Das Dignitas-Motto

Es ist nur ein Lesezugriff möglich.

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Das Dignitas-Motto

Beitrag von Chron »

Links oben über jeder Seite, die ich von dem Forum aufmache und sehe, steht:
"DIGNITAS
Menschenwürdig leben
Menschenwürdig sterben"

Was heisst für euch/dich "menschenwürdig", bezüglich leben und/oder sterben?

Ich kann mit diesem Wort höchst wenig anfangen.

"Würde" (wozu es auch das Wort "Würdenträger" gibt) ist für mich eher eine religiös-christliche Bezeichnung, ein Bischof in seiner Robe oder sowas.

Würde hat ein alter weiser Mensch. Z. B. Nelson Mandela.

"Menschen...", "menschlich" (oder fremdwörtlich "human") usw. ist für mich immer sehr zweifelhaft, denn es gibt ja auch Menschen, die Verbrecher sind; auch das Böse ist menschlich (und vermutlich NUR menschlich, nicht aber z. B. tierisch!).

Würdig als Mensch könnte bedeuten, anerkannt als Mensch. Also Ernst genommen Werden.

Mit "menschenwürdig leben" kann ich noch weniger anfangen, oder mir etwas darunter vorstellen, als mit "menschenwürdig sterben".

Nicht "menschenwürdig" Leben, da fallen mir unzumutbare Zustände ein wie z. B. Ratten, Schimmel, in extremen Messie- bzw. vermüllten bzw. Sozial-Wohnungen (TV-Berichte), oder Zustände in Flüchtlingslagern; Hunger, Kälte - und ebenso hat natürlich Folter, Foltergefängnisse, Guantanamo usw. nichts mit "menschenwürdig" im Sinne von "den/einen Menschen achtend" zu tun.

"Menschenwürdig sterben": ??? Keine Ahnung! Stellt sich da die Mehrheit der Bevölkerung/Leser (von so einem - deutschsprachigen, also in diesem mehrheitlich christlichen Kulturraum) was mit Kerzen und Pfarrer vor oder so etwas?

Es gibt doch gar keine Einteilung in "würdiges" und "unwürdiges" Sterben. Man verreckt meistens letztlich - in der Natur ist es so.
Ist Leiden "unwürdig"? Es kommt seit jeher vor. Bei Tier, Mensch, Pflanze, ...

Also, eben: Ich weiss es nicht. Kann mit diesem Motto nichts anfangen. Weiss nicht, wozu es da ist.
Vielleicht klärt mich mal jemand auf?
Thanatos
Beiträge: 1580
Registriert: Freitag 5. Februar 2010, 10:48

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Thanatos »

Chron hat geschrieben:...
Vielleicht klärt mich mal jemand auf?
Ein gelernter Philosoph würde jetzt vermutlich eine ausführliche Begriffsanalyse der Begriffe „Mensch“, „Würde“ - respektive des Adjektivs „würdig“ - und „Menschenwürde“ starten, nicht zu vergessen von „leben“ und „sterben“. Da ich allerdings kein gelernter Philosoph bin, habe ich gerade mal über diese Begriffe gegoogelt. Da kommt Interessantes zutage, das du dir selbst durchlesen kannst, wenn du magst.
Ich würde noch hinzufügen, dass es meine persönliche Ansicht ist, was ich als würdig empfinde, dass ich mir also nicht vorschreiben lassen möchte, was ich als würdig bzw. unwürdig zu betrachten habe, zumindest so lange es mich selbst betrifft. Konkret: Es ist meine Entscheidung, bis zu welchem Punkt ich mein Leben noch als des Lebens würdig betrachte. Darüber hat keine Moralvorstellung, Religion, kein Arzt oder eine mir nahe stehende Person zu entscheiden. Ich entscheide das. In diesem Punkt bin ich Egoist. :wink:
Wirklich aufklären über das Dignitas-Motto können dich aber vielleicht nur die Schöpfer dieses Mottos.
Gruß vom Thanatos
Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Chron »

