Selbsttäuschung

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Thanatos
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Selbsttäuschung

Beitrag von Thanatos »

Fortsetzung vom „Buchtipp“-Thread:
Wenn ich mich recht erinnere, gestand ich einmal ein, dass letztendlich das subjektive Urteil entscheidend für die Einschätzung der Lebensqualität ist. Das ändert aber nichts daran, dass man sich ständig oder zumindest sehr oft etwas vormacht.
Wegen mir kann jeder sein Leben einschätzen wie er möchte, Anhänger eines adaptiven Wahnsystems sein oder was auch immer – vorausgesetzt, er versucht nicht, mir seinen Wahn überzustülpen. Ich werde also keine Kampagne gegen Selbsttäuschung und für intellektuelle Redlichkeit starten. Mir ist auch klar, dass viele Leute nichts anderes haben als ihren Glauben, an was auch immer. Woraus sie emotionale Sicherheit (man könnte auch „Fundament“ oder „Lebenssinn“ dazu sagen) und schöne Gefühle gewinnen. Ich mache ihnen ihr Spielzeug nicht madig – von einigen guten Bekannten unter fundamentalistischen Christen mal abgesehen.
Auch ist klar, dass Verdrängungsmechanismen lebenswichtig sind. Hätte ich zum Beispiel tagtäglich alle je erlittenen Verletzungen meines Lebens vor Augen, würde ich sicher sofort zum Preikestolen reisen (und diesmal würde es klappen) oder verrückt werden (was ich aber vermutlich schon bin). Das ginge wohl fast jedem so, wenn sein Verdrängungsmechanismus nicht funktionierte - vom Preikestolen mal abgesehen. - Das ändert allerdings nichts daran, dass Verdrängungsmechanismen Selbsttäuschungsmechanismen sind (sieh es ein oder lass es :wink: ).
Was intellektuelle Integrität betrifft, so ist klar, dass man diese gar nicht komplett erreichen kann. Ich habe auch nicht behauptet, dass mir das gelungen sei. Man kann sich allerdings darum bemühen. Mir ist es in den letzten Wochen einige Male gelungen, Fehler in den „Geschichten“ aus meinem Leben zu entdecken – ohne Therapeut. Ja, die Entdeckungen könnten auch wieder neue „Geschichten“ sein, die nicht korrekt sind, aber sie sind schlüssiger als die alten.
Dass sich das Leben nicht rechnet, war mir schon immer klar. Durch Schopenhauer, Cioran und Benatar wurde mir das nur bestätigt. Cioran-Jünger bin ich übrigens auch nicht. Ich fand in ihm nur einen Gleichgesinnten durch einige seiner Gedanken; Gedanken, die ich nie zuvor irgendwo gelesen oder gehört hatte, die ich allerdings wiedererkannte, weil ich sie schon in sehr jungen Jahren selbst hatte.
Irgendwo nanntest du mich einen Materialisten. Na und? Ich habe kein Problem damit. :) Wenn ich mich an wissenschaftliche Erkenntnisse halte, fühle ich mich eben wohler als in Wahnsystemen gleich welcher Art. Dabei ist mir klar, dass sich diese wissenschaftlichen Erkenntnisse alle als falsch erweisen könnten. Alles Wissen ist nun mal vorläufig. Dennoch ist mir mein Dasein als Materialist lieber – gibt mir eben mehr emotionale Sicherheit.
Man kann sich nicht selbst belügen, aber selbst täuschen. Wenn man etwas wirklich glauben möchte, braucht man es sich nur lange genug einzureden. Irgendwann wird man's dann für wahr halten. Das funktioniert vermutlich nicht immer, aber sehr oft. Beispiele dafür kenne ich zur Genüge aus meinem christlich-fundamentalistischen Bekanntenkreis. Mir selbst wäre das fast auch passiert. Glücklicherweise hat es „der Teufel“ verhindert, dass ich den letzten Rest meines Verstandes auch noch an der Garderobe abgab.
Das war jetzt auf die Schnelle geschrieben, etwas quer durch den Garten, aber mehr Zeit habe ich jetzt nicht.
Es grüßt der Materialist.
Deadly Snowflake

