Erfahrungen mit Kliniken und Therapien

Praktische Erlebnisberichte und Hilfestellungen aus der Foren-Community; erfolgreiche und gescheiterte Therapien; Erfahrungen mit Psychotherapien und Therapeuten

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Vögelchen
Beiträge: 18
Registriert: Dienstag 7. November 2017, 13:17

Erfahrungen mit Kliniken und Therapien

Beitrag von Vögelchen »

Am Nachmittag des vierten stationären Aufenthaltstages wurde meine Behandlung seitens der Klinik beendet. Ich war dort wegen meiner schweren Depression und hatte die Hoffnung, dass man mir dort helfen würde. Die Gründe für meinen Rausschmiss waren:

1. ich bin regelwidrig mit meinem Auto zur Klinik gefahren. Anders wäre mir es auch nicht möglich gewesen dort hin zu kommen.
2. ich hatte am Abend vor meinem Rauswurf eine Auseinandersetzung mit einer Patientin und einer Pflegerin (keine Beleidigungen, keine Angriffe, lediglich Argumente). Der Grund war, dass eine Gruppe von Patienten mich nicht fernsehen ließ (obwohl ich zuerst in dem Raum saß) und mir klar gemacht wurde, dass dieses über meinen gesamten Aufenthalt von ca. 10 Wochen nicht möglich sein würde (Gruppe hat mehr Rechte als der Einzelne).
3. Aufgrund meines seit Tagen sich verstärkenden Frusts, bedingt durch Langeweile auf der Station (keine Therapien bis zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung, kein Wlan-Anschluss, kein Fernsehen auf dem Zimmer, aufgrund von Sehstörungen nur kurze Zeit lesen möglich), dem Gefühl der Bevormundung (kein kochend heißes Wasser in Wärmflasche füllen dürfen, Festsetzen einer für mich zu geringen Dosis meines Schmerzmittels durch den Stationsarzt, dadurch tagelang Kopfschmerzen; nicht Autofahren dürfen) empfand ich die Tatsache, dass ich nicht einmal das Recht zu fernsehen haben sollte als derart ungerecht, dass ich gegen die Gruppe aufbegehrte. Da ich sprachlich sehr gewandt bin und mein Auftreten von anderen oft als "taff" bezeichnet wird, wirkte ich wohl nicht nur auf die Patienten bedrohlich, sondern auch auf die sehr junge Pflegerin.
4. ich konnte mich gegenüber der Gruppe nicht durchsetzen, die Pflegerin hätte eine Lösung finden können, hat sie aber nicht. Also musste ich abermals auf mein Zimmer und Langeweile schieben. Aus Frust habe ich 10mg Diazepam genommen, welche ich in meiner Handtasche gefunden habe. Diese Tablette hatte mich jedoch nur ein wenig beruhigen können, schlafen konnte ich deswegen nicht. Also bin ich um 11:30 Uhr, nachdem die Gruppe aus dem Raum in ihre Zimmer verschwunden war wieder in den Fernsehraum. Die Nachtschwester meinte, dass sei ab dieser Zeit laut Stationsregeln nicht erlaubt. Nach einer abermals stattfindenen Diskussion hat sie mir dies aber für 30 Minuten erlaubt. Danach habe ich noch ein Beruhigungsmittel genommen, welches ich von der Nachtschwester bekam.

Am nächsten Tag teilte mir der Oberarzt mit, dass man meine Behandlung beenden wolle. Schließlich müsse man die sich auf der Station befindlichen Patienten vor mir schützen (ich bin selber traumatisiert), ich wäre Auto gefahren und außerdem Diazepam abhängig. Letzteres wurde mit einem im Urin befindlichen Wert von 1740 begründet. (Wert liegt kurz nach Einnahme von 10mg bei 5000, eine Abhängigkeit kann grundsätzlich nicht durch Blut- oder Urinwerte festgestellt werden). Ich habe zunächst versucht mich argumentativ zu wehren, merkte aber schnell, dass der Würfel bereits gefallen war. Daher bin ich wohl dissoziiert.