Thanatos hat geschrieben:Da ich allerdings kein gelernter Philosoph bin, habe ich gerade mal über diese Begriffe gegoogelt. Da kommt Interessantes zutage, das du dir selbst durchlesen kannst, wenn du magst.
Z. B. (Links)?
Thanatos hat geschrieben:Ich würde noch hinzufügen, dass es meine persönliche Ansicht ist, was ich als würdig empfinde, dass ich mir also nicht vorschreiben lassen möchte, was ich als würdig bzw. unwürdig zu betrachten habe, zumindest so lange es mich selbst betrifft.
Stimmt :idea:
Thanatos hat geschrieben:Konkret: Es ist meine Entscheidung, bis zu welchem Punkt ich mein Leben noch als des Lebens würdig betrachte.
"Lebenswürdig", bzw. "des Lebens würdig", ja, damit kann ich ohne groß nachzudenken (oder zu googlen) etwas anfangen; das "sagt" mir etwas!
"Würdig" also = "es Wert sein zu ..."?

"Menschenwürdig leben" = "es würdig/Wert sein zu leben"
"Menschenwürdig sterben" = "es würdig/Wert sein zu sterben"

Ersteres passt für mich nun nicht mehr zu "ich mein Leben noch als des Lebens würdig betrachte".
Letzteres aber wirft mir viele Gedanken/Gefühle auf. Wer ist es Wert zu sterben? Tiere z. B. ... Menschen??? Worin besteht der Unwert eines menschlichen Lebens, wenn man ihm (dem Menschen) nicht den Wert (des Sterbens) - oder die Würde, Gnade, Möglichkeit zu sterben (in einer ihm genehmen Art zu einem ihm genehmen Zeitpunkt) - zugesteht?
Thanatos hat geschrieben:Darüber hat keine Moralvorstellung, Religion, kein Arzt oder eine mir nahe stehende Person zu entscheiden. Ich entscheide das. In diesem Punkt bin ich Egoist. :wink:
Wäre schön, wenn es so wäre. Und egoistisch darf und soll man sein, gerade wenn man das Leben nicht mehr lebenswert findet - aber das wird allgemein wohl nicht anerkannt; man soll weiterhin "Futter" für Doktoren, Sachbearbeiter usw. sein ...
Thanatos hat geschrieben:Wirklich aufklären über das Dignitas-Motto können dich aber vielleicht nur die Schöpfer dieses Mottos.
Gruß vom Thanatos
Ich war schon kurz davor zu schreiben "schön, dass es keine Antworten gegeben hat - also weiss das nicht nur ich nicht! Tröstet mich ..." - dann habe ich doch noch diese deine Antwort gesehen.
Ja, wer hat das eigentlich erfunden? Und wozu?
:idea: :arrow: :mrgreen:
Zuletzt geändert von Chron am Samstag 19. Oktober 2013, 09:59, insgesamt 1-mal geändert.
Thanatos
Beiträge: 1580
Registriert: Freitag 5. Februar 2010, 10:48

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Thanatos »

Chron hat geschrieben:...
Ja, wer hat das eigentlich erfunden? Und wozu?
...
Diese Frage kann dir vielleicht der Mediator des Forums beantworten. Den kann man ja über PN fragen.
Das Motto einer anderen Organisation (die sich auf ihre Art mit dem Sterben beschäftigt) lautet: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ (Cicely Saunders)
Was einen interessanten Link zum Thema Menschenwürde betrifft, so findest du dort einiges zur Lektüre.
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde
Es grüßt,
Thanatos
Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Chron »

Thanatos hat geschrieben:Diese Frage kann dir vielleicht der Mediator des Forums beantworten. Den kann man ja über PN fragen.
Ich möchte das lieber öffentlich. In dem Forum, worüber oben links auf jeder Seite eben dieses Motto steht.
Wir schreiben also quasi alle unsere Beiträge unter diesem Motto.
Das wohl die Wenigsten verstehen ...
Thanatos hat geschrieben:Das Motto einer anderen Organisation (die sich auf ihre Art mit dem Sterben beschäftigt) lautet: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ (Cicely Saunders)
Ich weiss nur, dass ein in der CH tätiger deutscher Palliativ-Mediziner, der auch ein Buch geschrieben hat, diese Cicely Saunders sehr verehrt. Gesehen/gehört am TV und glaub auch in seinem Buch gelesen.
Aber eine "andere Organisation"? Keine Ahnung.
Wobei dieses Motto wohl nicht von Saunders erfunden wurde, sondern aus älterer Zeit stammt.
Ich bringe das aber nicht zusammen mit "menschenwürdig sterben" (wobei es darum geht, dem Leben WENIGER Tage zu geben).
Thanatos hat geschrieben:Was einen interessanten Link zum Thema Menschenwürde betrifft, so findest du dort einiges zur Lektüre.
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde
Ja, okay, danke. Menschenwürde = "menschenwürdig". Ich klicke mir das mal auf ...
Thanatos
Beiträge: 1580
Registriert: Freitag 5. Februar 2010, 10:48