Re: Selbsttäuschung

Beitrag von Deadly Snowflake »

Thanatos hat geschrieben:Fortsetzung vom „Buchtipp“-Thread:
Wenn ich mich recht erinnere, gestand ich einmal ein, dass letztendlich das subjektive Urteil entscheidend für die Einschätzung der Lebensqualität ist. Das ändert aber nichts daran, dass man sich ständig oder zumindest sehr oft etwas vormacht.
Zunächst: Danke für deine Antwort!
Kann mich nicht daran erinnern, aber wie du schreibst, ist das deine jetzige Ansicht. Entscheidend ist nicht, dass man sich (beschönigend oder schlechtredend) irren mag als solches, sondern was das bezüglich der faktischen Lebensqualität (und nicht bloss deren Einschätzung!) impliziert. Benatar z.B. zieht hier Schlüsse die besagen: eine beschönigende Bewertung des Faktischen, ist Illusion, d.h. das massgebliche Urteil bezüglich der tatsächlichen Lebensqualität ist jene die das Faktische unverfälscht zur Geltung bringt. Hier gibt es mancherlei Probleme: inwiefern lässt sich hier Faktisches und Interpretiertes überhaupt säuberlich trennen (u.a. auch das Problem, dass man das was zur Natur des Menschen gehört nicht abziehen kann ohne den Menschen mit abzuziehen)? Wie ist es möglich, dass subjektive Einschätzung zugleich richtig und falsch sein kann (und wie, an Hand welcher Kriterien ist/wäre hier ein Leben zu bilanzieren)? Ich bin hier für Differenzierung: grundsätzlich ist das subjektive Urteil massgebend, aber durchaus nicht immer (vor allem verfälschende bilanzierende Urteile am Lebensende sind sehr problematisch).
Wegen mir kann jeder sein Leben einschätzen wie er möchte, Anhänger eines adaptiven Wahnsystems sein oder was auch immer – vorausgesetzt, er versucht nicht, mir seinen Wahn überzustülpen. Ich werde also keine Kampagne gegen Selbsttäuschung und für intellektuelle Redlichkeit starten. Mir ist auch klar, dass viele Leute nichts anderes haben als ihren Glauben, an was auch immer. Woraus sie emotionale Sicherheit (man könnte auch „Fundament“ oder „Lebenssinn“ dazu sagen) und schöne Gefühle gewinnen. Ich mache ihnen ihr Spielzeug nicht madig – von einigen guten Bekannten unter fundamentalistischen Christen mal abgesehen.
Dass jeder das Recht hat sein Leben zu beurteilen wie es für ihn stimmt, versteht sich von selbst. Allerdings ist nicht jeder Interpretationsrahmen zu legitimieren. Benatar negiert den Geltungsanspruch je subjektiver Lebensbeurteilungen ganz klar und mit zweifelhaftem Recht: für ein besser-nicht-sein-Sollen argumentieren indem er sich u.a. des Argumentes bedient, dass das Leben "objektiv" schlechter ist als subjektiv wahrgenommen. Damals zumindest hattest du nichts daran zu bemängeln gehabt.
Offenbar hast du bei der Praxis des Schönredens vor allem religiöse Lehren im Blick, aber da muss man doch als Materialist viel tiefer ansetzen und da entgehst auch du nicht dem Verdacht ein dein Leben stabilisierendes Denken zu pflegen...
Auch ist klar, dass Verdrängungsmechanismen lebenswichtig sind. Hätte ich zum Beispiel tagtäglich alle je erlittenen Verletzungen meines Lebens vor Augen, würde ich sicher sofort zum Preikestolen reisen (und diesmal würde es klappen) oder verrückt werden (was ich aber vermutlich schon bin). Das ginge wohl fast jedem so, wenn sein Verdrängungsmechanismus nicht funktionierte - vom Preikestolen mal abgesehen. - Das ändert allerdings nichts daran, dass Verdrängungsmechanismen Selbsttäuschungsmechanismen sind (sieh es ein oder lass es :wink: ).
