Kai-Dennis hat geschrieben:@ Deadly Snowflake
Habe deine Beiträge gelesen und kann deinen Standpunkt nachvollziehen.
Alles in allem laufen deine Äußerungen auf die Kernaussage hinaus, dass bei Freitod-Wünschen, bei denen keine unheilbare physische Erkrankung im Vordergrund steht, immer der Einzelfall zu prüfen sei.
Habe ich dich da richtig verstanden?
Das ist sicherlich kein falscher Ansatz.
Wie du selbst schreibst: Manchen PatientInnen, die zuvor einen Todeswunsch geäußert haben, wurde dank psychiatrischer Behandlung nunmehr ein glückliches Leben zuteil. Oder zumindest wird es rein subjektiv so empfunden.
Korrekt, und das schliesst aus, dass Todespillen frei zugänglich für alle zu erwerben sind (mal abgesehen von anderen Missbrauchsmöglichkeiten).
Die Schwierigkeit liegt für mich in der Frage nach den Kriterien.
Wem ist die Todespille zu gewähren, wem ist sie verweigern?
Habe dieses Problem selber klar und deutlich herausgestrichen und auch dass es NIE in allen Fällen zu richtigen Entscheiden kommen kann, weil vieles schlicht unabsehbar und bestenfalls auf Grund von Wahrscheinlichkeiten zu beurteilen ist.
Soll man sich nach den Lebensjahren richten?
Somit wäre eine 20-Jährige, die schon die Hölle auf Erden durchgemacht hat, weniger ernst zu nehmen als ein 60-Jähriger, der vielleicht einfach nur gelangweilt ist ...?
Das wäre doch Blödsinn!
Hab ich das so suggeriert. Nein. Wenn keine (nach aller Wahrscheinlichkeit) Aussicht besteht, dass sich etwas zum Lebenswerteren hin ändern wird, dann spielt das Alter keine Rolle (ja, man könnte sogar argumentieren, dass je jünger desto berechtigter der Sterbewunsch da eine absehbar längere Leidenszeit bevorstünde). Zum Alter: ein ungeeignetes Beispiel (weil völlig abstrakt), da a) auch Langeweile tödlich sein kann und b) ein Todeswunsch über längere Zeit hin ein Kriterium darstellt, vorübergehende Langeweile aber einen solchen nicht verursachen wird. Zudem können auch ältere Personen in der Regel kommunizieren etc. Eine verantwortliche Person wird dann natürlich auch fragen, warum man einen Sterbewunsch hat etc. (Gemäss deiner Vorstellung frei verfügbarer Todespillen, würde ein alter Mensch bei vorübergehender Langeweile sich aber umbringen dürfen sollen).
Oder "spontaner Suizidwunsch" vs. "Bilanzsuizid"?
Siehe oben: die Dauer, Konstanz des Wunsches spielt als Kriterium natürlich eine Rolle.
Fragt sich, wer hier entscheidet.
Als Nonplusultra gilt ja wohl nach wie vor das Wort der Schulmedizin.
Und die tendiert nun mal im Zweifelsfall eher zur Zwangseinweisung
Oder zum "Fürsorglichen Freiheitsentzug", wie es so charmant in Österreich heißt.
Und sei es auch nur, weil man auf "Nummer Sicher" gehen möchte.
Dieser Konflikt hat aber dann aber nichts mit dem Patienten zu tun, sondern allein mit dem behandelnden Arzt.
Wir reden von einer möglichen (nicht unmöglichen) idealen Wirklichkeit. Wenn man jene Kriterien anwenden würde, die von der Grundprämisse ableitbar sind (also solche die es erlauben im Rahmen des Möglichen zu beurteilen, ob ein (für den Betroffenen in erträglichen Frist) lebenswertes Leben möglich sein wird), dann lässt sich auch in der Praxis unterscheiden. Aber: die Grenzfälle lassen sich NIE eliminieren. Und da kommt das ins Spiel was du `auf Nummer sicher gehen` bezeichnest: In dubio pro oder contra reo? Ich sagte schon: für mich scheint ein `auf Nummer sicher gehen` plausibler, da der Tod nicht revidierbar ist...ein falscher Entscheid endgültig falsch bleibt...solche Einstellung dürfte freilich kein Freipass sein um Grenzfälle auch dort zu vermuten wo der Sachverhalt etwas ganz anderes aussagt. Auch gehe ich davon aus, dass fast jeder (die Vielfalt möglicher Ausnahmen von der Regel mit bedacht...) lieber ein lebenswertes Leben führen als sterben würde.
