Bilanz und neuer Anlauf

Für alle, die ihre Lebensprobleme und Schickale mit anderen teilen möchten

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Orgeluse
Beiträge: 864
Registriert: Dienstag 23. November 2010, 00:04

Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Orgeluse »

Lange war ich nicht mehr hier.

Ich habe in den sechs Jahren, die auf den Tod meines Mannes und meine damals gescheiterten Suizide nunmehr gefolgt sind, einen Roman geschrieben (das ist für mich nichts ganz Ungewöhnliches: Ich habe während meines Studiums zwei Romane, viele Erzählungen und noch mehr Gedichte geschrieben und auch einen Preis dafür bekommen; allerdings ist all das viele, viele Jahre und zwei Leben her), ich habe eine Fortbildung gemacht und anderthalb Jahre nebenberuflich diesen neuen Job ausgeübt, und ich habe eine Psychotherapie gemacht.

Bilanz:
Der Verlag, der mir für den aktuellen Roman eine Publikationszusage gegeben hatte, hat vor drei Monaten abgesagt, weil er kurz vor der Insovenz steht.
Meinen Nebenjob habe ich verloren, weil ich meinen Mund aufgemacht habe, als es um Gier und Unfairness ging.
Mein Psychoanalytiker hat eine Herzkrankheit diagnostiziert bekommen (und vermutlich hat er diese Erkrankung auch [wenn er sie denn tatsächlich haben sollte; ich bin skeptisch, was ärztliche Diagnosen anbelangt], weil ich mit all meiner Destruktivität zu sehr an seinem Herzen gerzerrt habe) und muss aller Voraussicht nach operiert werden. (Und damit bin ich in meinem ureigensten Film, den ich, wie ich nun überraschend feststellen musste, seit dem Krebskrepieren meines Mannes in mir trage [ich habe nicht gewusst, dass ich diesen Film in mir habe]: Krankenhaus und GRAUEN pur, Bilder über Bilder, mitten am Tag, mitten in der Nacht, wieder und wieder unsere Bilder, all dieses Grauen, zitternder Körper, Hecheln, Schmerz, Ohnmacht und immer wieder verlogene, sich irrende Ärzte, wieder und wieder und wieder.)

Das ist jetzt die Bilanz. Nach sechs Jahren.
Sechs Jahre, die voller elendiger Scheyzz Seelenschmerzen waren. Und die nun offenbar in vollkommenem Grauen kulminieren - als wenn ich das nicht schon kennen würde.

Meine Suizid-Versuche damals - zumindest bei zweien erhielt ich die ärztliche Aussage, dass ich echt einfach ein Scheyzzpech gehabt hätte und in Wirklichkeit tot sein müsste.
Diese Aussagen muss ich irgendwie aus meinem Kopf rausbekommen. Die haben mich diese verkackten sechs Jahre lang jetzt diesen ganzen nun wieder gescheiterten Scheyzz machen lassen, inklusive der vielleicht auch durch mich hervorgerufenen Erkrankung eines anderen Menschen.

Das ist die Bilanz. Jetzt will ich neu Anlauf nehmen für meinen Tod.

Wenn - wenn all meine Bemühungen für das Buch nun vergeblich sein sollten, wenn ich keine neue (Neben-)Jobmöglichkeit mehr finden werde, und wenn dieser Mensch, an dessen Erkrankung ich vielleicht mitschuldig bin, nun stirbt.

Wird sich alles binnen weniger Wochen, maximal einiger Monate rausstellen.

