Beweiserbringung bei psychischen Erkrankungen

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Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

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Urmelie
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Beweiserbringung bei psychischen Erkrankungen

Beitrag von Urmelie »

Ich habe schon einige Beiträge gelesen und mitbekommen, daß es bei psychischen Erkrankungen schwer ist, den Beweis zu erbringen, daß das Leben für den Betroffenen nicht mehr lebenswert ist.
Sind folgende Gründe genug, oder unzureichend , um Hilfe zu erhalten?

-schwere Depressionen
-Benzodiazepinabhängigkeit
-Angsterkrankung seit über 30 Jahren ohne therapeutische Erfolge
-Persönlichkeitsstörung mit Borderline
-ständie quälende Suizidgedanken und mißlungene Versuche
-aus Sicht einiger Ärzte austherapiert
Ich habe Angst vor dem Tod, aber das Leben ist so unerträglich, daß ich mir sehr oft den Tod wünsche.Aber alleine schaffe ich es irgendwie nicht.
Ludwig A. Minelli
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Beitrag von Ludwig A. Minelli »

DIGNITAS ist der Auffassung, dass jeder Mensch das Recht hat, selbst zu bestimmen, wann und wie er sterben möchte. Das ist Bestandteil des europäische garantierten Selbstbestimmungsrechts, und das hat mittlerweile das Schweizerische Bundesgericht auch anerkannt.

Das Problem liegt also nicht in der Frage, ob und welche Krankheiten genügend seien, um einen begleiteten Suizid zu erhalten. Lesen Sie auf diesem Forum die Hinweise auf den Bundesgerichtsentscheid.

Dort finden Sie, dass das Bundesgericht einerseits daran festhält, dass das tödliche Medikament von einem Arzt verschrieben werden soll, und dass bei Menschen, die an psychischen Krankheiten leiden, mittels eines vertieften psychiatrischen Gutachtens nachzuweisen ist, dass es sich beim Sterbewunsch nicht um das Symptom einer therapierbaren Krankheit handelt, sondern um das Ergebnis einer sorgfältigen Bilanz-Überlegung.

DIGNITAS stellt Mitgliedern einen erklärenden Brief für Psychiater zur Verfügung, in welchen den Psychiatern erläutert wird, worum es geht.
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Beitrag von EU-Mitglied »

Guten Tag,

ich bitte Sie, hierzu noch etwas mehr zu erläutern. Sie schreiben,
Ludwig A. Minelli hat geschrieben:dass bei Menschen, die an psychischen Krankheiten leiden, mittels eines vertieften psychiatrischen Gutachtens nachzuweisen ist, dass es sich beim Sterbewunsch nicht um das Symptom einer therapierbaren Krankheit handelt, sondern um das Ergebnis einer sorgfältigen Bilanz-Überlegung.

DIGNITAS stellt Mitgliedern einen erklärenden Brief für Psychiater zur Verfügung, in welchen den Psychiatern erläutert wird, worum es geht.
Ich kenne hier in Deutschland keinen Psychiater, der mir bescheinigen würde, dass meine Lage NICHT therapierbar wäre; meine "sorgfältige Bilanz-Überlegung" würde nicht anerkannt werden - obwohl sie sorgfältig ist und seit Jahren besteht.
Die mir bekannten Psychiater wären auch nicht offen für einen Brieftext von DIGINITAS, ganz im Gegenteil. Können Mitglieder von DIGNITATE Deutschland dann auf von Ihnen empfohlene Psychiater zurückgreifen?

Ich meine die Frage sehr ernst und seriös.
Viele Grüsse
EU-Mitglied
Ludwig A. Minelli
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Beitrag von Ludwig A. Minelli »

DIGNITAS weiss, dass es nicht einfach ist - weder in der Schweiz, noch in Deutschland, noch sonstwo -, Psychiater zu finden, die bereit sind, derartige Gutachten zu verfassen. Das hat einerseits damit zu tun, dass sie grundsätzlich jeden Sterbewunsch als krankheitsbedingt betrachten, andererseits ist - jedenfalls theoretisch und juristisch - von einem Interessenkonflikt des Psychiaters auszugehen, sind doch Menschen, die bei ihnen in Behandlung sind, aber sterben möchten, zumindest auch Teil ihrer wirtschaftlichen Grundlage.