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Thanatos »

Chron hat geschrieben:
Thanatos hat geschrieben:...
Thanatos hat geschrieben:Das Motto einer anderen Organisation (die sich auf ihre Art mit dem Sterben beschäftigt) lautet: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ (Cicely Saunders)
,,,
Aber eine "andere Organisation"? Keine Ahnung.
...
Das in meinem Beitrag erwähnte Motto ist das der Hospizbewegung.
Ich würde jetzt gerne noch mehr schreiben, auch zu deinem Beitrag über „Wunsch-Tod“, den ich gerade erst entdeckte, muss aber leider weg.
Bis demnächst,
Thanatos
Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Chron »

http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:dies ist von der umgangssprachlichen Bedeutung des Begriffes Würde zu unterscheiden
Aha! Aber schwierig zu bewerkstelligen, wenn man/ich eben normalerweise ein Wort spontan so versteht (oder zu verstehen versucht), wie es normalerweise/umgangssprachlich benutzt wird oder werden sollte ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:Der Begriff Menschenwürde ist verwurzelt in einer christlichen Tradition
Aha, deshalb verstehe ich das nicht (war nie und bin kein Christ)!

Ein religiöses bzw. christliches Motto also ... Soso :-( ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:Religiöse Wurzeln

Die Idee der Menschenwürde hat tiefreichende historische Wurzeln. Vorläufer dessen, was heute unter „Menschenwürde“ verstanden wird, finden sich partiell bereits im frühen Judentum und im Christentum. Dazu zählen primär der Gedanke der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,27 EU) und die daraus folgende fundamentale Gleichheit der Menschen.[1] Der Gleichheitsgedanke manifestierte sich zunächst als „Gleichheit aller Gläubigen vor Gott“. Bei Paulus kommt diese Vorstellung radikal zum Ausdruck: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus“ (Gal 3,28 f).
Damit kann ich nichts anfangen ("Gottebenbildlichkeit"??? Ohne Gott gibt es kein Ebenbild von mir ...).
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:Antike

Die griechische Antike (Vorsokratiker, Platon, Aristoteles) kennt den Begriff der Menschenwürde nicht.
Ich habe nie geleugnet, dass ich altmodisch bin (und meine Gene noch altmodischer; Millionen Jahre, längst vor diesen xxx-on und xx-es) ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:Aus der Tatsache, dass der Mensch ein rationales Wesen ist, folgt für Aristoteles nicht, dass er bestimmte Ansprüche an Andere oder die Gesellschaft hat.
Interessant! Dabei denke ich doch sofort an den verlorenen gerichtlichen Prozess (via CH vor Europagericht glaub), ob es einen Anspruch auf Sterbehilfe/Sterbemittel gebe, weil Sterbehilfe/Sterbemittel legal sei. Antwort Nein - dafür sei der Staat nicht zuständig (ist er aber - er schustert es z. B. den Medizinern zu!).
Und das wusste Aristoteles voraus?
Nein. Sondern das ist aus heutiger Sicht eine Vernetzung mit dem Altertum (in dem es "Menschenwürde" als Begriff nicht gab).
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:Im Begriff der distributiven Gerechtigkeit etwa soll dem Einzelnen nach dem Prinzip der Würdigkeit und des Verdienstes zugeteilt werden. Die Würdigkeit bemisst sich danach, was er für die Gemeinschaft geleistet hat. Anders sieht dies die römische Antike. Zwei Begriffe spielen dabei eine Rolle.
die humanitas
die dignitas
Womit wir bei "Dignitas" wären - was Fremdwörtliches und wörtlich auch nicht auf Anhieb zu Verstehendes ...
Der erste Satz des Zitats ist bei Wikipedia offensichtlich unvollständig (soll dem Einzelnen WAS zugeteilt werden?).
"Die Würdigkeit bemisst sich danach, was er für die Gemeinschaft geleistet hat." Ja, das passt zu meiner spontanen Auffassung von "Würde" wie z. B. von Nelson Mandela.
Was aber auch heisst, normale Leute ohne besondere Verdienste haben keine Würde (was ich für mich durchaus zutreffend finde! Ich und "Würde"? Passt nicht!).
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:Erst mit dem Konzept der dignitas (= Würde, Würdigkeit) können erste Ansätze zum Begriff der Menschenwürde gesehen werden. Einschlägig hierfür sind Ciceros Werke De re publica („Über den Staat“) und De officiis („Vom pflichtgemäßen Handeln, Von den Pflichten“).
Das wird mir zu kompliziert (Ciceros Werke). Und schliesslich steht das JETZT über den Forumsseiten - und nicht irgendwo bei Cicero vor xx hundert Jahren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:2) Ciceros Konzept einer angeborenen Würde des Menschen in De officiis

