Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Meinungs- und Erfahrungsaustausch zum Thema Suizid; Berichte über gescheiterte Suizidversuche; suizidales Verhalten; Leben mit Suizidgedanken; Hilfestellungen

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Abendstern
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Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Beitrag von Abendstern »

Da haben wir es Schwarz auf Weiß:

Der Bundesgerichtshof hat höchstrichterlich entschieden, daß Suizid durchaus auch exogene Ursachen haben kann.
Und daß diese Ursachen sogar STRAFBAR sein können:

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Ex-Freund macht sich wegen Suizids der Ex-Freundin aufgrund massiven Stalkings strafbar

Strafbarkeit wegen Nachstellung mit Todesfolge

Stalkt der Ex-Freund nach Beendigung der Beziehung massiv seine Ex-Freundin, so dass diese psychisch erkrankt, jegliche Behandlungen für aussichtslos hält und sich schließlich selbst tötet, macht er sich wegen Nachstellung mit Todesfolge gemäß § 238 Abs. 3 des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Spätsommer 2014 ging das spätere Tatopfer mit dem späteren Angeklagten eine Beziehung ein. Diese zerbrach jedoch schon einige Monate später im Februar 2015 aufgrund der großen Eifersucht des Angeklagten. Zum Bruch der Beziehung kam es, weil das Tatopfer während eines Telefonats den Angeklagten versehentlich mit dem Vornamen eines früheren Freundes ansprach. Es kam in der Folgezeit bis März 2015 zu massiven Belästigungen des Angeklagten. Er versendete unzählige Textnachrichten mit hasserfüllten Beleidigungen und Bedrohungen an das Tatopfer, verfolgte sie, ihre Eltern und Freunden mit Telefonanrufen sowie Sachbeschädigungen (Zerstechen der Reifen). Er versuchte zudem, das Tatopfer bei ihrem Arbeitgeber durch erfundene Geschichten in Missgunst zu bringen. Das Tatopfer entwickelte aufgrund des Verhaltens des Angeklagten eine Depression, die mit der Folgezeit immer schwerwiegender wurde. Von März an war das Tatopfer entweder in stationärer oder teilstationärer Behandlung. Eine Besserung ihres Zustands erfolgte jedoch nicht, da sie jegliche Behandlungen für aussichtslos hielt. Das Tatopfer erhängte sich schließlich im November 2015 im Keller ihrer Wohnung.

Landgericht verurteilt Angeklagten wegen Nachstellung mit Todesfolge

Das Landgericht Stuttgart verurteilte den Angeklagten wegen seines Verhaltens unter anderem wegen Nachstellung mit Todesfolge. Dagegen richtete sich die Revision des Angeklagten. Er führte an, dass der Abbruch der psychotherapeutischen Behandlung und schließlich die Selbsttötung auf eine eigenverantwortliche Entscheidung des Tatopfers beruht haben.

Bundesgerichtshof bestätigt Verurteilung

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies daher die Revision des Angeklagten zurück. Das Verhalten des Angeklagten sei als strafbare Nachstellung mit Todesfolge gemäß § 238 Abs. 3 StGB zu werten. Es habe der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen den Nachstellungen und dem Tod bestanden. Der Tod des Tatopfers sei unmittelbare Folge der durch die Nachstellungen verursachten schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung gewesen. Die der Nachstellung innewohnende spezifische Gefahr habe sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen.

