Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

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Orgeluse
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Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Orgeluse »

Es gibt hier nicht die Rubrik "life's labour's lost", kein Unterforum, in dem wir Suizidale unsere Mühen ums "Leben" und deren kleine Früchte schildern könnten, die doch irgendwann immer wieder vom Regen, vom Wind davon getrieben werden.

Vielleicht kann dieses Fädchen hier ein solcher Platz werden (da müssten dann aber noch andere den Faden mitverstricken).
Die Zwischenbilanz über meine in meinem Ruinenleben No. 2 verlorene Lebensmüh, die lautet (in einstweilen ausgewählten Auszügen) so:

1. Ich lebe, noch immer.

2. Ich psychoanalysiere, noch immer. Und mittlerweile manchmal mehr ich den Analytiker als der mich - und wenn er, dann immer so, dass ich eigentlich da gerade rausgeflogen bin. (Vor einer Woche zischte der mir zu: "Verlängerungsanträge können zurückgezogen werden"; jetzt, eine Woche später, ist die Verlängerung da, die letztmögliche - und ich bin in all meinem zerzausten Unglück sehr froh [ich mag den, und er tut mir leid: Wird sein liebenswürdiger Narzissmus doch an mir vielleicht, vermutlich zerschellen].

3. Weder 1. noch 2. hat irgendetwas "geändert". Manche sagen mir, ich hätte mich geändert - es sind die, die mich am wenigsten kennen, und dennoch: Ihre Auskunft irritiert mich. Was sehen die? Bin ich mir doch (wieder) nicht ich geblieben? Oder wunschdenken die nur was?

Meine Zwischenbilanz auf ein paar Sätze gebracht:
- Ich habe einen wunder-grauen-schmerz-zarten und oft einfach nur liebenswert dummen Analytiker.
- Der soll an mir nicht kaputt gehen!
- Ich habe 100 Seiten vom Roman, habe eine daran als falsch im Licht verbrannte Freundschaft, und ich habe some more lyrics von Bestand (interessant: Sind's am Ende doch die Worte, nicht die Freunde?)
- In einer Woche ist der Liebste drei Jahre tot; ich hab vor kurzem, wenn ich mich ernst nehme und es nicht - wie es ja in so vielen Fällen ungeplant und vorher endet - mein letztes Jahr begonnen.

The labour up to this moment was not lost. But it was all trifel - what else.
So meine Zwischenbilanz.

Wie sehen Eure Zwischenbilanzen aus?

Fragt mit herzlichem, so leicht zerstäubenden Gruß
in die Runde, die längst zerstoben ist

Orgeluse
Chron
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Chron »

"labour" gemäss "labour übersetzung" als Suchbegriff in Google:
labour [Br.]Arbeit {f}
Mühe {f}
Anstrengung {f}
körperliche Arbeit {f}
Arbeiterschaft {f} [Gesamtheit der Arbeiter]sociol.labour {sg}
[Br.]Arbeitskräfte {pl}
Wehen {pl}med.
Geburtswehen {pl}med.
Arbeiter {pl} [Arbeitskräfte]
Also: Verlust (lost) der Arbeitsfähigkeit?
Das ist bei mir seit vielen Jahren der Fall ...
Orgeluse hat geschrieben:kein Unterforum, in dem wir Suizidale unsere Mühen ums "Leben" und deren kleine Früchte schildern könnten, die doch irgendwann immer wieder vom Regen, vom Wind davon getrieben werden
Ich habe mir auch schon überlegt, ob es gut wäre, eine Art Jammer-Thread oder Alltags-Thread zu machen. Oder eine Art "Tagebuch"-Abteilung. Wie verbringen wir unser "Leben"(-Müssen)?
Aber irgendwie ... fehlen mir dazu die Worte. Und wenn es mir besonders mies geht, mag ich auch gar nichts mehr schreiben (weder technisch-körperlich noch geistig).

Zwischenbilanz? Meine Bilanz ist längst gemacht, vor Jahren schon (2010). Der kommt nichts neues Wesentliches mehr hinzu. Ein "Dazwischen" kann und soll es nicht geben - weil ich damit dran denken müsste, dass es noch eine Weile (nochmals 3 Jahre?!? Oh nein - unerträglich!!!) dauern könnte; so wie zwischen Anfang und "Zwischen" dann nochmals zwischen "Zwischen" und (endlichem, längst gewolltem) Ende ...

Orgeluse hat geschrieben:1. Ich lebe, noch immer.
Ich leide, noch immer. (Also mehr ein Rückblickend-Blick als ein Zwischenbilanz-Stand.)
Orgeluse hat geschrieben:2. Ich psychoanalysiere, noch immer. Und mittlerweile manchmal mehr ich den Analytiker als der mich - und wenn er, dann immer so, dass ich eigentlich da gerade rausgeflogen bin. (Vor einer Woche zischte der mir zu: "Verlängerungsanträge können zurückgezogen werden"; jetzt, eine Woche später, ist die Verlängerung da, die letztmögliche - und ich bin in all meinem zerzausten Unglück sehr froh [ich mag den, und er tut mir leid: Wird sein liebenswürdiger Narzissmus doch an mir vielleicht, vermutlich zerschellen].
Ich psychoanalysiere auch immer noch - und werde das wohl bis (fast?) zur letzten Sekunde tun. Allerdings nur für mich; ohne "Therapie"-Stunden mit einem zu bezahlenden Psychoanalytiker.

Irgendwie irgendwann hatte ich mir diffus vorgestellt, man werde im "Alter", im letzten Lebensteil, anders. Weiser, ruhiger, mehr alles übersehend/erinnernd/zusammenfügend als noch auseinandernehmend/analysierend, mehr beendend oder weiterlaufen lassend als noch Neues beginnend. Und ebenso, wenn diese letzte Lebensphase früher kommt, also nicht im jahrganglichen "Alter".