Und da ich seit Jahren fast jede Nacht meinen Tod zu mir bitte, innig bitte, zu mir zu kommen, endlich, kann es sein, dass ich so lange nicht mehr warten muss, ganz ohne mein persönliches Zutun (das wär' mir das Liebste: dass mein Tod einfach kommt).
Peterchen
Beiträge: 742
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 13:02

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Peterchen »

Das klingt wirklich übel, Orgeluse. Trotzdem halte ich es für vollkommen unwahrscheinlich, dass du an der Erkrankung deines Therapeuten eine Mitschuld trägst. Ein Therapeut ist jeden Tag mit dem Leid anderer Menschen konfrontiert und muss selbst beurteilen können, ob er sich das zumuten kann oder nicht. Und die meisten Herzkrankheiten dürften wohl eher organische als emotionale Ursachen haben.
Thorsten3210
Beiträge: 1140
Registriert: Dienstag 29. September 2009, 17:27
Wohnort: Niedersachsen

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Thorsten3210 »

Dann kann ich nur sagen "Willkommen zurück". Das Erlebte hört sich wirklich schlimm an, ich kann verstehen, dass Du wieder hier bist und mit Suizidgedanken kämpfst. "Krebskrepieren", das "durfte" ich leider auch kennenlernen, meine beste Freundin hat es erwischt. Es war einfach nur grausam, was Krebs & Chemo anrichten können, ich hab sie über 2 Jahre täglich besucht und den schlimmen Verfall miterlebt. Bis hin zum Rollstuhl, weil die Wirbel brachen. Als ich eines Tages morgens den Anruf erhielt, sie ist letzte Nacht gestorben, wusste ich, sie ist endlich erlöst von den Qualen, die der Körper ihr bereitet hat. Auch wenn das loslassen extrem schmerzhaft war.
Orgeluse
Beiträge: 864
Registriert: Dienstag 23. November 2010, 00:04

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Orgeluse »

Erstmal danke für Eure Antworten!
Peterchen hat geschrieben:Trotzdem halte ich es für vollkommen unwahrscheinlich, dass du an der Erkrankung deines Therapeuten eine Mitschuld trägst. [...] Und die meisten Herzkrankheiten dürften wohl eher organische als emotionale Ursachen haben.
Ja, klar. Ein Teil von mir denkt das auch.
Gleichwohl - fast alle Menschen, die mir etwas bedeutet haben oder noch bedeuten, sind an ziemlich exotischen Krankheiten beziehungsweise an therapiebedingten Komplikationen entweder schon zugrunde gegangen oder zumindest erkrankt. (Auch diese Herzkrankheit da jetzt bekommen maximal 1-2 % der Menschen).
Und ich, ich lebe und lebe und lebe und bin seit etwa 20 Jahren noch nicht mal mehr erkältet gewesen. (Was bei mir passiert, das sind kleinere Knochenbrüche an den Zehen, wenn ich damit irgendwo hängenbleibe, oder Kopfplatzwunden, wenn ich vom Fahrrad falle, weil ein Autofahrer seine Tür, ohne zu gucken, aufreißt - anatomisch-mechanischer Pippifax, mehr oder minder selbstverschuldet.)
Mir reicht's, dass offenbar fast alle, die mir etwas bedeuten, richtig scheyzzeschwer krank werden. Und ich kann mittlerweile nicht mehr umhin, da einen (vermutlich völlig irrationalen) 'Zusammenhang' mit mir zu sehen.
Thorsten3210 hat geschrieben:"Krebskrepieren", das "durfte" ich leider auch kennenlernen, meine beste Freundin hat es erwischt. Es war einfach nur grausam, was Krebs & Chemo anrichten können [...] Als ich eines Tages morgens den Anruf erhielt, sie ist letzte Nacht gestorben, wusste ich, sie ist endlich erlöst von den Qualen, die der Körper ihr bereitet hat. Auch wenn das loslassen extrem schmerzhaft war.
Das tut mir sehr leid.
Mein Mann starb buchstäblich in meinen Armen. Ich habe - trotz allem - damals zunächst nicht begriffen, dass er starb. Wir waren ins Krankenhaus gegangen, weil er sich dort, vor einer Monster-OP, zu der er sich entschlossen hatte, aufpäppeln lassen wollte. Einen Tag nach der KH-Aufnahme ist er gestorben.
Etwa vier Wochen zuvor hat er massive psychische Probleme bekommen, vermutlich kein Wunder nach all dem - auch und gerade arztverschuldeten - Terror in den 13 Monaten zuvor.
Konrekt gestorben aber ist er an jenem Nachmittag an seinem allerersten Morphin-Tropf: Die zuständige Ärztin hat vergessen, nach einer Untersuchung die Dosierungsautomatik wieder einzuschalten.

