Traurig

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Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

vader
Beiträge: 19
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 22:29

Beitrag von vader »

Stimmt. Können sie alles nicht, die Eltern.
Aber das kam bei meinem Sohn ja nicht über Nacht. Ich verstehe jetzt, dass das schon sehr früh begonnen hat.

Und ganz ehrlich: wer bietet einem Kind die Welt und wer ist seine Welt? Zuallererst das Zuhause.
Mit 14, 15, 16 ist das etwas ganz anderes, aber davor????

Ich war auch mal so alt und ich habe auch einiges mitgemacht damals. Und das Zuhause war nach aussen toll. Schönes Dorf, Natur, Sicherheit, Ruhe, einige lockere Freunde, viele Deppen, aber alles OK. Aber ich sass auch auf einem Felsen - und meine Eltern hatten NICHTS damit zu tun, was ich dachte.
ABER ich hatte eine Person aus meiner Familie, die es schaffte zu mir durch zu kommen - und der habe ich mein Leben zu verdanken. Und dann meiner ersten Freundin. Ohne Frage.

Zu meinem Sohn bin ich nicht durch gekommen - wir hatten aber ein ganz besonderes Verhältnis. Sehr eng. Jetzt ist er tot und ich ackere hier rum... .
Sadness
Beiträge: 209
Registriert: Donnerstag 29. April 2010, 10:26

Beitrag von Sadness »

@Malaika: Hui, hier ist einiges dazugekommen seit Deiner Frage. Ich möchte sie trotzdem beantworten.
Ich glaube, es gibt viele Menschen, denen es so geht wie dir, die im Rückblick dankbar fürs Weiterleben sind, aber das in dem Moment der Verzweiflung zu erkennen, ist wohl fast nicht möglich. Und leider scheint es so gar nicht zu helfen, wenn andere das dem Betroffenen einfach nur SAGEN. Vielleicht ist es schon glaubwürdiger, wenn jemand wie du aus eigener Erfahrung spricht und überzeugend darstellt, dass es einen Weg aus tiefster Verzweiflung zur Lebensbejahung gibt. Du schreibst, dass du nun "endlich einen Ort gefunden hast, an dem du die Unterstützung findest, die du benötigst". Wie hast du diesen Ort gefunden? Was würdest du Betroffenen raten, wo sollen sie danach suchen?
Diesen Ort habe ich mehr oder weniger durch einen glücklichen zufall gefunden. Ich muss ein wenig ausholen, um zu erklären. Ich leider unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Jahrelang bin ich zu Therapeuten gegangen, war in Kliniken, hab irgendwann den Stempel Borderline gekriegt und wurde darauf behandelt, aber so richtig half nichts. Manches wurde besser, aber ds Leben blieb unaushaltbar. Lange wußte ich auch nicht, dss ich traumatisiert bin, weil mir viele Jahre in meiner Erinnerung fehlen. Vor einigen jahren stellte sich mein Leben dann endgültig auf den Kopf, nachdem ich durch einen Unfall querschnittsgelähmt wurde. Suizidgedanken hatte ich seit meinem 8. oder 9. Lebensjahr, auch Versuche, hatte immer einen konkrten Plan, wie es geschehen soll, habe nur den richtigen Zeitpunkt abgewartet. Nach dem Unfall rutschte ich dann endgültig in eine tiefe Krise. Ich flehte meinen Freund an, mich endlich gehen zu lassen. Er sagte nein. Ich hasste ihn dafür und konkrtisierte meinen Plan und den Zeitpunkt der Ausführung. Verschiedene Umstände führten dazu, noch zu warten.
Mit viel Therapie wurde es besser, aber nicht gut. Dann kamen die Erinnerungen. Ich erkannte den Grund, warum alles so war, wie es ist. Ich verstand, warum ich mich all die Jahre wie ein Alien gefühlt hatte, nicht passend auf diese Welt und mit einem massiven Hass gegen mich und einem Schuldgefühl, das unendlich tief war.
Es war eine der schmerzhaftesten Zeiten, aber es kam auch Wut hoch. Die Wut, dass mir mein Leben genommen worden war. Dass nicht (nur) meine eigene Lebensunfähigkeit mir das Leben unerträglich zu machen schienen, sondern dass Dinge passiert sind, die mich haben zersplitten lassen. Ich begann, über Traumathera nachzudenken, fand aber lange nicht den Weg.
Letztes Jahr war ich dann in der Psychiatrie, da es mir sehr schlecht ging. Es war furchtbar, weil ich auch da am falschen Ort war und überflutet wurde von Erinnerungen, so dass ds daraus resultierende Verhalten meinerseits selbst dort beim Personal zu Überforderung geführt hat. Ein Mensch dort erkannte jedoch mein Krankheitsbild (das leider selbst in vielen Traumakliniken nicht adäquat behandelt wird). Er vermittelte mir den Kontakt zu einer Klinik, die sich mit dieser Störung auskennt und half mir, schnell dorthin zu kommen. Und das war mein Glück. Dort lernte (und lerne, denn ich gehe regelmäßig für einige Wochen dorthin) ich, meinen Fokus weg von all der Selbstzerstörung und den Todesgedanken auf das Leben zu richten. Es war, als würden mir auf einmal die Augen aufgehen. Auf einmal konnte ich sehen, was lebenswert ist, nicht mehr nur, was schrecklich ist. Und ich begann, einen regelrechten Hunger nach Leben zu endwickeln. Endlich Leben, nachdem ich es nie konnte.
Natürlich ist auch jetzt nicht alles rosig, nach wie vor kommen die Tiefs, stürzen tramatische Erinnerungen auf mich ein und kommen die Todesgedanken. Aber es fühlt sich anders an. Auch ist der Wunsch nach dem Tod nicht mehr so dringlich und weniger fordernd, manchmal eher tröstend. Denn für mich selbst habe ich erkannt, dass meine Suizidalität stark damit zusammenhängt, dass ich versuche, Kontrolle über mein Leben wiederzuerlangen, wenn sie mir zu entgleiten droht. Wenn jetzt die Suizidgedanken kommen versuche ich herauszufinden, was gerade so immens überfordert, dass nur noch der Tod ein Ausweg ist. Lasse die Gedanken da sein, aber in dem Wissen, "es" nicht tun zu müssen. In dem Wissen, dass es neben dieser Dunkelheit und Einsamkeit auch noch was anderes gibt, Leben, und dass ich mir dieses erkämpfen kann. Versuche mich, mich an schönen Erinnerungen wieder aus dem Sumpf rauszuziehen. Und es gelingt!
Für mich war diese Klinik ein absoluter Glücksgriff. Und es war ein großes Glück, dass jemand erkannte, warum ich trotz so viel Therapie nicht weiterkam. Und dass ich jetzt an dem richtigen Thema arbeiten kann und nicht reduziert werde auf irgendwelche Symptomatiken, die ich zeige.

