Leben = ein egoistsches Daueragieren?

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Orgeluse
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Leben = ein egoistsches Daueragieren?

Beitrag von Orgeluse »

Liebe mehr oder minder suizidale Runde,

aus andernorts verschobenem Anlass hier also der Thread mit der Frage, ob Leben, unser aller, unser Leben als Gattungswesen "Mensch" nicht (auch, wie z.B. evtl. Suizid) ein egoistisches Tun ist?! (Ein "Akt", wie der Sui, ja nicht.)

Verletzten wir, indem wir leben, nicht ständig jemanden, mehr oder minder schwer? Verletzen wir nicht, indem wir mit andern streiten, indem wir anderer Ansicht sind, indem wir uns quer legen, indem wir versuchen wir zu sein, indem wir uns nicht anpassen oder indem wir uns anpassen, verletzten wir nicht irgendjemanden, verletzen wir nicht irgendjemanden, indem wir auf Berge steigen oder in Meere tauchen, oder indem wir Blumen dahin verschenken und nicht dahin, indem wir dort eine Notiz hinterlassen und da nicht, indem wir hier ein Lächeln aufstrahlen lassen und da nicht, indem wir dort unsern Schlips/Rock gerade ziehen und andernorts nicht, indem wir hier nicht stark sind, indem wir da zu stark sind, indem wir hier zärtlich sind, indem wir da nicht zärtlich sind, indem wir hier ehrlich sind und dort nicht, verletzen wir nicht jeden Tag irgendjemanden, auch und vor allem, wenn wir gar nicht dran denken?

Ich habe heute, gestern, mindestens 3 Menschen verletzt, von einem will ich kurz erzählen: eine ältere Dame im Supermarkt: Sie fragte mich, ob ich helfen könne, an etwas in einem höheren Regal zu gelangen, ich konnte, wiewohl ich kaum größer bin als sie, doch darum geht es dann ja nie. Sie wollte ein Gespräch und das habe ich ihr verweigert - ich habe sie verletzt, und mit einem "dankschön, junge [!!! Blödsinn!] Frau", gab sie ihrer rechtmäßigen Enttäuschung Ausdruck, verkniffenen Mundes. Sie war verletzt von meinem hilfsbereiten Desinterssse.

Und warum haben wir nicht diesen Eindruck, warum ist uns dieses permanente Verletzten nicht bewusst? --- Weil wir anders getrimmt, gepolt, genetisch-kulturell (???) determiniert sind, darauf nämlich, dass "Leben" per se doch bitte schön positiv zu sein hat, hübsch und nett und allenfalls noch aufregend und spannend und ereignisreich --- aber nie dahingehend, dass dadurch jemand anderer verletzt werden könne, einfach durchs eigene Leben. Nö! - Das nannte man früher wohl ideologische Borniertheit. Kann man jetzt immer noch so nennen, find ich.

Wir verletzen täglich Menschen. Wir sehen es nur meistens nicht.

Sollten wir, die wir mehr oder minder latent oder akut suizidal sind, nicht allein deshalb schon unsere Suizidalität in die Akutheit zu bringen versuchen: Wir sind, wenn wir weiterleben, letzlich EgoistInnen, die andere verletzen, permanent, so wie Mensch Mensch verletzt (homo homini lupus, das wußten schon kluge Menschen vor uns).

Orgeluse, mit Gruß in die Runde (hoffentlich nicht verletzend, dafür aber mit Mühe)
toteWurzel

Re: Leben = ein egoistsches Daueragieren?

Beitrag von toteWurzel »

Interessante Gedanken Orgeluse.
Wir verletzen täglich Menschen. Wir sehen es nur meistens nicht.
Das stimmt leider. Und wir tun es so oft unabsichtlich. Es reicht nur ein falsches Wort, eine falsche Geste, ein Missverständnis und schon hat jemanden verletzt. Man schadet leicht einem anderem Menschen ohne es zu wollen.

Aber hier auf der Erde, in dieser Dualität lässt es sich wohl nicht vermeiden.

Vielleicht ist es eine gute Übung, sich selbst verzeihen zu lernen bzw. dem Nächsten.

Wenn ich einmal nach dem Tode mein Leben betrachten werde und sehe wie viele Menschen ich unbewusst verletzt habe,
dann wird das sicher nicht angenehm sein. Aber ich weiß auch, ich würde es genau wieder so machen, unbewusst.

Deshalb bleibt mir nur, mir selbst zu verzeihen zu lernen. Und ich hoffe, dass die guten Dinge, wo ich Menschen geholfen habe und
sie erbaut habe, überwiegen werden. :roll:
Träumerin
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Re: Leben = ein egoistsches Daueragieren?

Beitrag von Träumerin »

Verletzen und verletzt zu werden (das kommt hier leider nicht zur Sprache)

Ich denke in vielem hält sich das die Waage.
Seelenschmerz
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Re: Leben = ein egoistsches Daueragieren?