Ich halte ihn seit all der Zeit nach wie vor in meinen Armen. "Loslassen" - was soll das sein, wie soll das gehen? Zumal alles, was ich seither versucht habe (und das war wirklich nicht wenig), misslungen ist, und zumal nun wieder einer, der mir was bedeutet, lebensbedrohlich erkrankt ist.
Und ich, ich lebe und lebe und lebe. Bin ich Ahasver, oder was? (Mein Mann hat mir einst eins seiner Lieblingsbücher geschenkt: "Der Liebhaber ohne festen Wohnsitz" von Fruttero und Lucentini.)

~~~~~~~

Wenn die Bilanz so bleibt wie jetzt, dann wird mir mein Tod gelingen (so hoffe ich inständig, und bitte ihn weiterhin jeden Abend und jeden Morgen, freiwillig zu mir zu kommen).
Abendstern
Beiträge: 621
Registriert: Montag 28. September 2015, 08:03

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Abendstern »

Orgeluse hat geschrieben:Ich habe während meines Studiums zwei Romane, viele Erzählungen und noch mehr Gedichte geschrieben und auch einen Preis dafür bekommen;
...
Der Verlag, der mir für den aktuellen Roman eine Publikationszusage gegeben hatte, hat vor drei Monaten abgesagt, weil er kurz vor der Insovenz steht.
Mir ist schon immer Deine Sprachqualität hier aufgefallen. Jetzt weiß ich auch, warum. :-)
Wäre es eine gangbare Alternative für Dich, Dein Buch im Eigenverlag herauszubringen? Auch wenn sich gerade alles gegen Dich verschworen zu haben scheint, aber das muß noch lange nichts heißen. Immerhin war der Verlag ja bereits von den Erfolgsaussichten überzeugt, sonst hätte er nicht zugesagt. Also scheint das Buch Potential zu haben. Jetzt muß man dieses "nur" noch entfalten und ich bin mir sicher, daß dies auch auf andere Weise möglich ist. Ich wünsche es Dir jedenfalls sehr.
Zuletzt geändert von Abendstern am Donnerstag 1. Dezember 2016, 02:06, insgesamt 1-mal geändert.
chris84

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von chris84 »

"Konrekt gestorben aber ist er an jenem Nachmittag an seinem allerersten Morphin-Tropf: Die zuständige Ärztin hat vergessen, nach einer Untersuchung die Dosierungsautomatik wieder einzuschalten."

Verstehe ich das jetzt richtig, also er starb an einer Überdosis weil der Morphin-Tropf zuviel bzw. ununterbrochen Morphin abgegeben hat?
Orgeluse
Beiträge: 864
Registriert: Dienstag 23. November 2010, 00:04

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Orgeluse »

Hallo, Abendstern,
Abendstern hat geschrieben:Wäre es eine gangbare Alternative für Dich, Dein Buch im Eigenverlag herauszubringen?
Nein.
Ich bin da ganz konservativ und ganz stur. selfpublishing ist für graue Schatten, aber nicht für meine Texte.
Abendstern hat geschrieben:Auch wenn sich gerade alles gegen Dich verschworen zu haben scheint, aber das muß noch lange nichts heißen.
Natürlich. Das ist alles nur ein Scheinen, ist alles nur blanke Einbildung: Tod des Liebsten mit knapp 47 aufgrund irrsinnigster ärztlicher Fehler - Zerkloppen meines Uni-Institutes mit dem Effekt, dass ich dort nicht mehr habilitieren konnte - Darmkrebs- und Psychose-Diagnose simultan bei meiner Schwester ein Jahr vor der Diagnose meines Liebsten - Wirbelsäulenbruch meiner Erzeugerin / Leberkoma wg. undiagnostizierter Hepatitis bei meinem Vater / Herzinfarkte / Suizide / Totgeburt vor meiner Geburt
und nun, in meinem neuen Lebensversuch: Absagen nach Zusagen, Rauswürfe nach Wahrheitsagen und Todeskrankheit nach fünf Jahren Therapie
