Gott & Glaube

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Abendstern
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Gott & Glaube

Beitrag von Abendstern »

Ich möchte einen neuen Thread anstoßen zum Thema Gott & Glaube.

Mir ist der Glaube an eine höhere Instanz ja leider verloren gegangen. Allerdings finde ich es im Alltag durchaus schwierig, damit umzugehen, da dadurch eben auch das Vertrauen in eine höhere Gerechtigkeit oder positive Schicksalswendung fehlt. Das heißt, man fühlt sich umso mehr für jede Entscheidung selbst verantwortlich, und weiß, daß glückliche Schicksalsfügungen ansonsten nicht wahrscheinlicher sind, als ein Sechser im Lotto. Egal, ob man nun ein guter Mensch ist oder nicht.

Früher war es dagegen einfacher: Ich habe stets geglaubt, wenn ich nach Maßstäben eines göttlichen Prinzips ein guter Mensch bin, wird mir auch Gutes widerfahren. Nach dem Motto: Sende Gutes aus und es kommt zu Dir zurück. Nach einigen Jahrzehnten Testphase sehe ich die Verifizierung dieser These jedoch als gescheitert an. In meiner gläubigen Zeit fühlte ich mich überdies in ein großes Ganzes eingebunden, an dem am Ende alles Sinn ergeben würde, man glaubte, selbst jedes Ungemach hätte seinen tieferen Sinn und würde letztlich doch noch zu einem guten Ende führen. Damit fühlte sich der Alltag doch einfach weitaus leichter an und auch die schlaflosen Nächte waren weniger, weil man eben an eine Art vorherbestimmtes gutes Ende glaubte...

Oft wünsche ich mir, ich hätte bereits früher gewußt, wie diese Welt funktioniert. Dann hätte ich mich wenigstens darauf einstellen können und wäre nicht blind in mein Unglück gerannt - in dem festen Glauben an eine göttliche Bestimmung und göttlichen Schutz bzw. schicksalshafte Anerkennung für meine ehemals im bräsigen Idealismus verhaftete Persönlichkeit... :roll:

Wie geht es Euch damit?
Horla
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Horla »

Neben Goethes "Wandrers Nachtlied", das ich gerade mal an die passende Stelle gepostet hab', kommt mir in der letzten Zeit immer wieder diese (möglicherweise allzu bekannte) Zeile am Ende von "Faust II" in den Sinn. Dort sagen Engel:
Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.
Es gibt (bei mir) enorme Schwierigkeiten, und ich werde wahrscheinlich nicht alles wieder geraderücken können, aber dann taucht doch immer mal wieder ein kleiner Teilschritt auf, den ich - mit Anstrengung - tun kann. Und wenn ich das dann getan hab', denke ich an diese Zeile. Bzw. auch schon davor, wenn ich mich frage "Soll ich das noch tun? Lohnt sich das überhaupt?" Man weiß es nicht, ob man das Ziel erreicht, aber man kann immer "strebend sich bemühen". Laut Goethe erhält man dann Gottes Hilfe. Manchmal bringt das was.
Thanatos
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Thanatos »

