Letzte Runde

Für alle, die ihre Lebensprobleme und Schickale mit anderen teilen möchten

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Orgeluse
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Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

Seit 171 Wochen, Dreieinviertel, bald Dreieindrittel Jahren wiederholt sich immer mal wieder all das

der Schmerz
das Schwarz
des Liebsten Krepieren (was auch ein An-mir-Krepieren war)
all die nachträgliche Selbsterkenntnis

- jetzt ist wieder alles unterwegs, letzter Lauf, letzte Bahn.
Letzte Runde.

So hoffe ich, denn es gibt nichts mehr zu erkennen (gab's eh wenig: dass ich ein Monster bin und warum, wusste ich ansatzweise schon vor seinem Tod). Der "Therapeut" textet mich mit cineastischen Lustbarkeiten zu, oder er schweigt - wie ich, seit langem meist.

Und nun also wieder der schwarze Sturm. Wieder.
Jetzt, jetzt tut es so weh wie allenfalls damals, direkt nach seinem Tod - nur dass ich da nicht bei mir war, sondern in dem Todsein da von ihm und allem was das heißt wenn einer tot ist und all der Unbegreiflichkeit. Nun bin ich eher hier, bei mir. Und der schwarze Sturm tut jetzt schon - dabei zieht er gerade erst wieder auf - weh wie nie.
Wie nie.
Und: Er tut gar nicht mehr weh - andererseits.

Letzte Runde.
Ich habe mich gelöst, losgesagt von fast allen.
In anderthalb Wochen habe ich die längst überfällige Coloskopie. Dank meiner Schwester - nein: dank unserer Eltern, die uns ins Leben pressten und dann dort zu Dörrpflaumen, bin ich Darmkrebsrisikopatientin, und nun bin ich ein Jahr älter als der Liebste und ein Jahr jünger als meine Schwester, als die jeweils die Diagnose erhielten, nun also fände ich es aus vielen Gründen so richtig, wenn ich die Diagnose erhielte in ein paar Tagen und dann fahre ich ans Meer. Das nunmehr in unserer, des Liebsten und meiner Wohnung ist.

Letzte Runde.
Wenn nicht der Krebsbefund (und wie soll der nicht sein?), dann halte ich den schwarzen Sturm trotzdem nicht noch einmal aus.

Mich ekeln die Menschen so an, und da ich noch ein wenig Mensch bin, auch ich mich.

Ich kann nicht mehr, kann mich nicht mehr zusammennehmen, nicht mehr lächeln, wo ich doch uns ins Gesicht schlagen möchte und allen Eltern und allen Göttern.

Ich kann nichts mehr festhalten (nur des Liebsten Leben und Tod, die und mein Versagen in beidem, die SIND), doch ich versuche festzuhalten, dass ich nicht mehr kann.
Irgendwann werde ich das dann wirklich nicht mehr können. Und nun - nein: Nicht noch einmal der schwarze Sturm. Nicht noch einmal all die Fragen. Nicht noch einmal all die Schuld. meinemeinemeine

Der Liebste ist 171 Wochen tot, 170 Wochen begraben. Seine Augen sind zertrocknet, seine Lippen kleben allenfalls als dünner Hautstreif über seinen Zähnen, er hat keine Wangen mehr, keine Ohren, keine Nase und seine Hände sind Knochen. Vermutlich liegt er noch in irgendwelchen Leichenwässern in diesem Sarg. Doch all sein Fleisch ist geschwunden oder fault noch im Schwinden.
Er - er ist seit 171 Wochen nicht mehr. Und er war schon davor ein anderer geworden, wie ich auch.

Er fehlt mir. Er beginnt mir zu fehlen - in einem Ausmaß, das ich nicht noch einmal ertragen werde.
Rasiel
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Rasiel »

Hallo Orgel,

ich würde gerne schreiben "schön von dir zu lesen" - aber das was ich lese hört sich nicht gut an.

Schuld -- von was für einer Schuld sprichst du ??

Das die Trauer, der unsagbare Schmerz immer und immer wieder kommt, kenn ich nur zu gut.
Die Trauer ist wie ein Schatten, der dich dein ganzes Leben begleitet, verfolgt und oft dann, wenn du am wenigsten damit rechnest, anspringt.

Das du die Diagnose Darmkrebs bekommst...meine Liebe.....das nennt man Wunschdenken.
Wenn du dich dem Tod nähern willst, dann doch bitte ohne Leiden oder?
Und wenn du die Diagnose dazu brauchst...dann hast du noch Zeit.