Nenn mir die notwendigen bzw. hinreichenden Bedingungen die vorliegen müssen, dass man zu recht von Selbsttäuschung sprechen darf. Wenn du solche nicht benennen kannst, ist deine Ansicht nicht falsch sondern schlicht unreflektiert.
Was intellektuelle Integrität betrifft, so ist klar, dass man diese gar nicht komplett erreichen kann. Ich habe auch nicht behauptet, dass mir das gelungen sei. Man kann sich allerdings darum bemühen. Mir ist es in den letzten Wochen einige Male gelungen, Fehler in den „Geschichten“ aus meinem Leben zu entdecken – ohne Therapeut. Ja, die Entdeckungen könnten auch wieder neue „Geschichten“ sein, die nicht korrekt sind, aber sie sind schlüssiger als die alten.
Mir geht es hier um etwas anderes. Die Rede von Integrität, Bemühung etc. hat zumindest einen stark bewertenden Beigeschmack (das negativ-desillusionierte Weltbild wird kompensiert durch die Selbsbeweihräucherung eben ehrlicher, redlicher als jene anderen zu sein die in Illusionen schwelgen). Wer nicht an einen Leib-Seele Dualismus glaubt (und an einen freien Willen) hat hierzu aber überhaupt keinen Anspruch: er ist ein bewusster Automat ohne jegliche Steuerungsfunktion, so real und autonom wie der Schatten eines Körpers. Dir gelingt/misslingt gar nichts weil du als Geist/Bewusstsein immer nur der Reflex materieller Prozesse bist. Die Position welche dies bis zur Paradoxie illustriert ist der sog. Epiphänomenalismus. Dieser zeigt auf, dass das Mentale inkl. Ich nicht einmal ein adaptives Wahnsystem ist, sondern ein völlig überflüssiges Begleitphänomen der allein wirksam seienden materiellen Kausalitäten. Kurzum: die Welt könnte bzw. würde exakt gleich sein auch ohne mentale Phänomene. Dies gipfelt im Paradox, dass Menschen auch in einer Welt ohne mentale Phänomene darüber streiten würden ob der Epiphänomenalismus wahr ist oder nicht! Im Grunde ist dies dermassen unglaubwürdig, dass der Materialismus kaum zu vertreten ist (dumm nur, dass alle anderen Konzepte ebenfalls mit kaum lösbaren Problemen zu kämpfen haben).
Dass sich das Leben nicht rechnet, war mir schon immer klar. Durch Schopenhauer, Cioran und Benatar wurde mir das nur bestätigt. Cioran-Jünger bin ich übrigens auch nicht. Ich fand in ihm nur einen Gleichgesinnten durch einige seiner Gedanken; Gedanken, die ich nie zuvor irgendwo gelesen oder gehört hatte, die ich allerdings wiedererkannte, weil ich sie schon in sehr jungen Jahren selbst hatte.
Schon immer klar? Dass sich DEIN Leben nicht rechnet allenfalls. Es sind solche Ausdrücke (das Leben statt mein Leben) die mich, auch dort wo ausdrücklich gesagt wird, dass das subjektive Urteil das entscheidende ist (im Sinne von: das Leben IST so gut/schlecht wie man es je subjektiv bewertet), daran zweifeln lassen, dass man es dabei bewenden lassen kann zu sagen: mein Leben rechnet sich nicht, jenes von anderen Menschen aber durchaus.
