Thanatos hat geschrieben:
Ich gestehe, dass jemand meine subjektive Einstellung gelegentlich als objektive Sicht verstehen kann, aber nur dann, wenn der „Ausleger“ von vornherein das Negative sucht. Zwar gehört der Zweifel nach wie vor zum philosophischen Handwerkszeug, aber, wie ich mir sagen ließ, heutzutage folgt man bei der Auslegung philosophischer Texte dem Principle of charity. Was spricht dagegen, dieses Prinzip auch auf Beiträge in diesem Forum anzuwenden?
Anders ausgedrückt: Wenn dir etwas im meinen Beiträgen unangenehm aufstößt, du dich vielleicht sogar persönlich angegriffen fühlst, kann es entweder an deiner Auffassung liegen oder an einem Missverständnis oder daran, dass ich mich falsch ausdrückte. Da ich nicht beabsichtige, stundenlang an meinen Texten zu feilen, bevor ich sie abschicke, lässt sich Letzteres nicht vermeiden.
Wie auch immer, auf keinen Fall habe ich vor, hier jemanden persönlich anzugreifen oder zu beleidigen. Wenn du dir Letzteres beim Lesen meiner Text im Gedächtnis bewahrst, hilft das vielleicht, das Principle of charity walten zu lassen und nur das zu kritisieren, was angebracht ist. Denn für konstruktive Kritik bin ich dankbar. Darunter verstehe ich eine Kritik, die dem Kritisierten von Nutzen ist, also nicht dazu dienen darf, dass sich der Kritiker hinterher auf die Schulter klopfen kann.
Die klassische Definition von Wissen ist mir durchaus bekannt. Wie du aber selbst weißt, ist diese für einen wahren „Wissens-Forscher“ nicht befriedigend. Nicht umsonst ist die Epistemologie ein sehr umfangreiches Gebiet, mit eines der letzten Gebiete, wo die Philosophie noch meint, mitreden zu können. Das führt so weit, dass man behaupten kann, letzthin nichts wirklich wissen zu können. Aber das „wusste“ ja schon Pyrrhon.
Dein „Wissen“ darum, dass ich deinen Einwand als Nörgelei deuten werde, erinnert mich tatsächlich an ein Gettier-Problem. Zum Zeitpunkt, als du das behauptetest, konntest du es nicht wissen, weil ich anders hätte reagieren können oder inzwischen hätte gestorben sein können, so dass ich gar nicht hätte reagieren können. Macht die Tatsache, dass ich dann wirklich so reagierte, wie du es „wusstest“, genau genommen aber nur vermuten konntest, deine Behauptung dadurch rückwirkend zum Wissen? Das war jetzt keine Ironie, sondern eine ernsthafte Frage.
Mehr geht heute nicht,
bis demnächst,
Thanatos
off-Topic Beitrag!
Ja, den "Gegner"/oder ein Buch etc. stark machen, gilt tatsächlich als Methode der Kritik, d.h. die Stärken einer Ansicht, eines Buches etc. hervorheben (was nicht impliziert, dass zentrale Argumentationsfehler bzw. deren Fragwürdigkeit nicht angesprochen werden dürfen).
Es ist eben nicht so, dass mir etwas Unwesentliches an deiner "Einstellung" zu Leben und Tod stört, etwas Nebensächliches. Auch liegst du ganz daneben wenn du annimmst ich fühle mich persönlich verletzt oder ähnliches. Wie sollte das der Fall sein, da für mich gilt, dass jede Wertung das Leben/den Tod betreffend immer nur subjektiv sein kann (ausgeklammert die Frage nach aufgeklärtem Eigeninteresse). Mich erstaunt, dass du solche Vermutungen aussprichst, da ich zuvor schon solche negiert habe, vor allem aber folgt aus meiner ganzen Argumentation, dass ein solches Motiv unzutreffend ist. Ich behaupte ja nicht einmal, dass es keine guten Gründe für ein Verebben der Menschheit geben kann, sondern lediglich, dass gewisse Argumente diesbezüglich untauglich sind. Mir geht es also um schlechte bis falsche Begründung für eine gewisse These. Ich denke dies habe ich hinlänglich dargelegt.