Nachdem ich jahrelang ein „normales Leben“ geführt hatte, wie es für einen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen üblich ist, soll heißen: Party, Mädels, Reisen und das nötige Geld dazu beschaffen, begann ich im Alter von 31 Jahren mit dem Denken – besser spät als nie. Zwar gab es schon vorher Momente, wo ich mir sagte „Das kann doch nicht der Sinn des Lebens sein, was ich da mache“, aber erst mit 31 begann ich systematisch nach Antworten zu suchen.
Ich begann mit psychologischer Lektüre, dann folgten asiatische Weisheitslehren, Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus, bis ich bei der westlichen Philosophie ankam. Irgendwann stellte ich fest, dass ich mich immer ums Christentum herumdrückte. Also begann ich auch diese Bildungslücke zu schließen. Bibelkurse, Studium der alten Sprachen - weil ich immer alles ganz genau wissen will -, um die Bibel im Grundtext lesen zu können. Erst dann wagte ich mich in christliche Gemeinden. Die Landeskirche war mir bald zu langweilig, so dass es mich in Freikirchen verschlug. Mit dem „echten Glauben“ (was auch immer das ist) haperte es allerdings. Ich sagte höchstens: „Gott, wenn es dich wirklich gibt, melde dich mal bei mir.“ Auch wenn ich wirklich bereit war zu glauben, er meldete sich nicht.
Ich war rund neun Jahre in diesen Gemeinden aktiv und will nicht leugnen, dass ich dort viel Spaß hatte, und ich lernte viele interessante Leute kennen. Allerdings wurde mir immer klarer, dass sich die Leute dort doch nur was vormachen, anderen auch was vormachen und dass ich mir selbst was vormachte. Irgendwann konnte ich diese Absurditäten (die Erde ist in Wirklichkeit nur 6000 Jahre alt, die Evolution ist eine Lüge vom Teufel etc.) nicht mehr ertragen. - Ich frage mich heute noch, wie ich sie überhaupt so lange ertragen konnte.
So wie du oben schreibst, Abendstern, ist es in der Tat. Religiöser Glaube kann sehr hilfreich sein. Das gilt aber auch für Astrologie, Esoterik oder was auch immer man sich vormacht, um einen Halt zu haben und die Realität zu verdrängen, weil sie oft unerträglich ist. Aber für mich zumindest ist es nicht mehr möglich, mir in dieser Hinsicht etwas vorzumachen. Ich kehrte also zur Philosophie zurück. Dort gehöre ich hin, dort darf ich sein.....
Schönen Rest vom Tag,
wünscht Thanatos
Peterchen
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Peterchen »

We believe in nothing, Lebowski. NOTHING
Abendstern
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Abendstern »

Thanatos hat geschrieben: Ich begann mit psychologischer Lektüre, dann folgten asiatische Weisheitslehren, Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus, bis ich bei der westlichen Philosophie ankam. Irgendwann stellte ich fest, dass ich mich immer ums Christentum herumdrückte. Also begann ich auch diese Bildungslücke zu schließen. Bibelkurse, Studium der alten Sprachen - weil ich immer alles ganz genau wissen will -, um die Bibel im Grundtext lesen zu können. Erst dann wagte ich mich in christliche Gemeinden. Die Landeskirche war mir bald zu langweilig, so dass es mich in Freikirchen verschlug. Mit dem „echten Glauben“ (was auch immer das ist) haperte es allerdings. Ich sagte höchstens: „Gott, wenn es dich wirklich gibt, melde dich mal bei mir.“ Auch wenn ich wirklich bereit war zu glauben, er meldete sich nicht.
Ich war rund neun Jahre in diesen Gemeinden aktiv und will nicht leugnen, dass ich dort viel Spaß hatte, und ich lernte viele interessante Leute kennen. Allerdings wurde mir immer klarer, dass sich die Leute dort doch nur was vormachen, anderen auch was vormachen und dass ich mir selbst was vormachte. Irgendwann konnte ich diese Absurditäten (die Erde ist in Wirklichkeit nur 6000 Jahre alt, die Evolution ist eine Lüge vom Teufel etc.) nicht mehr ertragen. - Ich frage mich heute noch, wie ich sie überhaupt so lange ertragen konnte.
Wow, ich bin beeindruckt!! Du hast Dir ja mal wirklich Mühe gegeben, der Sache auf den Grund zu gehen!
Allerdings wurde mir immer klarer, dass sich die Leute dort doch nur was vormachen, anderen auch was vormachen ...
Das ist wirklich das Allerschlimmste. Was habe ich mir gerade seit meiner *Superextremunzulässiges Wort*-Situation schon alles anhören müssen... Da glauben doch manche Leute allen Ernstes, wenn man irgendwelche hanebüchene Glaubens- oder Coaching-Rituale befolgt, am besten noch Wünsche ans Universum schickt, dann wird alles wie von Zauberhand von selbst wieder gut und löst sich wundersam in Wohlgefallen auf. Dabei ist es ja nicht schlimm, wenn es jemand wirklich nett meint (ich habe ja immerhin selbst mal an so manches geglaubt), aber ganz anders diese superpenetranten Dogmaten, die einen dann noch mit mitleidig-arroganten Blicken und Kommentaren würdigen, als wäre man mangels religiöser/spiritueller Überzeugung bzw. mangels kostspieliger Unterwerfung unter die vermeintlich heilsbringende Erleuchtung eines Coaching-Sekten-Gurus noch selbst Schuld an seinem Dilemma. :roll: :? Wuaaah, und man glaubt ja gar nicht, wie anziehend man in einer solchen Situation auf solche Leute wirkt ... Und gleichzeitig fragt man sich, ob diese eigentlich selbst nicht merken, welchem gewerbsmäßigen Scam sie da aufsitzen... Mit der Verzweiflung anderer ließ es sich ja immerhin schon immer gut Geld verdienen. Siehe Daraprim:
“I think it will be huge,” former Turing chief executive Martin Shkreli wrote in a Aug. 27, 2015 email after his company bought a decades-old drug and made plans to hike its price more than 5,000 percent. “Almost all of it is profit and I think we will get three years of that or more. Should be a very handsome investment for all of us. Let’s all cross our fingers that the estimates are accurate.”
...
Other internal Turing documents explain how the company anticipated — but felt confident it could manage — a potential backlash from physicians and AIDS activists after boosting the price of the drug, Daraprim, from $13.50 to $750 a tablet. For instance, a July 2015 presentation confidently noted that “many [physicians] feel the number of … patients is too small to stimulate a significant lobbying effort were the cost of therapy to become an issue.” The drug is used by people with HIV/AIDS.