Irgendwo nanntest du mich einen Materialisten. Na und? Ich habe kein Problem damit. :) Wenn ich mich an wissenschaftliche Erkenntnisse halte, fühle ich mich eben wohler als in Wahnsystemen gleich welcher Art. Dabei ist mir klar, dass sich diese wissenschaftlichen Erkenntnisse alle als falsch erweisen könnten. Alles Wissen ist nun mal vorläufig. Dennoch ist mir mein Dasein als Materialist lieber – gibt mir eben mehr emotionale Sicherheit.
Du verkennst die Implikationen des Materialismus (zu dem du dich im Kontext des Leib-Seele Problems selbst einmal bekannt hattest...) und wie weitgehend es unser Selbstbild als illusionär erweist. Wer wirklich um Konsistenz im Denken bemüht ist, sollte als Materialist, Wörter wie "Ich", "Handeln", "Autonomie" und alle wertenden Ausdrücke tunlichst zu vermeiden trachten, alles andere ist Inkonsequent und widersprüchlich, motiviert dadurch, dass man nicht den ganzen sauren Apfel der Tatsachen zu essen gewillt ist . Nochmals: der Epiphänomenalismus expliziert die Folgen des Materialismus bis zum Paradoxen.
Man kann sich nicht selbst belügen, aber selbst täuschen. Wenn man etwas wirklich glauben möchte, braucht man es sich nur lange genug einzureden. Irgendwann wird man's dann für wahr halten. Das funktioniert vermutlich nicht immer, aber sehr oft. Beispiele dafür kenne ich zur Genüge aus meinem christlich-fundamentalistischen Bekanntenkreis. Mir selbst wäre das fast auch passiert. Glücklicherweise hat es „der Teufel“ verhindert, dass ich den letzten Rest meines Verstandes auch noch an der Garderobe abgab.
Deine Beispiele überzeugen mich nicht wirklich, denn ob und inwiefern da ein Wissen, ein "Ahnen" der Unwahrhaftigkeit vorlag, ist doch eher Teil deiner Interpretation als dass es evident empirisch vor Augen lag.
Mich würde einfach interessieren wie das logisch resp. psychologisch denkbar ist: an etwas glauben von dem man "irgendwie" weiss, ahnt, fühlt dass es falsch ist. Die terminologischen Abstufungen: wissen, ahnen, fühlen bzw. Lüge, Täuschung erscheinen so selbst als Täuschungsmanöver: da man das Problem erkannt hat, dass man sich schwerlich selbst belügen kann, mildert man das Geschehen terminologisch ab ohne aber sagen zu können was denn nun inhaltlich sich verändert habe. Die Täuschung ist keine Lüge aber auch nicht Wahrhaftigkeit, aber was dann? Solange man die Art und Weise wie es möglich sein soll, dass man sich selber wissentlich über etwas belügt, nicht aufzuzeigen in der Lage ist, erscheint die Rede von Selbsttäuschung selber als solche (natürlich nur wenn man die dazugehörigen Prämissen akzeptiert, was ich nicht tue). Auch vermute ich stark, dass deine Interpretation ohne eine angenommene Willensfreiheit irgendwie sinnlos wird: Selbsttäuschung gegen die man nichts machen kann, die nicht wissentlich-willentlich geschieht, verliert viel von seinem intendierten Gehalt.
Kommt hinzu, dass die Falschheit des Geglaubten bei Religionen nicht aufgezeigt werden kann...so abwegig es auch sein mag: es könnte so oder ähnlich oder ganz anders wahr sein. Hier müsste der skeptische Verstand also sich selber kritisch beäugen und sich letztlich mit (wenn auch hohen)Wahrscheinlichkeiten zufrieden geben.
Es grüßt der Materialist.