Man sollte aber einfach nie vergessen: auch die besten Kriterien (die ja dann rechtlich verbindlich wären), sind interpretationsbedürftig...wer solche Unwägbarkeiten ausschliessen will kann nur mit undifferenzierten `tabula rasa`-Argumenten kommen (jedem die Pille der es wünscht).
Ich persönlich würde es mir jedenfalls dreimal überlegen, bevor ich mich einem behandelnden Arzt als gefährdet zu erkennen gebe. Du weißt nie, welche Mühlen daraufhin im Hintergrund in Bewegung gesetzt werden, die dir nicht recht sein können. Okay ... wenn jemand nur daran denkt, aber es nicht wirlich vorhat ... dann sollte sie/er das ansprechen. Die Konsequenzen wären immerhin nicht unangenehmer, als im Nachhinein in der Klinik zu landen und sich der Prozedur des Magenauspumpens o.ä. zu unterziehen und sich daraufhin auch noch unangenehmen Fragen zu stellen. Willkommen zurück im leben!
Da ist es evtl. von Vorteil, einen älteren und erfahreneren Arzt an seiner Seite zu haben.
Die sind oft besonnener und reagieren auf Suizid-Ankündigungen nicht gleich so hysterisch, dass sie alle möglichen Hebel in Bewegung setzen.
Da redest jetzt von der aktuellen Praxis (die anderswo thematisiert wurde) der Einweisung nach geäussertem Suizidwunsch etc. Aber es geht doch hier um wie es sein sollte. Wie sollte idealerweise ein Arzt nach geäussertem Suizidwunsch reagieren? Den individuellen Wunsch, gemäss `idealen` Kriterien, interpretieren und entsprechend handeln.
Bleibt als drittes Kriterium die von dir angesprochene "Zurechnungsfähigkeit".
Nehmen wir mal einen Menschen mit einer geistigen Behinderung oder Beeinträchtigung.
Die sind es in der Regel von klein auf nicht anders gewöhnt, als dass ihr Leben von irgendeiner Institution betreut wird. Zumeist sind sie irgendwo untergebracht, weil sie nicht für sich selbst sorgen können. Menschen aus diesem Personenkeis können jahre- und jahrzehntelang immer wieder den Wunsch äußern, sterben zu wollen, weil sie ihr Leben mit der Behinderung nicht aushalten. Würde so jemand jemals gehört oder gar ernst genommen werden? Nö! Denn diese Leute gelten ja als "unzurechnungsfähig".Daher müssen ihre Wünsche auch nicht respektiert werden. Hier maßen sich letztlich "zuständige" Kräfte wie selbstverständlich an, anderen kurzerhand die letztliche Entscheidung über deren Leben und Tod aus der Hand zu nehmen, anstatt die Mühe für die von dir geforderte Einzelfallprüfung auf sich zu nehmen.
"Zurechnungsfähigkeit" ist halt auch ein bewährtes Argument, alles beim Alten zu lassen!
Du musst dich entscheiden von was du redest, vom Ist- oder vom Sollzustand. Wenn du hier vom Idealzustand (der immer nur annäherungsweise und unbefriedigend zu realisieren ist) redest dann wären Kriterien zu nennen die eine Anwendung des Prinzips `Zurechenbarkeit` in humaner Weise überhaupt ermöglichen. Und dazu braucht es auch das Fachwissen jener Menschen die genau mit solchem `Personenkreis` zu tun haben. Das Akzeptieren eines Sterbewunsches als legitim beruht auf der Einschätzung, dass kein lebenswertes Leben (aus Sicht des Betroffenen) zu realisieren ist, dieses Einschätzung beruht wiederum auf anderen anzuwendenden Kriterien (z.B: Dauerhaftigkeit des Wunsches...Frage: was heisst `dauerhaft`? Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen und damit seines Wunsches...Frage: was heisst (=welche Kriterien legen das fest) und wann ist `Zurechnungsfähigkeit` gegeben?). Je weiter man geht desto konkreter und empirischer wird `das Ganze`.