[...]Dort, wo Cicero vom Menschen im Gegensatz zum Tier redet, billigt er allen Menschen eine Würde zu.

[...]
Würde erhält der Mensch demnach, weil er im Gegensatz zum Tier vernünftig ist, und zwar zunächst unabhängig von seinen Leistungen.
Ich finde Tiere oft viel würdiger als (dumme, böse usw.) Menschen! Und der Verstand, das Denken, ist dabei keine Hilfe zur Würdigkeit, und hat auch allzuoft nichts mit "Vernunft" zu tun, ganz im Gegenteil. Oder andersrum: Tiere können weder vernünftig noch unvernünftig sein. Sie leben einfach. Und so ein alter dicker Kater auf einem Sofa hat für mich durchaus eine Würde ... Ich möchte also wohl lieber "tierwürdig" leben/sterben ...
http://de.wikipedia.org/wiki/Menschenw%C3%BCrde hat geschrieben:Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948
Nach Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 sind alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.
a) Ein "würdiges Kind/Baby"? Das passt für mich sprachlich/bedeutungsmäßig (normales Verständnis ohne Cicero) überhaupt nicht zusammen!
b) Wenn Würde sowieso angeboren ist, wozu dann noch das Motto ...
Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Chron »

Thanatos hat geschrieben:Ich würde jetzt gerne noch mehr schreiben, auch zu deinem Beitrag über „Wunsch-Tod“, den ich gerade erst entdeckte, muss aber leider weg.
Gerne auch später :-)
pida
Beiträge: 560
Registriert: Mittwoch 15. Juli 2009, 05:45

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von pida »

Hallo Zusammen,

ich denke, dass

[quote]

Menschenwürdig leben
Menschenwürdig sterben

[ unquote]

das Ergebnis sehr langer Überlegungen und einer grossen Anzahl von alternativen Wortkombinationen ist.

Ich sehe hier kein Forum, bei dem es vordergründig beispielsweise um Humanität / Menschlichkeit geht, sondern um das Ergebnis des Versagens solcher Attribute menschlicher Gemeinschaft.

Das zentrale Thema für mich ist hier der Suizid, in den meisten Fällen wohl verbunden mit der Selbstbestimmung des Zeitpunktes.

Bei 'menschenwürdigem' Sterben erscheint bei mir in der Regel das Bild einer bettlegerischen Person, welche an Schläuchen hängt, sich nicht mehr bewegen und auch in keiner wahrnehmbaren Form mehr artikulieren kann; künstliche Ernährung, Vollpumpen mit Medikamenten, das für Aussenstehende Gefühl, vielleicht ein medizinisches Studienobjekt zu sehen, Unmöglichkeiten der eigenständigen Körperhygiene, Umstände beim Ausscheiden von Körperflüssigkeiten . . .
Die Ungewisseit Aussenstehender: was nimmt dieser Person noch wahr ?
Das sind für mich Um- und Beschreibungen eines unwürdigen Lebens.