Genauer und konsequenter: es grüsst Materie bzw. ein Hirn.

Buchtipp: Peter Heinegg: "Better than Both: The Case for Pessimism", ist eine eher ausgewogene Beurteilung des Leben auf "pessimistisch-realistischer-naturalistischer" Grundlage.
Zuletzt geändert von Deadly Snowflake am Mittwoch 10. September 2014, 00:09, insgesamt 4-mal geändert.
Thanatos
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Re: Selbsttäuschung

Beitrag von Thanatos »

Deadly Snowflake hat geschrieben: Nenn mir die notwendigen bzw. hinreichenden Bedingungen die vorliegen müssen, dass man zu recht von Selbsttäuschung sprechen darf. Wenn du solche nicht benennen kannst, ist deine Ansicht nicht falsch sondern schlicht unreflektiert.
Nur mal ein Punkt, damit du was zu tun bekommst.
Mehr geht nicht heute.
Du weißt so gut wie ich, dass eine Letztbegründung, die jeden zufriedenstellt, gar nicht möglich ist. Und da ich ahne, dass dich keine meiner Begründungen zufriedenstellen würde, versuche ich es erst gar nicht. Beweise du mir erst einmal, dass du zwei Hände hast, ohne dass man deine Begründung anzweifeln könnte. Dann reden wir weiter. :wink:
Ich mache „Privatstudien“ hinsichtlich Selbsttäuschungsmechanismen. Nicht nur, dass ich mich selbst hin und wieder dabei erwische, dass ich mir in irgendeinem Punkt etwas vormache oder vorgemacht habe, nein, hauptsächlich beobachte ich meine Mitmenschen. In vielen Fällen bemerke ich überdeutlich, wie sich jemand selbst täuscht.
Auch erlaube ich mir ganz einfach zu fragen. Bei Leuten, die sich gut kennen, fällt Selbsttäuschung ganz besonders leicht auf. Dazu befragte ich eine alte Dame, die wohl so etwa 50 Jahre mit dem selben Mann verheiratet ist. Sie bestätigte mir, dass sich solche Täuschungen oft dadurch zeigen, dass unterschiedliche, sich widersprechende Erinnerungen an das gleiche, gemeinsam erlebte Ereignis geäußert werden. Üblicherweise sind diese Verfälschungen der Erinnerung positiv. Die Vergangenheit wird also schöngeredet.
Ja, ich darf meine diesbezüglichen „Forschungsergebnisse“ selbstverständlich nicht einfach verallgemeinern und auf alle Menschen beziehen, aber ich darf dich auf die evolutionäre Psychologie hinweisen, die sich, unter anderem, genau mit diesem Thema beschäftigt und versucht herauszufinden, welche Vorteile für die (evolutionäre) Fitness Selbsttäuschungsmechanismen hatten und haben. Da sich ein Wissenschaftszweig damit beschäftigt, scheint ja irgendwas dran zu sein. Das muss zwar nicht so sein, aber zumindest könnte man annehmen, dass Selbsttäuschungsmechanismen tatsächlich existieren.
Doch noch kurz zum Thema Religionen: „An den Widersprüchen werdet ihr sie erkennen.“ (Thanatos)
Natürlich kann ich nicht für alle Religionen sprechen. Ich weiß nicht mal, wie viele Religionen es gibt. Mag sein, dass es irgendwo eine Religion mit 183 Gläubigen gibt, die den Großen Bumba verehren. Es könnte tatsächlich sein, dass dieser Große Bumba existiert und die Erkenntnisse dieser Religion Tatsachen sind. Das ändert jedoch nichts daran, dass der weit überwiegende Teil der Weltbevölkerung in Wahnsysteme verstrickt ist - zumal deren Anhänger ja nicht den Großen Bumba verehren, sondern andere, illusorische Götter.
Danke für den Buchtipp
Bis demneulich,
Thanatos
Deadly Snowflake

Re: Selbsttäuschung

Beitrag von Deadly Snowflake »

Thanatos hat geschrieben:
Deadly Snowflake hat geschrieben: Nenn mir die notwendigen bzw. hinreichenden Bedingungen die vorliegen müssen, dass man zu recht von Selbsttäuschung sprechen darf. Wenn du solche nicht benennen kannst, ist deine Ansicht nicht falsch sondern schlicht unreflektiert.

