Thanatos hat geschrieben:Wie du wohl ahnst, werde ich mich nicht auf eine Diskussion zu diesem Thema einlassen. Das hatten wir schon einmal vor zwei Jahren bei Benatar. Wir sind da unterschiedlicher Meinung.
Trotzdem ein Hinweis, um zu merken (wenn man sich darauf einlassen möchte, darüber nachzudenken), wie man sich tagtäglich etwas vormacht – ganz allgemein, nicht nur auf die Bewertung von Lebensqualität bezogen-: Verdrängungsmechanismen berücksichtigen. Völlig unpsychologisch ausgedrückt: Wir sind ständig damit beschäftigt, negative Erlebnisse zu verdrängen. Was ist Verdrängung anders als unbewusste Selbsttäuschung? Somit Verfälschung der eigenen Biographie - weshalb für viele alte Leute ja gilt „Früher war alles besser“ (weil sie die negativen Erlebnisse verdrängt oder wirklich vergessen haben). Und das gilt auch für die Einschätzung der aktuellen Lebensqualität. - Mist, jetzt habe ich mich doch darauf eingelassen....
Noch ein Buchtipp: "The Philosophical Writings of Edgar Saltus: The Philosophy of Disenchantment & The Anatomy of Negation"
Es grüßt,
Thanatos
Danke für den Buchtipp.
Du magst anderer Meinung sein als ich, aber ohne meine Argumente widerlegt oder nur schon zur Kenntnis genommen zu haben (das galt schon zu früheren "Diskussionen" zu Benatar), letzteres behaupte ich mal. Kurzum: aus meiner Sicht hast du gar keine Meinung, zumindest keine begründete ("Wissen"=
gerechtfertigte wahre Überzeugung), bzw. keine die mehr als ein Dogma wäre.
Bezüglich Verdrängung: Da dies eine allgemein vorkommende Tatsache ist, fällt es unter meinen Einwand, dass das was zur Natur des Menschen zählt, nicht als zu behebende oder behebbare (letzteres ist in Ansätzen zumindest ja denkbar: Psychoanalyse) Selbsttäuschung interpretiert werden kann. Etwas was zu unserer Natur gehört, ist keine Selbsttäuschung sondern Teil unserer faktischen und allenfalls unaufhebbaren Funktionsweise. Die Absicht es Aufzuheben bzw. das eigentliche Sein des Menschen als ein Dasein ohne Selbsttäuschung/Verdrängung zu definieren, hiesse zugleich den Menschen insgeheim durch eine andere Lebensform zu ersetzen. Es ist ja das Paradox der Selbsttäuschung: je umfänglicher dies existiert, desto weniger ist es als solche definierbar. Dein konkretes Beispiel der Vergangenheitsbewertung alter Menschen stimmt vermutlich in vielen Fällen (ist aber bestimmt auch korreliert mit dem Grad an Lebenswertem des gegenwärtigen Zustandes, müsste also wohl auch als Ausdruck und negative Beurteilung des gegenwärtigen Lebens gelesen werden), ist aber doch auch ein herausragendes Beispiel einer `Selbsttäuschung` welche biologisch verankert ist. Da sehe man sich beinahe genötigt den Alterungsprozess selbst als Uneigentlichkeit zu entlarven...