Alles, das hilft, diesen Zustand schmerzfrei für die oder den Betroffenen zu beenden, ist für mich ein würdevolles Sterben.

Bei noch aktiven Betroffenen ist es für mich etwas anders: da geht es um den Respekt einer persönlichen Entscheidung.
Um das Respektieren dieser Entscheidung.
Nicht die Entscheidung aus dem Affekt - sondern nach reiflicher Überlegung und verschiedener erfolgloser Inanspruchnahme von zur Verfügung stehender Hilfe.

Eine abschliessende und herbe Anmerkung:
Sterben ist wohl nicht gleich sterben; es gibt sehr viele, die, unter welchen Umständen auch immer, einfach verrecken;
ohne Perspektive, ohne Hilfe - und ohne Würde.

Die Plattform hier, wie sie besteht, ist eine Institution, dem vorgenannten Extrem sachlich und mit Perspektive zu begegnen.

Auch wenn wir privilegiert sind, dieses Medium aufgrund unserer persönlichen Möglichkeiten überhaupt nutzen zu können - sehr viele können das überhaupt nicht oder nicht mehr.

Danke und schönen Sonntach noch,
pida
Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Chron »

pida hat geschrieben:[...] Das sind für mich Um- und Beschreibungen eines unwürdigen Lebens.
Die Idee finde ich gut, das Motto umzudrehen, und es so vielleicht eher zu verstehen; also z. B::

Anti-Dignitas
Menschenunwürdiges Leben
Menschenunwürdiges Sterben

Trotz deiner Beschreibungen kann ich mit "unwürdg" nicht wirklich etwas anfangen.
"Menschenunwürdiges Sterben", hilflos an Schläuchen usw., scheitert bei mir verbal daran, dass ja gerade in diesem Fall viele Menschen um den Sterbenden herum sind. Menschen = automatisch "menschenwürdig"? Wenn Würde angeboren ist, Ja! Aber so möchte ich natürlich nicht sterben, und wohl die wenigsten Menschen!

Eine Schwierigkeit ist für mich auch die Abgrenzung von Leben und Sterben. Denn Sterben gehört ja noch zum Leben.
Thanatos
Beiträge: 1580
Registriert: Freitag 5. Februar 2010, 10:48

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Thanatos »

Chron hat geschrieben:...
Eine Schwierigkeit ist für mich auch die Abgrenzung von Leben und Sterben...
„Sterben ist der Übergang vom Leben in den Tod. Das Ende dieses Übergangs kann zeitlich mit dem Todeszeitpunkt eingegrenzt werden, der Beginn des Sterbens kann dagegen nicht eindeutig bestimmt werden.“ sagt ein „schlauer“ Beitrag aus dem Internet. Wie du siehst, weiß man es dort auch nicht genau.
Für mich begann das Sterben mit der Geburt - halt, wohl eher mit der Bewusstwerdung der Absurdität meines Lebens – und zieht sich schon ziemlich lange hin...
Gruß,
Thanatos
Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Chron »

