Das Schweizerische Bundesgericht schafft Rechtssicherheit

Es ist nur ein Lesezugriff möglich.

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

Gesperrt
Ludwig A. Minelli
Site Admin
Beiträge: 216
Registriert: Samstag 3. Februar 2007, 23:27
Wohnort: 8127 Forch, Schweiz

Das Schweizerische Bundesgericht schafft Rechtssicherheit

Beitrag von Ludwig A. Minelli »

Das Schweizerische Bundesgericht hat das Recht eines Menschen, Art und Zeitpunkt der Beendigung seines eigenen Lebens zu bestimmen, als europäisch garantiertes Grundrecht anerkannt und gleichzeitig grundsätzlich Psychischkranken denselben Anspruch wie allen anderen Menschen gewährt, sofern sie urteilsfähig sind.

Gleichzeitig hat es ein Begehren um Beseitigung der Rezeptpflicht für das für einen begleiteten Suizid benötigte Mittel abgewiesen. Der Entscheid ist am 3. November 2006 ergangen, aber erst am 31. Januar den Parteien des Verfahrens begründet zugestellt worden.

Die Entscheidung des Bundesgerichtes ist durch die Beschwerden eines psychisch kranken Mannes erwirkt worden, der Mitglied von «Dignitas» ist, dem jedoch angesichts der Rechtsunsicherheit kein Arzt ein Rezept für das für einen sicheren Suizid notwendige Medikament Natrium-Pentobarbital ausstellen wollte.

Grund für die Weigerung war die stets etwas undeutlich gehaltene Androhung des Zürcher Kantonsarztes, Ärzten, die psychisch Kranken ein solches Rezept ausstellen, Berufsverbot zu erteilen.

Deshalb hatte sich der Beschwerdeführer gleichzeitig an den Bundesrat, den Direktor des Bundesamts für Gesundheit, den Zürcher Kantonsarzt und den Zürcher Kantonsapotheker gewandt und geltend gemacht, er habe einen Anspruch auf direkten Zugang zum erforderlichen Medikament.

Zur Begründung verwies er auf die Europäische Menschenrechtskonvention, die in Artikel 8 die Staaten verpflichtet, das Privatleben ihrer Bewohner zu achten. Zum Privatleben gehöre auch die Entscheidung über das eigene Lebensende.

Alle so ersuchten Behörden erklärten sich entweder für unzuständig oder wiesen das Begehren ab. Mit je einer Beschwerde gegen die Bundes- und die Kantonsbehörden, die auch im Rechtsmittelverfahren sein Begehren abgewiesen hatten, wandte er sich in der Folge an das Bundesgericht. Dieses hatte ihn im Laufe des Verfahrens auch persönlich angehört.

Das Bundesgericht hielt wörtlich fest:

• «Zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Art. 8 Ziff. 1 EMRK gehört auch das Recht, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden; dies zumindest, soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechenden Willen frei zu bilden und danach zu handeln.»

• «Es ist nicht zu verkennen, dass eine unheilbare, dauerhafte, schwere psychische Beeinträchtigung ähnlich wie eine somatische ein Leiden begründen kann, das dem Patienten sein Leben auf Dauer hin nicht mehr als lebenswert erscheinen lässt. Nach neueren ethischen, rechtlichen und medizinischen Stel¬lungnahmen ist auch in solchen Fällen eine allfällige Verschreibung von Natrium-Pentobarbital nicht mehr notwendigerweise kontraindiziert und generell als Verletzung der medizinischen Sorgfaltspflichten ausgeschlossen . . . Doch ist dabei äusserste Zurückhaltung geboten: Es gilt zwischen dem Sterbewunsch zu unterscheiden, der Ausdruck einer therapierbaren psychischen Störung ist und nach Behandlung ruft, und jenem, der auf einem selbst bestimmten, wohlerwogenen und dauerhaften Entscheid einer urteilsfähigen Person beruht („Bilanzsuizid“), den es gegebenenfalls zu respektieren gilt. Basiert der Sterbewunsch auf einem autonomen, die Gesamtsituation erfassenden Entscheid, darf unter Umständen auch psychisch Kranken Natrium-Pentobarbital verschrieben und dadurch Suizidbeihilfe gewährt werden.»

• «Ob die Voraussetzungen dazu gegeben sind, lässt sich wiederum nicht losgelöst von medizinischen – insbesondere psychiatrischen - Spezialkenntnissen beurteilen und erweist sich in der Praxis als schwierig; die entsprechende Einschätzung setzt deshalb notwendigerweise das Vorliegen eines vertieften psychiatrischen Fachgutachtens voraus . . . »

–=oOo=–

Der Generalsekretär von «Dignitas», Ludwig A. Minelli, hat am Donnerstag (1. Februar 2007) dazu erklärt, mit der Anerkennung des Rechts auf begleiteten Suizid als EMRK-Recht werde allen Versuchen, mit zusätzlichen «Regeln» Menschen aus anderen Staaten als der Schweiz den Weg zu einer Freitod-Begleitung in der Schweiz unmöglich zu machen, der Boden entzogen. Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention lasse keinerlei Diskriminierung zu.

Im Übrigen sei die durch das Urteil nunmehr endlich erzielte Rechtssicherheit die Basis dafür, dass künftig Ärzte auch psychisch Kranken, die urteilsfähig sind, ohne das Risiko eines Berufsverbotes in Kauf zu nehmen, helfen können, indem sie nach Vorliegen eines psychiatrischen Gutachtens Natrium-Pentobarbital verschreiben dürfen.

Minelli ist auch davon überzeugt, dass dieser Entscheid in anderen europäischen Ländern, insbesondere in Deutschland, Grossbritannien und Frankreich, nach einiger Zeit dazu führen dürfte, die dortigen eingefrorenen politischen Positionen zu überdenken und ein liberaleres Regime zu ermöglichen. Dies würde die Nachfrage nach dieser Dienstleistung in der Schweiz erheblich reduzieren können, was durchaus erstrebenswert sei.

Der Wortlaut des Urteils ist über die URL
http://www.dignitas.ch/WeitereTexte/BGu ... 1.2006.pdf
abrufbar.
Gesperrt