praktikable Lösung

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Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

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volker
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Registriert: Sonntag 3. Juni 2007, 21:54
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praktikable Lösung

Beitrag von volker »

Lieber Ludwig A. Minelli,

mit großem Interesse habe ich Ihre sehr guten Antworten auf die Fragen in diesem Forum gelesen. Ich bin zwar nicht Mitglied in DIGNITAS, möchte Sie aber dennoch um Rat bitten.

Ich lebe in der Nähe von Köln/Deutschland und bin 40 Jahre alt. Mein Vater (69) ist seit 1988 Mitglied in der Gesellschaft für humanes Sterben, Deutschland (dort gibt es kein Forum). Er hat sich mental mit den damit verbundenen Themen sehr intensiv auseinandergesetzt. Er hat eine Patientenschutzbrief, eine Patientenverfügung und eine Freitodverfügung hinterlegt. Ich dachte das reicht, und habe ihn für seine Rationalität immer bewundert.

Vor wenigen Wochen kam für ihn - und uns - die Nachricht eines unheilbaren Krebsleidens in „3er Stufe“. Er hat daraufhin - wohl wissend - alle Operationen abgesagt und möchte nun ein humanes Sterben. Und ich möchte ihm helfen.

Ich bin immer davon ausgegangen, dass man (er) auch für den letzten Schritt Vorsoge treffen kann, wenn man sich nur genügend damit beschäftigt. Das ist aber anscheinend so nicht der Fall. Das hat mich schockiert. Von der DGHS hat er eine Broschüre, die Ihnen sicherlich bekannt ist. Es werden dort mehrere Methoden vorgestellt. Plastiktüte…, Malaria in Kombination….oder auch das von Ihnen in einem anderen Forum-Beitrag zitierte Natrium-Pentabarbital. Mir ist es bisher aber nicht möglich, ihm die Möglichkeiten für diese „Methoden“ zu schaffen bzw. zu beschaffen. DGHS stellt anscheinend nur Know-How zur Verfügung, letztlich aber keine praktikablen Lösungen. Mein Vater kann nun keine Reisen mehr nach Holland, Schweiz oder wohin auch immer unternehmen.

Was kann ich tun? Oder kommt es nun doch zudem, wovor sich mein Vater seit Jahrzehnten schützen wollte – ein nicht humanes Sterben?

Herzliche Grüße

Volker
Ludwig A. Minelli
Site Admin
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Registriert: Samstag 3. Februar 2007, 23:27
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Beitrag von Ludwig A. Minelli »