Thanatos hat geschrieben:„Sterben ist der Übergang vom Leben in den Tod. Das Ende dieses Übergangs kann zeitlich mit dem Todeszeitpunkt eingegrenzt werden, der Beginn des Sterbens kann dagegen nicht eindeutig bestimmt werden.“ sagt ein „schlauer“ Beitrag aus dem Internet. Wie du siehst, weiß man es dort auch nicht genau.
Wie tröstlich ;-) ...
Ich habe für mich definiert, dass das Sterben dann beginnt, wenn das äusserlich so organisiert wird (z. B. durch die Verlegung in ein Hospiz) und/oder wenn man innerlich erkannt und als unumkehrbar akzeptiert hat, dass das Leben nicht mehr besser wird, sondern nur noch schlechter bis zum Tod, und man also entweder seinen Tod möglichst bald haben/machen (können) möchte oder ihn sehnlichst erwartet.
Thanatos hat geschrieben:Für mich begann das Sterben mit der Geburt - halt, wohl eher mit der Bewusstwerdung der Absurdität meines Lebens – und zieht sich schon ziemlich lange hin...
Mir wurde die Möglichkeit des Sterbens erst mit etwa 5 Jahren bewusst, also nach dem Entstehen des Bewusstseins (das ich ins Alter 2-4 zuordne), und weil ich den Tod von einem mit mir befreundeten älteren Nachbarn mitbekam. Zwar wusste ich (dann), dass auch Kinder sterben können, dennoch sagte und sagt mir mein Gefühl, bis zum Erwachsenenalter ist eher Wachstum, Neuwerdung, Vermehrung, Vergrößerung, alles in Richtung noch mehr Leben, und dann erst beginnt der Abbau, das Umgekehrte, das - langfristig gesehen, normalerweise - Sterben, Verkleinern, Abbauen, wieder schwächer Werden usw... Biologisch altern wir glaub ab 30 (und werden maximal etwa 120 Jahre alt). Dennoch weiss ich vom Verstand her, das Sterben, der Tod, ist schon von Anfang an mit drin (und der Anfang ist für mich die Zeugung, ich als erste Zelle und verdoppelte Zellen, und nicht die Geburt als nur ein Übergang von im Mutterleib nach "draussen"). Das Leben als eine Art Kurve, nach oben und dann nach unten. Und irgendwo im absteigenden Teil der Kurve könnte ich eine Sprechblase "Beginn des Sterbens" einfügen. Das ist aber rückwirkend gesehen VOR dem Zeitpunkt, als ich beschloss, jetzt möchte ich sterben (und das dann wider Erwarten nicht umsetzen konnte). Weil ich den steten Abbau und die stete Verschlechterung und Verschlimmerung des Lebens hin zum Tod noch nicht wahrhaben wollte/konnte. Den Übergang könnte ich also nicht taggenau benennen (nur den Tag meiner Erkenntnis, es ist vorbei; was noch kommt, ist höchstens noch vegetieren Müssen, ein Warten, aber kein lebendiges Leben mehr).
Und in manchen Leben gibt es wohl gar kein Sterben, das von den Betroffenen oder ihrer Umgebung wahrgenommen werden könnte. Bei plötzlichen Unfalltoden, oder wenn sich jemand bis fast zur letzten Sekunde gegen das Sterben wehrt, es nicht wahrhaben, nicht akzeptieren will/kann (wobei dann manche Umstehenden wohl merken, er/sie stirbt trotzdem immer mehr und bald ganz, und Andere denken, also besteht noch Hoffnung, das sei noch nicht der Weg zum Ende, sondern es gebe noch einen weiteren Umweg über Leben [ohne Gedanken an baldiges Sterben] bis hin dann zur wirklich letzten Lebensphase = Sterbephase).

Macht die Einteilung Leben/Sterben Sinn?

"Menschenwürdig leben bis zum Schluss" o. ä. fände ich irgendwie besser (wenn denn schon "menschenwürdig").
Thanatos
Beiträge: 1580
Registriert: Freitag 5. Februar 2010, 10:48

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Thanatos »

Chron hat geschrieben:...
Macht die Einteilung Leben/Sterben Sinn?
...
Fragen kannst du stellen! :wink:
Diese brachte mich wirklich ins Grübeln.
Ob Leben Sinn macht, darüber wurde im Forum schon ausgiebig diskutiert. Ob Sterben Sinn macht? Auf alle Fälle, denn ich empfände es als unüberbietbare Grausamkeit, wenn das Leben ewig währte.
Tja, aber macht nun die Einteilung Sinn? Wenn man das Sterben als mit der Zeugung beginnend betrachtet, macht die Einteilung wohl keinen Sinn. Wenn man es aber der üblichen Definition gemäß anschaut, dass also der Sterbeprozess – trotz nicht eindeutiger Bestimmbarkeit des Beginns – irgendwann eintritt, üblicherweise lange nach Zeugung und Geburt... , dann macht die Einteilung Sinn, denke ich. Verlass dich aber nicht darauf, was ich denke. :)
Gruß,
Thanatos
Orgeluse
Beiträge: 864
Registriert: Dienstag 23. November 2010, 00:04

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Orgeluse »

Lieber Chron,

vermutlich geht das, was ich Dir nun gern sagen würde (zumindest "gern sagen würde", denn ob ich mich Dir verständlich machen kann, ist - wie immer bei solchen kommunikativen Akten - sehr fraglich),
vermutlich also geht das, was ich Dir nun zumindest gern sagen würde, vollkommen daneben.