171 Wochen haben dich nicht weiter gebracht, kein Stück, kein Stück deines Trauerwegs, wahrscheinlich hast du dich an etwas festgehalten, ohne zu merken, dass es dieses "Etwas" nicht mehr gibt in deiner Verzweiflung.

Selbsterkenntnis, liebe Orgel, wie sieht die aus. Hast du erkannt, dass dieser Drang schon lange vor dem eigentlichen Tod, auch schon vor dem gemeinsamen Leben existiert hat ?

Mit deinem eigenen Tod hört der Schmerz auf (nehme ich mal an) - aber auch alles andere.
Für andere beginnt der Schmerz, für all die, die dich vermissen, so wie du vermisst hast.

Mich ekeln auch viele Menschen an, aber eben nicht alle, warum auch.
Würden mich alle Menschen anekeln, so läge das wohl an der Unfähigkeit zu leben.

Dein Therapeut ist blind, er erkennt dich nicht, er lässt sich von dir so beeinflussen, das er dein wahres "Ich" nicht sieht, er kann den Knoten nicht lösen, dein abgrundtiefes Leid, das schon immer in dir war, wird von ihm nicht erfasst.
Und ich glaube liebe Orgel darauf bist du stolz.

Solltest du dich aufmachen für deine letzte Reise, wenn du dabei bist, deine letzte Rund zu drehen, so wünsche ich dir Erfolg, Erfolg, den du im Leben für dich nicht aufbringen konntest.....
Erfolg zum Leben!

Ich wünsche dir, dass deine Leiden, dein Schmerz so vergehen wie du und dein Körper, du hast den Vorgang in deinem Beitrag so schön beschrieben.

Trotzdem liebe Orgel.....es ist ein Aufgeben, und das tut mir leid.
Orgeluse
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

"Es ist ein Aufgeben".

Ja.

Waffenstrecken. Liegenbleiben. Defätismus. - Wie auch immer es genannt wird.
Leben ist für solche wie mich Kampf, und ich kann nun offenbar doch nicht mehr.

Auf den Darmkrebs hoffe ich (und ich fürchte ihn, fast so sehr wie mich). Er kommt (das an die, die glauben, es gäbe Warnzeichen) unbemerkt, wächst und wächst, und wenn er dann Symptome macht, dann ist er weit gediehen. Und über Symptome schreibe ich hier nichts. Alles kann auch "nur" psychisch sein. Jaja. (Das an die, die an Krebswarnzeichen glauben.)


Ja, liebe Rasiel, ja. Das hast Du in Deiner mich immer wieder Staunen machenden Intuition klar erkannt: Schon vor allem, vor aller Liebe, war bei mir der Tod. Ja. Und es war mein Fehler zu glauben, dass von der Liebe das Vorher gelöscht würde.
Vermutlich ist auch daran der Liebste krepiert, an meinem Vorher. (Das ist ein Teil der Schuld, die ich habe.)

Mein Therapeut - ja und nein. Auch das hast Du gut gesehen (und ihn). Weißt Du, ich bin so schwarzer Sturm, bin so vernichtend, dass der sich seiner Haut erwehren und deshalb weit, weit von mir fortblicken muss. Ich bin um seinethalben froh, dass er das kann. Seit ein paar Stunden warte ich darauf, dass wir aufhören. (Ich habe mir, begründet, versprochen, diese Therapie nicht "abzubrechen", nicht allein.)
Ich weiß nicht, was ich machen werde, wenn jetzt kein Krebsbefund kommen sollte. Dann wird der schwarze Sturm nicht vorbei sein. Dann wird er erst wieder richtig anfangen.
_______________


Gestern wollte ich den Himmel zerkratzen und die Sonne verdörren lassen. (Ich bin so irrsinnig froh, dass ich dergleichen nicht kann. Und ich möchte gern den sprechen, der da oben diesen Himmel hingepinselt hat und in mehr oder minder rhythmischem Wechsel Wolken, Sonne und Mond dran aufhängt - ich möchte dem die Augen, die Hände, das Hirn eines Menschen geben, eines MENSCHEN. - Ja, ich weiß: Auch ich bin monströs und gemein.
Bin ich "stolz" darauf? Ja, vermutlich. Auch das, liebe Rasiel, spürst Du genauer, als ich es mir einzugestehen bereit bin.)
Rasiel
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Rasiel »

Mensch Orgel,

ich antworte dir morgen, heute kann ich nicht. Muss immer erst verdauen.
Lass dir aber gesagt sein, das es mich egal wie ich es dreh und wende sehr traurig macht.
Aber das ist vollkommen wurscht....... nur schade, das man (ich) dir und das weiss ich, nicht helfen kann.
Denn eines kann ich nachempfinden, die Sche.... Trauer, dieser Schmerz der in einem tobt und doch nie einen Ausgang findet.
Bis morgen !!
Orgeluse
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

Hey, liebe Rasiel,

kein Stress, und bitte: Wenn Dich hier was traurig macht - einfach nicht mehr lesen.