Mittlerweile merke ich: Ich bleibe geistig immer gleich. Ich kann nur vieles davon nicht mehr umsetzen. Nein, ich habe mich innerlich/geistig nicht verändert; da ist alles immer noch wie mit ca. 17. Es ist wohl ähnlich wie vor dem Einschlafen: "Es" denkt bis zur letzten Sekunde. Und fängt unmittelbar nach dem Schlaf wieder an (das hingegen wird es nach dem Tod nicht mehr geben). Was werden meine letzten Worte/Gedanken sein? Vermutlich gar keine besonderen! Ich, wie ich immer war ... Wie ich eben bis zur letzten Sekunde LEBEND bin und dann (für Andere) war.

Deine Betrachtungsweise auf den liebeswürdig-narzisstischen Psychoanalytiker hingegen deutet mir eher auf eine solche Alters-/Abschluss-Weisheit ein, auf eine entsprechende Überlegenheit (die der Andere erst verstehen wird, wenn er selber in Todesnähe gekommen ist).
Orgeluse hat geschrieben:3. Weder 1. noch 2. hat irgendetwas "geändert". Manche sagen mir, ich hätte mich geändert - es sind die, die mich am wenigsten kennen, und dennoch: Ihre Auskunft irritiert mich. Was sehen die? Bin ich mir doch (wieder) nicht ich geblieben? Oder wunschdenken die nur was?
Hast du sie das jemals gefragt?
Denn das können wohl nur sie wissen/sagen/erklären.

Ich bemerke eher, dass ich mich nicht geändert zu haben scheine, für Andere. Dass mein Leiden und meine Erschöpfung nicht wahrgenommen wird. Weil es dann, wenn ich Anderen begegne, gerade etwas weniger ist (sonst würden und könnten sie mir nicht begegnen; käme ich erst gar nicht aus dem Bett, auch an kein Telefon, keinen PC). Und weil sie es gern "so wie immer" hätten.

Innerlich habe ich mich auch nicht geändert. Nur äusserlich geht immer weniger.
Eine Zwischenbilanz: Es geht, wie vermutet, immer weniger. Es nähert sich dem gewollten Verdursten/Verhungern als "Suizid"-Methode - wenn ich dann GAR nicht mehr aus dem Bett komme. Und obwohl ich mich nicht wirklich für diese "Methode" hatte entscheiden können.
Orgeluse hat geschrieben:Meine Zwischenbilanz auf ein paar Sätze gebracht:
[...]
- Ich habe 100 Seiten vom Roman, habe eine daran als falsch im Licht verbrannte Freundschaft, und ich habe some more lyrics von Bestand (interessant: Sind's am Ende doch die Worte, nicht die Freunde?)
Ja. Die Worte als Ausdruck von dem, was an innerem Erleben/Denken dahinter steht.
Und weil "Freunde" nicht bis zuletzt bei allem Elend dabei bleiben (wollen/können).
Orgeluse hat geschrieben:- In einer Woche ist der Liebste drei Jahre tot; ich hab vor kurzem, wenn ich mich ernst nehme und es nicht - wie es ja in so vielen Fällen ungeplant und vorher endet - mein letztes Jahr begonnen.
"... und es nicht" - was? Ändere, ernst nehme, umplane, ...?

"Das letzte Jahr" - ich habe es mir abgewöhnt, in größeren Zeitabständen zu denken.
Und versuche mich damit abzufinden, dass ich dieses "Letzte" leider nicht selber bestimmen/entscheiden/tun kann (dann wäre es morgen, nicht in einem Jahr).
Chron
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Chron »

Noch eine Bemerkung, ein Gedanke, der mir soeben einfiel:

"Off Topic" - wie passend, wie sinnig.
Wir sind nicht mehr "von/in dieser Welt".
Und doch leben wir biologisch noch. Nebenher, nebenaussen, ....
Deadly Snowflake

Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Deadly Snowflake »

Orgeluse hat geschrieben: 3. Weder 1. noch 2. hat irgendetwas "geändert". Manche sagen mir, ich hätte mich geändert - es sind die, die mich am wenigsten kennen, und dennoch: Ihre Auskunft irritiert mich. Was sehen die? Bin ich mir doch (wieder) nicht ich geblieben? Oder wunschdenken die nur was?
Der Mensch verändert sich nicht, sondern wird lediglich älter...so Schopenhauer (als Verneiner eines freien Willens ist er da nur konsequent: auch wenn der Mensch sich nicht gleich bleibt, so wird er verändert, er ist gleichsam nur passives Substrat in den Händen anonymer Kräfte).
Orgeluse
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Orgeluse »

Lieber Chron
(oder liebe Chron? Die an Dich adressierte Antwort eines Users hier hat mich da neulich stutzig gemacht),

der anglizistische Titel dieses Fädchens schuldet sich Shakespeare und meint im Anklang an ihn einfach nur: Vergebene Lebensmüh'
Chron hat geschrieben: Also: Verlust (lost) der Arbeitsfähigkeit?
Das ist bei mir seit vielen Jahren der Fall ...
Was heißt "Arbeitsfähigkeit"?
Geht es um die Fähigkeit, in Knochenjobs, in hirnzermahlenden Immer-hübsch-freundlich-Jobs, in Sinnlostätigkeiten arbeiten zu können, aus denen derzeit rd. 95% der Erwerbsarbeit bestehen?
Chron hat geschrieben: Ich habe mir auch schon überlegt, ob es gut wäre, eine Art Jammer-Thread oder Alltags-Thread zu machen. Oder eine Art "Tagebuch"-Abteilung. Wie verbringen wir unser "Leben"(-Müssen)?
Dass Dir als allererstes dazu die Rubrik "Jammer-Thread" einfiel, finde ich signifikant. (So sehr haben wir intus, wie unsereins abgewertet wird in dieser "Lasst-uns-frohhoho-und-munter-sein"-Gegenwart der permanenten Selbst- und Fremdverblendung.)


