Kai hat geschrieben:Zu dem, was heute "Burn Out" hießt, sagte man früher "Nervenzusammenbruch".
Namen sind Schall und Rauch...
Wie welche Krankheit genannt wird, ist heute weltweit einheitlich im ICD Version 10 (International Classification of Diseases) festgelegt. Und ändert sich mit jeder Neuausgabe des ICD nicht unwesentlich. Wer sich schon mal gewundert hat, dass auf einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung u.ä. ein Buchstaben-/Zahlen-Code steht... das ist der ICD-Code der Diagnose, im Netz nachzulesen z.B. unter
http://www.icd-code.de.
Psychische Störungen finden sich im Abschnitt F des ICD 10. Ergänzend / ersetzend zum ICD 10 F gibt es das DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Version 4) der American Psychiatric Association.
Das DSM IV bzw. die APA sind wichtig, weil die wesentlich zu den Definitionen der psychischen Krankheiten im ICD 10 F beigetragen haben. Begriffe wie "burnout", "multiple Persönlichkeit", "Sozialphobie" usw. sind heute weltweit gültig, weil die US-Lobby in Form der APA quasi die US-gesellschaftlichen Probleme in die formale medizinische Definition von Begrifflichkeiten "durchgedrückt" hat.
"Alte" Krankheitsbegriffe aus den "Mutterländern" der Psychiatrie (u.a. A, D, F), die 100 Jahre alte Wurzeln haben, sind z.T. ganz verschwunden. Der Ami sieht die Dinge halt mehr pragmatisch. Und die US-Pharmaindustrie ist stark
In D wäre niemand auf die Idee gekommen, ein "Ja" auf die Frage "Haben sie Angst davor, vor 100 Menschen allein auf der Bühne zu stehen und einen Vortrag zu halten?" als diagnostisches Positivkriterium für eine (natürlich mit Psychopharmaka behandlungsbedürftige) soziale Phobie zu definieren. Hier nannte man sowas "Lampenfieber", das 99% aller Menschen haben, und ohne das ein guter Vortrag (oder ein gutes Schauspiel) gar nicht möglich ist. Aber wenn es dem Absatz von SSRI-Antidepressiva dient, erklären die Pharma-Lobbies den Normalbürger eben für krank. Denn nur, wenn er krank ist, zahlt die Krankenversicherung die Pillen...
Dem Kranken kann es m.E. meist egal sein, was auf den gelben Zetteln steht. Dient erstmal der Krankenkasse zur Abrechnung. Interessant ist die historische Wandlung von Krankheitsbegriffen aber allemal. Wen das im Hinblick auf Depressionen und deren Umfeld interessiert, kann ein ganz spannendes Buch dazu lesen: Das erschöpfte Selbst: Depression und Gesellschaft in der Gegenwart (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) von Alain Ehrenberg. Obwohl in der stw-Reihe, ist das mit ein bischen Grundwissen über psychiatrische Begrifflichkeiten gut verständlich. Und sehr interessant.
Viele Grüße,
Stefan