Du weißt so gut wie ich, dass eine Letztbegründung, die jeden zufriedenstellt, gar nicht möglich ist. Und da ich ahne, dass dich keine meiner Begründungen zufriedenstellen würde, versuche ich es erst gar nicht. Beweise du mir erst einmal, dass du zwei Hände hast, ohne dass man deine Begründung anzweifeln könnte. Dann reden wir weiter. :wink:
Also, ich glaube da verwechselst du zwei Dinge: 1. Bei Letztbegründungen geht es um den Aufweis einer Begründung bzw. Rechtfertigung die unabweisbar sein soll, sei das im Bereich des Wissens oder der Moral. Solche Begründungen können sich eigentlich nur auf Evidenzen beziehen, also Sachverhalte welche selber nicht mehr begründbar sind aber auch nicht begründungsbedürftig, weil sie "intuitiv" als richtig erkannt werden können. In diesem Sinne unabweisbares Wissen gibt es nur bezüglich der je subjektiv erlebten mentalen Phänomene (über deren Wesen lässt sich aber bereits nichts mehr sicheres aussagen, also ob sie einer Aussenwelt angehören oder nicht). Ein anderes Feld wo von Letztbegründungen geredet wird sind transzendentale Ansätze (also Ansätze wo auf die Möglichkeitsbedingungen von etwas rekurriert wird).
2. Bei Definitionen geht es um das Angeben der notwendigen und falls möglich hinreichenden Bedingungen die gegeben sein müssen, damit ein x zur Klasse des nämlichen Begriffes gezählt werden kann. Viele Definitionen werden recht willkürlich bzw. mittels Konsens erstellt, dies ist erlaubt, da nicht Wahrheit das Kriterium bildet sondern Nützlichkeit oder ähnliches. Begriffe deren hinreichenden Bedingungen nicht angegeben werden können, könnte man in einem abgewandelten Sinn als nicht letztbegründbar umschreiben, allerdings wäre das eine Verwendung die nicht gebräuchlich ist. Ein Beispiel ist das Gettier-Problem beim Wissens-Begriff. Jedes Beispiel welches aufzeigen kann, dass die bisherige Definition zu weit war, könnte zu einer Neudefinition führen, dass auch das zunächst widerlegende Beispiel im Begriff enthalten wäre. Nur ist wohl kaum zu beweisen, dass die Definition irgendwann jedes mögliche Gegenbeispiel mit umfassen könnte.

Bezüglich der Hände würde ich auf G. E. Moore verweisen und seinen Vortrag "Proof of an external world" (ob ich zwei Hände habe, zielt ja auf den Nachweis, dass eine Aussenwelt existiert). Hier zitiere ich nun aus dem Buch "Die Philosophie der Physiker" von E. Scheibe:
"An seinem Ende, nach mühsamen Entwicklungen, die mit grosser Ausführlichkeit auch Kant einschliessen, und in einer Haltung, die einen an Luthers Bekenntnis auf dem Reichstage zu Worms denken lässt, besteht der fragliche Beweis überraschenderweise darin, dass zwei menschliche Hände existieren, und auf die ausdrückliche Frage, wie dieser Beweis aussehe, lässt Moore seine Hörer noch wissen, er erbringe ihn dadurch "dass ich meine beiden Hände hochhalte und sage, `Hier ist eine Hand!` und dann hinzufüge, indem ich eine gewisse Bewegung auch mit der linken mache, `Und hier ist noch eine!`"
Dieser Beweis rekurriert auf die Evidenz der alltäglichen Gewissheiten, nur sind sie natürlich skeptisch hinterfragbar. Ich denke, dass der Solipsismus zwar nicht widerlegbar ist, aber höchst unwahrscheinlich, da man auf etliche ad hoc Annahmen zurückgreifen müsste um die Konsistenz und Kontinuität der erfahrenen Welt zu begründen wäre sie tatsächlich nur in meinem Bewusstsein.

