`Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

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Girlxxx

`Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Girlxxx »

Da ich nun wiederauferstanden bin (zeitgleich zu Jesu, aber schneller) und mit einem Geschlechterwechsel dazu, hier meine Einladung an euch anderen, auch an den von den `Thanatoten` Auferstandenen (muss mit Ostern zu tun haben, oder meinem zeitweiligen Dahinscheiden) sich hierzu zu äussern. Ich für meinen Teil hab`s ja in nuce bereits verstreut getan. Also sollen wir den `freien Willen` endgültig zu Tode tragen, oder hat einer Mut und Gründe sich solcher Prozession zu verweigern.
Alle sind willkommen, keiner wird diffamiert, alles im Rahmen höflichster Wachsamkeit für noch so unangebrachte und reinem Vorwand dienenden Sensitivitäten.
Conium
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Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Conium »

Das Problem an dieser Debatte ist folgendes:

Zitat Wikipedia:
"Für den Begriff freier Wille oder Willensfreiheit gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Umgangssprachlich versteht man etwas anderes unter dem freien Willen als im juristischen oder psychologischen Sprachgebrauch. In der Philosophie wird der Begriff nicht einheitlich definiert.

In einem fachübergreifenden Sinne gehört zur Willensfreiheit die subjektiv empfundene menschliche Fähigkeit, bei verschiedenen Wahlmöglichkeiten eine bewusste Entscheidung treffen zu können."

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Freier_Wille

Ich selbst bin der Meinung, wir (also die Spezies Mensch) haben nur einen sehr begrenzten Freien Willen. Unser Verhalten ist weitgehend genetisch und durch Erziehung, bzw. Erfahrungen, Traditionen, usw. festgelegt.

Aber um gescheit diskutieren zu können muss, man sich erst mal einigen, um welchen "Freien Willen" es hier gehen soll.
Girlxxx

Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Girlxxx »

Conium hat geschrieben:Das Problem an dieser Debatte ist folgendes:

Zitat Wikipedia:
"Für den Begriff freier Wille oder Willensfreiheit gibt es keine allgemein anerkannte Definition. Umgangssprachlich versteht man etwas anderes unter dem freien Willen als im juristischen oder psychologischen Sprachgebrauch. In der Philosophie wird der Begriff nicht einheitlich definiert.

In einem fachübergreifenden Sinne gehört zur Willensfreiheit die subjektiv empfundene menschliche Fähigkeit, bei verschiedenen Wahlmöglichkeiten eine bewusste Entscheidung treffen zu können."

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Freier_Wille

Ich selbst bin der Meinung, wir (also die Spezies Mensch) haben nur einen sehr begrenzten Freien Willen. Unser Verhalten ist weitgehend genetisch und durch Erziehung, bzw. Erfahrungen, Traditionen, usw. festgelegt.

Aber um gescheit diskutieren zu können muss, man sich erst mal einigen, um welchen "Freien Willen" es hier gehen soll.

(Deadly Snowflake heisst neu girlxxx...je länger der Abend, desto peinlicher die Namen)

