Eine Verständnisfrage...

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Anonymous

Eine Verständnisfrage...

Beitrag von Anonymous »

Ich habe eine Verständnisfrage. Auf ihrer Website ist folgendes zu lesen:
Wer an einer unfehlbar zum Tode führenden Krankheit oder an einer unzumutbaren Behinderung leidet und seinem Leben und Leiden deshalb freiwillig ein Ende setzen möchte, kann als Mitglied von DIGNITAS den Verein darum ersuchen, ihm beim Freitod behilflich zu sein.
Wie wird der Begriff „unfehlbar zum Tode führende Krankheit“ ausgelegt? Könnten Sie mir das am Beispiel eines Krebsleidens erläutern?

Nehmen wir an, ein Mensch erkrankt an Krebs. Die Krankheit wird im Frühstadium diagnostiziert und als heilbar eingestuft. Der betreffende entscheidet sich jedoch gegen die Heilung und möchte mit Hilfe von Dignitas sein Leben beenden. Wie würde in diesem Fall entschieden werden?

Einerseits führt jede Krebserkrankung bei Unterlassung einer geeigneten Therapie zum Tode – „unfehlbar zum Tode“.

Andererseits wäre, in diesem Fall, die im Frühstadium diagnostizierte Krankheit zum betreffenden Zeitpunkt noch heilbar.

Was aber, wenn der Betroffene sich trotzdem gegen das Leben entschließt; aus persönlichen Gründen? Würde ihm dieser Wunsch gewehrt werden, oder müsste er in diesem Fall zusehen, wie die Krankheit weiter fort schreitet und irgendwann als unheilbar eingestuft wird?

Könnten Sie mir außerdem eine Vorstellung geben, wie lange es dauern kann bis ein körperlich unheilbar (wie auch immer die Definition ausfallen mag) erkranktes Mitglied die erbetene Freitodhilfe erhalten kann; vom Zeitpunkt der Stellung des Antrags bis zur Hilfeleistung?

Ich weiß, dass sich letzteres sehr schwer aussagen lassen wird. Vielleicht könnten Sie mir trotzdem eine Ahnung vermitteln, was Sie als einen kurzen und was als einen eher langen Zeitraum einstufen würden.

Für möglichst genaue Antworten wäre ich ihnen sehr dankbar!

Mit freundlichem Gruß,

A.
Ludwig A. Minelli
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Beitrag von Ludwig A. Minelli »

Es macht wenig Sinn, dies im einzelnen zu umschreiben. Und zwar deswegen, weil seit dem 3. November 2006 das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichtes besteht, wonach die Entscheidung eines Menschen über Art und Zeitpunkt seines eigenen Todes Bestandteil des Selbstbestimmungsrechtes ist, geschützt durch Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das Urteil kann auf der Website von DIGNITAS abgerufen werden: http://www.dignitas.ch/WeitereTexte/BGu ... 1.2006.pdf

Damit ist gleichzeitig gesagt, dass das Recht auf Suizid ein Menschenrecht ist, und Menschenrechte können ohne irgendwelche Voraussetzung in Anspruch genommen werden.

Beim Menschenrecht auf Suizid ist zu unterscheiden, ob das jemand in Anspruch nimmt, ohne dass er Drittpersonen einbezieht, oder ob es sich um einen begleiteten Suizid handelt, bei welchem Drittpersonen insbesondere dafür sorgen, dass sich keine der vielen Risiken, die bei allein vollzogenen Suiziden häufig sind (Risiko bis zu 49:1!), verwirklichen kann. Solche Drittpersonen sind die Ärzte, die gebeten werden, ein Rezept zu schreiben, sowie die Freitodbegleiterinnen und -begleiter.

Sollen Dritte Suizidhilfe leisten, müssen allerdings vom Recht her gewisse Voraussetzungen erfüllt sein: Der Suizident muss für sein Ableben urteilsfähig sein; er muss sich verständlich äussern können (notfalls mit Zeichen für Ja oder Nein), und er muss in der Lage sein, den letzten Akt in seinem eigenen Leben selbst durchzuführen.

Vom Recht her braucht es somit für den eigenen Suizid keine Voraussetzungen.

Damit Drittpersonen vor ihrem eigenen Gewissen mitwirken können, muss allerdings für diese Drittpersonen der vorgesehene Tod einer Person als gerechtfertigt erscheinen: Es ist nicht anzunehmen, dass eine Person, die Freitodhilfe leistet, beispielsweise bei einem Suizid, mit dem eine andere Person gewissermassen "bestraft" werden soll, mitwirkt. So etwas wäre nicht zu rechtfertigen.

Deshalb diese Formulierungen, die weit ausgelegt werden. Sie stammen ausserdem aus der Gründungszeit von DIGNITAS (1998); möglicherweise können sie gelegentlich anders gefasst werden. Dafür ist es jetzt noch zu früh; es braucht erst eine gewisse Erfahrung im Umgang mit dem erwähnten Bundesgericht, damit dessen Auslegung klar wird.

Allmählich dürfte sich auch durchsetzen, dass Ärzte zu finden sind, die auch dann bereit sind, ein Rezept zu schreiben, wenn jemand trotz prognostizierter Heilbarkeit einer Erkrankung sich dafür entscheiden, keine Therapien vorzusehen. Der Begriff der Heilbarkeit ist ja seinerseits nichts klar Fassbares; man denke etwa an eine Erkrankung an Blasenkrebs: Möglicherweise kann durch eine in einem frühen Stadium durchgeführte Operation die Krankheit geheilt werden; eine Garantie gibt es dafür nicht. Wenn sich jemand nicht entschliessen kann, eine solche Operation durchführen zu lassen und deshalb in Kauf nimmt, dass die Krankheit voranschreitet, sollte selbstverständlich die Möglichkeit haben, mit Hilfe Dritter zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt aus dem Leben zu scheiden.

Allerdings: DIGNITAS wird immer auf Möglichkeiten von Heilung oder Erleichterung, also bestimmte Alternativen zum raschen Sterben, hinweisen und dazu ermuntern, sich besser dem Leben als dem Sterben zuzuwenden. Leben ist im Universum etwas furchtbar Seltenes; gewiss wissen wir bisher nur, dass es auf dem kosmischen Sandkörnchen Erde Leben gibt, und deshalb sollte Leben zu Leben solidarisch sein.

Die Frage nach der Dauer eines Verfahren zur Freitodhilfe bei DIGNITAS lässt sich nicht exakt beantworten. Nur so viel: DIGNITAS bemüht sich in jedem einzelnen Falle, die Dauer des Verfahrens dem Einzelfall anzupassen, soweit das in der Macht von DIGNITAS liegt. Auf der Website von DIGNITAS finden Sie eine Studie, in welcher diese Zeiträume für die Fälle, die im Jahre 2005 begleitet worden sind, untersucht: http://www.dignitas.ch/media_dignitas/Studie2005.pdf

Mit freundlichen Grüssen

DIGNITAS

Ludwig A. Minelli
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