Hier nun die Darlegung von K. Beier bezüglich den notwendigen Bedingungen von "Selbsttäuschung". Eine Selbsttäuschung läge dann vor, wenn:
i) eine Person an einen Glauben festhält, obwohl sie zugleich weiss oder zumindest ahnt, d.h. leicht wissen könnte, dass dieser Glaube falsch ist (Wissensbedingung)
ii) das, was sich die Person glauben macht, tatsächlich falsch, das Gegenteil davon wahr ist (Wahrheitsbedingung)
iii) die Person selbst es ist, die Mittel und Wege ersinnt, die Falschheit des eingeredeten bzw. die Wahrheit des verleugneten Glaubens nicht wahrhaben zu müssen (Intentionalitäts- oder Motivationsbedingung)
iv) das, was der Gegenstand des eingeredeten bzw. des verleugneten Glaubens ist der Person wichtig ist (Bedeutsamkeitsbedingung)

Das in fett Geschriebene wäre Ansatz für meine Kritik. Punkt ii) scheint mir zudem vielfach schlicht nicht verifizierbar.



Ich mache „Privatstudien“ hinsichtlich Selbsttäuschungsmechanismen. Nicht nur, dass ich mich selbst hin und wieder dabei erwische, dass ich mir in irgendeinem Punkt etwas vormache oder vorgemacht habe, nein, hauptsächlich beobachte ich meine Mitmenschen. In vielen Fällen bemerke ich überdeutlich, wie sich jemand selbst täuscht.
Hier würde mich die Gesamtheit des empirisch Zugänglichen interessieren welches dir mit Überdeutlichkeit die Selbsttäuschung vor Augen führt.
Auch erlaube ich mir ganz einfach zu fragen. Bei Leuten, die sich gut kennen, fällt Selbsttäuschung ganz besonders leicht auf. Dazu befragte ich eine alte Dame, die wohl so etwa 50 Jahre mit dem selben Mann verheiratet ist. Sie bestätigte mir, dass sich solche Täuschungen oft dadurch zeigen, dass unterschiedliche, sich widersprechende Erinnerungen an das gleiche, gemeinsam erlebte Ereignis geäußert werden. Üblicherweise sind diese Verfälschungen der Erinnerung positiv. Die Vergangenheit wird also schöngeredet.
Hier nennst du ein Beispiel und folgerst dann dass die meisten Verfälschungen positiv seien. Das ist natürlich kein gültiger Schluss. Vielleicht ist es auch ein enthymematischer Schluss, dann müsstest du aber die restlichen Prämissen nennen. Zudem scheint aber auch dieses Beispiel für sich offen zu lassen ob hier geschönt wurde oder das Gegenteil. Wenn zwei gegenteilige Aussagen zum selben gemeinsam erlebten vergangenen Geschehnis vorliegen, braucht man ein Kriterium um feststellen zu können wer nun die Wahrheit sagt...zumindest nennst du kein solches.