Aber dennoch nochmals: Du hast auf meine allererste Kritik an Benatars Buch in dem ich etwa 5 Gegenargumente auflistete, inhaltlich nie reagiert. Du mein(te)st lediglich, in der Argumentation von ihm nichts Widersprüchliches entdecken zu können. Kurzum: du bist der begründeten Ansicht, dass es besser wäre, dass man das menschliche Leben verebben lassen sollte. Ich finde eine solche Position muss sich der Diskussion stellen. Fairerweise würde ich Benatars Buch (oder auch dir) zugestehen, dass dir/ihm das Leid in der Welt nicht gleichgültig ist, dass es dich/ihn bewegt und ein Stein des Anstosses für dich/ihn ist. Soweit sind wir uns einig. Aber wenn man darauf fussend zu Schlussfolgerungen gelangt die in sich selber erstens kontraintuitiv sind (in der Regel gilt in der Ethik das Prinzip, dass Intuitionen grundsätzlich zu widerlegen sind, die Beweislast bei dem liegt der solche negiert. Und selbst eine gelungene Widerlegung genügt nicht, wenn die praktisch-sozialen Konsequenzen nicht tragbar wären...gegen dieses Prinzip geht Benatar z.B. in seinem missglückten Argument gegen die Gültigkeit je subjektiver Wertungen eigenen Lebens an), und zweitens schlicht falsch, muss man bereit sein auf Gegenargumente zu antworten, bzw. darzulegen wesshalb man ein Gegenargument als falsch erachtet. Das habe ich gemacht, du nicht. Es gehört eben auch zu den Fairnessregeln, dass man Argumente des Gegners zur Kenntnis nimmt und darauf eingeht.
Ein Wort zur Skepsis: ob und inwiefern und welche Erkenntnisformen betreffend Wissen begründet werden kann, ist ein heiss umstrittenes Thema. Siehe z.B. das Buch von Markus Gabriel "Die Welt gibt es nicht" (bei Amazon sieht man alleine schon an der Bandbreite der Bewertungen wie kontrovers argumentiert/bewertet wird). Grundsätzlich muss betont werden mit welch subtilen Argumenten es da zu und her geht (und da ich mich da bei weitem nicht als Fachmann einstufe, kann ich auch keine abschliessende Position beziehen). Die Ansicht es gebe kein sicheres Wissen, ist natürlich selbstwidersprüchlich (zumindest wenn es als begründbare Position begriffen wird. Ausserdem gibt es durchaus sicheres Wissen, alle mentalen Phänomene sind als Phänomene gewiss). Mich erstaunt aber, dass du für die Skepsis Partei ergreifst (so interpretiere ich das mal), aber bezüglich dem Benatar'schen Thema so unkritisch hinschaust.
Ein Buch zum Thema Erkenntnistheorie und Realismus/Relativismus ist jenes von P.Boghossian "Angst vor der Wirklichkeit" mit einem Nachwort von M.Gabriel (von dem du ja mal einen link gepostet hattest), allerdings nicht ganz einfach zu lesen.
Betreff "Nörgelei": auch deine letzte Antwort müsste ich in Teilen so klassifizieren, denn du antwortest eigentlich nirgends wirklich auf meine Argumente (dass die Benatar'sche Argumentation gegen das Leben überhaupt, schlicht nicht hält was es verspricht). Du weichst da doch mehr aus (Hinweise auf Fairnessregeln, Missverständnisse, auch noch Motivsuche: hier müsste ich dir vorhalten nicht zwischen Genese und Geltung von Erkenntnis zu unterscheiden). Wie auch immer...worum es mir geht ist hoffentlich klar: einzig und alleine darum, dass du auf meine Einwände inhaltlich-argumentativ antwortest oder eben konzedierst, dass deine Einstellung eine nicht begründbare, rein subjektive Geschmackssache ist (und du damit irgendwelchen pro oder contra Argumenten neutral gegenüberstehst).