As the money rolled in, Turing executives appeared ecstatic. On Sept. 17, Tina Ghorban, who was senior director of business analytics and customer insight, forwarded a single purchase order for 96 bottles of Daraprim at $75,000 per bottle. That’s nearly as much revenue as the company that previously owned Daraprim brought in during an entire year.

“Another $7.2 million. Pow!” she wrote.

https://www.statnews.com/pharmalot/2016 ... g-pricing/

"Ich denke, das wird riesig," schrieb der ehemalige Turing-CEO Martin Shkreli am 27. August 2015 in einer E-mail, nachdem seine Firma ein Jahrzehnte altes Pharmazeutikum aufkaufte und Pläne schmiedete, den Preis um 5.000 Prozent anzuheben. "Fast alles davon ist Profit und ich denke, wir bekommen 3 Jahre davon hin - oder mehr. Sollte für uns alle ein sehr hübsches Investment sein. Laßt uns die Finger kreuzen, daß die Schätzungen akkurat sind."

Andere interne Turing-Dokumente zeigen auf, daß die Firma nach der Preissteigerung des Medikaments Daraprim von 13,50 $ auf 750 $ pro Tablette eine mögliche Gegenreaktion von Medizinern und AIDS-Aktivisten voraussah - aber darauf vertraute, dies managen zu können. Zum Beispiel vermerkt eine Präsentation vom Juli 2015 zuversichtlich, daß "viele [Mediziner] davon ausgehen, daß die Zahl der Patienten zu gering sei, um signifikante Lobby-Bemühungen auf den Plan zu rufen, bei denen die Kosten der Therapie zum Thema werden könnten." Das Medikament wird von Menschen mit HIV/AIDS verwendet.

Als das Geld hereingerollt kam, schien die Turing-Führungsetage in Ekstase zu geraten. Am 17. September leitete Tina Ghorban, welche Senior Direktorin für Business Analytics and Customer Insight war, einen einzelnen Kauf von 96 Flaschen Daraprim für 75.000 $ die Flasche weiter. Das entspricht in etwa dem gesamten Ertrag, den die Firma, der vorher Daraprim gehörte, in einem Jahr erwirtschaftete.

"Weitere 7,2 Millionen. Pow!" schrieb sie.
#depressiverealism
Zuletzt geändert von Abendstern am Dienstag 31. Januar 2017, 00:19, insgesamt 1-mal geändert.
Horla
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Horla »

Thanatos hat geschrieben:Ich kehrte also zur Philosophie zurück. Dort gehöre ich hin, dort darf ich sein.....
http://www.decemsys.de/sonstig/quellen/cic-phil.htm

Irgendwo steht auch sinngemäß, wenn die Philosophie schon zu nichts anderem gut sei, so spende sie doch wenigstens Trost. ;)

Bei mir allerdings nur so halb. Mit diesem Satz im Kopf hatte ich ein paar Dinge gelesen, aber viel besser fühlte ich mich danach auch nicht.
Die psychologischen Techniken (aus dem Buch/Hörbuch) sind da schon gezielter.