Beitrag von Seelenschmerz »

Als Folge dieser Erkenntnis vom großen, ewigen Hauen und Stechen ist mir der Sinn entfleucht. Was für ein gigantisches, sinnloses Gemetzel! Stattdessen wurde mir die Depression und die Todessehnsucht geschenkt.

Bücherempfehlung:

Anthony de Mello: Der Springende Punkt
Arno Gruen: Der Wahnsinn der Normalität
Emile Cioran: Werke
Eckhard Tolle: Eine neue Erde
Bealupa
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Re: Leben = ein egoistsches Daueragieren?

Beitrag von Bealupa »

Ich glaube das Leben ist immer egoistisch. Ohne Egoismus wäre „Leben“ gar nicht möglich. Die Natur macht es uns im Prinzip vor, jedes Tier, jedes Gewächs ist egoistisch und denkt erstmal an sich und sein eigenes Überleben. Wen kann es da wundern, dass wir Menschen nicht anders sind?
Was wurde uns denn gegeben, was wir dem Egoismus entgegensetzen können? Verstand? Ein Gewissen? Die Fähigkeit zu lieben? Ich glaube das wird alles ab einem gewissen Punkt außer Kraft gesetzt und bei der Liebe bin ich mir sowieso nicht sicher, ob es sich dabei nicht nur um eine Illusion handelt.
Ich würde Egoismus auch nicht unbedingt als schlecht bewerten…ein gesundes Maß davon braucht man einfach, sonst würde man sich ja selbst völlig aufgeben bzw. aufopfern. Wie immer geht es darum den goldenen Mittelweg zu finden…oder den Goldenen Schnitt, wie ihn die Natur ja bereits definiert hat.
Wir Menschen bewerten sowieso viel zu viel. Immer müssen wir alles in gut oder schlecht einteilen, anstatt die Dinge einfach mal so zu nehmen wie sie sind und für sich stehen zu lassen, ganz unabhängig von einem Wert.

Mit dem Verletzen und verletzt werden verhält es sich da wohl ähnlich. Wir brauchen diese Erfahrungen um zu lernen und uns zu entwickeln. Sicher bekommt der eine davon zu viel ab und manch anderer zu wenig, aber nichts ist perfekt. Was wären wir denn für Menschen, wenn wir niemals in unserem Leben verletzt worden wären? Immer alles bekommen hätten, was wir wollten? Immer alles so gelaufen wäre, wie wir es uns wünschten? Gar nicht auszudenken, wenn ich mir vor Augen führe, welche Exemplare „Mensch“ unsere Gattung so schon hervorbringt.
Ich zum Beispiel nehme sehr oft wahr, wenn ich jemanden verletze, kann mir meistens schon im Voraus denken, dass es passieren wird und bin daher oft in meinem Handeln und darin Entscheidungen zu treffen ziemlich gehemmt, was auch nicht gut ist. Da wären wir dann nämlich bei dem Versuch angekommen, es allen recht machen zu wollen, was sowieso nicht funktionieren kann. Dabei reibt man sich nur zwischen allen anderen auf, verliert sich selbst völlig aus den Augen und bemisst die Entscheidungen, welche man trifft, nicht mehr danach, ob sie für einen selbst überhaupt noch gut sind. An der Stelle braucht man dann wieder die gesunde Portion Egoismus und so schließt sich der Kreis. Manchmal muss man eben mehr Egoismus einsetzen…wenn man merkt, dass es nicht mehr geht…um sich selbst zu erhalten und es gibt Zeiten, da kann man die Zügel lockerer lassen, aber sie ganz aus der Hand zu geben wäre ein Fehler.

Zudem habe ich den Eindruck, dass wir Menschen immer zu viel erwarten. Egal was wir tun erwarten wir etwas dafür oder dass die Dinge diesen und jenen Weg nehmen. Da nehme ich mich nicht aus, ich habe auch immer schon vorher viel zu viele Erwartungen im Kopf.
Die Frau in deiner Geschichte z. B., liebe Orgeluse, hatte schon im Vorfeld ein unterhaltsames Gespräch erwartet, anstatt einfach das, wonach sie fragte. Sie bekam ihre Bitte eigentlich erfüllt, aber anstatt sich darüber zu freuen, war sie im Endeffekt verletzt, weil sie wieder einmal mehr erwartet hatte. Wobei ich in diesem Fall die Bezeichnung „verletzt“ für etwas fraglich halte…ich würde eher sagen, sie war enttäuscht oder beleidigt. Aber so sind wir Menschen eben, wir wollen immer mehr, als wir überhaupt kriegen können und mit dem, was wir bekommen, sind wir nicht zufrieden. Mal über die kleinen Dinge freuen…das hat schon was…ist aber verdammt schwer, wenn wir die anderen mit den Großen sehen.
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