Ich bin die Überlebende

Für alle, die ihre Lebensprobleme und Schickale mit anderen teilen möchten

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Antworten
nici
Beiträge: 13
Registriert: Mittwoch 24. März 2021, 11:48

Ich bin die Überlebende

Beitrag von nici »

Hallo, ich bin Nici und weiß nicht genau, wie ich anfangen soll. Vielleicht einfach vor 15 Jahren. Da lernte ich meinen besten Freund kennen.
Das kann man kaum erklären: wir hatten geschäftlich miteinander zu tun, eigentlich gab sich der Typ eher unangenehm aber mir war gleich klar: das ist er !

Es folgte die wundervollste Zeit meines Lebens: schnell stellte es sich heraus, daß wir Seelenverwandte sind- die gleichen Gedanken, der gleiche Humor und dieser wirkliche Ekel vor Unehrlichkeit. Jeder Tag war ein Sonntag, egal, was auch von Außen einstürmte, ich hatte meinen Freund, mit dem ich lachen und weinen, alles teilen und mich verstanden fühlen konnte.

Eines Tages, wir sprachen ganz entspannt miteinander, sagte er beiläufig:

ich werde mir das Leben nehmen und ich antwortete, ebenso entspannt: wie denn ?

Daraufhin erläuterte er mir detailliert seinen Plan. Es war keine Frage, daß er meinte, was er sagte.

Es gab eine to do Liste, die abgearbeitet werden sollte. Seine Firma mußte übergeben, Finanzen geregelt, verpaßte Dinge erlebt werden.

Es war eine sehr intensive Zeit. lange Diskussionen, viele Tränen aber auch viel Spaß. Alles war so intensiv und echt. Nach etwa einem halben Jahr verbrachten wir noch einen schönen Ausflug miteinander, dann verabschiedete sich mein Freund, sah mir tief in die Augen- und ging.

Am nächsten Vormittag hat er sich erschossen.

Seither ist alles Anders: ich bin nicht mehr ganz, lebe noch, aber ohne Freunde. Fühle mich, auch in großen Gruppen, alleine- immer alleine.
Ich bin verheiratet. Mein Mann war, mit der tiefen Depression die mich nach dem Tod meines Freundes umfing, völlig überfordert. In seinem Kopf findet Suizid nicht statt. Ich kann mit niemandem reden.
Zuerst wollte ich auch sterben, fürchte jedoch, im gleichen Dilemma wiedergeboren zu werden und außerdem habe ich Angst, wieder zu versagen.

Ich habe es schon einmal versucht, mit Tabletten... seitdem bin ich nicht mehr kitzelig- aber lebe.
Komisches Leben.
Ich bin noch nicht einmal wirklich Suizidgefährdet, jetzt nicht aber es ist so sinnlos, jeden Tag. Schätze, ich kann nicht alleine sein, egal wen ich treffe, mit wem ich rede, alle so hohl, selbstüberschätzt, verlogen... wißt Ihr, was ich meine ? Nirgendwo gehöre ich noch dazu.

Mein Mann sagt, ich soll mir einen Verein suchen, unter Menschen gehen- hab ich versucht. Ich stehe dann da, schaue mir die Masken an und frage mich, wie lange ich bleiben muß, um nicht negativ aufzufallen.
Ich weiß mir keinen Rat, leide.

Liebe Grüße
Nici
Igel

Re: Ich bin die Überlebende

Beitrag von Igel »

Hallo Nici,

es tut mir sehr leid das du deinen besten Freund verloren hast. Das muss unfassbar schmerzlich für dich sein.

Vielleicht magst du erzählen warum dein Freund sich für seinen Weg entschieden hast. Nur wenn du magst.

Du hast deinen Freund auf seinen letzten Weg begleitet., warst immer an seiner Seite. Das wird ihm und sicher auch dir, viel bedeutet haben.
Zu mal dieser Weg auch unendlich traurig ist.

Eine Gesprächstherapie könnte dir helfen, alles zu verarbeiten.
Alleine ist das nur schwer zu schaffen.

Halte weiter durch.