Die Frage, wo Betroffene suchen sollen, ist schwer zu beantworten. Ich glaube, es erfordert viel Hartnäckigkeit, aber auch gute Zufälle, Glück und die richtigen Leute um einen rum, damit man die Hilfe finden kann, die man braucht.
Das Problem ist, (so war es bei mir zumindest), wenn man nur noch den Ausweg Tod sieht, dann wird man so blind für andere Wege. Weil ein Weg erkannt wurde, dem Leiden ein Ende zu setzen. Und da dieser Weg so greifbar ist, geht die Offenheit für andere Wege verloren. Alles reduziert sich auf die scheinbare Lösung.... Und alles, was der Lösung im Weg steht, löst Wut aus. Auch wenn das in dem Moment empfundene "Hindernis" eventuell ein Weg raus aus dem Schlammassel hin zum Leben sein könnte.

@Traurigkeit: Ich möchte mich entschuldigen, dass ich jetzt in meinem Thread so viel über meinen Weg geschrieben habe. Ich hoffe sehr, dass Dich das nicht stört oder verletzt.

Liebe Grüße
Sadness
vader
Beiträge: 19
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 22:29

Beitrag von vader »

Vielen vielen Dank sadness für diesen Beitrag.
Unendlich wertvoll.
Danke.
Malaika
Beiträge: 167
Registriert: Dienstag 18. Mai 2010, 07:13

Beitrag von Malaika »

Liebe/r Sadness, ich schließe mich vader an, ganz vielen Dank! Ich muss erst noch ein bisschen nachdenken, dann antworte ich dir! :-)

Vader, ich finde das Zuhause in der Kindheit natürlich auch extrem wichtig, und ich bin sicher, dass du deinem Sohn diese Kindheit so schön wie möglich gemacht hast. Das ist wertvoll und keiner kann euch diese gemeinsame Zeit nehmen!