Bezüglich dem Wissensproblem: sicher wissen was ein anderer tun oder denken wird, ist natürlich nie möglich (ob man nun einen freien Willen voraussetzt oder nicht). Man könnte ja sogar sagen, dass man selber nicht mit hundertprozentiger Sicherheit um seine künftigen Ansichten/Handlungen weiss. Der Mensch ist da schlicht zu komplex (wie auch z.B. das Wetter). Rechtfertigungen/Begründungen können bestenfalls immer nur für hohe Wahrscheinlichkeit garantieren (ausgeklammert logische oder mathematische Wahrheiten die rein deduktiv zustande kommen). Wenn man dies eingesteht hat man aber unter Umständen den klassischen Wissensbegriff bereits unstatthaft unterminiert (Wissen nicht mehr verstanden als Gewissheit also nur noch "gerechtfertigte, mit hoher Wahrscheinlichkeit wahre, Überzeugung"). Ich denke, dass dein (hypothetisches) gestorben sein kein wirklicher Widerspruch gegen meine Annahme bezüglich deiner vermuteten Reaktion darstellen würde. Meine Annahme setzt deine Existenz implizit voraus: Prognosen über das "Wie" von was auch immer, setzt deren künftige Existenz implizit voraus (ob dies rein formallogisch auch gilt, vermute ich, weiss aber nicht mit Sicherheit: da gibt es wohl unterschiedliche Logiken mit unterschiedlichen Ansichten). Im alltäglichen Verständnis trifft es sicher zu: "Morgen wird das Wetter schön, weil die Meteorologen das auf Grund ihrer Daten mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt vorhersagen...aber nur unter der Bedingung, dass es Morgen überhaupt ein Wetter gibt." Der Nachsatz würde jedem als überflüssig erscheinen, weil es die ontologische, evtl. auch logische Voraussetzung des ersteren ist. Negiert man jegliche solche Implikation, dann könnte man das Problem auch schlicht unter die Tatsache subsummieren, dass Wissen immer nur Wahrscheinlichkeitscharakter hat (mit oben angedeutetem Problem). Dass also dein mögliches Sterben ein Faktor darstellt, der meine Prognose unsicher macht. Anders der Fall wenn eine Prognose explizit eine Existenzaussage enthält. Falls dies nicht überzeugt, müsste die Definition von Wissen erweitert werden, genauer: eingeengt werden (hier dahingehend, dass man ausdrücklich sagt, dass prädikative Aussagen immer auch eine Existenzaussage enthalten, oder ähnlich. Das ist ja eine Folgerung des Gettierproblems: entweder die Wissensdefinition zu präzisieren weil sie unvollständig ist, oder aber folgern, dass Wissen nicht hinreichend definierbar ist und damit nicht streng gegen blosses Meinen abgegrenzt werden kann...was Wissen als Wahrscheinlichkeitsaussage nahe kommt. Solche Wahrscheinlichkeit zu berechnen ist aber auch problematisch: siehe R.Carnap und den logischen Positivismus. Die erste der beiden Varianten wird von Philosophen mehrheitlich favorisiert.)
So...fast in einem Guss geschrieben, da klopf ich mir mal (die Selbstironie im Augenwinkel noch wahrnehmend) gründlich auf die Schulter (eine schlechte Angewohnheit von mir, die ich wohl nötig habe).
PS: Ein hervorragendes Beispiel dafür, wo der rein subjektive Status (der Wertung) von Argumenten gegen (oder für) das Leben ausdrücklich auch so benannt wird, ist jenes von M. Neuffer "Nein zum Leben".