Es gibt wohl keine unisono akzeptierte Definition, aber sehr wohl eine unisono akzeptierte Ansammlung grundsätzlich denkbarer Positionen (bei einigen Positionen sind die zu erfüllenden Kriterien umstritten, insofern ob sie überhaupt eine Rolle spielen und falls ja welche etc.) und sehr wohl auch ein weitgehender Konsens welche Freiheitskonzepte nicht haltbar sind, siehe unten.
Im Kontextes des Absturzes der Germanwings Maschine gab es Kommentare die eindeutig dahin tendierten, dass der Co-Pilot Schuld sei, von anderer Seite gar als Massenmörder tituliert wurde. Um welche `Freiheit` es mir geht habe ich anderswo ausführlich beschrieben (bzw. welche Freiheitsdefinition ich als nicht denkbar und absurde ablehne): dass der Mensch durchgehend determiniert ist (und allenfalls Zufälle die kausale Geschlossenheit `durchbrechen` können) und also jede Freiheitsdefinition dies berücksichtigen muss (d.h. falls überhaupt kann Freiheit nur als eine kompatibilistische definiert werden, wie es heute fast alle Philosophen tun). D.h. in einer Situation A kann niemand Handlung b oder ebenso gut Handlung c wählen, da seine Handlung völlig abhängig ist von der Gesamtheit der die Situation ausmachenden Faktoren x (zu welcher er natürlich auch gehört), die genau eine, und nur eine Handlung zulassen. Nur dieses Freiheitskonzept braucht hier zunächst geklärt zu werden. Kann diese Freiheitsidee nicht plausibel beründet werden (also aufgezeigt werden, dass und wie man in einer Situation A zum Zeitpunkt t sowohl so als auch anders handeln könnte), müsste man weiter suchen und schauen ob eine der anderen Freiheitstheorien zu irgendetwas taugen (pragmatisch, psychologisch, rechtlich etc.), bzw. welche Implikationen sie haben.
Also, jetzt kann man anfangen mit einer gescheiten Diskussion: wer hat irgend ein (noch so kleines, nur sichtbar sollte es sein) Argument welches für eine obige Art von Freiheit spräche? Eine Freiheit die es ermöglichte, dass in einer Situation A (also unter gleichen, identischen Umständen) und zu einem bestimmten Zeitpunkt t der `freie Wille` nicht nur eine, genau dann real verwirklichbare, Option hatte (natürlich könnte er zu t1 sich entscheiden Kaffee zu bestellen, wenn er dies aber unterlässt dann aber zum Zeitpunkt t2 Tee bestellen, das ist aber gerade nicht was solche Freiheit intendiert...allenfalls müsste wer so argumentiert aufzeigen warum der freie Wille sich zum Zeitpunkt t1 zu nichts entschied und erst zum Zeitpunkt t2, womit das selbe Problem lediglich einen Bezug zur Zeit bekäme: wie konnte der Wille zum Zeitpunkt t1 wahlweise ebenso frei sowohl sich einer Entscheidung enthalten wie aber auch entscheiden Kaffee zu bestellen?). Wie könnte der Wille also die Wahl haben Kaffee oder aber auch Tee in einem Restaurant zu bestellen oder aber ein Flugzeug in den Boden zu fliegen oder aber es auch sein zu lassen (gegeben, dass Umstände zu jedem bestimmten Zeitpunkt tx immer mit sich identische sind). Eine solche Freiheit wird als inkompatibilistische (oder aber auch libertarische, nach Keel) bezeichnet.

Deine Beschreibung oben scheint zu implizieren, dass du nur Handlungen denen gar keine vorgängigen Bestimmungen voraus gehen als frei bezeichnen würdest. Aber solches ist undenkbar, es sei denn wiederum im Sinne eines inkompatibilistisch-libertarisch freien Willens (wie oben beschrieben), d.h. als ein Etwas was völlig unberührt von Bestimmungen über den Dingen schwebt, in sich selber völlig leer und unbestimmt und dennoch Instanz von freien Entscheidungen ist (und existierte ein solcher wäre schwer zu verstehen wie er seine Kompetenz je einbüssen bzw. dann wiedergewinnen könnte: entweder er ist und dann notwendig immer wirkmächtig oder er ist nicht und nie wirkmächtig...d.h. was er gerade nie sein könnte wäre ein begrenzter freier Wille, innerhalb der Handlungsmöglichkeiten die ein Mensch sich angeeignet hätte und innerhalb der durch die Umwelt gesetzten physischen Restriktionen, wäre er mit Notwendigkeit seinem Wesen bzw. Definition gemäss immer völlig frei). Oder aber du postulierst so etwas wie einen nicht entfremdeten Kern des Menschen, der `wahre` Mensch, der `edle Wilde`, nicht verformt durch den ganzen Zivilisationsprozess. Aber dann könntest du nicht die Gene hinzuzählen, denn Gen-bestimmt waren wir immer und werden es wohl auch immer sein. D.h. ein solcher nicht-entfremdeter Mensch bliebe natürlich von seinen Genen (und vielem anderen) bestimmt...ob zum Guten oder nicht (im Vergleich zu uns Zivilisierten), wäre eine andere Frage.
Conium
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Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Conium »

Ich habe zunächst nur sehr knapp beschrieben. Ich stimme mit dir volkommen überein, das wir nur "scheinbar" frei entscheiden. Deinen Ausführungen kann man voll zustimmen.