Ja, ich darf meine diesbezüglichen „Forschungsergebnisse“ selbstverständlich nicht einfach verallgemeinern und auf alle Menschen beziehen
Du darfst es nicht einmal in einem Einzelfall wenn ein solcher wie der oben beschriebene vorliegt. Um Verallgemeinern zu können, müsste man wohl mit sehr vielen Menschen Experimente etc. durchführen. Solche gibt es auch, nur habe ich mich noch nicht damit befasst (was aber demnächst ansteht). Ausserdem sind Antworten auf Fragen nach der Vergangenheit sehr anfällig auf die Art der Frage, auch dem, also dem Methodischen, wäre Rechnung zu tragen.
aber ich darf dich auf die evolutionäre Psychologie hinweisen, die sich, unter anderem, genau mit diesem Thema beschäftigt und versucht herauszufinden, welche Vorteile für die (evolutionäre) Fitness Selbsttäuschungsmechanismen hatten und haben. Da sich ein Wissenschaftszweig damit beschäftigt, scheint ja irgendwas dran zu sein. Das muss zwar nicht so sein, aber zumindest könnte man annehmen, dass Selbsttäuschungsmechanismen tatsächlich existieren.
Nochmals: ich negiere Selbsttäuschungen nicht, sondern sehe die Extension derselben als wesentlich weitergespannt an als du. Was ich bestreite ist, dass sich der Mensch wissentlich-willentlich etwas vormachen kann, im Gegenteil: Selbsttäuschungen (wie alles menschliche Verhalten) strikt deterministisch bedingt sind und insoweit auch kein Gegenstand wertender Rede sein können, wie auch das Wort Selbsttäuschung zu ersetzen wäre, da es anderes, sprich: Gegenteiliges, suggeriert. Ausserdem müsste ich es offen lassen, ob der Mensch tendenziell sein Leben eher schönt als schlechtredet.
Es ist recht witzig wenn man die doch sehr materialistische Evolutionstheorie in ihrem Bemühen sieht, mentale Phänomene als Anpassungen zu erklären. Wie aber schon dargelegt: jeder Materialismus (auch ein nicht-reduktiver) impliziert den Epiphänomenalismus. Und, wie auch schon dargelegt, besagt dieser, dass Mentales kausal nie wirksam ist/sein kann, weder auf physisches noch auf anderes Mentales (letzteres folgt aus ersterem). Was nicht wirksam sein kann, kann aber auch nie eine Funktion haben (sprich: einen Unterschied machen). Der Widerspruch ist dermassen evident, dass man sich fragt, warum darüber nicht bereits mehr geschrieben wurde. Denn: entweder ist der Materialismus falsch oder aber die sog. Evolutionspsychologie! Auch da also so man will Täuschung, bzw. Inkonsequenz.
Doch noch kurz zum Thema Religionen: „An den Widersprüchen werdet ihr sie erkennen.“ (Thanatos)
Natürlich kann ich nicht für alle Religionen sprechen. Ich weiß nicht mal, wie viele Religionen es gibt. Mag sein, dass es irgendwo eine Religion mit 183 Gläubigen gibt, die den Großen Bumba verehren. Es könnte tatsächlich sein, dass dieser Große Bumba existiert und die Erkenntnisse dieser Religion Tatsachen sind. Das ändert jedoch nichts daran, dass der weit überwiegende Teil der Weltbevölkerung in Wahnsysteme verstrickt ist - zumal deren Anhänger ja nicht den Großen Bumba verehren, sondern andere, illusorische Götter.
Grundsätzlich können Wahnsysteme in sich sehr logisch sein, allenfalls auch immunisiert gegen Kritik (womit sie natürlich ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit verlieren). Widerspriche müssen also nicht notwendigerweise Teil eines solchen Systems sein (wobei der Nachweis solcher Widerspruchlosigkeit je komplexer ein System wird umso schwieriger wird).
Dass die Mehrzahl der Menschen an irgendetwas metaphysisches glauben, stimmt wohl. Das würde zumindest bedeuten, dass die Mehrzahl, ihren Glauben wörtlich nehmend, an etwas falsches glaubt. Wie auch immer: die Wahrscheinlichkeit sagt mir, dass wohl alle irren. Aber auch hier, und jenseits der Letztbegründungsidee, könnte man notwendige Bedingungen formulieren die ein umfassend Sinn garantierendes `Was-auch-immer` zu erfüllen hätte, auch wenn seine Existenz nie beweisbar wäre (allerdings könnten die notwendig zu erfüllenden Bedingungen die Unwahrscheinlichkeit solchen Seins noch deutlicher zu Tage treten lassen).

PS: Dies Antwort hat nun doch beinahe eine Stunde gedauert...künftig muss ich mich da wohl etwas bescheiden...
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