Du fragst nach dem Wort "Würde".
Das ist nicht nur ein Wort (wie "Smartphone", "KFZ", "Taschentuch"), sondern ein Begriff (= ein Konzept).

"Die Würde des Menschen ist unantastbar". So lautet der 1. Satz des 1. Absatzes des 1. Artikels des Grundgesetzes der BRD. (Und ähnlich findet er sich in vielen anderen, meist europäischen, Verfassungen.)
Das ist heutzutage in der BRD (einem sogen. säkularisierten Staat) keine religiöse, sondern eine rein weltlich-staatliche Fest-Stellung: "Die Würde des Menschen ist unantastbar".
Und diese konstruierte Seins-Beschreibung (also Fest-Stellung eines historisch und aktuell gewollten Sach-Verhaltes) steht in jenem Grundgesetz an allererster Stelle einer staatlichen Selbstbeschreibung und Selbstverpflichtung (so könnte man eine "Verfassung" vielleicht ein wenig salopp beschreiben).

Doch bei Begriffen, also nicht nur Wörtern, sondern bei Worten, an die im Laufe der Jahrtausende der Mensch komplexe Konzepte (= Vorstellungen vom Sein) angehängt hat (solche Begriffe wie "Würde", "Wahrheit", "Schönheit", "Qualität", "Kunst", "Wissenschaft", "Menschlichkeit", "Gerechtigkeit", "Schuld", "Verantwortung" etc.), - bei denen ist es nicht so einfach mit der "Erklärung".
Denn an diese Worte, die über lange Zeit, z.T. über Jahrtausende hinweg, zu "Begriffen" geworden sind, hat sich all ihre begriffsbildende Geschichte angelagert.
Solche Worte sind Gebirge. Eine Bedeutungssedimentschicht lagert über der nächsten. Tausende von Zeitmetern hoch.

"Würde".
Das ist ein Wort aus einem der ethischen Gebirge. Die sind am höchsten und (interessanterweise) am ältesten: Dort sind die meisten Bedeutungsschichten zu finden.
Die "religiöse", die Du, lieber Chron, so prominent erwähnt hast (noch dazu nur die "katholische") ist eine ganz dünne Schicht innerhalb dieses Gebirges.

Doch selbst, wenn Du Dich daran machst, dieses Begriffsgebirge zu erklimmen: In diesen Bergen des menschlichen Herzens, in denen des Menschen Hirn schon so lange Bedeutungsschicht auf Bedeutungsschicht schiebt, wirst Du irgendwann verloren gehen. Oder Du wirst dessen gewahr, was ein "Begriff" auch sein kann:
Eine plötzlich aufflammende Erkenntnis.

Eine, die nicht vermittelbar ist, keinem anderen Menschen mitteilbar.

- Der Witz: Diesen Moment, dieses plötzliche Aufflammen der Bedeutung eines Begriffes UND gleichzeitig seiner Unmitteilbarkeit - diesen Moment kennen viele Menschen.

Gruß in die lang schon zerstobene Runde (sie noch einmal beschwörend: Schattenwurf jener Flammen dort an dieser Wand! Und pf fort - - -)
Orgeluse
Chron
Beiträge: 642
Registriert: Samstag 10. Juli 2010, 20:56

Re: Das Dignitas-Motto

Beitrag von Chron »