Was Ihr Vater erlebt, kommt - nicht nur in Deutschland - immer mehr vor: weil die Menschen viel älter werden als früher, teilt sich die Lebenszeit, die man "Alter" nennt, meist in zwei Teile: ein noch tätiges Alter, und ein leidendes Alter. Meist sind wir weder als Alte noch als Kinder dieser Alten auf diese Situation vorbereitet. Man lese beispielsweise das Buch von ANONYMUS, Wohin mit Vater? (im Rowohlt Verlag). Ganz plötzlich stellt sich dann eine "völlig neue Frage", die man eigentlich längst vorher hätte diskutieren müssen, weil die Möglichkeit einer solchen Entwicklung für jedermann gegeben ist.
Nun aber konkret: Was kann Ihr Vater tun?
Thomas Morus hat 1517 in seiner Utopia gezeigt, wie die Utopier mit ihren unheilbar Kranken umgehen: Sie werden hervorragend gepflegt (das gibt es heute kaum mehr), es gibt kein Medikament und kein Nahrungsmittel, welches ihnen guttut, welches sie nicht bekommen würden (heute sind die Medikamente beim Arzt gewissermassen kontingentiert, und nicht einmal Schmerzmittel werden in ausreichendem Masse verschrieben). Doch wer Schmerzen hatte, die trotz Medikamenten nicht beherrscht werden konnten, dem rieten die ans Krankenbett gekommenen Vertreter der Obrigkeit und der Priester, entweder selber auf Nahrung zu verzichten und sich so den Tod zu geben, oder die Erlaubnis zu erteilen, dass man ihm einen Schlaftrunk reicht, aus dem er nicht mehr erwacht.
Der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeitszufuhr (unter gleichzeitiger Sorge für Befeuchtung der Lippen und der Mundschleimhaut) kann in sehr kurzer Zeit praktisch ohne Leiden zum Tode führen; der Patient kann vom Arzt verlangen, für diese Zeit mehr oder weniger tief sediert zu werden, damit er keine Angst hat oder gar schlafen kann. Damit können auch Schmerzzustände ausgeschaltet werden (Stichwort: künstliches Koma); bekämpft man die Grundkrankheit - hier den Krebs - nicht weiter, kann die Krankheit ihre "Arbeit" fortsetzen und zur Beendigung des Lebens führen. Dies alles kann unter dem weiten Oberbegriff der Palliativmedizin eingereiht werden.
Die Verabreichung eines Schlaftrunkes, wie er bei Thomas Morus - übrigens Schutzpatron der Politiker und Staatsmänner durch Entscheidung von Papst Johannes Paul II. vom 31. Oktober 2000! - vorkommt, gibt es in Deutschland nicht. In der Schweiz ist das - über DIGNITAS - noch möglich, allerdings muss jemand dazu sein Bett, sein Zimmer, sein Haus, seine Strasse, seinen Ort, sein Land verlassen, um bei fremden Leuten sein Leben zu beenden.
Wir wissen aber, dass nur schon die Vorbereitung einer solchen Möglichkeit, wenn sie denn dazu führt, dass ein Schweizer Arzt ein Rezept grundsätzlich zusagt, befreiend wirken kann: 70 Prozent der Menschen, die eine solche Zusage erhalten haben, melden sich nicht mehr bei DIGNITAS, sondern können ihr Leben trotz ihrer Krankheit zu Ende leben, weil sie wissen, dass der Notausgang offen wäre für den Fall, dass sie das zu erwartende Leiden in der Restzeit ihrer Krankheit nicht aushalten würden.
DIGNITAS ist zurzeit damit beschäftigt, die Voraussetzungen zu klären, unter denen heute schon auch in Deutschland eine Freitodhilfe möglich wäre. Sie ist ja nicht grundsätzlich verboten; das Problem dabei ist allerdings, dass das Medikament, welches wir in der Schweiz verwenden, in Deutschland von den Gesundheitsbehörden für diesen Zweck (noch) nicht freigegeben worden ist. Eine verantwortungsvolle Politik müsste diese Freigabe bald ermöglichen. Dies deshalb, weil die zur Verfügung stehenden Alternativen für eine Selbsttötung die grosse Gefahr in sich bergen, auch Dritten ohne Beihilfe zugänglich zu sein. Dies dürfte zu einer unheilvollen Steigerung der einsamen Suizide führen, verbunden mit vielen Fällen des Scheiterns, aber mit schwerwiegenden gesundheitlichen Konsequenzen. Und dies sollte vermieden werden. Ob die verantwortlichen Politiker dies richtig sehen und rasch entscheiden, steht zur Zeit allerdings auf einem anderen Blatt.
Wir raten Ihrem Vater deshalb, sich ungesäumt mit uns in Verbindung zu setzen. Dann werden Gespräche möglich, in welchen wir ihm in den Einzelheiten seine Möglichkeiten aufzeigen können. Wenn er dabei liebevoll von seiner Umgebung mit getragen wird, wird es ihm auch möglich sein, die ihm gemässe Lösung anzupeilen.
volker
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Registriert: Sonntag 3. Juni 2007, 21:54
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Beitrag von volker »

Herzlichen Dank für Ihre schnelle und ausführliche Antwort.
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