Aber hier geht es ja um Gott. Ein (mir bisher unbekannter) Nachbar (bin gerade umgezogen) wollte mich den Mormonen näherbringen. Bin eher skeptisch. Er sagte, beim Beten solle man sich zuerst fragen, ob Gott überhaupt da sei und gerade zuhöre. Gar nicht so schlecht: Manchmal ist er vielleicht "nicht da", das heißt, man ist dann eigentlich gar nicht in Stimmung zu beten. Dann kann man's auch gleich lassen. Und ein andermal probieren.
Thanatos
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Thanatos »

Horla hat geschrieben:...
Irgendwo steht auch sinngemäß, wenn die Philosophie schon zu nichts anderem gut sei, so spende sie doch wenigstens Trost. ;)

Bei mir allerdings nur so halb. Mit diesem Satz im Kopf hatte ich ein paar Dinge gelesen, aber viel besser fühlte ich mich danach auch nicht.
...
„Trost der Philosophie“ ist ein Werk von Boethius. Mir ist es zu frömmelnd.
Indem man über die Erkenntnisse so manches Philosophen nachdenkt, kann man sich durchaus besser fühlen. Eine Änderung seiner Weltsicht und des Lebensstils ist allerdings nur möglich, wenn man solche Erkenntnisse wirklich verinnerlicht. Dazu gehört natürlich Übung. Ich brauchte Jahre dazu.
Beispiel: Dass das Leben keinen objektiven Sinn hat, ist mir zwar schon lange klar, aber wirklich verinnerlicht habe ich das erst in den letzten Jahren.
Erst nach 24 Jahren, im Jahr 2014, als Hobby-Philosoph - einschließlich eines Ausflugs in die Theologie-, war ich mir sicher, alle Antworten auf meine Lebensfragen gefunden zu haben. - Na gut, eine halbe Frage ist noch offen, aber damit kann ich leben. :wink:
Horla
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Horla »

Thanatos hat geschrieben:Erst nach 24 Jahren, im Jahr 2014, als Hobby-Philosoph - einschließlich eines Ausflugs in die Theologie-, war ich mir sicher, alle Antworten auf meine Lebensfragen gefunden zu haben.
Meine Lebensfrage ist ganz einfach: Wie kann ich genug Geld verdienen, um davon zu leben?
Diese Frage kann ich (trotz abgeschlossenen Studiums und Berufsausbildung) seit 1999 nicht beantworten, und bald wird sie akut.
Solange man diese Frage nicht beantworten kann, kann man wohl kaum sagen, alle Antworten gefunden zu haben. Daher habe ich eine andere Sicht.

Es gibt ein taoistisches Wort ("Westinschrift"):
Der Himmel ist mein Vater, und die Erde meine Mutter, und selbst solch ein kleines Wesen wie ich findet einen traulichen Platz in ihrer Mitte.
Aber wenn man sich nicht selbst ernähren kann, findet man diesen traulichen Platz eben nicht.
Oder im "Vater unser":
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Wenn man es nicht bekommt, das tägliche Brot, macht der Rest des "Vater unser" auch keinen Sinn.
Thanatos
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Thanatos »

Horla hat geschrieben:...
Meine Lebensfrage ist ganz einfach: Wie kann ich genug Geld verdienen, um davon zu leben?
Diese Frage kann ich (trotz abgeschlossenen Studiums und Berufsausbildung) seit 1999 nicht beantworten, und bald wird sie akut.
Solange man diese Frage nicht beantworten kann, kann man wohl kaum sagen, alle Antworten gefunden zu haben...
Doch man kann, nämlich wenn sich einem diese deine Frage erst gar nicht stellt. :wink:
Ich hatte bisher immer ein Polster, wo ich sagen konnte: Für drei, vier Jahre reicht die Kohle und ein in Aussicht stehendes Erbe sicher noch. Sollte es eines Tages bei mir nicht mehr reichen, könnte ich mir diese Frage zwar stellen, aber die Antwort - falls ich die Frage denn stellen sollte – hätte ich schon: Der Strick im Haus erspart Arzt und Apotheker (und beugt jeglicher Erniedrigung auf dem Sozialamt vor). Oder: „Lieber aufrecht sterben, als auf Knien leben.“ (Albert Camus)
Es grüßt,
Thanatos
Horla
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Horla »