Anschließend hat man mir eine Wiederaufnahme auf der alten Station zu einem späteren Zeitpunkt "angeboten", welches ich jedoch dankend ablehnte.
Agnetha
Beiträge: 294
Registriert: Donnerstag 11. Februar 2016, 11:34
Wohnort: Schleswig-Holstein

Re: Erfahrungen mit Kliniken und Therapien

Beitrag von Agnetha »

Ja das ist leider in den Kliniken immer eine Gratwanderung. Du darfst aufgrund deiner psychischen Probleme nicht an den Bedürfnissen der Therapeuten vorbei agieren. Zu hoffen, dass man psychisch von dort abgeholt wird, wo man ist, ist nach meiner Erfahrung enttäuschend. Ich habe in den letzten Jahren den Umgang mit Therapeuten erst lernen müssen und dabei einige schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Da ich in meinem Freundeskreis über meine Probleme nicht rede, waren meine einzige Hoffnung Therapeuten und gerade das tat dann sehr weh, wenn ich in meiner not und meinem Hilferuf nicht verstanden wurde. Ich habe dann nach jedem klinikaufenthalt mein verhalten therapeutenkompatibler machen müssen.
Peterchen
Beiträge: 742
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 13:02

Re: Erfahrungen mit Kliniken und Therapien

Beitrag von Peterchen »

Noch eine Gruselgeschichte aus der Psychiatrie. Mich würden keine zehn Pferde in so eine Anstalt bekommen - nicht mal wenn meine Probleme psychisch bedingt wären.

Dass man dort selbst im offenen Vollzug regelmäßig Urinproben abgeben muss und auf Drogen gecheckt wird, finde ich heftig.
Stummfilm
Beiträge: 159
Registriert: Freitag 16. August 2013, 13:38

Re: Erfahrungen mit Kliniken und Therapien

Beitrag von Stummfilm »

Was erwartet man sich auch von einer Klinik? Therapie ist ja schon ein Unding, aber in solchen Einrichtungen gibts die Unbrauchbarsten der Unbrauchbaren.

Patienten waren teilweise nett. Ich hatte eigentlich meinen Spaß. Meine Medikamente fand das Personal verteilt auf viele Mistkübel vor, wobei die Finder echt zu höflich waren, um mich nach einem Schwindel auffliegen zu lassen. Nur bei der Abholung wurde ich darauf hingewiesen, dass ich die Medikamente nicht einzunehmen bräuchte, wenn ich nicht wollte. Ich wollte aber äußerlich kein schlechter Patient sein.
So machte ich Ahnungslos bis zum Abschied weiter, bis ich beim Ausräumen auf eine Tablettensammlung stieß. War mir vorher nicht aufgefallen und habe ich abgegeben mit der Bemerkung, dass ich sonst alles eingenommen hätte. Außer die, die Sie entsorgt haben, klärte man mich auf.

Trotzdem, an den Therapien habe ich teilgenommen und die waren meistens erstens langweilig, zweitens laangweilig und drittens laaangweilig. Die Musiktherapie habe ich regelrecht gefürchtet, weil sie so geistlos war, dass ich, nicht gerade für den Mangel an Kreativität bekannt, jede Woche von neuem panische Angst hatte, dass mir nichts einfallen würde. Immer habe ich die Stunde mit Quatsch füllen können, aber jedes Mal habe ich danach aufgeatmet, als wäre mir ein Stein vom Herzen gefallen.
Die Einzeltherapie war ein Witz, aber laut meines ambulanten Therapeuten war ich dran Schuld, dass wir meditiert hatten. Auch, dass die Meditation nicht von der Therapeutin angeleitet wurde, sondern aus einem billigen Smartphone mit knarzenden Lautsprechern tönte, konnte ihn nicht von ihrer Inkompetenz und meiner Unschuld überzeugen.

