Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Praktische Erlebnisberichte und Hilfestellungen aus der Foren-Community; erfolgreiche und gescheiterte Therapien; Erfahrungen mit Psychotherapien und Therapeuten

Moderatoren: Ludwig A. Minelli, Mediator

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TraurigER
Beiträge: 147
Registriert: Samstag 27. März 2010, 12:12

Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von TraurigER »

Hallo!
Ich frage euch, ob ihr seht, ob mir überhaupt noch zu helfen ist. Vielleicht hat der eine oder die andere ein ähnliches Problem und sagt, dass es einfach nicht möglich ist, zu helfen.

Bevor ich anfange, möchte ich mich bei all denen entschuldigen, die wirklich ein Problem haben und nicht (wie ich) einfach nur ein Luxuswehwehchen.

Also, ich mache die Geschichte ganz kurz, da mich selbst immer die ewig langen Postings nerven.

Ich wuchs in einer perfekten Kindheit auf. Ein großes Elternhaus mit Garten in einem kleinen Dorf. Damals (in den 70ern) fuhren auf den Straßen wenig Autos und ob wir Rollschuh fuhren, Fußball spielten oder was sonst wir taten, es war gefahrlos. Ich lebte im Paradies.

Mit 14 (1984) hatte ich meine erste Freundin. Händchen halten, knutschen, mehr nicht. Die Trennung von ihr ging von mir aus, alles OK.

1989 kam dann „Sie“ in mein Leben und brachte alles mit, was ich mir damals erträumt hatte. Schlank, blond, hübsch. Soweit die Oberflächlichkeiten. Ansonsten war sie für mich wie geschaffen, sie schaute zu mir auf, bewunderte mich. Nebenher ging sie ihren Weg, machte eine Ausbildung und war lange bevor ich an einen Abschluss denken konnte, längst fertig. Dass sie dies veränderte, bekam ich nicht mit. Für mich war sie das naive Blondchen, das auf mich aufschaut, mich, der Cabrio fuhr, Geld hatte, ständig Party machte.

In „Sie ist weg“ von den Fanta 4 ist das gut beschrieben:
„Ich erinner mich, wir waren beide verdammt cool. Doch innerlich raffte ich, Spinner ich, null. Denn wann immer ich dachte, ich tu alles für sie, war, was immer ich machte, für mich irgendwie. Mit dieser Philosophie fuhr ich einwandfrei, sorgenfrei an ihr vorbei.“

Und von heute auf morgen war es 1993 dann vorbei. Kein „Aushängeschild“ mehr an meiner Seite, kein Sex mehr, wo und wie und wann ich es wollte (naja, wir waren beiden jung, sie wollte es wahrscheinlich genauso), ich war schockiert. Doch anstatt diese Trennung irgendwie auf zu arbeiten, flüchtete ich. Zuerst in den Alkohol, dann zu einer 17jährigen (Wunder, oh Wunder die hielt es genau drei Monate mit mir aus) und dann flüchtete ich von zuhause. Von der Geborgenheit eines kleinen Kaffs hin in die Großstadt.

München gab mir dann den Rest. Keinen Job, keine Freunde, weg von zuhause. Ich trank und trank und trank. Irgendwann nach ein paar Wochen kam die erste Panikattacke. Diese kleinen Freunde begleiteten mich dann schöne 8 Jahre, bis ich durch Veränderungen in meinem privaten Umfeld, weg von denen kam.

Die immer wieder kehrenden Depressionen blieben. Bis ich erstmal erkannte, dass ich überhaupt welche hatte, aber seitdem immer immer immer wieder.

Warum ich sie habe? „Sie“ fehlt mir, seit mehr als 23 Jahren! Aber im Grunde fehlt mir auch meine Kindheit, vor allem meine Jugend. Ich war Anfang 20, fuhr Cabrio, schmiss das Geld meiner Eltern raus, alles war möglich. Alkohol, Drogen und Sex, alles war da, immer überall.

Was habe ich dagegen getan?

Wenig, sehr wenig. Bis 2010 nahm ich Tavor, wenn es wieder schlimm wurde, mehr nicht. Ich nehme es heute im Bedarfsfall noch, aber das sind weniger als 10 Tabletten im Jahr.

2010 ging ich für eine Woche freiwillig in die geschlossene, weil ich einfach nicht mehr konnte. Anschließend Therapie. Ich war nicht ehrlich zu ihr. Nein, das stimmt so vielleicht gar nicht, ich hatte das Problem zu der Zeit noch gar nicht erkannt, denn ich redete mit der Therapeutin im Grunde nur über die Frau, die mich 2010 verließ, nicht über „sie“.

