Die letzten Tage bis zum Ende

Für alle, die ihre Lebensprobleme und Schickale mit anderen teilen möchten

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

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Azra81
Beiträge: 9
Registriert: Mittwoch 7. September 2011, 22:57

Die letzten Tage bis zum Ende

Beitrag von Azra81 »

Ich habe mich entschieden. Nach Jahren des Kampfes gebe ich endlich auf. Die Entscheidung war eine Befreiung.
Wenn ich eine Wahl hätte, würde ich lieber glücklich und zufrieden weiterleben. Aber das habe ich so viele Jahre versucht und bin jedesmal gescheitert. Ich habe Hilfe gesucht. Doch inzwischen ist es zu spät. Die Liste der Antidepressiva, die ich bereits ausprobiert habe, ist lang. Meine Therapeutin meint ich wäre "austherapiert", ich wüsste alles, wäre reflektiert und sie könne mir nicht weiterhelfen. Mein Psychiater meint, er wisse auch nicht mehr weiter, außer geschlossene Psychiatrie fällt ihm nichts mehr ein. Aber da ich ja so "gebildet und reflektiert" bin, mein äußeres Leben im Griff habe, glaubt er nicht, dass das wirklich notwendig ist. Ich will auch nicht in die Psychiatrie. Die hat mir damals auch nichts gebracht.
Ich bin kaputt, mein Leben ist bestimmt von Schmerz. Und man sagt mir, dass mir nicht mehr zu helfen ist. Warum sollte ich dann noch weiter machen?
Zumal ich jeden Tag, den ich weiter vor mich hin vegitiere, nicht nur mich selbst verletze, sondern auch mein Umfeld. Denn die Personen, die mir Nahe stehen, merken doch, dass es mir schlecht geht. Aber sie können mir nicht helfen und das verletzt sie auch.
Deshalb habe ich mich entschlossen.
Ich habe mich vorbereitet. In Ruhe und gewissenhaft. Informiert, Dinge geklärt und ein Datum ausgewählt, dass es mir ermöglicht sicher vor einem zu frühen und gleichzeitig sicher vor einem zu späten Auffinden zu sein. Außerdem habe ich darauf geachtet, dass dieses Datum auch für meine engsten Vertrauten "passend" ist (Dienstpläne, Urlaub, Geburtstage etc.).
Doch bis dahin sind es noch ein paar Tage. Und die Zeit bis dahin, die ist schwerer als ich glaubte.
Meine Gefühle drehen Achterbahn.
Ich bin entschlossen, ich will sterben. Aber ich habe auch Angst. Angst davor, dass es nicht klappt. Das wieder etwas schief geht.
Angst davor, dass ich Menschen, denen ich etwas bedeute, so sehr verletzen werden, dass ich sie mit in diese Untiefen ziehe.
Angst davor, dass ich in meinen letzten Minuten so unendlich alleine sein werde.
Angst davor, dass ich für diese Tat doch in irgendeiner Art noch bestraft werde. Ich glaube zwar nicht wirklich an eine Hölle, aber ich wurde christlich erzogen und der Gedanke, dass ich eine Todsünde begehen werde, nagt dennoch an mir.
Bin ich die Einzige, die solche Ängste aussteht?
Auch mein Alltag bis dahin weiter zu führen, fühlt sich so unheimlich falsch an. Ich gehe weiterhin zur Arbeit, rede mit meinen Freunden und Familienangehörigen. Und ich lüge sie alle die ganze Zeit an. "Ja klar, wenn der Film rauskommt, komme ich mit ins Kino". Nein, werde ich nicht, denn dann bin ich nicht mehr da.
Manchmal sitze ich beim Mittagessen neben meinen Kollegen und würde am liebsten schreien "Seht ihr es denn nicht, seht ihr nicht, wie ich verzweifle?"
Manchmal lasse ich Andeutungen fallen und könnte mir anschließend selbst auf die Zunge beißen. Aber sie werden ja eh nicht wahrgenommen. Vielleicht zum Glück.
Stündlich sage ich mir, zieh es vor, mach es jetzt, gleich, morgen. Aber ich habe den Termin festgelegt, um eben nicht wieder irgendwelche Fehler auf Grund von Aktionismus zu machen. Dennoch... die Tage ziehen sich.
Hat hier jemand ähnliche Erfahrungen gemacht? Wie ergeht es euch, wenn der Entschluss steht und die Planung abgeschlossen ist?
Leggingshanger
Beiträge: 37
Registriert: Dienstag 16. September 2014, 22:49

Re: Die letzten Tage bis zum Ende

Beitrag von Leggingshanger »