Im Falle des German Wings Co-Piloten hat die Gesamtsituation an dem Tag einfach so gut zusammengepasst das es einfach passieren musste. Hätte irgendwas nicht gepasst, so wäre es sicher auf einem anderen Flug passiert. Vielleicht aber auch nicht, weil er in ärtzlicher Behandlung gegangen wäre oder oder oder....

Schuld ist er im juristischen Sinne schon. Aber ist er auch schuldfähig? Die Frage ist letztendlich sinnlos da er ja nicht mehr lebt. Er kann nicht mehr "betraft" werden. Die Tat wurde letztlich durch sein Gehirn verursacht, welches eben nicht so funktionierte wie bei "normalen" Menschen. Per Definition war er also "krank". Wäre er Lokführer gewesen, hätte er womöglich einen ICE mit Karacho in einen Kopfbahnhof hineinrauschen lassen.
Ich würde ihn nicht als Massenmörder bezeichnen, es ging ihm ja wohl in erster Linie darum sich selbst ins jenseits zu befördern. Mit einem Flugzeug war das dann wohl sein Wunschtraum. Vielleicht hätte er das gleiche gemacht wenn die Maschine leer gewesen wäre.
Für die Passagiere der Maschine war das natürlich tragisch. Man kann so eine Tat nicht verhindern. Für die Insassen war das einfach Pech. Klingt hart ist aber so. Hätte ein technischer Defekt den Absturz verursacht wäre sie trotzdem tot.

Was ich damit sagen will ist folgendes: Eine bestimmte Situation "zwingt" uns (mit unserer einprogrammierten Hirnschaltung) zu immer den gleichen Entscheidungen, bzw. Handlungen. Denen gehen andere Situationen oder Zustände vorraus, die den Nährboden des Nachfolgenden bilden, usw.
Wenn unser Leben immer wieder unter den exakt gleichen bedingungen ablaufen würde, kämen wir immer wieder zu den gleichen Entscheidungen und Handlungen. Man kann zwar viel "wollen" aber "tut" dann doch das was quasi "vorprogrammiert" bzw. vorbestimmt ist.
Girlxxx

Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Girlxxx »