Gruß
Igel
nici
Beiträge: 13
Registriert: Mittwoch 24. März 2021, 11:48

Re: Ich bin die Überlebende

Beitrag von nici »

Oh ja, Igel,
ich bin so unendlich dankbar, daß ich ihn begleiten durfte.
Nach seinem Tode bejammerte ihn seine Witwe mit den Worten: "hätte ich es doch nur gewußt". Natürlich hatte er es ihr gesagt, doch sie tat es ab mit den Worten: "rede nicht solchen Unsinn"

Ich habe mir schon einmal vorgestellt, ich wäre nicht dabei gewesen, er hätte mich nicht mit einbezogen- das hätte ich kaum überlebt.

Warum er diesen Weg ging, ist schwer zu erklären. Als ich mit ihm darüber diskutierte, war es sonnenklar.
Mein Freund war hochintelligent und introvertiert- trifft oft aufeinander- doch solche Menschen finden schlecht Anschluß. So fühlte er sich auch alleine inmitten von Menschen, die ihn nicht verstanden. Es war einfach nicht seine Welt- wessen Welt kann das hier auch sein ?
Das hohle Gerede, die ständigen Lügen, Betrügereien, die im Mittelstand an der Tagesordnung sind.

Dazu eine Sicht auf das Leben, die keiner teilt, überall eckt man an. Ist es nicht seltsam ? Uns waren/sind viele Zusammenhänge völlig klar, doch niemand sieht das klare Bild. Ich komme mehr und mehr zu der Gewißheit, daß es Paralleluniversen gibt.

Das fing schon in früher Kindheit an. Vater, Mutter, Geschwister- alle wußten, wie es geht und -ich spreche jetzt für uns Beide- wir wußten, daß es so nicht geht.

Ihn haben sie dann in ein Internat abgeschoben, den Dummen Uneinsichtigen, mich haben sie Verprügelt, um mir Verstand einzubläuen.
Ich habe mich dann sehr früh von meinen Eltern distanziert- mein Glück... ihn setzten sie auf einen Chefsessel, der seinen Fähigkeiten nicht entsprach.

Warum halten geschundene Kinder ihren Eltern noch die Stange ? Bestimmt wäre es Anders gekommen, wenn er fortgelaufen wäre, etwas völlig Anderes begonnen hätte doch es fehlte er Mut. Er war sich auch sicher, niemals eine passende Partnerin finden zu können. Es gibt passende Partner, doch auch ich weiß nicht, wie man die finden könnte.

Am letzten Tag hat er ein Spiel gespielt: er nahm seiner Frau das Versprechen ab, ihn am nächsten Tag, bei einer geschäftlichen Besprechung, zu unterstützen. Ich wußte, sie würde es niemals tun und auf meinen Einwurf hin sagte er. "Dann muß sie mit den Konsequenzen leben"

Bei der Besprechung fiel sie ihm in den Rücken- er stand auf, legte seine Hand auf ihre Schulter, sagte "Du machst das schon, Schatzi" und ging...
nici
Beiträge: 13
Registriert: Mittwoch 24. März 2021, 11:48

Re: Ich bin die Überlebende

Beitrag von nici »

Oh ja, Igel,
ich bin so unendlich dankbar, daß ich ihn begleiten durfte.
Nach seinem Tode bejammerte ihn seine Witwe mit den Worten: "hätte ich es doch nur gewußt". Natürlich hatte er es ihr gesagt, doch sie tat es ab mit den Worten: "rede nicht solchen Unsinn"

Ich habe mir schon einmal vorgestellt, ich wäre nicht dabei gewesen, er hätte mich nicht mit einbezogen- das hätte ich kaum überlebt.

Warum er diesen Weg ging, ist schwer zu erklären. Als ich mit ihm darüber diskutierte, war es sonnenklar.
Mein Freund war hochintelligent und introvertiert- trifft oft aufeinander- doch solche Menschen finden schlecht Anschluß. So fühlte er sich auch alleine inmitten von Menschen, die ihn nicht verstanden. Es war einfach nicht seine Welt- wessen Welt kann das hier auch sein ?
Das hohle Gerede, die ständigen Lügen, Betrügereien, die im Mittelstand an der Tagesordnung sind.

Dazu eine Sicht auf das Leben, die keiner teilt, überall eckt man an. Ist es nicht seltsam ? Uns waren/sind viele Zusammenhänge völlig klar, doch niemand sieht das klare Bild. Ich komme mehr und mehr zu der Gewißheit, daß es Paralleluniversen gibt.