Strafbarkeit trotz selbstschädigenden Handelns

Soweit der Angeklagte anführte, dass der Ursachenzusammenhang aufgrund des selbstschädigenden Handelns des Tatopfers nicht vorliege, stimmte der Bundesgerichtshof dem nicht zu. Es sei zu beachten, dass sich der durch die selbstschädigende Weigerung der Behandlung und den selbstschädigenden Suizid herbeigeführte Tod nur als letzte Steigerung der tiefgreifenden Beeinträchtigung der Lebensführung des Opfers dargestellt habe. Die Vorschrift des § 238 StGB erfasse nicht nur die Fälle, in denen das Opfer auf der Flucht des nachstellenden Täters zu Tode kommt, sondern auch die, bei dem das Opfer vom Täter in den unzulässiges Wort getrieben wird.


https://www.kostenlose-urteile.de/BGH_4 ... s25427.htm

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Wann bitte zieht unsere Gesellschaft endlich die Konsequenzen daraus?
Erloesung
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Re: Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Beitrag von Erloesung »

Auch den BGH kann man vergessen, mMn.

Auch der BGH macht Höllenurteile, z.B. :
"Am 16. Januar 1998 verurteilte das Landgericht Karlsruhe den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Gefängnis. Dagegen legte Wörz Revision ein, die der Bundesgerichtshof im August 1998 verwarf. Damit war das Urteil des Landgerichts Karlsruhe rechtskräftig.
Im Oktober 2001 stellte Wörz beim Landgericht Mannheim einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.
Der Wiederaufnahmeprozess begann am 30. Mai 2005. Nach 19 Verhandlungstagen wurde Wörz am 6. Oktober 2005 „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen."

Nur weil ein "BGH" etwas feststellt, heißt das nicht, dass das richtig ist.

Eigentlich interessieren mich Urteile mittlerweile nicht mehr, weil es einfach zu viele falsche Urteile schon gab und deshalb kann man der Justiz nicht mehr vertrauen. Und so denken leider auch viele andere Bundesbürger.

Und zur Gesellschaft: Wir leben mittlerweile in einer Ellbogen-Gesellschaft (ich empfehle dazu die Masterarbeit "Die Ausbreitung des Egoismus in der heutigen Gesellschaftsform"), also kann man in Zukunft eher nur noch gesellschaftliche Verschlimmerungen und weitere gesellschaftliche Verrohung erwarten. Leider.
Abendstern
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Re: Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Beitrag von Abendstern »

Erloesung, da stimme ich Dir im Prinzip völlig zu. Und wenn sich jemand mit Mängeln der Justiz auskennt, dann leider ja nunmal ich. Falls Ihr in nächster Zeit von einem Sprung aus einem Justizgebäude lest, dann bin das möglicherweise nämlich ich. Dennoch sehe ich das Urteil als Meilenstein an, da es hochoffiziell mit althergebrachten Paradigmen bricht. Insofern ausgerechnet nun in diesem Zusammenhang davon zu sprechen, daß das, was der BGH entscheidet, nicht zwangsläufig richtig ist, finde ich etwas abstrus. Denn ist es nicht das, was sich viele hier wünschen, daß Suizid endlich nicht länger als ausschließlich endogene "Erkrankung" gewertet wird...?
Erloesung
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Re: Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Beitrag von Erloesung »

Abendstern hat geschrieben:Erloesung, da stimme ich Dir im Prinzip völlig zu. Und wenn sich jemand mit Mängeln der Justiz auskennt, dann leider ja nunmal ich. Falls Ihr in nächster Zeit von einem Sprung aus einem Justizgebäude lest, dann bin das möglicherweise nämlich ich. Dennoch sehe ich das Urteil als Meilenstein an, da es hochoffiziell mit althergebrachten Paradigmen bricht. Insofern ausgerechnet nun in diesem Zusammenhang davon zu sprechen, daß das, was der BGH entscheidet, nicht zwangsläufig richtig ist, finde ich etwas abstrus. Denn ist es nicht das, was sich viele hier wünschen, daß Suizid endlich nicht länger als ausschließlich endogene "Erkrankung" gewertet wird...?
Abendstern,
natürlich werden faktisch schon die Mehrzahl der Urteile richtig sein, aber die Fehl-Urteile haben so eine enorme negative Wucht, dass diese die meisten richtigen Urteile "überdecken".