- scheint sich alles gegen mich verschworen zu haben, lieber Abendstern. Aber soweit ich sehe, gibt es diese Verschwörung nicht. Vielmehr gibt es einfach nur all diese Fakten in meinem Leben.
Und all diese Geschehnisse sind einfach grauenvoll.
Und ich kann sie nicht mehr ertragen, ohne dass sie mich schädigen, beschädigen, tödlich beschädigen. Das ist vor einiger Zeit schon passiert. Nur dauert das mit dem Tod manchmal. Und in meinem Falle muss ich meinen Tod offenbar trotz aller Beschädigung selbst bewerkstelligen. Nachdem ich das mehrfach versucht habe und damit gescheitert bin (was Fachleute ratlos machte, weil ich hätte tot sein müssen), ist es nun wieder an mir. - Entsprechend angespannt bin ich.

chris84 hat geschrieben:Verstehe ich das jetzt richtig, also er starb an einer Überdosis weil der Morphin-Tropf zuviel bzw. ununterbrochen Morphin abgegeben hat?
Ja. Das ist die konkrete Todesursache.
Aber Du weißt ja selbst, dass bei Krebskranken nichts mehr wirklich "festgestellt" werden kann. Ich glaube, dass mein Mann an der Angst starb, an der Angst vor diesen entsetzlichen Schmerzen, gegen die von Anfang an kein Arzt was tun konnte (weil für sie nie eine Ursache gefunden wurde! Vermutlich entstand sie aus einem Gemisch von Morbus Crohn, krebsoperationsbedingten Verwachsungen, chemotherapeutischen Nebenwirkungen und psychischen Faktoren), an der Angst vor diesen nichts wirklich wissenden Ärzten, die auf die CT-Bilder starrten und alle irgendwas anderes darauf entdeckten, und an der Angst vor der Angst.
Jedenfalls hat im letzten Krankenhaus, in dem wir grad mal 24 Stunden waren, die letzte Ärztin, nachdem sie einen ersten Schall gemacht hatte, vergessen, den Perfusor wieder einzuschalten. Und dann ist mein Mann gestorben, sichtbar an den "klassischen" Morphium-Überdosis-Symptomen.
Ich war Zeuge. Ich hielt ihn im Arm. Er ist gestorben.

- Egal. Das ist jetzt sechs Jahre her.
Ich will nich mehr.
Peterchen
Beiträge: 742
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 13:02

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Peterchen »

Orgeluse hat geschrieben:Erstmal danke für Eure Antworten!
Peterchen hat geschrieben:Trotzdem halte ich es für vollkommen unwahrscheinlich, dass du an der Erkrankung deines Therapeuten eine Mitschuld trägst. [...] Und die meisten Herzkrankheiten dürften wohl eher organische als emotionale Ursachen haben.
Ja, klar. Ein Teil von mir denkt das auch.
Gleichwohl - fast alle Menschen, die mir etwas bedeutet haben oder noch bedeuten, sind an ziemlich exotischen Krankheiten beziehungsweise an therapiebedingten Komplikationen entweder schon zugrunde gegangen oder zumindest erkrankt. (Auch diese Herzkrankheit da jetzt bekommen maximal 1-2 % der Menschen).
Und ich, ich lebe und lebe und lebe und bin seit etwa 20 Jahren noch nicht mal mehr erkältet gewesen. (Was bei mir passiert, das sind kleinere Knochenbrüche an den Zehen, wenn ich damit irgendwo hängenbleibe, oder Kopfplatzwunden, wenn ich vom Fahrrad falle, weil ein Autofahrer seine Tür, ohne zu gucken, aufreißt - anatomisch-mechanischer Pippifax, mehr oder minder selbstverschuldet.)
Mir reicht's, dass offenbar fast alle, die mir etwas bedeuten, richtig scheyzzeschwer krank werden. Und ich kann mittlerweile nicht mehr umhin, da einen (vermutlich völlig irrationalen) 'Zusammenhang' mit mir zu sehen