Seit Mai 2016 sind die Depressionen wieder da. Zu lange habe ich sie wieder zugelassen. Nun habe ich im Mai einen Termin bei einer Psychiaterin, um mir Tabletten geben zu lassen und wieder eine Psychotherapie zu beginnen.

Aber ich möchte ehrlich sein: Ich möchte „sie“ gar nicht vergessen. Ich möchte an „sie“ denken und ich weiß nicht, ob ich mit dieser Einstellung überhaupt eine Chance habe.

Was meint ihr?
aguadulce
Beiträge: 17
Registriert: Sonntag 25. Dezember 2016, 14:39

Re: Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von aguadulce »

Hallo TraurigER,

komisch, anscheinend kann eine gute Kindheit genauso zu Depressionen führen wie eine blöde, wenn die heile Welt irgendwann weg ist. Hab mich immer gefragt warum aus meinem Vater so ein Cabriofahrender Kokser geworden ist obwohl er es super hatte als Kind.
Was war denn in den ganzen Jahren dazwischen in Sachen Beziehung bei dir? Hättest du dir eine Partnerin gewünscht die dich so nimmt und vor allem erkennt wie du wirklich bist oder war das blond, schlank-Schema immernoch aktuell? Therapeuten würden an dieser Stelle sicher fragen ob deine Mutter bei euch die erfolgreiche war oder auch die, die zu deinem Vater aufgeschaut hat aber ich bin nicht dafür zu tief zu wühlen in fremden Angelegenheiten :)
Was ist aus deinem eigenen Erfolg geworden? Dein Leben lässt sich doch sicher nicht mit trinken-trinken-Tabletten kurzfassen oder?
Und ich glaube nicht, dass jemand weniger "wirkliche" Probleme hat weil es andere schlimmer trifft, die eigenen Probleme sind immer die wichtigsten also steht es dir sehr wohl zu Probleme zu haben, das hört sich nicht nach Luxus an....
TraurigER
Beiträge: 147
Registriert: Samstag 27. März 2010, 12:12

Re: Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von TraurigER »

Danke für die Antwort, gerne beantworte ich deine Fragen:
Die Jahre dazwischen, bis heute, Beziehungen. Zusammen gefasst: 1994-2005, 2005-2010, 2012-heute. Ich habe immer nach Blondchen Ausschau gehalten, aber keins mehr bekommen. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich immer die erstbeste genomme, die ich "OK" fand, und auch deshalb waren und sind alle nur Ersatz, der sofort gehen müsste, wenn "Sie" mir ein Zeichen geben würde.

Meine Erfolge im Leben? Fester Job, gute Wohnung, großer Freundeskreis, genug Geld, physische Gesundheit.

Ich weiß, dass ist so viel mehr als viele andere haben und dennoch hänge ich mich so an dieser Kindheit/Jugend auf und projizieren alles auf "Sie". Mit ihr: Leben toll, ohne Sie, Leben blöd.

Bei meinen Eltern würde ich nicht sagen, dass sie auf gleicher Höhe waren. Mein Vater brachte mehr Geld heim, dafür schuf Mutti uns ein ideales Heim und ging auch ab und zu arbeiten.
Abendstern
Beiträge: 621
Registriert: Montag 28. September 2015, 08:03

Re: Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von Abendstern »

Hm, das ist irgendwie interessant... Man könnte meinen, Du beschreibst einen Teil meiner Lebensgeschichte... Verrückt. Und letzten Endes landen also TraurigER und besagtes Beuteschema beide hier. Das ist so skurril, daß man gar nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Für mich war es jedenfalls sehr belastend, selbigem Schema zu entsprechen. Vor allem, weil es oft mehr um das Schema als um mich als Person ging. Habe lange gebraucht, um das zu verstehen. Der dicke Holzhammer ließ dann aber keine Zweifel mehr übrig...
Horla
Beiträge: 113
Registriert: Sonntag 28. August 2016, 16:08

Re: Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von Horla »