_______________

Orgeluse knickt ein. Heute kam eine Mail vom Schwiegervater. Offenbar war meine letzte an die Schwiegereltern langsam maskenlos. Dabei schrieb ich nur über die Farce, die mein Radunfallprozess ist, über die anstehende Koloskopie, und am Ende schrieb ich, dass ich den Liebsten entsetzlich vermisse. - Das, letzteres, schrieb ich seit wann auch immer nicht mehr.
Eine Viertelstunde später rief Schwiegermutter an und textete mich zu (samt Blödsinn: Ihr war entfallen, dass wir vor sechs Wochen während ihres einwöchigen Krankenhausaufenthalts täglich miteinander telefoniert hatten, ja: dass ich überhaupt etwas davon mitbekommen hatte - nuja, kann vorkommen mit 80).
Heut, paar Tage später die Mail vom Schwiegervater. Hilflos: Ich möge doch meinen Alltag nach meinen Vorstellungen gestalten können! Aha. (Das kann ich seit dem 5. August 2009 nicht mehr und davor auch nur sehr eingeschränkt). Und dass ihm sein Sohn auch so sehr fehle. - Ja, was soll das denn?! Machen wir nun einen Überbietungswettbewerb?

Man darf nicht schreiben, was man fühlt. Ich darf das nicht.

Dann halt nicht mehr. Dann knick ich diesbezüglich halt nicht mehr ein. Das schaff ich auch noch. Dann halt keine Telefonate mehr und keine E-Mails und nicht all das Heitschibumbeitschi (die haben sich, die haben noch einen Sohn, die haben drei wohlgeratene Enkel).

Ich knick jetzt nicht mehr ein.
Letzte Runde! (Und auch diese verschissene "Therapie" krieg ich noch aufrecht zu Ende! Jener "Therapeut" droht mir, wenn ich dort ehrlich bin, oder er wirft mir zumindest "Destruktivität" vor. - Dann halt Schweigen! Für gut 80 Euro die Stunde! Die steckt der glatt ein, obwohl er so dermaßen großbürgerlich ist, dass er gar nicht mehr arbeiten müsste - die steckt der glatt ein. Soll er, bis zum Ende! Ich, ich breche diesen Affenzirkus nicht ab. Ich habe genug Affenzirkusse in meinem Leben schon abgebrochen - den nicht! Der ist bald "dank" Krankenkasse zuende.)

Letzte Runde.
Mir ist sowas von schlecht ob all dieses Menschenmists.
Rasiel
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Rasiel »

Liebe Orgel,

was für ein Tag heute.

Meine Liebe, es wäre ja noch schöner, wenn ich, nur weil mich was traurig macht, nicht mehr lese.....hallo !!!!........das Leben ist kein Zuckerschlecken und ich halte das durchaus aus :wink:

Und du kannst weiterhin einknicken wenn, du deinen Schwiegereltern eine Mail schreibst.... aber auch sie dürfen einknicken und ein wenig befremdlich (Achtung Alter) reagieren mit 80 Jahren und nach dem Verlust ihres Sohnes.
Schon klasse, dass du 80-Jährigen eine Email schreiben kannst, super.

Nein mal ehrlich, auch die haben verdammt daran zu knabbern, dass ihr Sohn starb, dabei ist es vollkommen egal, wie viel weitere Kinder sie haben und wie viel Enkel, dieser "Eine" fehlt.
Weißt du Orgel, ich könnte jetzt auch gemein sein und sagen, was stellt sich die Orgel wieder an, es gibt doch noch andere Männeken die man haben kann.

Tu ich aber nicht, weil Menschen nicht zu ersetzten sind, wenigstens nicht die, die wir lieben.

Also hab ein wenig Nachsicht - wie sagt man - erst alt dann ein bisschen doof !

Dir jetzt anzuraten den Therapeuten zu wechseln, kommt nicht so gut oder ??