Thanatos hat geschrieben:Ich hatte bisher immer ein Polster, wo ich sagen konnte: Für drei, vier Jahre reicht die Kohle und ein in Aussicht stehendes Erbe sicher noch. Sollte es eines Tages bei mir nicht mehr reichen, könnte ich mir diese Frage zwar stellen, aber die Antwort - falls ich die Frage denn stellen sollte – hätte ich schon: Der Strick im Haus erspart Arzt und Apotheker (und beugt jeglicher Erniedrigung auf dem Sozialamt vor). Oder: „Lieber aufrecht sterben, als auf Knien leben.“ (Albert Camus
Mein Geld reicht auch noch eine gewisse Zeit, aber gewiß nicht ewig. Ich war beim Arbeitsamt, hab' dem Vermittler meine Geschichte erzählt, daraufhin sagte er, dazu habe er auch keine Idee, und er müsse mich nur wieder aus der Arbeitslosigkeit herausnehmen. Das hat er dann auch gemacht. Wollte mir nicht etwa helfen, sondern mich einfach nur wieder loswerden. Soweit dazu. :lol:
Eines Tages werde ich dann also in der Tat bei der Arge stehen. Einen Strick werde ich deshalb aber nicht benutzen. Denke ich. Einige Millionen Leute leben inzwischen von diesen Leistungen, dann muß es auch für mich gut genug sein.
Eigentlich hatte ich in den Jahren davor versucht, mich mit täglichem Tai Chi Chuan auf diese Situation vorzubereiten. Innere Kraft entwickeln.
Funakoshi, den Begründer des modernen Karate, fand ich ganz gut:
Wikipedia hat geschrieben:Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete er in Tokio als Hausmeister, Gärtner und Reinigungskraft. (Erst nachdem es ihm gelang, Karate in Japan bekannter zu machen, konnte er sich auch von seiner Tätigkeit als Karatelehrer ernähren.)
Zeit seines Lebens folgte Funakoshi einem strengen Ehrenkodex. So lehnte er es zum Beispiel ab, „schmutzige“ Worte wie Socke oder Toilettenpapier zu benutzen.
Er verrichtete also - notgedrungen - niedrige Arbeiten. Aber daneben trainierte er täglich Karate und war in Wahrheit also ein Karate-Meister.
Daraus kann man ggf. schon Selbstbewußtsein und innere Kraft beziehen. Nur sind meine Nerven inzwischen zu schlecht. Ich bin zu unruhig, um mich zu konzentrieren, zu belasten oder zu trainieren. Das hat für mich also nicht so richtig geklappt. Vielleicht später wieder.
Bekannt ist wohl auch Matthäus, 6,26:
Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. ... Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?
Die Vögel (oder die Eichhörnchen) habe ich daraufhin oft angesehen. Aber sie haben Flügel (oder im Fall der Eichhörnchen ein Fell und Krallen, mit denen sie einen Baum hinauflaufen können), und sie brauchen viel weniger Nahrung als ein Mensch. Und sie leben nur ein paar Jahre, keiner von ihnen hat schon so viele Jahre auf dem Buckel wie ich. Wäre ich eine Amsel oder ein Eichhörnchen, hätte ich das Leben schon längst hinter mir. Man kann auch in unserer Zivilisation nicht einfach losgehen und sammeln und jagen. Wenn man keine Wohnung mehr hat (also mindestens irgendwie ein paar hundert Euro im Monat bekommt, um die Miete zu bezahlen), führt man einfach das Leben eines Obdachlosen. "Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?", fragt Matthäus - Dann eher weniger.
Insofern ist der Vergleich von Matthäus gelinde gesagt Unsinn. Im Gegenteil, man wird höchstens neidisch auf die Wildtiere.

Film über Henry Miller gesehen. Er habe oft nichts zu essen gehabt, oft auch keine Wohnung, manchmal hätten gewisse Frauen ihn ausgehalten, manchmal habe er gebettelt (Film noch 2 Tage hier: In New York: 07:35; in Paris: ab 11:45) . Er wisse auch nicht, wie er das überlebt habe. Dann sagte er:
Manchmal genügt es, einfach nur zu existieren.
Der, dem er das gesagt hat, verstand das nicht. Ich inzwischen schon.