Wer geistig gestört ist, kann, falls überhaupt, wohl am besten von Personen `interpretiert` werden die entsprechendes Wissen und Erfahrung besitzen. Ob es denkbar ist, dass eine `gestörte` Person einen Sterbewunsch über Jahre äussert trotz eines lebenswerten Lebens und insofern nicht `zurechnungsfähig` ist (falls denn bewusst darauf reflektiert wird)? Schwer zu sagen...ausschliessen würde ich gar nichts (wobei es bei dauerhaft geäussertem Sterbewunsch schon sehr gute Argumente bräuchte um solchen nicht als ernst gemeint zu interpretieren).
Dasselbe gilt für Menschen, die an psychotischen Schüben leiden.
Oder die bipolar sind.
Nein, `dasselbe` gibt es im idealen Zustand nicht.
State of the art ist ja wohl, dass man solche Krankeiten gut "in den Griff" bekommen kann ... vorausgesetzt, der Patient ist entsprechend diszipliniert und kooperativ. D.h., er schluckt brav seine Pillen (der Vergleich von "And" mit dem Bagger und dem Gänseblümchen hat mir gut gefallen), geht regelmäßig zur Therapie, geht in Selbsthilfegruppen wildfremden Menschen auf den Senkel und lässt auch schon mal den psycho-sozialen Dienst in seiner Privatsphäre nach dem Rechten sehen. Im übrigen: Niemals Alkohol oder sonstige Drogen, Kaffee nur auf Antrag und - ganz wichtig - eine regelmäßige Tagesstruktur! D.h. Wecken um 8 Uhr morgens, licht aus um 22 Uhr, wie im Knast. Und das Jahr um Jahr. Ob solch ein Lebenswandel noch viel mit einem lebenswwerten Leben und einer dauerhaften Perspektive zu tun hat ... ich weiß nicht so recht.
Ich kenne etliche Filme, die behaupten das Gegenteil! ("Vincent will Meer", "Was ist mit Bob", "Einer flog über das Kuckucksnest" u.s.w. u.s,.f.)
Mein Gott, ja, es gibt alles was du sagst, darum ist das Thema überhaupt von Interesse! Du kannst noch so viel Verallgemeinern (solches ist/wäre nur bezüglich den grundsätzlichsten Kriterien legitim), es sollte immer um das je einzelne Individuum gehen und dessen einmalige Situation.
Ich glaube, sogar ein Pfarrer oder ein Mönch hätte da ein abwechslungsreicheres und genussvolleres Leben.
Aber diese Berufsgruppen haben sich zumindest freiwillig dazu entschieden.
Nun, das hast ja nicht du zu beurteilen (sondern der je einzeln Betroffene)...auch nicht im idealen Leben. Und dass für dich ein Leben ohne gelebte Sexualität wenig lebenswert erscheint, ist legitim, aber nicht verallgemeinerbar (ausgerechnet jene die das Recht des Individuums hochhalten wollen, sind offenbar selber geneigt, gemäss persönlichen Kriterien, zu verallgemeinern...).
Bemerkenswerterweise vermeidet sogar die Schulmedizin tunlichst den Begriff der "Heilung".
Es ist immer nur von "Behandlung" die Rede ...
In der Medizin spricht man sehr wohl von Heilung. Auch bezüglich psychischen Krankheiten kann davon gesprochen werden, freilich nicht bei allen Krankheitsbildern (zudem ist wie bei vielem entscheidend wie `krank sein` und `gesund sein` definiert wird). Dass es im Bereich der Psyche aber nie eine Garantie auf Gesundheit/Gesundbleiben gibt, dürfte auch offensichtlich sein. Wer die Ursachen des Auftretens psychischer Störung nicht genau benennen kann, kann logischer Weise auch nicht feststellen ob eben solche Ursachen nie in Erscheinung treten können (aber eine solche positive Diagnostik wäre selbst beim umfassend möglichsten Wissen undenkbar).