Sei`s drum, versuch durchzuhalten.......allerdings weiß ich nicht wie lange.

Aber....ich weiß, dass du was vor hattest und scheinbar hast du keinen Bock mehr, das zu verwirklichen und das finde ich sch........., denn ich war so was von gespannt darauf (ich habe es nicht vergessen).

Wie sieht es aus, wäre das nicht ne Alternative zur Therapie bevor du den Abflug machst.

Grüßle :D
Orgeluse
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

Liebe Rasiel,

für Deine Unerschrockenheit meinen Dank!

Dass mein Schwiegervater nach des Liebsten Tod und im zarten Alter von 80 vor drei Jahren tatsächlich begonnen hat, sich ein internetales Dasein samt E-Mails zu schaffen - er, der nie mit einem Computer gearbeitet hat -, nötigt mir höchsten Respekt ab (und manchmal auch einiges an Nerven :mrgreen: : Uns trennen ja 750 Kilometer - ich kann also nur via Telefon und aus der Ferne Hilfe zu leisten versuchen, wenn's hakt; und da er andere Programme benutzt als ich [ich hab die jetzt alle selbst geladen, kenn mich aber dennoch nicht gut damit aus, weil ich sie nur benutze, wenn er wieder einen Notfall hat], stoßen meine Hilfeleistungsversuche oft und rasch an ihre Grenzen, und dann sind wir beide frustriert). Mittlerweile aber kommt das immer seltener vor, weil er echt fit ist. Der Liebste wäre stolz auf ihn ...

Zu meinem Vorhaben: Das wird demnächst fertig, im März, wenn alles gut geht. (Das andere: Da bin ich von 100 Texten runter bei 47: Für jedes Lebensjahr eins; die habe ich zusammen, ich muss nur die überzähligen irgendwann aussortieren.)
Doch trotz aller Versuche ist bislang nichts an Feedback gekommen (außer privatem; eins davon war derartig ekelhaft, dass die "Freundschaft" darüber zerbrach: Ich solle daraus eine 'Reportage' machen, das könne eine 'Sensation' werden; mir wurde richtig, richtig schlecht damals) - und so ganz ohne jede Form von sozialer "Anerkennung" zu arbeiten, ist auf die Dauer einfach nur zermürbend. (Mal abgesehen davon, dass die Finanzdecke langsam mehr aus Löchern als aus Stoff besteht.)
Ich habe mich jetzt gerade nochmal mit einer neuen Idee um was beworben (das wäre dann ein weiteres "Großprojekt" - jaja, Anfang des Jahres hatte ich offensichtlich so eine Art "manischen Schub", ohne bipolar zu sein: In einer Woche sind zwanzig Seiten Arbeitsprobe entstanden und mir ging es so gut wie noch nie seit des Liebsten Tod. Dafür knallte ich danach auch bald so richtig auf die psychische Fresse, und jetzt gehe ich ganz sicher davon aus, dass auch das wieder scheitern wird, weil bei mir alles scheitert [sogar fremde Leben]. Und es tut mir fast leid, den Juroren Arbeit zu machen, aber die werden den Krempel schnell aussortieren).

Wie auch immer: Was ich mir damals vorgenommen habe, ziehe ich auch bis zum Ende durch (dauert ja nicht mehr lang: der tägliche Kampfruf lautet "MÄRZ"!), sofern mir der Tod nicht dazwischen kommt (und wenn er nun ungerufen käme, wäre ich sehr dankbar).

Sei herzlich gegrüßt
Orgeluse, die hofft, dass es Dir und Deinen Lieben gut geht!
Orgeluse
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

Es sieht viel besser aus, als ich dachte.

Die Darmspiegelung hat zwei Polypen erbracht - so etwas hat man mit 46 dort nicht. Und die Spiegelung war wenig erfolgreich, weil das neue Vorbereitungspräparat versagte: das Colon ascendens war in manchen Partien nicht wirklch einzusehen. (Da kann also noch so richtig was übersehen worden sein.)
Der Gastroenterologe riet zur Kontrollkoloskopie in 3 Jahren (eigentlich in 10, wenn Polypen in 5, in manchen polypösen Fällen in 3 Jahren und in einigen anderen Fällen auch schon nach 2 bis 6 Monaten - beim Liebsten war aus einer polypösen Struktur binnen gut 14 Monaten ein 6 cm großes Karzinom übelster Sorte gewachsen) - die 3 Jahre find ich echt großzügig anberaumt, mehr geht krankenkassentechnisch vermutlich nicht.