Conium hat geschrieben:Ich habe zunächst nur sehr knapp beschrieben. Ich stimme mit dir volkommen überein, das wir nur "scheinbar" frei entscheiden. Deinen Ausführungen kann man voll zustimmen.
Im Falle des German Wings Co-Piloten hat die Gesamtsituation an dem Tag einfach so gut zusammengepasst das es einfach passieren musste. Hätte irgendwas nicht gepasst, so wäre es sicher auf einem anderen Flug passiert. Vielleicht aber auch nicht, weil er in ärtzlicher Behandlung gegangen wäre oder oder oder....
Ja, die hinreichenden und notwendigen Bedingungen müssen natürlich gegeben sein, aber dann passiert es eben. Welche genauen Faktoren bei ausbleiben oder hinzukommen, dann tatsächlich das Resultat relevant beeinflusst hätten, ist unmöglich zu sagen. Es hätte ein richtiges Wort sein können, welches etwas getriggert hätte, ein falsches...wer will das wissen (nicht mal der Pilot selber konnte es mit Sicherheit wissen, also auch nicht, dass sein Entscheid in Stein gemeisselt war).
Schuld ist er im juristischen Sinne schon. Aber ist er auch schuldfähig? Die Frage ist letztendlich sinnlos da er ja nicht mehr lebt. Er kann nicht mehr "betraft" werden.
Zur Schuldfähikgeit (sehr komprimiert): http://www.rechtswoerterbuch.de/recht/s ... fähigkeit/
Da wären dann die zuständigen forensischen Psychiater und deren Gutachten massgebend um zu klären ob und inwiefern seine Schuldfähigkeit eingeschränkt war oder nicht.
Du verwechselst, glaube ich, dann Schuldfähigkeit mit Straffähigkeit. Wer schuldfähig ist, ist wohl auch straffähig (möglicher Weise ausgenommen gesundheitliche Einschränkungen, aber rein rechtlich bedingt Strafe Schuld). Wäre er hingegen als nur eingeschränkt schuldfähig eingestuft worden, wäre wohl zusätzlich, begleitend oder sie (teilweise) ersetzend eine psychiatrische Massnahme erfolgt.
Die Tat wurde letztlich durch sein Gehirn verursacht, welches eben nicht so funktionierte wie bei "normalen" Menschen. Per Definition war er also "krank". Wäre er Lokführer gewesen, hätte er womöglich einen ICE mit Karacho in einen Kopfbahnhof hineinrauschen lassen.
Na ja, soweit ist man in der Regel noch nicht, dass man Hirnscans benutzt um Hirnanomalitäten festzustellen um damit rechtliche Aspekte einer Handlung dann anders zu bewerten. Er war depressiv oder hatte solche Episoden etc., das aber ist nicht notwendig eine hinreichende Bedingung für mangelnde Zurechnungsfähigkeit. Siehe: http://www.wikipedia.org/wiki/Schuldunf%C3%A4higkeit
Ich würde ihn nicht als Massenmörder bezeichnen, es ging ihm ja wohl in erster Linie darum sich selbst ins jenseits zu befördern. Mit einem Flugzeug war das dann wohl sein Wunschtraum. Vielleicht hätte er das gleiche gemacht wenn die Maschine leer gewesen wäre.
Leider alles Spekulation, solange keine nachgelassenen expliziten Aussagen von ihm gefunden würden (und selbst dann, könnte seine Absicht Täuschung sein). Wie gesagt: Mord impliziert für mich (wie jede Untat) einen freien Willen (es also auch unterlassen haben zu können). Da ein solcher reine Illusion ist, ist die ganze moralische Zuschreibungspraxis wohl pragmatisch sinnvoll und unerlässlich (für eine Gesellschaft die an ihrem eigenen Weiterbestehen ein Interesse hat), aber basiert auf Annahmen aus dem Bereich der Fantasie. Kompatibilistisch kämen dann andere Kriterien ins Spiel (seine Absicht, dass er wusste was er tat und welches die Konsequenzen sein würden, das Planen der Tat etc. etc.) deren Vorliegen oder Fehlen dann seine Schuldfähigkeit innerhalb eines determinierten Geschehens (was Richter so kaum je explizit zugeben würden) bestimmen lassen.
Für die Passagiere der Maschine war das natürlich tragisch. Man kann so eine Tat nicht verhindern. Für die Insassen war das einfach Pech. Klingt hart ist aber so. Hätte ein technischer Defekt den Absturz verursacht wäre sie trotzdem tot.
Vielleicht waren eh alles unbewusste Suizidale (denen ihre Religion aber Suizid verbot), insofern hätten sie Glück gehabt...nein, schlechter Geschmack...so was getrauen sich allenfalls Esoteriker zu denken (selbst sie würden aus Klugheit schweigen).
Was ich damit sagen will ist folgendes: Eine bestimmte Situation "zwingt" uns (mit unserer einprogrammierten Hirnschaltung) zu immer den gleichen Entscheidungen, bzw. Handlungen. Denen gehen andere Situationen oder Zustände vorraus, die den Nährboden des Nachfolgenden bilden, usw.
Wenn unser Leben immer wieder unter den exakt gleichen bedingungen ablaufen würde, kämen wir immer wieder zu den gleichen Entscheidungen und Handlungen. Man kann zwar viel "wollen" aber "tut" dann doch das was quasi "vorprogrammiert" bzw. vorbestimmt ist.
Du erklärst das auf der Basis von neuronalem kausal-determinierten Geschehen im Hirn. Einige Wissenschaftler haben schon damit argumentiert, dass das Gehirn durchaus nicht physisch kausal geschlossen sein könnte (Eccles/Popper `Das Ich und sein Gehirn`), d.h. zufällige Ereignisslücken bestehen könnten, die eben jene Ansatzpunkte/Scnittstellen bilden könnten für mentales Eingreifen bzw. mental-kausale Wirkmächtigkeit. Auf dieser Ebene geht es nur darum zu erklären inwiefern Mentales auf nicht Mentales überhaupt einwirken könnte (also eine Abwehr des sog. Epiphänomenalismus). Will man hier empirisch einen Determinismus beweisen, ist man allerdings auf verlorenem Posten, da ein solcher nie zu beweisen ist. Deshalb favorisiere ich die philosophische Argumentations-Ebene die völlig unabhängig von Annahmen zum allfälligen Determiniert sein des physischen Geschehens ist. Philosophisch bzw. rein gedanklich ist inkompatibilistische Freiheit nicht denkbar/erklärbar, wohl aber ist seine Intention verstehbar (und wird zumindest gemäss P. Bieri in seinem Buch `Handwerk der Freiheit` in jedem Entscheidungsprozess von jedem implizite schon vorausgesetzt, d.h. etwas Illusionäres muss hier als Reales angenommen werden).
Falls im Hirn auch zufällige Prozesse eine Rolle spielen (oder auch in der Welt, die auf unsres Psychische/Physische Einfluss hätten), dann wäre der Ablauf vermutlich nie zweimal ein identischer, aber das würde natürlich genauso wenig einen freien Willen ermöglichen wie ein reiner Determinismus.
Mediator
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Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Mediator »