Zu einigen Deiner Fragen:

1. Nein, ich habe jene, die finden, ich hätte mich verändert, nicht daraufhin befragt (das wäre mir peinlich gewesen, aus mehreren Gründen: Ich mag nicht mehr so zentral werden, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die das wunschdenken - was ja auch irgendwie zweifelhaft ist: wenn sie wünschen, dass ich mich verändern soll, im Angesicht einer freundlichen Bekanntschaft auf der Grenze zur Freundschaft, dann bin ich ihnen so, wie ich bin, ja offensichtlich nicht recht - was ich wiederum verstehe; aber nicht, warum sie dann diese Bekannt- oder gar Freundschaft aufrechterhalten).

2.
Chron hat geschrieben:
Orgeluse hat geschrieben:- In einer Woche ist der Liebste drei Jahre tot; ich hab vor kurzem, wenn ich mich ernst nehme und es nicht - wie es ja in so vielen Fällen ungeplant und vorher endet - mein letztes Jahr begonnen.
"... und es nicht" - was? Ändere, ernst nehme, umplane, ...?
Das war eine graphologische Ungenauigkeit, eine Hastigkeit von mir, Verzeihung! Gemeint habe ich: "[...] ich hab vor kurzem, wenn ich mich ernst nehme und es nicht - wie es ja in so vielen Fällen geschieht - ungeplant und vorher endet, mein letztes [Leben-]Jahr begonnen."

3. Ich finde immer noch Kraft in der Illusion, es dann: am Ende MEINER Frist beenden zu können. (Irre, ich weiß. Aber irgendwo ist das Jean Amery bei mir, in mir, um mich - und all die andern)

Danke für Deine Überlegungen! Auch wenn die für Dich keine Zwischenbilanz mehr sein sollen und können (ein für mich schmerzlicher Gedanke - zwischendenken, innehalten, Strich unter die Rechnung ziehen, das sollte jeder Mensch immer können, erstrecht dürfen, das wünsche ich mir)

@snowflake: Naja, ein wenig habe ich mich, seitdem ich auf dieser Erde rumrutsche, schon geändert. Mit sechs Monaten konnte ich jedenfalls noch nicht Schopenhauer lesen. Ob ich den nun (mit 46 Jahren) verstehe, ist allerdings auch noch fraglich für mich. So alt wie der will ich freilich ganz gewiss nicht werden - aber da hab ich gute Aussichten: Wo er nur die eine Hälfte der Menschheit für so richtig verworfen hielt, halte ich dafür mittlerweile das Ganze (samt Drumrum).

Aus dem Zwischen grüßt freundlich in die Runde
Orgeluse
Chron
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Chron »

Orgeluse hat geschrieben:Lieber Chron
(oder liebe Chron? Die an Dich adressierte Antwort eines Users hier hat mich da neulich stutzig gemacht),
Das Männliche trifft es besser - ich war beim "Sie" auch etwas irritiert.
Orgeluse hat geschrieben:der anglizistische Titel dieses Fädchens schuldet sich Shakespeare und meint im Anklang an ihn einfach nur: Vergebene Lebensmüh'
Aha :idea: :P
Das passt mir bzw. für mich (auch) gut. "Strampeln" wie der Hamster im Rad. Sich um was scheinbar oder wirklich Notwendiges bemühen (Klo, Post, /ahlungen, Duschen, PC-Updates, Zähne Putzen ...). Und doch nicht mehr weiter, zu einer Besserung, zu einer Freude damit kommen können. Vergebliche, vergebene, sinnlose Mühe. Warum tut man es dann? Liebe? Zu sich selber? Vielleicht.
Orgeluse hat geschrieben:
Chron hat geschrieben: Also: Verlust (lost) der Arbeitsfähigkeit?
Das ist bei mir seit vielen Jahren der Fall ...
Was heißt "Arbeitsfähigkeit"?
Geht es um die Fähigkeit, in Knochenjobs, in hirnzermahlenden Immer-hübsch-freundlich-Jobs, in Sinnlostätigkeiten arbeiten zu können, aus denen derzeit rd. 95% der Erwerbsarbeit bestehen?
Nein, ich dachte da eher einerseits an meine frühere Arbeit (ein gut bezahltes Hobby) und andererseits an all so die täglich oder mehr-täglich nötigen Arbeiten und Mühen, wie oben aufgezählt. Wobei allgemein "Arbeitsfähigkeit" nur für bezahlte Jobs/Arbeiten/Mühen gilt. Die Unmöglichkeit aber eben auch, sich noch irgendwie sinnvoll zu betätigen.
Verlust von Fähigkeiten.
Orgeluse hat geschrieben:
Chron hat geschrieben: Ich habe mir auch schon überlegt, ob es gut wäre, eine Art Jammer-Thread oder Alltags-Thread zu machen. Oder eine Art "Tagebuch"-Abteilung. Wie verbringen wir unser "Leben"(-Müssen)?
Dass Dir als allererstes dazu die Rubrik "Jammer-Thread" einfiel, finde ich signifikant. (So sehr haben wir intus, wie unsereins abgewertet wird in dieser "Lasst-uns-frohhoho-und-munter-sein"-Gegenwart der permanenten Selbst- und Fremdverblendung.)
Stimmt. Allerdings stimmt auch: Im Vergleich zu früher ist das Jammern häufiger geworden. Die Unlust, das Leiden, der Lebensüberdruss. Und es ist echt. Nicht das gesellschaftlich-floskelhaft übliche "habe zu viel zu tun, keine Zeit, muss noch ...". Die Antwort auf "wie geht'S dir?" als "miserabel" bis "eigentlich gar nicht mehr ...". Das hat kaum Worte. Ja, das passt nicht zum "wir sind alle glücklich" (besonders wenn wir es nicht sind, tun wir so) ...
Orgeluse hat geschrieben:Zu einigen Deiner Fragen:

1. Nein, ich habe jene, die finden, ich hätte mich verändert, nicht daraufhin befragt
und
Orgeluse hat geschrieben:@snowflake: Naja, ein wenig habe ich mich, seitdem ich auf dieser Erde rumrutsche, schon geändert. Mit sechs Monaten konnte ich jedenfalls noch nicht Schopenhauer lesen. Ob ich den nun (mit 46 Jahren) verstehe, ist allerdings auch noch fraglich für mich. So alt wie der will ich freilich ganz gewiss nicht werden - aber da hab ich gute Aussichten: Wo er nur die eine Hälfte der Menschheit für so richtig verworfen hielt, halte ich dafür mittlerweile das Ganze (samt Drumrum).
Es stimmt, da(zu) habe ich mich verändert: Ich fand mal Menschen und/oder die Welt grundsätzlich gut (mit einigen Ausnahmen), jetzt finde ich sie grundsätzlich schlecht. Ich wollte mal keinesfalls, dass die Menschheit aussterben würde (z. B. beim Jahrtausendwechsel wegen Computerpannen), jetzt hingegen wünsche ich mir das (und davon: ich zuerst).
Orgeluse hat geschrieben:2.
Chron hat geschrieben:
Orgeluse hat geschrieben:- In einer Woche ist der Liebste drei Jahre tot; ich hab vor kurzem, wenn ich mich ernst nehme und es nicht - wie es ja in so vielen Fällen ungeplant und vorher endet - mein letztes Jahr begonnen.
"... und es nicht" - was? Ändere, ernst nehme, umplane, ...?
Das war eine graphologische Ungenauigkeit, eine Hastigkeit von mir, Verzeihung! Gemeint habe ich: "[...] ich hab vor kurzem, wenn ich mich ernst nehme und es nicht - wie es ja in so vielen Fällen geschieht - ungeplant und vorher endet, mein letztes [Leben-]Jahr begonnen."
Und was ist mit "wenn es nicht - wie es ja in so vielen Fällen geschieht - ungeplant und später endet"?
Orgeluse hat geschrieben:3. Ich finde immer noch Kraft in der Illusion, es dann: am Ende MEINER Frist beenden zu können. (Irre, ich weiß. Aber irgendwo ist das Jean Amery bei mir, in mir, um mich - und all die andern)
Dass ich das nicht kann, weiss ich erst, seit ich es wollte/will. Und damit tue ich mich immer noch schwer. Schön, dein Trost, für dich!
Orgeluse hat geschrieben:Danke für Deine Überlegungen! Auch wenn die für Dich keine Zwischenbilanz mehr sein sollen und können (ein für mich schmerzlicher Gedanke - zwischendenken, innehalten, Strich unter die Rechnung ziehen, das sollte jeder Mensch immer können, erstrecht dürfen, das wünsche ich mir)
Es zu können, wollen, dürfen, beinhaltet für mich, in längeren Zeiträumen zu denken. Ja, das wäre schön - wenn denn die weiteren Aussichten gut sein könnten. Ein längerer Zukunftsverlauf, mit Zwischenetappen, Zwischenzielen, Zwischenbilanzen. Wenn man aber nur noch das Ende aller Bilanzen will? Ja, schmerzlich. Bei meinem "Zwischen" ist ein sehr langes Davor (Jahre bzw. Jahrzehnte) und ein möglichst kurzes Danach (mehr mir vorzustellen wäre mir zu grausam). Eine Endbilanz wäre für mich schön. Die wirklich ein Ende ist. Das aber erst, wenn alle Zwischenbilanzen vorbei sind - damit meinte ich nur mich, nicht auch dich!
avira
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Beitrag von avira »

:D :shock: :wink: :idea:
Zuletzt geändert von avira am Mittwoch 13. November 2013, 00:31, insgesamt 1-mal geändert.
Orgeluse
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Orgeluse »

Lieber Chron,

sei herzlich bedankt für Deine ausführliche Auseinandersetzung mit meinen Gedanken!

Für jetzt dies, denn vor allem daran bin ich heute hängen geblieben:
Chron hat geschrieben:meine frühere Arbeit (ein gut bezahltes Hobby)
Das klingt sehr angenehm und sehr ungewöhnlich für eine 'Erwerbsarbeit', wenn ich es mit dem Folgenden zusammenzudenken versuche:
Chron hat geschrieben: Ich fand mal Menschen und/oder die Welt grundsätzlich gut (mit einigen Ausnahmen), jetzt finde ich sie grundsätzlich schlecht. Ich wollte mal keinesfalls, dass die Menschheit aussterben würde (z. B. beim Jahrtausendwechsel wegen Computerpannen), jetzt hingegen wünsche ich mir das (und davon: ich zuerst)
,
dann stellt sich mir die Frage, warum sich das bei Dir so massiv geändert hat - kannst Du es benennen? Und: Kamen erst die Menschen- und Weltverachtung oder stellte sich zunächst der Verlust der Fähigkeit ein, in Deinem Beruf weiterhin tätig zu sein (ein Beruf, der sich, wie gesagt, reizvoll anhört; aber vielleicht auch ein wenig sehr 'zahm'?).
Chron hat geschrieben: Es [das Zwischenbilanzieren] zu können, wollen, dürfen, beinhaltet für mich, in längeren Zeiträumen zu denken. Ja, das wäre schön - wenn denn die weiteren Aussichten gut sein könnten. Ein längerer Zukunftsverlauf, mit Zwischenetappen, Zwischenzielen, Zwischenbilanzen. Wenn man aber nur noch das Ende aller Bilanzen will? Ja, schmerzlich.
Ja, das ist zweifelsohne sehr schmerzhaft. - Doch vielleicht auch deshalb die Idee für so einen Thread oder auch eine Rubrik hier: Manchmal habe ich den Eindruck, dass genau das, diese "Planung", diese "Wo wollen Sie in fünf, in zehn, in fünfzehn Jahren sein"-Assessmentcenter-Frage, dieses langfristige in die Zukunft Denken, uns alle zunehmend beschädigt.
Diese westliche postindustrielle Gesellschaft lernt doch seit etlichen Jahren, dass ihre Ideologie der Selbst-Planung, des langfristigen Selbstschmiedens seines 'Glücks', kompletter Schwachsinn ist, nämlich eine Zurichtung (wie alle Ideologie), die nur den Sinn hat, das Subjekt (lat. subjectum: Das Unter-worfene!) für ein Erwerbsleben im nunmehr finanzkapitalistischen Verwertungszusammenhang abzurichten.

