dass jedes Leben tatsächlich so schlecht sei könnte, dass sich jeder, zumindest mittelfristig, die einem Suizid entgegenstehenden Widerstände überwinden könnte und würde. Dies ist ein weiterer Kritikpunkt am Argument, dass es wirklich sehr schlechtes Leben relativiert, nivelliert, insofern ja noch das beste Leben sehr schlecht sei. Dies finde ich persönlich, neben der suggestiven Tendenz, das ethisch wirklich Bedenkliche am Argument.
Benatar erachtet den Tod als durchaus zum Schlechten gehörend. D.h, man lebt zwar ein letztlich je gleichermassen (!) schlechtes Leben, aber der Tod, verstanden als Beendigung des Lebens nicht als nicht-Zustand des Nichts(eins), ist ein Teil dieses schlechten Lebens. Das klingt widersprüchlich, muss es aber nicht notwendig sein. Selbst Menschen, die sehr leiden, brauchen oftmals eine Durststrecke welches sie zu durchleiden genötigt sind, bis sie sich suizidieren können. Dies kann vielfache Gründe haben, bestimmt ein tierisch-animalisches Selbsterhaltungsstreben, aber beim Menschen überformt mit weit komplexeren psychologischen Motiven.
Einem Menschen zu sagen, er solle sich suizidieren, selbst wenn dessen Leben wirklich sehr schlecht wäre (d.h. nicht mehr lebenswert), hätte ja schon etwas reichlich Gewagtes an sich, um so mehr wenn eine solche Empfehlung auf bloss unterstelltem sehr schlechten Leben beruhen würde.
Benatar trennt ja strikt zwischen angeblich potentiell künftigen Menschen und real lebenden Menschen bzw. deren Interessen. Was für potentielle gilt, gilt nicht für lebende Menschen (was ich ja ausführlich kritisiert habe.) Darum gelten für je lebende Menschen die psychologischen Realitäten eben solch lebender. Setzt man noch einen (die einzig vernünftige Annahme) Determinismus voraus, wird das Ganze noch mit weiteren, argumentativ relevanten, Aspekten ergänzt (umso mehr aber wenn man ein irgendwie nicht determiniertes Wollen oder relevantes Weltgeschehen voraussetzt.)
Benatar empfiehlt also keinen Suizid, negiert ihn aber auch nicht als illegitim (wobei hier in Ausnahmefällen utilitaristische Vorbehalte nicht ganz unplausibel scheinen.)
Schopenhauer verwarf den Suizid als zwecklos, weil immer vom Lebenswillen genährt. Mainländer empfahl ihn als bestmöglicher Beitrag zur entropischen Vernichtung aller Struktur. Freilich, beide
aufgrund metaphysischer Annahmen, die rational nicht begründbar sind.
Wenn ich meine `Arbeit` fertig gestellt habe, werden darin nähere Ausführungen zu allen oben lediglich angedeuteten Sachverhalten enthalten sein. (Wird freilich noch etliche Monate bis zur Fertigstellung dauern.)
Fazit: Benatar lehnt sich hinsichtlich dem Suizid dort am weitesten aus dem Fenster wo er, wie ich finde, mit beinahe suggestiver Intention, das Leben eines jeden als sehr schlecht,
schlecht redet. Ausserdem liegt es in er Logik seiner Argumentation, dass es am besten wäre, wenn sich jeder suizidieren könnte, d.h. wenn der Sachverhalt nicht existierte, dass die Vorstellung des eigenen Todes, im Sinne der Beendigung eines (selbst sehr schlechten) Lebens, als psychologisch so widerständig erlebt und entsprechend wirken würde.
Des weiteren kann man voraussetzten, dass die Menschheit sich nur aufgrund des Erlebens je eigenen (wie auch aller anderer) Leben als `sehr schlecht`, je freiwillig dazu entscheiden würde, sich nicht fortzuzeugen. Dies ist für mich die plausibelste Erklärung warum Benatar jedem Leben unterstellt `very bad` zu sein. Allerdings würde solche Erklärung implizieren (da das Argument als Argument nicht überzeugen kann), dass ein Motiv des suggerieren wollens, hier eine Rolle spielt. (Was wiederum gewisse Erklärungshypothesen nahe legen würde, womit man sich aber jenseits einer argumentativen Kritik bewegte.)