Das fing schon in früher Kindheit an. Vater, Mutter, Geschwister- alle wußten, wie es geht und -ich spreche jetzt für uns Beide- wir wußten, daß es so nicht geht.

Ihn haben sie dann in ein Internat abgeschoben, den Dummen Uneinsichtigen, mich haben sie Verprügelt, um mir Verstand einzubläuen.
Ich habe mich dann sehr früh von meinen Eltern distanziert- mein Glück... ihn setzten sie auf einen Chefsessel, der seinen Fähigkeiten nicht entsprach.

Warum halten geschundene Kinder ihren Eltern noch die Stange ? Bestimmt wäre es Anders gekommen, wenn er fortgelaufen wäre, etwas völlig Anderes begonnen hätte doch es fehlte er Mut. Er war sich auch sicher, niemals eine passende Partnerin finden zu können. Es gibt passende Partner, doch auch ich weiß nicht, wie man die finden könnte.

Am letzten Tag hat er ein Spiel gespielt: er nahm seiner Frau das Versprechen ab, ihn am nächsten Tag, bei einer geschäftlichen Besprechung, zu unterstützen. Ich wußte, sie würde es niemals tun und auf meinen Einwurf hin sagte er. "Dann muß sie mit den Konsequenzen leben"

Bei der Besprechung fiel sie ihm in den Rücken- er stand auf, legte seine Hand auf ihre Schulter, sagte "Du machst das schon, Schatzi" und ging...
nici
Beiträge: 13
Registriert: Mittwoch 24. März 2021, 11:48

Re: Ich bin die Überlebende

Beitrag von nici »

Oh ja, Igel,
ich bin so unendlich dankbar, daß ich ihn begleiten durfte.
Nach seinem Tode bejammerte ihn seine Witwe mit den Worten: "hätte ich es doch nur gewußt". Natürlich hatte er es ihr gesagt, doch sie tat es ab mit den Worten: "rede nicht solchen Unsinn"

Ich habe mir schon einmal vorgestellt, ich wäre nicht dabei gewesen, er hätte mich nicht mit einbezogen- das hätte ich kaum überlebt.

Warum er diesen Weg ging, ist schwer zu erklären. Als ich mit ihm darüber diskutierte, war es sonnenklar.
Mein Freund war hochintelligent und introvertiert- trifft oft aufeinander- doch solche Menschen finden schlecht Anschluß. So fühlte er sich auch alleine inmitten von Menschen, die ihn nicht verstanden. Es war einfach nicht seine Welt- wessen Welt kann das hier auch sein ?
Das hohle Gerede, die ständigen Lügen, Betrügereien, die im Mittelstand an der Tagesordnung sind.

Dazu eine Sicht auf das Leben, die keiner teilt, überall eckt man an. Ist es nicht seltsam ? Uns waren/sind viele Zusammenhänge völlig klar, doch niemand sieht das klare Bild. Ich komme mehr und mehr zu der Gewißheit, daß es Paralleluniversen gibt.

Das fing schon in früher Kindheit an. Vater, Mutter, Geschwister- alle wußten, wie es geht und -ich spreche jetzt für uns Beide- wir wußten, daß es so nicht geht.

Ihn haben sie dann in ein Internat abgeschoben, den Dummen Uneinsichtigen, mich haben sie Verprügelt, um mir Verstand einzubläuen.
Ich habe mich dann sehr früh von meinen Eltern distanziert- mein Glück... ihn setzten sie auf einen Chefsessel, der seinen Fähigkeiten nicht entsprach.

Warum halten geschundene Kinder ihren Eltern noch die Stange ? Bestimmt wäre es Anders gekommen, wenn er fortgelaufen wäre, etwas völlig Anderes begonnen hätte doch es fehlte er Mut. Er war sich auch sicher, niemals eine passende Partnerin finden zu können. Es gibt passende Partner, doch auch ich weiß nicht, wie man die finden könnte.