Zu Unrecht war ich dort als zynisch und bösartig verschrien. Ein bisschen neidisch war man anscheinend auf mich auch, da andere schon bei der Hälfte hinausgetreten worden wären von dem, was ich mir so erlaubt hätte, so jedenfalls äußerte sich die Patientensprecherin bei einem gemütlichen Tee mir gegenüber.
Vögelchen
Beiträge: 18
Registriert: Dienstag 7. November 2017, 13:17

Re: Erfahrungen mit Kliniken und Therapien

Beitrag von Vögelchen »

Seit meinem Rausschmiss habe ich sehr viel zum Thema Psychiatrien im Internet recherchiert. Sehr vielen Menschen, die "ihren Mann im Leben stehen mussten" fällt es schwer, sich auf einer Klinikstation in eine Kinderrolle einzufügen. Ich habe ein gewisses Verständnis für Regeln, die in einer solchen Institution vorherrschen müssen. Aber nicht dafür, dass man Erwachsenen das Recht auf Grundbedürfnisse verweigert, welches therapeutisch nicht nur sinnlos, sondern wie im meinem Fall, sogar kontraindiziert ist. Wenn man eigenverantwortlichen, erwachsenen Personen wichtige Ressourcen und das Recht auf banale Selbstbestimmung nimmt, sie in Konflikträume zwängt (auferlegte und für den Patienten nicht abzustellende Langeweile und Schmerzreduktion, einen einzigen Aufenthaltsraum zur Verfügung stellt, bei dem es zwangsläufig zu Auseinandersetzungen kommen muss) und zu guter Letzt eine richterliche Instanz durch neue gebildete Elternfiguren (Oberärzte, Psychiater) schafft, die bei angeblichem Fehlverhalten des Kindes eine Bestrafung durch Ausschluss "aus der Familie" aussprechen darf, kann das nicht hilfreich sein.
Was ich noch zu erwähnen vergaß: Nach meiner Dissoziation, ich war noch nicht ganz bei Verstand, bot man mir an, entweder nach Hause zu fahren oder mich auf die Geschlossene verlegen zu lassen. Ich dachte: "Wie kann man mir allen Ernstes derart gegensätzliche Angebote machen?????" Nachdem ich bereits einmal eine Nacht auf einer geschlossenen Station verbringen musste und das seither meine größte Horrorerfahrung ist, habe ich mich lediglich aus Angst, beim Autofahren jemand anderen zu verletzten auf die geschlossene Abteilung bringen lassen. Am nächsten Tag hatte ich mich soweit stabilisiert, dass ich mich entlassen ließ.

Gott sei Dank habe ich aber auch positive Erfahrungen in einer Psychosomatik machen dürfen. Dort durfte ich in meiner Erwachsenenrolle bleiben. Der dort neun Wochen stattfindende Aufenthalt hat mir sehr geholfen. Leider muss ich eine weitere stationäre Therapie in Anspruch nehmen, weil ich ansonsten nicht lernen kann, meine mitunter sehr starken Emotionen zu regulieren.
Peterchen
Beiträge: 742
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 13:02

Re: Erfahrungen mit Kliniken und Therapien

Beitrag von Peterchen »

Stummfilm hat geschrieben:Was erwartet man sich auch von einer Klinik?
Weiß ich auch nicht. Ich selbst halte Psychotherapie immer noch für Kokolores, der über den Placeboeffekt hinaus nichts bewirkt. Man kann verkorkste Gehirne nicht reparieren, indem man Gespräche mit einer fremden Person führt.

Psychopharmaka können vielleicht etwas bewirken, aber dafür braucht man keine Klinik.

Wer so kaputt ist, dass er alleine gar nicht mehr klarkommt, für den mag ein Klinikaufenthalt ein notwendiges Übel sein. Allen anderen würde ich empfehlen, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, auf ökologischen Bauernhöfen zu arbeiten oder auf irgendeine andere Art unter Menschen zu kommen.
whocares
Beiträge: 69
Registriert: Donnerstag 3. November 2016, 17:07

Re: Erfahrungen mit Kliniken und Therapien

Beitrag von whocares »

Stummfilm hat geschrieben:Zu Unrecht war ich dort als zynisch und bösartig verschrien. Ein bisschen neidisch war man anscheinend auf mich auch, da andere schon bei der Hälfte hinausgetreten worden wären von dem, was ich mir so erlaubt hätte, so jedenfalls äußerte sich die Patientensprecherin bei einem gemütlichen Tee mir gegenüber.
:idea:
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