Aber was ich sagen möchte: Dieses Kapitel ist irgendwann abgeschlossen und ein verzweifelter Jugendlicher kann nicht einfach zurück gehen (das heißt, er kann es natürlich schon. Aus Japan kennt man doch diese Fälle von jungen Erwachsenen, die sich aus Lebensangst in ihr Kinderzimmer zurückziehen, aber das ist ja keine Lösung).

Damit will ich nicht die Rolle der Eltern schmälern, später holt man sich ja auch wieder Rat bei ihnen (wenn der Kontakt gut ist), aber zu einem bestimmten Zeitpunkt ist aus meiner Sicht ihr Einfluss so gering, dass sie gar keine Schuld an einem Suizid haben KÖNNEN.
Traurigkeit
Beiträge: 9
Registriert: Mittwoch 19. Mai 2010, 19:21

Beitrag von Traurigkeit »

Liebe/r Sadness,

ich bin nicht verletzt, ganz im Gegenteil. Dein Beitrag ist super wertvoll und genau darum ging es mir ja, als ich mich dazu entschlossen habe, hier zu schreiben. Hoffnung für diejenigen, die glauben, keine Hoffnung mehr zu haben. Wenns nur bei einer einzigen Person helfen würde, dann wäre das schon mehr, als ich dachte, erreichen zu können. Und dazu sind Deine Worte wirklich genau das richtige.

Vielen Dank dafür...

C.

Danke, Vader........Du weißt schon, wofür
Malaika
Beiträge: 167
Registriert: Dienstag 18. Mai 2010, 07:13

Beitrag von Malaika »

Sadness hat geschrieben:Die Frage, wo Betroffene suchen sollen, ist schwer zu beantworten. Ich glaube, es erfordert viel Hartnäckigkeit, aber auch gute Zufälle, Glück und die richtigen Leute um einen rum, damit man die Hilfe finden kann, die man braucht.
Liebe/r Sadness, ich finde es sehr bewundernswert, diese Hartnäckigkeit aufzubringen. Die Zufälle und die richtigen Leute konntest du nur bedingt beeinflussen, aber deine Hartnäckigkeit hat überhaupt erst diese Zufälle möglich gemacht.

Vader, wie ist es denn dieser einen Person aus deiner Jugend gelungen, dich zu erreichen?
vader
Beiträge: 19
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 22:29

Beitrag von vader »

Tja.
Er war da.
Er hat zugehört. Lange.
Er hat viele gute Fragen gestellt.
Er hat viel von sich erzählt.
Er hat wenig Ratschläge gegeben.
Und ich habe viel nachgedacht über das, was er sagte. Und ich habe versucht mich selber zu sehen, in dem, was er sagte - und er hat nur von sich und anderen gesprochen, nicht von mir.

Ich habe dann über mich selber von einer ganz anderen Seite nachgedacht und versucht kleine Schritte zu machen, die mir helfen.
Ich habe begonnen die Welt plötzlich ganz anders zu sehen.

Ähnlich, wie Sadness das beschrieben hat.

Es war mein Großvater. Ein besonderer Mann.
Malaika
Beiträge: 167
Registriert: Dienstag 18. Mai 2010, 07:13

Beitrag von Malaika »

Vielen Dank, vader, für deine Antwort.
Ja, dein Großvater scheint wirklich ein ganz besonderer Mensch gewesen zu sein.

Er hat dir zugehört. Das ist so heilsam und so kostbar und so rar. Wer hört schon zu?

Dabei glaube ich, es ist die einzige Möglichkeit, einen anderen Menschen zu erreichen: Der ehrliche Wunsch, den anderen zu verstehen. Alles andere sind als Dialog getarnte Predigten.
Matthias

Beitrag von Matthias »

Malaika hat geschrieben:Vielen Dank, vader, für deine Antwort.
Ja, dein Großvater scheint wirklich ein ganz besonderer Mensch gewesen zu sein.

Er hat dir zugehört. Das ist so heilsam und so kostbar und so rar. Wer hört schon zu?

Dabei glaube ich, es ist die einzige Möglichkeit, einen anderen Menschen zu erreichen: Der ehrliche Wunsch, den anderen zu verstehen. Alles andere sind als Dialog getarnte Predigten.
Kann ich alles unterschreiben,was du geschrieben hast.
Gesperrt