Das ist wirklich unzulässiges Wort, aber durch einen selbstquälerischen Aberglauben macht man es noch schlimmer. Du bist ja intelligent genug, um zu merken, dass diese Gedanken absurd sind. Es gibt keine böse Ausstrahlung, die anderen Menschen exotische Krankheiten anhext, während man selbst gesund bleibt. Von daher würde ich mich da möglichst zum rationalen Denken zwingen. Bei dir hat sich einfach sehr viel unzulässiges Wort geballt. Statistisch ist es bei den vielen Menschen auf der Welt und der Häufigkeit von menschlichen Katastrophen leider nicht schwer zu erklären, dass es so etwas gibt :|

Wenn es trich "tröstet": Den flüchtigen Gedanken "Das kann doch kein Zufall mehr sein" hatte ich bezüglich meiner eigenen Situation auch oft genug. Da gab es nämlich auch so viele Korrelationen und Häufungen von unzulässiges Wort, dass ein abergläubischer Mensch längst an einen Fluch glauben würde. Immer wenn ich in den letzten 10 Jahren dachte, jetzt müsse endlich ein Boden erreicht sein, ging es noch weiter abwärts. Aber gerade in solchen Lagen finde ich ein materialistisches Weltbild befreiend. Da steckt kein böser Plan hinter, es ist einfach Zufall - in einer Welt, die halt nicht zu dem Zweck geschaffen wurde, dass wir glücklich werden. Dazu ein Zitat von Richard Dawkins, auch wenn es auf die Natur bezogen ist:

“The total amount of suffering per year in the natural world is beyond all decent contemplation. During the minute that it takes me to compose this sentence, thousands of animals are being eaten alive, many others are running for their lives, whimpering with fear, others are slowly being devoured from within by rasping parasites, thousands of all kinds are dying of starvation, thirst, and disease. It must be so. If there ever is a time of plenty, this very fact will automatically lead to an increase in the population until the natural state of starvation and misery is restored. In a universe of electrons and selfish genes, blind physical forces and genetic replication, some people are going to get hurt, other people are going to get lucky, and you won't find any rhyme or reason in it, nor any justice. The universe that we observe has precisely the properties we should expect if there is, at bottom, no design, no purpose, no evil, no good, nothing but pitiless indifference.
Nein.
Ich bin da ganz konservativ und ganz stur. selfpublishing ist für graue Schatten, aber nicht für meine Texte.
Kann ich gut verstehen und würde es wohl genauso halten :)
Orgeluse
Beiträge: 864
Registriert: Dienstag 23. November 2010, 00:04

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Orgeluse »

Peterchen hat geschrieben:Von daher würde ich mich da möglichst zum rationalen Denken zwingen. Bei dir hat sich einfach sehr viel unzulässiges Wort geballt. Statistisch ist es bei den vielen Menschen auf der Welt und der Häufigkeit von menschlichen Katastrophen leider nicht schwer zu erklären, dass es so etwas gibt [...]
Aber gerade in solchen Lagen finde ich ein materialistisches Weltbild befreiend. Da steckt kein böser Plan hinter, es ist einfach Zufall - in einer Welt, die halt nicht zu dem Zweck geschaffen wurde, dass wir glücklich werden.
Tja, liebes Peterchen (danke für das Dawkins-Zitat!),
was soll ich mit dem, was Du geschrieben hast, nun tun? Warum sollte ich mich "möglichst zum rationalen Denken zwingen"? Warum sollte ich ein "materialistisches Weltbild befreiend" finden?
Gezwungen habe ich mich unzählige Male - zum Durchhalten, zum Weitermachen, zum Wiederaufstehen, zum Tapfersein und sogar zum Hoffnunghaben.
'Befreiung' gibt es nur im Tod. Und da möchte ich hin, wenn meine Bilanz jetzt wirklich so bleiben sollte.