Das wird sich allenfalls dann ändern, wenn wir zeigen können, dass auch psychisch Kranke, denen das "grüne Licht" für einen begleiteten Suizid offen steht, nach Mitteilung dieses "grünen Lichts" nicht sofort einen solchen begleiteten Suizid durchführen möchten, sondern erst noch ausprobieren, wie denn das Weiterleben sich "anfühlt", wenn man weiss, dass man jederzeit einigermassen problemlos "aussteigen" könnte. Die Funktion des "grünen Lichts" als Signal für den offenen Notausgang dürfte auch in solchen Fällen in einigermassen erheblichem Umfang festzustellen sein. Wir kennen diese Wirkung bei somatisch Kranken; 70 Prozent der Menschen, die von uns ein "grünes Licht" erhalten haben, melden sich nach dieser Mitteilung überhaupt nicht mehr, und nur in 13,3 % der Fälle lassen sie sich das Rezept dann auch ausstellen (was immer noch nicht heisst, dass sie es dann auch beanspruchen).

So erleben wir es zurzeit, dass ein psychisch Kranker seit mehr als sechs Monaten keine Medikamente mehr zu sich nimmt, ohne dass er deswegen wieder in eine akute Krankheitsphase zurückgefallen wäre. Die "Ventil-Funktion" der Aussicht, sein eigenes Leben sicher und schmerzlos beenden zu [u]können[/u], ist dafür wohl das Entscheidende.

DIGNITAS ist in Verbindung mit einem Psychiater in Deutschland, der sich grundsätzlich bereit erklärt hat, im besprochenen Sinne mitzuwirken. Wir möchten aber diesen Psychiater nur ausnahmsweise einsetzen; in erster Linie bedarf es der persönlichen Anstrengung eines psychisch kranken Mitglieds, einen kooperationswilligen Psychiater zu finden. Es genügt somit nicht, nur gerade "seinen" Psychiater zu fragen und es dann aufzugeben, wenn dieser ablehnt. Eines unserer Mitglieder hat mehrere Dutzend Psychiater angeschrieben; möglicherweise ergibt sich so ein tragfähiger Kontakt.

Der Psychiater muss nicht etwa bezeugen, dass die psychische Krankheit unheilbar ist; seine Aufgabe beschränkt sich darauf, auf Grund einer verttieften Exploration des Patienten verständlich darzulegen, dass der Patient für die Frage der Beendigung seines eigenen Lebens urteilsfähig ist - in den Worten des Schweizerischen Bundesgerichtes: er muss fähig sein, einen eigenen Willen zu bilden und danach zu handeln -; ausserdem sollte der Psychiater darlegen, ob der Sterbewunsch eher Symptom einer akuten Phase der Krankheit ist (insbesondere zurzeit unbehandelte Depression), oder ob überwiegend rationale Bilanz-Überlegungen für den Sterbewunsch massgebend sind (Beispiel: "Ich habe jetzt 15 Jahre lang so gelebt, habe zahlreiche Therapien und Einweisungen hinter mir; ich möchte diese Art von Leben nicht weiterhin auf mich nehmen").
EU-Mitglied
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Beitrag von EU-Mitglied »

Vielen Dank für Ihre ausführliche und einleuchtende Antwort.

Ihren Hinweis am Anfang finde ich vollkommen richtig: Psychiater lehnen es in der Regel ab, Sterbewünsche legitim zu finden, weil sie damit ihren eigenen Berufsstand gefährden und gegen die eigene Lehre verstoßen würden. Sterbewünsche gelten nahezu immer als Depressionssymptom (übrigens auch der Bilanzsuizid), und Depressionen gehören nach Psychiater-Denkweise in die Hand von Psychiatern.

Viel Unglück wird auf diese Weise DURCH Psychiater erzeugt, die das Recht auf eigenverantwortliches Handeln im Zweifelsfall bestreiten. Ihrer Erläuterung entnehme ich, dass der Weg zu der nötigen "Bescheinigung" steinig ist. Und hoffe für die, die ihn trotzdem beschreiten, das Beste.
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