Noch ein schönes Zitat aus dem Film:
Henry Miller hat geschrieben:Ich glaube, wenn man tief leidet und nicht entkommen kann, akzeptiert man die Situation irgendwann und findet darin Wunderbares. Inmitten von Armut und Dreck entdeckte ich das wahre Paris, den echten französischen Geist. Ich lernte ihn lieben. Das ist natürlich schwer zu verstehen. Wie kann man es genießen, ganz unten zu sein? Auf den Straßen sieht man die Alten und Gebeugten, die wirklich Dementen, die Bettler und Landstreicher, die Besoffenen. Du fühlst Dich lebendig, wenn Du das beobachtest. Du lebst mit Deinen Instinkten wie ein Tier. Für uns überzivilisierte Menschen ist es großartig, wie ein Raubvogel zu sein. Der Hunger weckte mich, ich bettelte, wurde erniedrigt, immer wieder, akzeptierte es, wurde nach unten gestoßen und kam wieder hoch. Jeder Tag ist ein Wunder, das man durchlebt. Das ist großartig.

[In New York] Kein Wunder, daß ich Alpträume hatte, die mein Leben lang wiederkehrten. Ich weiß nicht, warum ich überlebt habe und warum ich im Kopf noch gesund bin.
Später ging's bei ihm dann auch wieder bergauf. Das aus Paris erzählt er rückblickend. Man kann bezweifeln, ob er es während der Zeit auch "großartig" fand.

Der Philosoph Precht sagt (gestützt auf gewisse Studien), in ein paar Jahren werde es wegen der Digitalisierung sowieso einen Großteil treffen. Dann wird man das sowieso als normal empfinden.
Kein Grund, sich umzubringen. ;)
Abendstern
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Abendstern »

Horla hat geschrieben:Insofern ist der Vergleich von Matthäus gelinde gesagt Unsinn. Im Gegenteil, man wird höchstens neidisch auf die Wildtiere.
Danke für den Lacher des Tages! :lol:

Ja, da ist schon was dran. Ich denke mir oft, wir leben in einem völlig absurden und völlig unnatürlichen System. In der Natur muß kein Wildtier Miete für eine Baumhöhle zahlen. Manche Tiere schlafen auch einfach 20 Stunden am Tag und mampfen die restlichen 4 Stunden gemütlich Eukalyptus-Blätter. Und wenn Dir als Wildtier ein größeres Unglück geschieht, dann ist die Erlösung meist auch recht nah... In Tierdokus zwar oft recht traurig, aber wenigstens ist es dann auch vorbei. Während wir Menschen nicht sterben, aber auch nicht leben dürfen. Und da quält man sich dann über Jahre und ist manchmal in der Tat etwas neidisch...
Zuletzt geändert von Abendstern am Dienstag 31. Januar 2017, 00:10, insgesamt 1-mal geändert.
Abendstern
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Abendstern »

Thanatos hat geschrieben:Der Strick im Haus erspart Arzt und Apotheker (und beugt jeglicher Erniedrigung auf dem Sozialamt vor).
Der war auch gut! :D Nach dem Motto "an apple a day keeps the doctor away" ... :wink:

Ja, ich bin leider auch so ein stolzes Wesen... Wenn ich eines partout nicht haben kann, ist es, von anderen bevormundet zu werden... Wenn man sein Leben lang selbständig war und für sich selbst eingestanden hat, dann ist es wirklich bitter, plötzlich zum Bittsteller zu muterien... Im Moment stolpere ich so vor mich hin, um wenigstens noch dieses Schicksal von mir abzuwenden... Denn wäre das noch on top gekommen, dann wäre es wohl endgültig zu viel gewesen... Und dabei stelle ich immer mehr fest: Es ist doch eigentlich nur Geld. Da hat man sonst schon alles verloren - und dann soll einem noch nicht einmal eine Lebensgrundlage bleiben, die wenigstens eine Art von vertrauter Alltagsnormalität ermöglicht... ?? Und wer bestimmt eigentlich, welche Art von Tätigkeit Geld wert ist? Wenn ich mir überlege, was ich in all der Verzweiflung an wissenschaftlichen Recherchen leisten mußte, um überhaupt eine Chance auf Heilung und Wiedergutmachung zu haben, dann war das sicherlich mehr geistige Anstrengung, als als gesunder, lebensfroher Mensch einfach sein Leben - und eben auch das berufliche Leben - weiterzuleben... Und mit dem Wissen, das ich erworben habe, könnte ich der Menschheit um so viel mehr dienen, als in irgendeinem unter dem Strich eben doch belanglosen Job... Aber leider ist das nicht vorgesehen. Eher müßte ich noch Geld mitbringen, um das tun zu können. Und das ist doch völlig absurd. :|
Horla
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Horla »