Zum Problem der Willensfreiheit ein Literaturhinweis:

GERHARD ROTH, Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten, Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern, Klett-Cotta, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-608-94490-7, 5. Auflage 2009, € 24.90, S. 314-329, Kapitel "Persönlichkeit und Freiheit"
Girlxxx

Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Girlxxx »

Dazu:
http://www.amazon.de/Freiheit-Schuld-Ve ... 351826012X

Interessant der Klappentext hinten: "Freie Handlungen dürfen weder unter Zwang noch unter vollständiger Determination vollzogen werden. Wir bezeichnen diese Forderung als Autonomieprinzip, aber Handlungen, die wir frei nennen, dürfen auch nicht zufällig sein."
Die Aspekte Determination und Zufall habe ich ja als die einzig überhaupt denkbaren Möglichkeiten behauptet und auch diese Autoren finden nichts darüber hinaus Gehendes, weshalb man sich fragt warum etwas dermassen Irreführendes überhaupt auf dem Klappentext steht. Ihr Kriterium: Handlungen auf Grund von zuschreibbaren Wünschen, Überzeugungen und sonstigen Motiven seien selbstbestimmt und damit frei (auch wenn völlig determiniert). Eine Spielart des Kompatibilismus, wie fast alle heutigen Freiheitstheorien. G. Roth ist zwar u.a. Philosoph aber diesbezüglich mit Vorsicht zu geniessen.
Conium
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Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Conium »

Aus meiner Selbsterfahrung:
Ich möchte ständig irgendwelche Handlungen (Wohnung aufräumen, putzen, usw.) ausführen, aber ich finde emotional immer Gründe dies NICHT zu tun. Ich kann das ja auch noch morgen oder am nächsten WE machen. Da mache ich das natürlich nicht und habe die gleichen Gründe wie zuvor. Sofern es nicht unmittelbae Nachteile für mich hat mache ich es meist NICHT.
So schieben sich die Dinge immer weiter vor mir her (Was Du Morgen kannst besorgen, musst Du nicht schon Heute machen!).
Deshalb bin ich der Meinung, dass mein ICH über mein Handeln nicht komplett verfügt. Es ist vorbestimmt wie wie ich handeln werde, wenn Entscheidungsprozesse anstehen. Davor ist es nur eine Wunschvorstellung, welche dann nicht oder nur zu einem kläglichen Teil eintrifft.
Wenn meine Selbstkontrolle stark genug ist und über meine Emotionen verfügt, dann ist das Handeln gar nicht mehr so schlimm.
Beispiel: Ein Leistungssportler hat JETZT keine LUST zum Trainieren:
1. Er überwindet seine UNLUST und trainiert. Vielleicht wird er mal Olympiasieger.
2. Er trainiert nicht. Er wird so möglicherweise niemals einen "Blumentopf" gewinnen, bleibt auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene.
Girlxxx

Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Girlxxx »

Eines der philosophisch besten Bücher zum Thema `feier Wille`(nicht nur als Einführung), weil verständlich und mit vielen Beispielen aus der Literatur, ist meiner Meinung nach folgendes: http://www.amazon.de/Das-Handwerk-Freih ... 3596156475

(Ich halte den Kompatibilismus für total ungenügend, ja, letztlich als pragmatische Verlegenheitslösung. Besseres gibt es aber nicht. Interessant, dass Bieri explizit sagt, dass der inkompatibilistische `freie Wille` ein notwendiger Bestandteil jedes Willensbildungsprozesses sei, d.h. subjektiv als real angenommen werden muss, obwohl er in Wirklichkeit blosse Illusion sei. So würde sich zeigen (folgere ich), dass der Kompatibilist unter der Hand selber eigentlich inkompatibilistisch denkt/fühlt, dies an all jene überheblichen Kompatibilisten welche den inkomp. freien Willen als Absurdität diffamieren wollen: er mag undenkbar sein, aber sein Sinn ist alleweil verstehbar. Allerdings scheint Bieri die Möglichkeit zu wenig zu bedenken, dass ein erkannter Determinismus ebensolche Funktion der Illusion zerstören kann und damit den Menschen in seinem Selbstverständnis als handelnde Person...was an sich ein Grund sein kann sich suizidieren zu wollen).
Zuletzt geändert von Girlxxx am Donnerstag 9. April 2015, 23:34, insgesamt 1-mal geändert.
Girlxxx

Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Girlxxx »

Conium hat geschrieben:Aus meiner Selbsterfahrung:
Ich möchte ständig irgendwelche Handlungen (Wohnung aufräumen, putzen, usw.) ausführen, aber ich finde emotional immer Gründe dies NICHT zu tun. Ich kann das ja auch noch morgen oder am nächsten WE machen. Da mache ich das natürlich nicht und habe die gleichen Gründe wie zuvor. Sofern es nicht unmittelbae Nachteile für mich hat mache ich es meist NICHT.
So schieben sich die Dinge immer weiter vor mir her (Was Du Morgen kannst besorgen, musst Du nicht schon Heute machen!).
Deshalb bin ich der Meinung, dass mein ICH über mein Handeln nicht komplett verfügt. Es ist vorbestimmt wie wie ich handeln werde, wenn Entscheidungsprozesse anstehen. Davor ist es nur eine Wunschvorstellung, welche dann nicht oder nur zu einem kläglichen Teil eintrifft.
Wenn meine Selbstkontrolle stark genug ist und über meine Emotionen verfügt, dann ist das Handeln gar nicht mehr so schlimm.
Beispiel: Ein Leistungssportler hat JETZT keine LUST zum Trainieren:
1. Er überwindet seine UNLUST und trainiert. Vielleicht wird er mal Olympiasieger.
2. Er trainiert nicht. Er wird so möglicherweise niemals einen "Blumentopf" gewinnen, bleibt auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene.
Das was du beschreibst wäre ein mögliches Kriterium innerhalb einer deterministisch-kompatibilistischen Freiheitstheorie.
Gerade zuletzt Thema der Sendung `Sternstunde Philosophie`: http://www.srf.ch//sendungen/sternstund ... zum-glueck (Buch: Walter Mischel `Der Marshmallow Test`)
Der Determinismus impliziert eine Vorherbestimmtheit des Geschehens (Zufälle nicht mitbedacht), allerdings weiss ja niemand wie diese, auch seine Zukunft aussieht, d.h. durch Training etc. lassen sich Verhaltensweisen verändern (nun, ja...davon gehen solche Bücher aus): du bist also nicht notwendig dazu verdammt immer der Unlust nachgeben zu müssen (evtl. aber doch, aber das könntest du nur in Erfahrung bringen indem du alles/etwas unternimmst um es zu ändern...ob du allerdings diese Kraft/Motivation aufbringst, ist letztlich natürlich auch schon vorherbestimmt und auch nur durch einen Versuch feststellbar...das scheint allerdings zirkulär zu sein, genauer: setzt ein Minimum an Willenskraft voraus...zudem könnten z.B. nur ganz bestimmte Zeitfenster geeignet sein um eine Veränderung zu garantieren...man scheint also auch nie sicher sein zu können ob es zumindest `theoretisch-an sich` anders hätte kommen können).
Das Buch (oder ein anderes, `Willenskraft` ist das Stichwort) zu lesen, wäre vielleicht ein erstes Indiz wie viel dir daran liegt, deine jeweils momentanen Gefühle künftig kontrollieren zu können...vielleicht die erste Übung die Unlust zu überwinden (und Bücher bieten dann viele Tipps wie dies zu leisten ist...).
Conium
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Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Conium »