Ich würde mich manchmal gern darin üben, die Zwischenbilanz eines Tages, ja einer Stunde zu ziehen.
Und ich würde vor allem gern auf dieses ökonomische Vokabular verzichten - merke ich gerade, angenervt von meiner eigenen Wortwahl.

Und noch eine Kleinigkeit, die ich weiterhin schuldig geblieben bin (da! Schon wieder diese Krämersprache! Sie sitzt ganz tief, auch auf dem Grund unserer Metaphern):
Chron hat geschrieben: Und was ist mit "wenn es nicht - wie es ja in so vielen Fällen geschieht - ungeplant und später endet"?
Uh, sorry, immer noch nicht verständlich formuliert! Ich meinte einfach nur mein letztes Lebensjahr: Wenn das nicht (wie so oft) ungeplant endet, oder doch später als von mir gewünscht endet, dann werde ich es zu seiner Zeit, wenn es abgelaufen ist, beenden (so hoffe ich zumindest jetzt immer noch).
______________
Meine heutige vergebliche Lebensmüh:
Ich habe mit der Seite 100 gekämpft - und gewonnen. (Auf das morgen mit Seite 102 weitergekämpft werde.)
Ich habe den passenden Vers immer noch nicht gefunden.
Ich habe einen neuen Gas-Vertrag abgeschlossen und spare ab Januar angeblich 10 Euro im Monat - das ist, jedenfalls auf antiquarischem Wege, fast ein gutes, gebundenes Buch (und damit das Suizidantenfutter par excellence).
Chron
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Chron »

Orgeluse hat geschrieben:Lieber Chron,

sei herzlich bedankt für Deine ausführliche Auseinandersetzung mit meinen Gedanken!
Liebe Orgeluse

Danke auch dir - deine Gedanken, vor allem aber deine Formulierungen deiner Gedanken, Weltübersichten, Gesellschaftsmuster- und Menschen-Zusammenfassungen usw., sind mir immer wieder eine Inspiration und mag ich gerne lesen. Du schaffst es irgendwie, mit weise-schmunzelnder Übersicht manches zu benennen und als auf den ersten Blick amüsant darzustellen, das "nackt", in nicht-deinem Stil, (mir) schier unerträglich wäre zu wissen, kennen, denken, lesen.
Ich hatte dich übrigens älter geschätzt als du es hier (in diesem Thread) kürzlich angegeben hast - und ich empfinde das als Kompliment (es geht hier ja nicht um Äußeres).
Orgeluse hat geschrieben:Für jetzt dies, denn vor allem daran bin ich heute hängen geblieben:
Chron hat geschrieben:meine frühere Arbeit (ein gut bezahltes Hobby)
Das klingt sehr angenehm und sehr ungewöhnlich für eine 'Erwerbsarbeit', wenn ich es mit dem Folgenden zusammenzudenken versuche:
Chron hat geschrieben: Ich fand mal Menschen und/oder die Welt grundsätzlich gut (mit einigen Ausnahmen), jetzt finde ich sie grundsätzlich schlecht. Ich wollte mal keinesfalls, dass die Menschheit aussterben würde (z. B. beim Jahrtausendwechsel wegen Computerpannen), jetzt hingegen wünsche ich mir das (und davon: ich zuerst)
,
dann stellt sich mir die Frage, warum sich das bei Dir so massiv geändert hat - kannst Du es benennen? Und: Kamen erst die Menschen- und Weltverachtung oder stellte sich zunächst der Verlust der Fähigkeit ein, in Deinem Beruf weiterhin tätig zu sein (ein Beruf, der sich, wie gesagt, reizvoll anhört; aber vielleicht auch ein wenig sehr 'zahm'?).
Das Hobby war die Computerei bzw. die Computer-Programmierung, oder, anders-unverständlicher ausgedrückt, die "IT-Branche", die "Informatik". Manchmal wunderte ich mich, dass nicht ich die Firma für die Benutzung ihrer Geräte bezahlen musste, sondern sie mich bezahlte. Ich sah mal aus dem Fenster, sah einen Straßenwischer und fand es irgendwie völlig unpassend, dass der mit all seiner Mühe nicht mal die Hälfte von mir verdiente. Dann kamen die großen blauen Kästen im Kleinformat auf den heimischen Tisch. Und ich hatte weniger Mühe, meinen Beruf, meinen Job, mein Hobby zu erklären.