Thanatos hat geschrieben:
Chron hat geschrieben:...
Macht die Einteilung Leben/Sterben Sinn?
...
Fragen kannst du stellen! :wink:
Ja, das weiss ich ;-) (haben mir schon Andere "vorgeworfen" - aber mein Hirn funktioniert nun mal eben so :mrgreen:)
Thanatos hat geschrieben:Diese brachte mich wirklich ins Grübeln.
Ich hoffe, im positiven Sinn (Grübeln/Graben wird meiner Meinung nach zu oft abgewertet - es führt manchmal doch zu tiefergründigen Erkenntnissen!).
Thanatos hat geschrieben:Ob Leben Sinn macht, darüber wurde im Forum schon ausgiebig diskutiert. Ob Sterben Sinn macht? Auf alle Fälle, denn ich empfände es als unüberbietbare Grausamkeit, wenn das Leben ewig währte.
Ich möchte da unterscheiden: Der Tod macht Sinn - das Sterben (als Leidensphase) aber nicht.
Thanatos hat geschrieben:Tja, aber macht nun die Einteilung Sinn? Wenn man das Sterben als mit der Zeugung beginnend betrachtet, macht die Einteilung wohl keinen Sinn. Wenn man es aber der üblichen Definition gemäß anschaut, dass also der Sterbeprozess – trotz nicht eindeutiger Bestimmbarkeit des Beginns – irgendwann eintritt, üblicherweise lange nach Zeugung und Geburt... , dann macht die Einteilung Sinn, denke ich. Verlass dich aber nicht darauf, was ich denke. :)
Letzteres werde ich schon nicht tun, keine Angst ;-). Aber das Denken Anderer kann wiederum in meinem Denken neue Prozesse/Erkenntnisse anregen (schön, dass es so ein Forum und solche Beiträge gibt :-)!

Ich frage mich, ob diese Einteilung Leben/Sterben nicht vor allem mit den Sterbehilfevereinen aufkam. Wie war es davor? "Sterben" waren vermutlich nur die letzten Stunden oder wenigen Tage, in denen der/die Sterbende auf dem "Totenbett" lag, wusste dass das Leben nicht mehr lange dauern wird, noch seine letzten Wünsche für nach seinem/ihrem Tod bekannt gab, und nochmals alle Verwandten/Freunde sah, sprach und verabschiedete. Oder auch gar nicht mehr "zurechnungsfähig" war - und man (alle Umstehenden zumindest) wartete nur noch darauf, dass er/sie "die Augen für immer schloss".

Das erinnert mich an Masern mit etwa 10-jährig, mit Hirnentzündung (Enzephalitis) und weit über 40° Fieber. Die Mutter putzte im untern Stockwerk (ihr Haupt-Hobby), und ich wäre zu schwach gewesen, um Hilfe zu rufen. Knapp bekam ich noch einen Tagebuch-Eintrag hin, wenige Wörter. Später hat mich das erschreckt. Ich war so nahe am Tod ... Das Wort "sterben" aber fiel mir nicht ein. Sondern das Ende des Lebens. Dann tauchten in den obern Ecken meines Kinderzimmers weisse Ballone auf, die mich immer einsaugen wollten. Und irgendwann war ich dann wieder gesünder und mit weniger Fieber.
Also zwar das Gefühl von Sterben/Lebensende - das aber dann doch kein tatsächliches Sterben/Lebensende war.
Jemand kann "im Sterben liegen" und trotzdem noch weiter leben.

Ich finde "Sterben" als Definition sinnlos.
Und ich bin dabei, es mir wieder abzugewöhnen (nachdem ich mich ab meinem dann leider nicht umsetzbaren Entschluss, nun sei das Sterben/Lebensende fällig, als Sterbenden eingeteilt hatte).
Möglichst gut leben bis zum Schluss - bzw. eben Schluss, wenn gutes Leben nicht mehr möglich ist/wird.
Das Dignitas-Motto scheint mir zu vermitteln "wenn man menschenwürdig gelebt hat, soll man auch menschenwürdig sterben (können)". Das Sterben (als letzter Teil eines Lebens) wie das Leben.
Aber was, wenn man menschenunwürdig leben musste? Zuletzt - oder gar bis zuletzt, zu lange usw.?

"Menschenwürdig" (nur für Menschen) ist z. B. an Schläuchen, mit künstlicher Ernährung, Beatmung, regungslos/bewegungsunmöglich, sprachunfähig, ...
*grusel* Aber so verkehrt sich das Motto ins Gegenteil - im Laufe menschlicher Technik. Die laut TV-Berichten immer mehr auch für (Haus-)Tiere angewendet wird (Operationen, Prothesen, Medikamente, bloß nicht einschläfern, auch wenn es längst an der Zeit dafür wäre ...).
Gesperrt