Grundsätzlich musst du (oder wer immer deine Position vertritt) folgendes aufzeigen können:
- dass die Selbsttäuschungen dermassen sind, dass sie entscheidend dazu beitragen das Leben als schlecht zu bewerten. Aber das ist nur bedingt der Fall: Selbsttäuschungen dienen dem Schönreden und damit oftmals dem glücklicher sein, implizierten sie letzteres nicht, wären sie ja im Kontext der Frage nach dem Seinsollen gar kein Thema. Solange Selbsttäuschungen nicht in ihrer überwiegenden Mehrzahl zum grossen Katzenjammer (danach oder aktuell) führen (durch Ent-täuschung oder neurotisierendes Wirken), ist es schlicht und einfach ein irrelevantes Argument (bzw. eines welches eher pro Leben spräche), es sei denn:
- du kannst aufzeigen dass die (auf Selbsttäuschung beruhende) je faktische Lebensbewertung die nicht massgebende ist. Aber entscheidend ist nicht wie das Leben
eigentlich ist, sondern wie es faktisch erlebt wird, ein Argument welches du doch wohl in der Sterbehilfedebatte auch benutzen würdest: entscheidend ist wie der Betroffene sein Leben bewertet und nicht externe Beobachter welche `herumnörgeln`: `aber so
schlecht geht es dir doch gar nicht`. Der Unterschied ist bloss ein Wort: `so
gut geht es dir doch gar nicht`. Auch das ein Beispiel zum Thema selektive Wahrnehmung/Anwendung.
- Des weiteren müsstest du aufzeigen, dass das was zur Natur des Menschen gehört und dies sogar noch vielfach unbewusst, als Selbsttäuschung zu klassifizieren wäre (siehe meine obige Kritik). Mir scheint `unbewusste Selbsttäuschung` schon ein äusserst fraglicher Begriff, zumindest wenn es um Entlarvungsansprüche geht.
- Dann müsstest du aufzeigen, dass der Zustand radikaler Ent-täuschung ein depressiver wäre. Wer sagt das? Wie willst du das wissen? Wann weisst du, dass du in diesem Zustand bist? Verdrängtes ist doch gerade nie wissbar...es gibt kein Kriterium anhand dessen das nicht mehr vorhanden sein von Verdrängtem (oder anderweitig Täuschendes) erkennbar wäre. (Übrigens führt das Aufdecken von Verdrängtem oftmals zu einem besseren Leben danach...der Zen sagt sogar, dass der eigentliche Zustand der befreite ist, siehe dazu: Suzuki/Fromm: "Zen-Buddhismus und Psychoanalyse").
Nun, ich könnte weitere Einwände vorbringen, aber obige scheinen mir `knacknussig` genug (und da ich eh keine begründete Antwort zu erwarten habe...a bisserl mehr müsstest du dich schon einlassen
). Solange du obige Anfragen nicht in deinem Sinne beantworten kannst, bleibe ich bei meiner obigen Aussage: dass deine Aussage primär motiviert wird durch dein eigenes als schlecht empfundenes Leben (auf Grund von was auch immer: hohe Sinnansprüche, Verdrängtem, unglückliche Biografie...) und die Funktion hat dein Leben erträglicher zu gestalten (im Sinne einer Auflösung der zugrundeliegenden kognitiven Dissonanz: die Unfähigkeit das eigene Leben wertschätzen zu können steht in Spannung zum Wunsch nach einem lebenswerten Leben. Diese Dissonanz wird aufgehoben durch Schlechtreden des Lebens grundsätzlich: es sei in keinem Fall lebenswert und als solches erstrebenswert, nichts dessen Nichtexistenz zu betrauern wäre). Übrigens lässt sich Ciorans Schaffensweise (Schreiben in Zeiten der `Depression`) bestens mit der Idee der kognitiven Dissonanz erklären...wie man sieht (so man nicht verdrängt): Selbsttäuschung überall (und daher: nirgends).
ps: Ein Letztes: eine der grössten Täuschungen (auch deiner Ansicht nach, in anderer Hinsicht auch des Zen) wäre das Ich, das Ego. Aber wenn das Ich eine Täuschung ist, dann auch alles Reden welches das Ich voraussetzt: ich täusche mich, ich werde getäuscht, ich leide...alles Illusion, und damit auch dein Reden von Verdrängungen und Selbsttäuschungen (es sei denn wiederum: du nimmst als relevant wie etwas erlebt wird und nicht wie die Dinge eigentlich beschaffen sind und ziehst die Grenze nicht willkürlich genau dort wo es deinem Argument zupass kommt).