Ich würde ja sagen: "Willenskraft" ist der Versuch den Freien Willen zu verwirklichen. Er gelingt mal mehr und mal weniger.
Synonym für Willenskraft wäre: Selbstkontrolle, Selbstdisziplin.
Girlxxx

Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Girlxxx »

Conium hat geschrieben:Ich würde ja sagen: "Willenskraft" ist der Versuch den Freien Willen zu verwirklichen. Er gelingt mal mehr und mal weniger.
Synonym für Willenskraft wäre: Selbstkontrolle, Selbstdisziplin.
Zum freien Willen gehört natürlich je nach Definition viel mehr. Auch eine Magersüchtige hat Selbstdisziplin, enorme sogar. Auch verstehe ich nicht genau warum du zwischen Willenskraft und freiem Willen unterscheidest. Oder meinst du, dass Willenskraft `freier Wille` in Aktion ist ? Willenskraft wird z.B. eingesetzt um Wünsche zu verwirklichen, die einen Lustaufschub erfordern, die nicht sogleich `geerntet` werden können, insofern scheint mir tätige Willenskraft bereits freier Wille zu sein. Allerdings wäre ein zu ausschliessliches determiniert sein durch Willenskraft auch wenig kompatibel mit der Idee eines `freien Willens`, der auch abzuwägen weiss, zu dosieren etc. Insofern scheint freier Wille wieder mehr mit dem Konzept von alternativen Handlungsoptionen etwas zu tun zu haben: wenn angesagt Disziplin haben können, aber auch feiern und sich gehen lassen können. Es ginge dann letztlich Richtung Lebenskunst überhaupt und wie man sich (s)ein gelingendes Leben überhaupt vorstellt aber auch um Anpassungsleistungen die jede Gesellschaft unterschiedlich (zum guten/schlechten) verlangt. Will man aber die Rahmenbedingungen einer Gesellschaft dann z.B. nicht akzeptieren bzw. kann man das eigene Lebenskonzept darin nicht verwirklichen, dann sind Eigenschaften, Kompetenzen gefragt (um seinen Wunsch dennoch verwirklichen zu können) die wiederum Voraussetzung für den `Erhalt` des freien Willens sind, obwohl sie prima facie damit wenig zu tun haben scheinen (Mobilität, Flexibilität, Fantasie, Knowhow etc.). Freier Wille zeigt sich dann als ein immer mehr und anderes umfassendes Konzept und je nach Lebenssituation gegeben oder aber auch nicht. Wobei klar ist: es gibt wohl so etwas wie Basics des `freien Willens` und dazu gehört bestimmt Selbstdisziplin (die man ja auch braucht, je nach Motivation, um andere Willens-relevante Fähigkeiten sich aneignen zu können).
MajorDepression
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Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von MajorDepression »

Ich habe nur Wellensittichkraft statt Bärenkraft.
Conium
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Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Conium »