Es ging aber immer nur um irgendwelche Daten-Ausgaben (und für mich um relativ abstrakte "Bit-Grübeleien"; mit intellektueller Begeisterung, aber ohne Einbezug irgendwelche Gefühle). So sehr ich so piekfeine Zusammenstellungen (und die Methoden, zu denen zu kommen), Statistiken (ohne tieferen Sinn; einfach meine Zahlen-Vorliebe) und Datenverarbeitungen (das hiess mal EDV = Elektronische Daten-Verarbeitung) u. Ä. mochte, immer schon gemocht hatte (Lochstreifen als Kind im Büro meines Vaters), bzw. deren Erstellung (wobei Einen der Computer ganz neutral korrigiert, das ist falsch, und jenes - aber nicht im Sinne von "du bist ein I.diot"), aber: Das war mir dann doch auf Dauer zu wenig, zu un-menschlich, ergab mir zu wenig Sinn/Weitergabe aus meinem Leben (Kinder wollte ich nie). Wenige Jahre nach meiner Pensionierung würden alle Arbeiten nur noch Müll sein (nachdem ich mal geglaubt hatte, z. B. die Programmierung einer Lohnabrechnung würde dann "ewig" laufen). Das war keine erfreuliche oder noch länger erträgliche Aussicht. ("labour's lost"? Nicht Verlust der Arbeit, sondern der Verlust der Resultate der Arbeit - wie immer das Englisch heisse).

Ich hatte noch viele Ideen - ich könnte noch studieren, z. B. Anwalt und/oder Psychologie, das gehört doch wohl oft zusammen, wenn jemand ein Problem hat, usw. ... Das hätte ich nicht als "Hobby" bezeichnen wollen (das würde für mich Menschen entwerten), und doch hätte ich auch das gerne getan, nicht nur des Geldes wegen.

Was sich geändert hat: Unmögliche Lebens- bzw. Wohn-Umstände; andauernder Lärm, Lärm-Stress, Schlafmangel, monatelang. Immunsystem klappt zusammen, es kommt zu Krankheiten, konnte mich nicht erholen, also wurden sie chronisch. Dazu noch ein Schlaganfall, eine Hirnblutung einer geplatzten offenbar schon lange oder von Geburt an kaputten Ader (Aneurysma). Musste erstmal wieder reden lernen (lesen/schreiben ging noch) ...

Und: Nein, "zahm" war das Tun/"Arbeiten" nie. Jedenfalls nicht für mein Empfinden. Ausdrücke wie "Computerfreak" oder so. Ich wurde auch nicht zahm. Wehrte mich für mein Existenzminimum über Gerichte (vorher hatte ich meine Beiträge ans "Allgemeinwohl" auch bezahlt!). Wurde immer entsetzter über abstruse Ideen von Leuten, die nie Pech in ihren Leben gehabt hatten; die Menschen in Zahlen ausrechnen, welchen sie selber niemals entsprechen könnten. Die Wut ist manchmal noch mein einziger Kraftimpuls. Führt aber auch nicht mehr zu einem guten Leben. Eher zu (Haushalts-)Unfällen. Weil die körperliche Erschöpfung nicht mit geistigen Mitteln zu ändern ist.

Die Menschen- und Welt-Verachtung kam danach. Mit allen Erfahrungen, wie man keine Hilfe bekommt, obwohl man angeblich welche zugute hätte. Wie nur noch versucht wird, jemanden zu eigenem Nutzen zu missbrauchen: Da hockt der/die Gesunde in seinem/ihrem Büro, in seinem/ihrem selbst gewählten Beruf und Job, und bestellt sich die Kranken/Behinderten zu Sitzungen ein, für die er/sie wiederum bezahlt wird. Wie das für den andern Menschen ist, interessiert so jemanden überhaupt nicht. Und geholfen wird auch nicht. Die ganze Situation für den Hilfsbedürftigen wird damit nur noch schlimmer. Bis er/sie so erschöpft ist, dass er/sie aufgibt. Wonach es dann plötzlich umdreht: Er soll weiter leben. Aber wozu? Für wen? Mit welchen inneren Motiven, Erfolgserlebnissen, Tätigkeiten, Freuden? Diese Frage bleibt dann antwortlos.
Chron hat geschrieben:Manchmal habe ich den Eindruck, dass genau das, diese "Planung", diese "Wo wollen Sie in fünf, in zehn, in fünfzehn Jahren sein"-Assessmentcenter-Frage, dieses langfristige in die Zukunft Denken, uns alle zunehmend beschädigt.
Ein so typisches Beispiel des "Orgeluse-Stils". Solche Gedanken hatte ich nämlich nie. Als Kind schon nicht: "Was willst du mal werden?" Hääh? WERDEN? Ich BIN schon etwas/jemand! Aber ich habe dann mitbekommen, wie Andere sich für einen Job, eine Anstellung, abstrampeln müssen. Als wäre "Arbeitsangebot" so etwas wie ein Lotto-Sechser oder sonst irgendwie ein abzugebendes wertvolles Ding, um das man sich "bewerben" (nicht mehr: vorstellen, was man arbeiten könnte) müsste. Es ging/geht nicht mehr darum, das zu tun, was man gerne tut, und/oder gelernt hat (weil man es lernen wollte, mochte). Es wird nicht mehr nach der Arbeitskraft gegiert, die entsprechend bezahlt wird. Kein Chef sucht mehr Angestellte, Mitarbeiter, Leute die seinen Betrieb am Laufen halten (und ihm letztlich auch sein Einkommen bescheren). Nein, nun wird das zu einer Art Markt, von Arbeit-Gebern, Arbeit-Nehmern (was für ein Unwort! Arbeitende sind das doch!), und vielen Vermittlern. Worum geht es überhaupt? Oft kaum noch zu erkennen. Manchmal doch. Wenn ein Handwerker seinen Job gut macht und Freude am Resultat hat - ebenso wie der Kunde (z. B. ich). Was seinen Chef aber längst nicht mehr interessiert.
Auch wenn ich gesund gewesen bzw. wieder geworden wäre, hätte ich in diese "Arbeitswelt", so losgelöst von allem Menschlichen, nicht mehr gepasst. Solche Fragen rund um "Assessment" (das Wort ist mir auch begegnet - was es wirklich heisst, weiss ich bis heute nicht, und die dafür Zuständigen wissen es offensichtlich auch nicht, aber "tönt doch gut", oder? Meinen sie ...) könnte ich nie beantworten. Für mich ist das Leben eine Entwicklung. Ein laufender Fortschritt mit unbekanntem Ende/Zielpunkt - und es kann auf der Skala umdrehen und mit der Kurve nur noch abwärs gehen. Also als Antwort, wo möchten Sie in ... Jahren sein: Ich möchte gar nicht mehr sein, bzw. ich möchte nirgendwo mehr sein! (Wie wäre da dann wohl die Reaktion? :twisted:).
Orgeluse hat geschrieben:Diese westliche postindustrielle Gesellschaft lernt doch seit etlichen Jahren, dass ihre Ideologie der Selbst-Planung, des langfristigen Selbstschmiedens seines 'Glücks', kompletter Schwachsinn ist, nämlich eine Zurichtung (wie alle Ideologie), die nur den Sinn hat, das Subjekt (lat. subjectum: Das Unter-worfene!) für ein Erwerbsleben im nunmehr finanzkapitalistischen Verwertungszusammenhang abzurichten.
Ja ...
Kürzlich eine Werbung am TV einer "Hilfs"-Organisation (wobei aber das Wort "Hilfe" nicht fiel - da muss ich noch umlernen, umdenken): Jedes 10. Kind lernt nicht lesen/schreiben.
Ja, und? Vielleicht lernt es Wertvolleres!
Aber wenn man körperlich erschöpft, krank, behindert ist, kommt "Auswandern" auch nicht mehr in Frage.
Das Glück entsteht jedenfalls nicht aus Materiellem. Aber wer materiell-körperlich nicht mehr gesund ist, kann auch nicht mehr glücklich werden.
Orgeluse hat geschrieben:Ich würde mich manchmal gern darin üben, die Zwischenbilanz eines Tages, ja einer Stunde zu ziehen.
Und ich würde vor allem gern auf dieses ökonomische Vokabular verzichten - merke ich gerade, angenervt von meiner eigenen Wortwahl.
Ein Großvater - den ich nicht mochte (er schlug allzugerne zu; meiner Mutter als Kind und dann auch mir gegenüber) - sagte mal, er frage sich am Ende jeden Tages, wie der Tag gewesen sei. Was er gebracht, bewirkt habe. Damit schlafe er dann ein.
Eine Tagesbilanz also. Das finde ich eine schöne Idee.
Aber sie entspricht mir nicht. Ich schaue weniger in die Vergangenheit (jedenfalls nicht in einer solchen bilanzierenden Art - die dann allzuleicht wohl auch in eine arrogante Über-sicht, was man selber angeblich alles "gut" gemacht habe, mündet), als dass ich mich aktuell in irgendeinem Prozess befinde. Der durch Schlaf/Tage nur unterbrochen wird.
Egal was ich in einem Tag, einer Stunde, getan oder nicht getan habe: Es ist vorbei.
"Wu wei" - Handeln durch geschehen Lassen.