Mein Weltbild hat sich in den letzten Jahren KOMPLETT gewandelt. Es ist mir völlig egal, was die meisten Menschen denken. Es ist MEIN Leben und ich entscheide darüber. Und wenn Suizid als Erkrankung angesehen wird, mich stört das nicht. EDIT: Das einzige, was mich stört, ist, dass Pentobarbital nicht Menschen zur Verfügung gestellt wird, wenn sie es wollen.

Wobei da momentan auch ein Wandel stattfindet, z.B. dieses neue Buch, weiss grad den Titel nicht genau, aber "Suizid in der Moderne" oder so, heißt es.

Nochmal zu diesem Stalking-Fall: Ich meinte mit der BGH-Kritik nicht diesen Fall, sondern, dass ich allgemein mittlerweile wenig von Gerichten halte. Natürlich ist das traurig der Fall. Ich hab mir jetzt auch ein paar Zeitungsberichte durchgelesen, und dort steht, dass diese Frau bereits 5 Jahre BEVOR sie diesen Typen kennengelernt hat, an Depression litt.
Von der Richterin wird es so hingestellt, als wäre da eine komplett gesunde Frau gewesen, dann kam dieser Stalker und NUR wegen den Stalking-Taten hat sie dann Suizid begangen.

Ich finde, das ist zu einfach dargestellt von dieser Richterin. Sie litt Jahre vorher an Depressionen, bekam vom Arzt sogar Antidepressiva und dann spricht die Richterin, dass sie "eine selbstbewusste Frau, gesunde Frau" gewesen sei, bevor sie den Stalker kennengelernt hat.
Das passt einfach nicht zusammen für mich.
Natürlich hat dieser Stalker ein abnormes Verhalten, aber ob die paar Jahre Gefängnis ihm dieses Verhalten "abtrainieren" glaube ich kaum..
Abendstern
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Re: Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Beitrag von Abendstern »

Ich finde, das ist zu einfach dargestellt von dieser Richterin. Sie litt Jahre vorher an Depressionen, bekam vom Arzt sogar Antidepressiva und dann spricht die Richterin, dass sie "eine selbstbewusste Frau, gesunde Frau" gewesen sei, bevor sie den Stalker kennengelernt hat.
Das passt einfach nicht zusammen für mich.
Das Schlimme ist vielmehr, dass Opfern bei Vorschädigungen in der Regel nach dem Grundsatz der so genannten "unmittelbaren Kausalität" abgesprochen wird, daß die eingetretene Beeinträchtigung auch dann erfolgt wäre, wenn die Vorschädigung nicht bestanden hätte. Es ist heute, egal, ob bei Stalking, Vergewaltigung, häuslicher Gewalt oder anderen schwerwiegenden Schädigungen mit Traumafolge so, dass Du als vorgeschädigtes Opfer so gut wie keine Chance hast, nachzuweisen, daß Deine psychische Schädigung nicht aus dem Vorschaden resultiert. Ein absoluter Hohn für Opfer, der sie noch dazu oft um Schadensersatz- und Schmerzengelder bringt. Und als zynische Krönung eine Einladung für Täter, sich am besten Menschen als Opfer zu suchen, die bereits vorher unter psychischen Beeinträchtigungen litten. Übrigens ein Freifahrtschein für Mißbrauch in der Psychotherapie. Und laut einer Studie wird dieser überaus oft genutzt. Und ja, vor einer traumatischen Erfahrung wie Stalking, Vergewaltigung oder schwerem Missbrauch kann selbst eine depressive Patientin im Vergleich noch relativ gesund und selbstbewusst gewesen sein.
Es ist mir völlig egal, was die meisten Menschen denken. Es ist MEIN Leben und ich entscheide darüber. Und wenn Suizid als Erkrankung angesehen wird, mich stört das nicht.
Dann solltest Du Dich am besten nicht in Dinge einmischen, die für andere Menschen überlebenswichtig sind.
Erloesung
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Re: Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Beitrag von Erloesung »