Girlxxx hat geschrieben:
Conium hat geschrieben:Ich würde ja sagen: "Willenskraft" ist der Versuch den Freien Willen zu verwirklichen. Er gelingt mal mehr und mal weniger.
Synonym für Willenskraft wäre: Selbstkontrolle, Selbstdisziplin.
Auch verstehe ich nicht genau warum du zwischen Willenskraft und freiem Willen unterscheidest.
Ich habe mich hier vielleicht unklar ausgedrückt. Mit Willensnskraft meine ich damit eine (eventuell erlernte) Selbstkontrolle auszuüben, um damit seinen vorbestimmten Weg in eine andere Richtung zu steuern. Mag sein dies auch als "unfreiwilligen" Willen zu bezeichnen und als sowieso vorbestimmt und letzendlich auch wieder eine Illusion.
Also mit Selbstkontrolle (gepaart mit einer Selbsterkenntnis, sonst macht die Kontrolle ja keinen Sinn. Man muss ja wissen was man kontrolliert) um sein eigenes Ich zu überlisten und in eine andere Richtung als es sonst der Fall wäre zu steuern.
Girlxxx

Re: `Freier Wille`und das Problem, was das sein soll.

Beitrag von Girlxxx »

Conium hat geschrieben:
Girlxxx hat geschrieben:
Auch verstehe ich nicht genau warum du zwischen Willenskraft und freiem Willen unterscheidest.
Ich habe mich hier vielleicht unklar ausgedrückt. Mit Willensnskraft meine ich damit eine (eventuell erlernte) Selbstkontrolle auszuüben, um damit seinen vorbestimmten Weg in eine andere Richtung zu steuern. Mag sein dies auch als "unfreiwilligen" Willen zu bezeichnen und als sowieso vorbestimmt und letzendlich auch wieder eine Illusion.
Also mit Selbstkontrolle (gepaart mit einer Selbsterkenntnis, sonst macht die Kontrolle ja keinen Sinn. Man muss ja wissen was man kontrolliert) um sein eigenes Ich zu überlisten und in eine andere Richtung als es sonst der Fall wäre zu steuern.
Also vorbestimmt ist das Handeln in dem Masse, ja möglicherweise der ganze Lebensweg mit allen darin vorkommenden Ereignissen, wie es determiniert ist (ganz krass formuliert: man hat sein Leben spätestens mit dem geboren worden sein bereits gelebt). Und dazu gibt es eben nur den Zufall (das Geschehen ohne Ursache) als Alternative. Das ist argumentativ nicht zu widerlegen, genauer: da ein freier Wille nicht denkbar ist, gibt es nur die Optionen determiniert resp. zufällig sein. Echte Zufälle kennt man aber nur im mikrokosmischen Bereich und ob die sich statistisch nicht `ausebnen` auf einer Makroebene ist unwahrscheinlich...aber selbst wenn nicht wäre bezüglich Freiheit wenig gewonnen.
Auch eine erlernte Selbstkontrolle wäre determiniert `eingetreten` und insofern Teil des vorbestimmten Weges und damit tatsächlich eine illusionäre Freiheit wenn man ihn als inkompatibilistische interpretiert. Willenskraft kontrolliert ganz allgemein gesagt die nach unmittelbarer Befriedigung strebenden Impulse und da scheint mir eben die Kunst darin zu liegen, beurteilen zu können wann man solche Impulse kontrollieren soll und wann nicht (und dies wiederum ist von der sich wandelnden und bildenden Vorstellung idealen gelingenden Lebens welches man zu verwirklichen anstrebt abhängig). Dies setzt natürlich voraus, dass man überhaupt die Möglichkeit hat seine Impulse ausleben zu können, was auch nicht allen vergönnt ist (andere sehen in solcher Verhinderung ein Weg zur Reifung andere nur Leid und Mangel...alles natürlich abhängig von dem Insgesamt der determinierenden Faktoren. Wobei erste Willensbildung, vielleicht aber jede, immer mittels Versagung erlernt, sprich: erzwungen, werden muss).
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