Zwischenbilanzen kann man (ich) vielleicht erst später ziehen. Wie war es damals, zwischen ... und ... . Das Jetzt aber ist kein Dazwischen. Denn die unbekannte Zukunft ist etwas ganz anderes als die erlebte Vergangenheit.
Orgeluse hat geschrieben:Und noch eine Kleinigkeit, die ich weiterhin schuldig geblieben bin (da! Schon wieder diese Krämersprache! Sie sitzt ganz tief, auch auf dem Grund unserer Metaphern):
Chron hat geschrieben: Und was ist mit "wenn es nicht - wie es ja in so vielen Fällen geschieht - ungeplant und später endet"?
Uh, sorry, immer noch nicht verständlich formuliert! Ich meinte einfach nur mein letztes Lebensjahr: Wenn das nicht (wie so oft) ungeplant endet, oder doch später als von mir gewünscht endet, dann werde ich es zu seiner Zeit, wenn es abgelaufen ist, beenden (so hoffe ich zumindest jetzt immer noch).
Also du gibst dir noch maximal ein Jahr, dann möchtest du dein Leben beenden und denkst, du kannst das dann auch?
Ein Jahr ist ein vielleicht noch einigermaßen überschaubarer Zeitrahmen.
Ich möchte/kann mir kein Jahr mehr vorstellen.
Orgeluse hat geschrieben:______________
Meine heutige vergebliche Lebensmüh:
Ich habe mit der Seite 100 gekämpft - und gewonnen. (Auf das morgen mit Seite 102 weitergekämpft werde.)
Ich habe den passenden Vers immer noch nicht gefunden.
Ich habe einen neuen Gas-Vertrag abgeschlossen und spare ab Januar angeblich 10 Euro im Monat - das ist, jedenfalls auf antiquarischem Wege, fast ein gutes, gebundenes Buch (und damit das Suizidantenfutter par excellence).
Vergeblich? Wenn die Seite 100 doch gelungen, fertig ist - und der neue Gas-Vertrag abgeschlossen ist?
Also war es, für mein Verständnis, nicht vergeblich.

Meine heutigen vergeblichen Liebesmühen, oder Lebensmühen (wie nun genau?): Mühe wozu? Ich rechne ja gar nicht mehr mit einem Erfolg, einer Besserung. Also gibt es auch keine Bewertung von "vergeblich" mehr.