~~~~~~~

Die OP wird Anfang Januar stattfinden.
Eine jede Stunde dort auf der Couch ist eine Qual (und übrigens nochmals ein Sich zwingen). Es tut mir entsetzlich leid, dass ich meine Bilder nicht besser im Zaum habe, all diese grauenhaften Erinnerungen an diesen Krankenhaus- und Ärzte-Wahnsinn. Ich spreche dort davon natürlich nicht (es sind meine Bilder, beim Therapeuten wird alles ganz anders werden, so wie bei ihm sein Leben lang alles schon ganz anders war). Doch langsam weiß ich dort nichts mehr zu sagen. Und er ist mit der Situation, die ich ihm, so gut ich das vermochte, erklärt habe, logischerweise sehr unzufrieden.
Pech. Mal wieder schlicht Pech.

(Manchmal krieg ich kaum Luft inmitten all dieser Bilder, die ich doch so gut wie möglich wegzuschieben versuche. Sie haben mich damals, als es noch keine Bilder waren, sondern leibhaftige Wirklichkeit, als der Krebsfilm noch kein Film, sondern ein Kampf auf Leben und Tod war, bei weitem weniger 'angefasst' - und körperlich ist das tatsächlich, was da jetzt mit mir geschieht; ich kann nun wohl einigermaßen nachvollziehen, was PTBS-Kranke erleben.
Um ehrlich zu sein: Mir ist völlig unklar, wie ich durch die nächsten Wochen kommen soll. Aber noch gibt's ja das Muss!
Für das Buch habe ich noch nicht alles mir Mögliche getan. Und um das, was jetzt ist und noch eine Weile sein wird - das Warten -, auszuhalten, wird auch nur Arbeit hilfreich sein. Das aber ist das Dumme am Schreiben, jedenfalls bei mir: Mir fehlt im Moment jeglicher 'epische Atem' ... Nur Kleinkram geht, wenn überhaupt. Und der lenkt nicht lange genug ab.
Pech, mal wieder schlicht Pech.)
Horla
Beiträge: 113
Registriert: Sonntag 28. August 2016, 16:08

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Horla »

Orgeluse
Beiträge: 864
Registriert: Dienstag 23. November 2010, 00:04

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Orgeluse »

Sorry, falsche Adresse (aber danke für die kleine, liebenswürdige Aufmerksamkeit!).
(Mit Harry P. wusste ich nie etwas anzufangen. - Und es ist keinesfalls so, dass ich Fantasy rundweg nicht mag, mir ist kluge SF allerdings lieber. Beides indes ist nicht mein eigenes Genre.)

Übrigens, falls es hier noch andere vergeblich auf ihre Publikation wartende Schriftstellerinnen und Schriftsteller gibt: Hier ist die "Trostliste", die verzeichnet, wie häufig nunmehr berühmte Autorinnen und Autoren von Verlagen abgelehnt wurden (Rowling angeblich 12 Mal, das ist vergleichsweise wenig): http://www.andreaseschbach.de/schreiben ... liste.html
Abendstern
Beiträge: 621
Registriert: Montag 28. September 2015, 08:03

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Abendstern »

Orgeluse hat geschrieben:Hallo, Abendstern,
Abendstern hat geschrieben:Wäre es eine gangbare Alternative für Dich, Dein Buch im Eigenverlag herauszubringen?
Nein.
Ich bin da ganz konservativ und ganz stur. selfpublishing ist für graue Schatten, aber nicht für meine Texte.
Abendstern hat geschrieben:Auch wenn sich gerade alles gegen Dich verschworen zu haben scheint, aber das muß noch lange nichts heißen.
Natürlich. Das ist alles nur ein Scheinen, ist alles nur blanke Einbildung: Tod des Liebsten mit knapp 47 aufgrund irrsinnigster ärztlicher Fehler ... scheint sich alles gegen mich verschworen zu haben, lieber Abendstern. Aber soweit ich sehe, gibt es diese Verschwörung nicht. Vielmehr gibt es einfach nur all diese Fakten in meinem Leben.
Und all diese Geschehnisse sind einfach grauenvoll.
"Muß nichts heißen" war auf den momentanen Stop hinsichtlich Deines Buches bezogen. Ich wäre nie so vermessen, hier jemandes Leid relativieren zu wollen. Wirklich nicht.