Die Histologie hat nun aber sogar noch mehr erbracht, als nur die präkanzerogenen Polypen (dennoch soll ich in 3 Jahren zur Kontrolle wiederkommen): irgendein Ding, das selbst ich Orgel nicht mehr ergoogeln konnte und das weitere Gewebeuntersuchungen anhand der abgenommenen Probe erforderlich macht.
Liegt also doch nicht der "Du wirst biologisch mindestens 85 Jahre alt!"-Fluch meiner Erzeugerin auf mir, sondern, wie schon in meiner Schwester, ein früher Tod. Bei meiner Schwester ist dieser Tod in Gestalt des Darmkrebses bereits vor 6 Jahren aufgeblüht (und er blüht und blüht und blüht sich derzeit aus). Bei mir knospt dieser Tod derzeit noch zart. Doch eins ist klar: Ich habe den gleichen Genschrott wie meine Schwester erhalten.

Meine Schwester hat dank ihrer Psychose all den medizinischen Terror bislang überlebt. Anders als der Liebste, der binnen 15 Monaten durch seinen Darmkrebs (nicht AN ihm!) krepiert ist. Um sowas zu überleben, braucht man offensichtlich eine ausgewachsene Psychose.

Die habe ich nicht und die werde ich nicht mehr bekommen. Darf ich also doch demnächst ans Meer.

Zuvor: Roman zuende schreiben (dauert nicht mehr lang) und Gedichtband zusammenstellen (geht noch schneller).
Und dann vielleicht noch den zweiten Roman (der in meiner Gesamtlebenszeit dann eigentlich der vierte wäre) anfangen - was soll man tun außer schreiben, während man stirbt?
Rasiel
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Rasiel »

Liebe Orgel,


nach wie vor will ich dir nicht die Tage versauen, aber das mit dem Genschrott - vergiss es :wink:

Und was deine zwei harmlosen Polypen angeht, mit denen kannst du locker die 100 Jahresgrenze sprengen. Du siehst das Leben ist nicht fair.

Nun das du erst in 3 Jahren wieder zur Vorsorge musst sagt alles und das obwohl nicht jede Windung gesichtet wurde.

Lass dir also Zeit beim "schreiben", geniesse jetzt einfach mal den Frühling, dein Liebster braucht dich dort, wo er ist nicht.

Was war bei deiner Schwester zuerst da - der Krebs oder die Psychose ?
Orgeluse
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

Liebe Rasiel,

zur Erinnerung: Beim Liebsten wurde innerhalb von knapp 15 Monaten aus etwas, das der Arzt nach der Koloskopie "polypöse Struktur" nannte (das also noch nicht einmal ein Polyp war) ein 6 cm großes Karzinom (vom Siegelringzelltyp: Das sind die aggressivsten Krebszellen; hatte mein Vater in der Blase, ich weiß also wirklich, wovon ich rede). Die Pathologen haben damals in den vielen Proben nichts enteckt ...
Und es ist derselbe Arzt - vielleicht hat der ein Problem mit mir als Patientin und blendet was aus; unsere Konversation war jedenfalls etwas schleppend. Vielleicht geben die Regeln der gesetzlichen Kassen auch vor, dass frühestens in 3 Jahren erneut die relativ kostenintensive Untersuchung vorgenommen werden kann.

Meine Histologie ist eindeutig: Der Polyp ist weder "harmlos" noch bereits ein Krebs (es gibt 5 verschiedene Polypen-Arten, meiner gehört zu den drei sogen. präkanzerogenen, also zu denen, aus denen gern Krebs wird). Die Pathologen haben diesmal noch was gefunden, das jetzt noch nachuntersucht werden muss, das Ergebnis liegt noch nicht vor.
Dass diese Krebsart bei meiner Schwester und mir genetisch mitbedingt sein muss, steht jetzt ziemlich fest.

Ich fände es fast völlig in Ordnung, wenn ich durch eine Krebsdiagnose nun einen handfesten Sterbensgrund hätte (fast: Weil mir das Sterben immer noch Angst macht - und weil ich gern mein eigener Sterbensgrund wäre, gern also intrinsisch statt extrinsisch motiviert sterben würde!).

Zu meiner Schwester: Erst wurde die akute Psychose diagnostiziert, fünf Tage später wurde der weit fortgeschrittene Darmkrebs bei einer Koloskopie entdeckt.