Aber bei Gas fällt mir Strom ein: Eine krasse Erhöhung um rund einen Drittel der Preise wurde mir in einem Brief mit Tabelle dargelegt. Egal wie ich rechnete: Ich kam nie auf deren Zahlen. Also eine Mail an deren Kundendienst. Antwort: Die Tabellenzahlen waren falsch; im Anhang die korrigierte Tabelle. Was soll ich nun damit? Einerseits: Die Erhöhung ist etwa halb so groß wie zuerst behauptet (aber damit immer noch viel zu hoch - wo soll ich das einsparen können; beim Essen oder ...? PC abstellen, nicht mehr fernsehen, nichts mehr zum Essen aufwärmen ...?). Andererseits: Also die ganzen Rechnereien mit den falschen Zahlen "vergebliche Liebesmüh'". Die Mühe, zu verstehen, warum es mir NOCH schlechter gehen soll, ab nächstem Jahr (das ich sowieso nicht mehr erleben möchte).
Chron
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Chron »

Eine Zwischenbilanz: Seit Ende September bin ich nicht mehr weiter weg/draussen gewesen als bis zu meinem Briefkasten und dem Straßenrand (Müllabfuhr-Stelle).
Deadly Snowflake

Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Deadly Snowflake »

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Zuletzt geändert von Deadly Snowflake am Sonntag 10. November 2013, 03:50, insgesamt 1-mal geändert.
Hans
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Hans »

Ich ziehe jedes mal den Hut vor Orgels Deutungen. Ob ihr das hilft oder mir hilft oder derer, die gehorchen, dass alles wird sich noch zeigen !
Orgeluse
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Re: Platz für life's "labour's lost"- oder: Zwischenbilanzen

Beitrag von Orgeluse »

Lieber Chron,

nochmals meinen Dank für die Antworten auf meine Fragen!
IT, ja sogar EDV, sagen mir etwas (allerdings nichts aus eigener Kenntnis: Ich benutze meinen Laptop wie früher meine Schreibmaschine - eine mechanische, wohlgemerkt).
Vielleicht ist es in Deiner 'Branche' tatsächlich noch extremer als in anderen, doch ich glaube zweierlei: 1. dass
Chron hat geschrieben: zu un-menschlich
heutzutage so ziemlich jede Erwerbsarbeit abläuft, und 2., dass es mittlerweile schon ein recht langer Zeitraum wäre, wenn erst
Chron hat geschrieben: [w]enige Jahre nach meiner Pensionierung [...] alle Arbeiten nur noch Müll sein [werden]
, denn ich bin mir sicher, dass das nunmehr sehr viel schneller der Fall ist - in wohl so ziemlich allen Branchen, auch denen, die vor noch nicht allzu langer Zeit weniger schnelllebig waren als die sogen. IT, wie z.B. die humanities oder (im deutschen Sprachraum mancherorts immer noch und entsetzlich antiquiert) "Geisteswissenschaften" genannt.

Dass Juristerei und Psychologie zusammengehörten, wie Du meintest, finde ich liebenswert, aber schmerzhaft naiv. - Gleichwohl: Wenn Du eins von beiden studieren kannst (weißt Du, welchen NC die Psychologen fordern?! Seit Jahrzehnten?!): warum nicht, was hast Du zu verlieren im Gegensatz zu jetzt? - Sorry, ich bin gerade in meiner zynischen Tagesphase, da rutschen mir solche Sätze raus, wenn ich solche Sätze wie die folgenden hier lese:
Chron hat geschrieben: ich könnte noch studieren, z. B. Anwalt und/oder Psychologie, das gehört doch wohl oft zusammen, wenn jemand ein Problem hat, usw.

Was ich ansonsten und grundsätzlich an Deiner Antwort immer noch nicht verstanden habe: Waren der Lärm-Stress, der Schlaganfall, das Aneurysma vor Deiner Job-Aufgabe, oder waren sie danach?
Du kennst mich ein wenig, ich bin um Ehrlichkeit bemüht: Hast Du das, was man "bürgerliche Existenz" nennt (ich nenn's "Erwerbsarbeit") vor Deinem somatischen Zusammenbruch aufgegeben, oder musstest Du das danach und in Folge des geplatzten Aneurysmas aufgeben (übrigens: Geplatztes Aneurysma und Schlaganfall sind medizinisch zwei sehr unterschiedliche Dinge - hattest Du beides?)? Das wäre für mich ein Unterschied - also: Wenn Du Deine Erwerbsarbeit vor den somatischen Grausamkeiten, die Du erlitten hast, aufgegeben hättest oder danach.


Noch zwei Kleinigkeiten:
Chron hat geschrieben:Ich hatte dich übrigens älter geschätzt als du es hier (in diesem Thread) kürzlich angegeben hast - und ich empfinde das als Kompliment (es geht hier ja nicht um Äußeres).
Ich bin 46, habe das hier nie verheimlicht und frage mich angesichts Deines Satzes, was Du Dir unter einem 46-jährigen Menschen vorstellst, allein nur auf "Äußeres" bezogen ...
Chron hat geschrieben: Jedes 10. Kind lernt nicht lesen/schreiben.
Ja, und? Vielleicht lernt es Wertvolleres!

Sorry, aber da bin ich ganz entschieden!
Wer nicht lesen und schreiben lernt (und im Mittelalter lernten ganz viele Menschen nur lesen - aber immerhin!), der lernt nicht denken. Der lernt allenfalls überleben. Wie jedes andere Lebewesen auch. Wie alle Pflanzen, jedes Tier.
Das Alphabet - diese der Gattung Mensch eigene Schöpfung, der so viel Zauber und Verderben innewohnt -, das Alphabet zu 'beherrschen', bedeutet grundsätzlich, der Biologie nicht mehr ausschließlich unterworfen zu sein, sondern sich ein Terrain erobert zu haben, das mindestens genauso vernichtend ist wie das der blanken Biologie - aber auch sich jenseits von ihr zu befinden: Im Zeichen, im Symbol, im Als-ob, in aller Phantasie, und: in der 'Überwindung' der Biologie, auch wenn die uns 'Überwindung' kostet (wir lesen noch heute all die Toten).


Nebenbei: Ich habe eingesehen, dass diese ursprüngliche Thread-Idee mal wieder nur Murcks war. Drum: Keine life's labour's lost-Listen mehr von mir.

Aber einen herzlichen Gruß an Dich, Chron, und in die längst zeitzerstobene Runde
Orgel
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