Am letzten Tag hat er ein Spiel gespielt: er nahm seiner Frau das Versprechen ab, ihn am nächsten Tag, bei einer geschäftlichen Besprechung, zu unterstützen. Ich wußte, sie würde es niemals tun und auf meinen Einwurf hin sagte er. "Dann muß sie mit den Konsequenzen leben"

Bei der Besprechung fiel sie ihm in den Rücken- er stand auf, legte seine Hand auf ihre Schulter, sagte "Du machst das schon, Schatzi" und ging...
nici
Beiträge: 13
Registriert: Mittwoch 24. März 2021, 11:48

Re: Ich bin die Überlebende

Beitrag von nici »

Hm, muß ich noch üben... einmal hätte auch gereicht :?
Igel

Re: Ich bin die Überlebende

Beitrag von Igel »

Hallo Nici,

ach macht nichts mit den doppel Post.

Ja, introvertierte Menschen haben es in dieser Welt nicht leicht.

Jetzt musst du irgendwie mit dem Verlust zurecht kommen.
Wird nicht leicht werden.
Deshalb solltest du dir Hilfe holen, einfach mal ausprobieren.

Gruß Igel
Miu
Beiträge: 383
Registriert: Montag 4. Mai 2020, 02:50

Re: Ich bin die Überlebende

Beitrag von Miu »

Ich lese das erst jetzt....
Du schilderst das alles so eindrücklich.
Unverstandene Kinder, so denke ich, haben es sehr schwer. Bin auch eines. Meine Introvertiertheit hat man als Schwäche abgetan und sich drüber gestellt.

Ich brauchte 20 Jahre als Erwachsene, diese Eigenschaft an mir zu würdigen.
Bloss von aussen tut es weiterhin keiner. Die Leute latschen einem über die Grenzen, scheinen zu denken, man sei Allgemeingut.

Es tut mir so leid für deinen besten Freund und für dich... wie war das für dich in den 6 Monaten, als du wusstest, er wird gehen?
Wo stehst du heute bezüglich dieses Verlustes?

Liebe Grüsse
Miu
n°cturne
Beiträge: 133
Registriert: Freitag 12. November 2021, 00:21

Re: Ich bin die Überlebende

Beitrag von n°cturne »

Dieser Bericht berührt mich sehr tief und tangiert vor allem auch sehr vieles, das mich selbst betrifft.
Habe ihn nun schon öfter gelesen, nur fehlten mir vor Betroffenheit die Worte. Und fehlen noch. Gefühle blockieren Verstand.

Was mir jedoch gerade spontan dazu einfällt, ist, wie schade es ist, dass Menschen wie wir im "Verborgenen" leben müssen, um halbwegs unbeschadet durch diese Welt zu navigieren. Wie soll man da auch jemanden finden, der genauso gestrickt ist. Wie oft ist man schon auf Illusionen hereingefallen. In dem Irrglauben, Integrität und Ehrlichkeit seien die Norm, nicht umgekehrt. Und am Ende landen wir hier. Wunderbare Aussichten.

Heute muss ich vielmehr konstatieren, dass es anscheinend kaum jemanden ohne geheime Agenda gibt. Der Mensch an sich ist offenbar bigott. Und das Schlimmste ist, die meisten merken es noch nicht einmal. Messen mit zweierlei Maß ohne jede Selbstreflexion. Jeder hat Fehler, sicherlich. Aber dieses scheinheilige Schmierentheater macht mich mit am meisten fertig.

Oft fühle ich mich einsam, nur um zu merken, dass ich eigentlich auch gar keine Lust mehr habe, mit Menschen in näheren Kontakt zu treten, weil ich dieses oberflächliche Geplänkel und dieses bigotte Taktieren einfach so satt habe. Der Mensch ist so anders als das, was man uns einmal im Religionsunterricht beigebracht hat. Oft frage ich mich, wann das bei den meisten eigentlich kippt. Oder war ich alleine so blöd, diesen Mist überhaupt jemals abzukaufen. :? Beziehungsweise zu glauben, dass sich außer mir noch jemand an die "Regeln" hält. :|

Ich habe mir wirklich beste Mühe gegeben, diese Welt und die Regeln darin zu verstehen. Mein Fazit ist, dass alles nur eine Potemkinsche Fassade ist. Vordergründig gibt es Regeln, doch hinter den Kulissen wird ganz anders gespielt. Und wie gesagt: Das Schlimmste ist, dass die meisten auch noch an das Bühnenstück glauben, das sie da aufführen. :|
Antworten