Jetzt ist der 4. Frühling ohne ihn - ich hasse diesen beschissenen Sonnenschein und dieses noch viel dreckigere Glücksgrinsen auf den Gesichtern, und der Hass wird von Jahr zu Jahr größer.

Orgel
Orgeluse
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

Der stillen Hand, die hier immer wieder sanft Fenster putzt und Bücher abstaubt, einen Dank!

Orgel

(hat nichts mehr von dem Lymphfollikel gehört, der den Pathologen in ihrem Darm irritiert hat, weiß, dass sie danach fragen müsste, weil es in Vergessenheit geraten ist, und wird dergleichen nicht mehr tun, sondern dann, bald

ans Meer fahren!

Nichts schaffe ich noch. Nichts steht mir mehr zu. Alles verendet, scheitert, verstummt. Nichts. Mittlerweile ist mir klar, warum: Ich hätte nie ich sein sollen. Ich war als ein anderer geplant. Der starb bei seiner Geburt, und 10 Tage&ein Jahr vor meiner.

Seither bin ich ein tödliches Echo des Rhythmus', den meine Erzeuger aus ihren beiden analphabetischen Herzklappen in die Aminosäurengrütze zu zucken vermochten, aus der dieses ihr Zucken mich 9 Monate später in die Welt würgte.
Bin ein tödliches Echo: Einen habe ich schon umgebracht, eine andere fast, und mancher mag mir nicht klar sein von meinen Toten.)


Ach so: Der Roman - ich hatte damit gerechnet, heute mit ihm fertig zu werden. Ich habe mich getäuscht. Morgen werde ich ihn zuende erzählt haben.
Und das wird so sinnlos wie alles gewesen sein, was in meinem Leben war. - Selbst die Liebe, die ich dem Liebsten und nur ihm war: Sie war sinnlos - schlimmer noch: Sie hat ihn umgebracht. Er sah das anders. Ich weiß. Aber am Ende sah er alles nur noch unter Schmerzen und in Angst (und niemand mehr wusste: Wo ist der Krebs, - -- niemand - auch deshalb diese irrsinnige Angst!).

Den Roman und die Lyrik werde ich zu ihrem Ende bringen.
Stummfilm
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Stummfilm »

Ich glaube, dich in einem anderen Psychoforum gesehen zu haben.
Orgeluse
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

Findest Du, dass das etwas wäre, wozu ich Dir gratulieren sollte, Stummfilm?

Die Antwort hätte ich übrigens gern Deinem Namen gemäß, das wär' toll!

Orgel
Rasiel
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Rasiel »

Liebe Orgel,

was ist los mit dir, ich verstehe überhaupt nicht mehr was du schreibst sorry, alles sooooo verwirrt.

Was sind das denn für Gedankengänge die du hast, steckst du in einer Psychose ?
Orgeluse
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Re: Letzte Runde

Beitrag von Orgeluse »

Mit Verlaub, liebe Rasiel,

nur weil Du nicht verstehst, was ich hier schreibe, und ich Dich und die anderen hier zuvor davon in Kenntnis setzte, dass meine Schwester Psychotikerin ist (was eine gewisse, wissenschaftlich ungesicherte, familiäre Disposition implizieren könnte), heißt das nicht, dass ich jetzt eine psychotische Episode erlebe.

Tut mir leid, damit kann ich bislang noch nicht dienen. Und ich bin mir relativ sicher, dass ich das auch künftig nicht tun kann: Zur Psychose gehört eine Form von Kontrollabgabe, die mir nicht möglich ist (ich bin diagnostizierte Zwangsneurotikerin).

Womit ich aber nicht mehr 'dienen' kann, das ist: Immer nur Blahblah zu schreiben an Stelle dessen, was ich schreiben möchte. Weißt Du, liebe Rasiel, je länger ich fern von menschlicher Normalität lebe (und das heißt nicht, dass ich in psychischer Krankheit lebe!), umso mehr wird mir bewusst, dass "Verstehen" unter Menschen meistens weit hinter den menschlichen Möglichkeiten zurück bleibt und sich auf das Schwanzwedeln von Hunden beschränkt. (Ich weiß, dass Du Hunde hälst; wisse, dass ich keine Hunde mag.)

Wenn Du mich also nicht verstehst, dichte mir doch bitte keine Psychose an. Das mache ich ja auch nicht bei Dir. (Und glaub' mir: Ich verstehe Dich oft nicht!)

Einen lieben Gruß
Orgeluse
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