Ja ich kenne das, ist hart jemandem ins Gesicht lügen zu müssen, auch deine Ängste kann ich nachvollziehen.
Hart ist es drauf zu warten, dass der Tag kommt.
Das "Danach" ist auch für mich die große Unbekannte.
Und ich habe auch Angst vorm Alleinsein dabei, aber der Tod ist nun mal sehr persönlich.
Und es ist schlimm nicht einfach sagen zu können, was wirklich sein wird, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen
Azra81
Beiträge: 9
Registriert: Mittwoch 7. September 2011, 22:57

Re: Die letzten Tage bis zum Ende

Beitrag von Azra81 »

Und ich habe auch Angst vorm Alleinsein dabei, aber der Tod ist nun mal sehr persönlich.
Ja, das ist er. Ich halte auch nichts von gemeinsamen Suizid, da dabei eine seltsame Gruppendynamik entstehen kann und einer sich dann tötet, obwohl er es gar nicht wirklich will.

Aber ich würde mir jemand wünschen, der bei mir ist in den letzten Minuten. Der meine Hand hält, der Verständnis für meinen Wunsch hat. Der aber weiter lebt und damit auch leben kann. Eine Art Sterbebegleiter.
Doch das wäre in Deutschland verboten, da es unterlassene Hilfeleistung wäre, zumindest im Fall von Suizid.
MoF
Beiträge: 76
Registriert: Mittwoch 30. Mai 2012, 06:01

Re: Die letzten Tage bis zum Ende

Beitrag von MoF »

Ich hab es schon mal getan (leider nicht geklappt, wie man sieht ;-)) und hatte damals nur ein unglaubliches Gefühl von “Befreiung“ in mir. Keine Angst mehr, auch nicht vor dem Tod, nur vor dem Überleben (berechtigterweise).
Das Anlügen anderer Menschen habe ich so gar nicht empfunden. Es gehörte einfach zum Plan, ich spielte meine Rolle weiter, die von mir erwartet wurde. Wenn ich mit anderen über einen Zeitpunkt sprach, an dem mir klar war, dass ich nicht mehr sein würde, habe ich innerlich gelächelt.

Eine negative Gruppendynamik im gemeinsamen Suizid entsteht aber nur dann, wenn man tatsächlich jemand anderen dazu überreden sollte. Finden sich aber zwei Gleichgesinnte, die völlig frei ihre Entscheidung treffen, ist das meiner Meinung nach absolut in Ordnung. Nicht jeder geht gern allein.
Azra81
Beiträge: 9
Registriert: Mittwoch 7. September 2011, 22:57

Re: Die letzten Tage bis zum Ende

Beitrag von Azra81 »

Ich habe es nicht geschafft, mal wieder.

Etwas hält mich auf, jedesmal. Ich vermute mein Überlebensinstikt gepaart mit schlechtem Gewissen, denn ich weiß, dass ich meiner Familie und meinen Freunden schade.

Also habe ich mir gesagt, ok, du bist schon wieder an dir selbst gescheitert. Jetzt hol dir Hilfe, sonst wird es nicht besser.
Also bin ich zum Arzt und habe ihm gesagt, dass es mir psychisch sehr schlecht geht und ich Hilfe brauche. Der hat mich einfach krank geschrieben. Das hilft mir aber nicht weiter. Ich habe ihm das auch gesagt, er meinte nur, dass ich doch vernünftig genug sei, er sieht mich nicht in der Psychiatrie. Ich solle aber mal meinen Psychiater aufsuchen.
Als ob ich da nicht schon drauf gekommen wäre. Der ist aber seit über zwei Monaten krank und es sieht nicht so aus, als ob er zurückkommen würde. Sein Vertreter hat keine Zeit, nur für das Ausstellen von Rezepten.
Also habe ich heute die psychiatrische Ambulanz angerufen. Habe gesagt, dass es mir sehr schlecht geht und ich Hilfe brauche. Aber die nehmen in nächster Zeit keine Patienten auf, da sie voll sind. Sie nehmen nur noch Patienten auf, die aus der geschlossenen Psychiatrie kommen.
Also was soll ich bitte machen, damit man mir hilft? In die geschlossene Psychiatrie gehe ich sicher nicht freiwillig. Die schießen mir lediglich meinen Verstand mit Medikamenten weg. Das brauch ich nicht und hilft mir auch sicherlich langfristig überhaupt nicht.

Wenn man in so einer Situation es noch schafft sich aufzuraffen und zu sagen, ich brauche Hilfe und läuft dann nur vor verschlossene Türen. Kein Wunder, dass wir dann vergleichsweise hohe Suizidraten haben.

Also... Danke liebes Gesundheitssystem. Was bleibt mir da wohl anderes übrig...
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