Hier noch das genaue Zitat aus der Doku, ca. bei Minute 47. Tom Schilling redet über Henry Miller:
Großes Leid, Armut, ohne Geld in Paris. Auf der Straße um Brotkrumen betteln. Er war ganz unten. Und dann sah er das Licht. Er ließ sich nach ganz unten fallen. Das riet er auch mir: Wenn Du deprimiert bist, sei so deprimiert wie möglich. Aber Du kommst wieder auf die Beine. Das bloße Sein ist manchmal genug. Das hat er auch gesagt. Nichtstun ist okay. Es gibt so viel gesellschaftlichen Druck, Geld zu verdienen. Völliger Unsinn! Er sagte, manchmal sei die reine Existenz genug.
Das mit dem Nichtstun steht auch in meinem Psychobuch. Also: Depression, also eine akute depressive Phase sei wie Treibsand: Wenn man verzweifelt irgendwas tue, werde es nur noch schlimmer. Am besten nichts tun, und das auch akzeptieren, daß man nichts tue.

Ich denke dazu gerade: Wenn man Suizidgedanken hat, will man ja, daß alles endgültig aufhört. Wenn man sich dann einfach hinlegt und gar nichts tut, empfindet man das ja vielleicht so ähnlich: Es hört zwar nicht alles für immer auf, aber wenn man nur existiert und sonst gar nichts tut, ist das vielleicht so ähnlich wie der Zustand, den man erreichen will (tot). Nur, daß der Zustand nicht permanent ist. Was man dann später ja vielleicht auch wieder zu schätzen weiß.
Verzweifelter
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Re: Gott & Glaube

Beitrag von Verzweifelter »

Abendstern hat geschrieben: Mir ist der Glaube an eine höhere Instanz ja leider verloren gegangen.
[...]
Egal, ob man nun ein guter Mensch ist oder nicht.
[...]
Früher war es dagegen einfacher: Ich habe stets geglaubt, wenn ich nach Maßstäben eines göttlichen Prinzips ein guter Mensch bin, wird mir auch Gutes widerfahren. Nach dem Motto: Sende Gutes aus und es kommt zu Dir zurück.
[...]
Oft wünsche ich mir, ich hätte bereits früher gewußt, wie diese Welt funktioniert. Dann hätte ich mich wenigstens darauf einstellen können und wäre nicht blind in mein Unglück gerannt - in dem festen Glauben an eine göttliche Bestimmung und göttlichen Schutz bzw. schicksalshafte Anerkennung für meine ehemals im bräsigen Idealismus verhaftete Persönlichkeit... :roll:

Wie geht es Euch damit?
Also ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass es sich rächt, wenn man ein schlechter Mensch ist, bzw. war. Ich habe in meiner Vergangenheit schlechte Dinge getan und viel Leid über Andere gebracht. Mittlerweile habe ich mich geändert und bereue es, aber kann es nicht mehr ungeschehen machen.

Meiner Meinung nach ist ein reines Gewissen unbezahlbar, aber das kann man wahrscheinlich nur wahrnehmen, wenn man ein schlechtes Gewissen hat. Es ist ein bisschen so, wie dass man sich nicht darüber freut, keine Zahnschmerzen zu haben. Aber wer Zahnschmerzen hat, der weiß den Unterschied zu schätzen.
Peisithanatos
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Registriert: Mittwoch 22. Februar 2017, 22:48

Re: Gott & Glaube

Beitrag von Peisithanatos »

@Abendstern
@Thanatos

Für mich ist die gesamte Evolution eine alles vernichtende Genozidmaschine, die eine Spezies nach der anderen verschwinden lässt. Die Natur ist seit Jahrmilliarden ein Schlachthaus, in welchem das nie verhallende Echo der Agonie von Billionen von Kreaturen widerhallt, die zerfleischt, zerfetzt und bei lebendigem Leibe aufgefressen werden.
Der Mensch verhält sich nicht viel anders - er ist das Resultat eines blinden, indifferenten Prozesses, innerhalb eines kalten, indifferenten Universum.

Einen Gott habe ich schon gesucht, gefunden habe ich nur Absurdität und unauflösbare Fragen, die mich jeden Tag und jede Nacht quälen.
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