Self-Publishing nur als Option für graue Schatten zu sehen - nun ja, muß jeder selbst wissen. Aber bevor ich ein Buch gar nicht herausbringe und infolge dessen mein Leben endgültig ad acta lege, würde ich persönlich es durchaus mit Self-Publishing versuchen. Aber nun gut, kann an meinen unternehmerischen Hintergründen liegen, die anderen vielleicht fehlen.
Horla
Beiträge: 113
Registriert: Sonntag 28. August 2016, 16:08

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Horla »

Orgeluse hat geschrieben:Sorry, falsche Adresse (aber danke für die kleine, liebenswürdige Aufmerksamkeit!).
Ok, na gut.

Wie wär's noch damit: Einfach abwarten, bis es vorüberzieht und es einem von selbst mal wieder besser geht. Essen, schlafen (wenn's sein muß, arbeiten). Einfach nur auf Autopilot funktionieren. Und keine Anforderungen an sich (oder eigene Leistungen) stellen. Einfach nur warten und überleben (z.B. indem man im Bett liegt und schläft oder die Decke anguckt), mehr muß gar nicht sein.
Orgeluse
Beiträge: 864
Registriert: Dienstag 23. November 2010, 00:04

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Orgeluse »

Abendstern hat geschrieben:Aber bevor ich ein Buch gar nicht herausbringe und infolge dessen mein Leben endgültig ad acta lege, würde ich persönlich es durchaus mit Self-Publishing versuchen. Aber nun gut, kann an meinen unternehmerischen Hintergründen liegen, die anderen vielleicht fehlen.
Ja, lieber Abendstern, da sind wir grundverschieden.
Ich bin in meinem früheren Leben Altgermanistin gewesen. Das sind die, die Bücher aus dem Mittelalter lesen. Die wurden damals auf Kuh- und Kalbshäute geschrieben, das sogenannte Pergament.
Für mich ist ein Buch ohne Verlag Onanie.
Horla hat geschrieben: Einfach abwarten, bis es vorüberzieht und es einem von selbst mal wieder besser geht. Essen, schlafen (wenn's sein muß, arbeiten). Einfach nur auf Autopilot funktionieren. Und keine Anforderungen an sich (oder eigene Leistungen) stellen. Einfach nur warten und überleben (z.B. indem man im Bett liegt und schläft oder die Decke anguckt), mehr muß gar nicht sein.
Lieber Horla, das versuche ich häufig, denn noch muss ich von einem Tag zum andern halten. Aber da ich das nun seit sechs Jahren versucht habe (weil ich mir in dieser Zeit eingebildet habe, dass ich nicht von eigner Hand sterben dürfe), weiß ich mittlerweile auch, dass da GAR NICHTS "vorüberzieht".
Nee. Es bleibt alles da. Und wenn du aus dem Bett steigst, wartet alles auf dich.
Nichts "zieht vorüber". Es bleibt alles da.
Peterchen
Beiträge: 742
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 13:02

Re: Bilanz und neuer Anlauf

Beitrag von Peterchen »

Orgeluse hat geschrieben:
Warum sollte ich mich "möglichst zum rationalen Denken zwingen"?
Na um diese zwanghafte Idee loszuwerden, dass du für den Tod anderer Menschen verantwortlich bist.
'Befreiung' gibt es nur im Tod. Und da möchte ich hin, wenn meine Bilanz jetzt wirklich so bleiben sollte.
Dem will ich nicht widersprechen. Aber gerade das Bewusstsein, dass dieser Weg offensteht, kann ja auch dazu führen, dass man noch mal etwas anderes probiert.
Ja, lieber Abendstern, da sind wir grundverschieden.
Ich bin in meinem früheren Leben Altgermanistin gewesen. Das sind die, die Bücher aus dem Mittelalter lesen. Die wurden damals auf Kuh- und Kalbshäute geschrieben, das sogenannte Pergament.
Damals ging es auch ohne Verlag ;)
Antworten