Abendstern hat geschrieben:
Es ist mir völlig egal, was die meisten Menschen denken. Es ist MEIN Leben und ich entscheide darüber. Und wenn Suizid als Erkrankung angesehen wird, mich stört das nicht.
Dann solltest Du Dich am besten nicht in Dinge einmischen, die für andere Menschen überlebenswichtig sind.
Das verstehe ich leider nicht. "Überlebenswichtig" sind praktisch gesehen nur sehr wenige Dinge: wie essen, trinken, ein Platz zum schlafen, Kleidung und bei chronischen Krankheiten evtl. Medikamente.
Riesenschnauzer
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Registriert: Mittwoch 13. Dezember 2017, 17:35

Re: Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Beitrag von Riesenschnauzer »

Erloesung hat geschrieben:Auch den BGH kann man vergessen, mMn.

Auch der BGH macht Höllenurteile, z.B. :
"Am 16. Januar 1998 verurteilte das Landgericht Karlsruhe den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Gefängnis. Dagegen legte Wörz Revision ein, die der Bundesgerichtshof im August 1998 verwarf. Damit war das Urteil des Landgerichts Karlsruhe rechtskräftig.
Im Oktober 2001 stellte Wörz beim Landgericht Mannheim einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens.
Der Wiederaufnahmeprozess begann am 30. Mai 2005. Nach 19 Verhandlungstagen wurde Wörz am 6. Oktober 2005 „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen."

Nur weil ein "BGH" etwas feststellt, heißt das nicht, dass das richtig ist.
Die Zurückweisung der Revision durch den BGH war kein Fehlurteil. Der BGH ist an die (Tatsachen-) Feststellungen des Tatgerichts gebunden, die darf er gar nicht überprüfen im Rahmen einer Revision, weil es dabei nur um Rechtsfehler geht. Oder anders gesagt: Er führt keine neue Beweisaufnahme durch.

Wörz wurde später im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens freigesprochen, weil neue Tatsachen aufgetaucht sind. Die Fehler lagen ganz am Anfang, bei Polizei und Staatsanwaltschaft, die offenbar zu einseitig ermittelt hatten.
Abendstern
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Re: Bundesgerichtshof Urteil Suizid

Beitrag von Abendstern »

Erloesung hat geschrieben:Das verstehe ich leider nicht. "Überlebenswichtig" sind praktisch gesehen nur sehr wenige Dinge: wie essen, trinken, ein Platz zum schlafen, Kleidung und bei chronischen Krankheiten evtl. Medikamente.
Was glaubst Du, wie wichtig es für den Lebenswillen eines Opfers ist, daß wenigstens die Tat mit all ihren Auswirkungen auf das Leben des Betroffenen anerkannt wird. Und auch Essen, Trinken, ein Zuhause, Kleidung sowie eine optimale Gesundheitsversorgeng - gerade in Fällen von schweren psychotraumatischen (Körper-)Schäden - hängen ganz eklatant von Schadensersatz und Schmerzensgeld ab. Oder glaubst Du, daß man gerade bei schwersten Schäden mit Grundsicherung große Sprünge machen kann, die dem Betroffenen irgendwie Lust auf ein Weiterleben vermitteln. Siehe aktueller Beitrag von Neumitglied Bloom. Er schildert sehr schön, welche Unsummen in zahllose und noch dazu vergebliche Therapien nach seinem Unfall geflossen sind. Und das hörte sich nicht so an, als hätte irgendeine übergeordnete Stelle die Kostendeckung übernommen. So wie das eben gerade bei schweren Erkrankungen der Fall ist, wenn die Kasse nur Standard zahlt, man aber in der Not nichts unversucht lassen will, um das Leid zu lindern. Mal ganz zu schweigen davon, daß viele in der Not noch nicht mal mehr die Krankenversicherungsbeiträge berappen können.
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