1. Alkohol weg. Der ist Scheisze.

2. Was macht "sie" denn heute?

Tja, ich habe leider auch die eine große Liebe, die mir immer nur weh tut. Nach der Schulzeit gingen alle logischerweise auseinander, aber als ich einige Jahre später die Möglichkeit bekam, es nochmal zu versuchen, waren wir ein paarmal aus. Am Ende mußte ich merken, daß ich sie wohl mehr wollte als sie mich, aber immerhin hatte ich so (durch den Kontakt) die Möglichkeit, das zu verstehen.
Heute ist sie verheiratet und hat Kinder. Da hört's bei mir auf. Als ich das erfuhr, mußte ich mir eingestehen, daß meine Liebe tot war. Keine Zukunft, keine Gegenwart, nur noch in der Vergangenheit existent, kein Weg zurück: Tot. Das war unendlich schmerzhaft.
Was soll ich Dir also raten (wenn ich denn was raten soll)? Wenn Du sie immer aus der Ferne bewunderst, werden Deine positiven Projektionen immer größer. Wenn Du - vorsichtig und nicht etwa aufdringlich - Kontakt zu ihr hättest, könntest Du vielleicht herausbekommen, was heute noch (ohne eure Jugend, usw.) möglich wäre. Wenn ihr nicht wieder zusammenkommt, allein schon, um zu verstehen, warum das heute nicht geht.
Wo die Schmerzgrenze bei Dir ist, mußt Du wissen. (Bei mir sind es Kinder von einem anderen, obwohl sie wußte, daß ich sie (auch) wollte. Das hatte ich ihr auch gesagt, bevor sie sich dann trotzdem so entschieden hat.)

Versteh' mich nicht falsch: Ich meine auf keinen Fall, daß Du da hingehst und sagst, "Wir müssen wieder zusammenkommen oder ich begehe unzulässiges Wort". Das wäre extrem rücksichtslos, das kann man nicht bringen.
Sondern es geht darum, daß sie eine wichtige Rolle in Deinen Gedanken spielt und es vielleicht wichtig wäre, wenn sie Dir dabei hilft, das aufzuarbeiten. Was immer dabei herauskommen mag (das entscheidet allein sie).

Und, wie gesagt, laß' den verdammten Alkohol aus dem Spiel!

P.S.:
Mit ihr: Leben toll, ohne Sie, Leben blöd.
Das darf auch nicht sein. Man darf sich als Mann nicht derart abhängig machen von den Weibern (sorry, umgekehrt wahrscheinlich auch nicht). Zur Not muß man auch als Einsiedler glücklich sein können. Die Liebe ist gut und schön, aber sie darf einem nicht die innere Freiheit ganz rauben. Das ist jedenfalls immer meine Meinung dazu gewesen.
TraurigER
Beiträge: 147
Registriert: Samstag 27. März 2010, 12:12

Re: Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von TraurigER »

Was "Sie" heute macht?
Mit meinem direkten Nachfolger glücklich Leben!
Haus, Garten, 2 Kinder
Taylu
Beiträge: 47
Registriert: Freitag 30. Januar 2015, 20:11

Re: Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von Taylu »

Ich bin vllt etwas jung, um dazu was zu schreiben, allerdings kann ich es sehr gut nachvollziehen..

Auch wenn die meisten anderer Meinung sind, glaube ich, dass man nur einmal im Leben jemanden trifft, den wir WIRKLICH lieben..
Traurig ist es dann, wenn wir diese Person verlieren (aus welchem Grund auch immer) und uns dann den Rest des Lebens mit einem "Trostpreis" zufrieden geben..
Hinzu kommt natürlich, dass es Mächtig am Ego kratzt..

Auch wenn es um dich geht und ich erst 25 bin, möchte ich erklären warum ich das so gut nachvollziehen kann:

Ich liebe diesen einen Menschen seit 5 Jahren.. auch wenn wir vllt zusammengerechnet nur 1 1/2 zusammen waren und er offenkundig mit mir sein Leben nicht bis zum Lebensabend teilen will..
Auch wenn ich jung bin, weiß ich das er es war.. und egal wie lange wir funkstille hatten, ich habe nach ihn in jedem anderen gesucht..

Deswegen kann ich nur ahnen wir traurig es für dich nach so vielen Jahren ist und kann es verstehen.. 1 von Millarden..
Horla
Beiträge: 113
Registriert: Sonntag 28. August 2016, 16:08

Re: Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von Horla »

TraurigER hat geschrieben:Doch anstatt diese Trennung irgendwie auf zu arbeiten, flüchtete ich. Zuerst in den Alkohol, dann zu einer 17jährigen (Wunder, oh Wunder die hielt es genau drei Monate mit mir aus) und dann flüchtete ich von zuhause. Von der Geborgenheit eines kleinen Kaffs hin in die Großstadt.
TraurigER hat geschrieben:Was "Sie" heute macht?
Mit meinem direkten Nachfolger glücklich Leben!
Haus, Garten, 2 Kinder
Tja, willkommmen im Club.
Mir scheint, dann wird es allmählich Zeit, mit der Flucht aufzuhören und sich dem Problem zu stellen.
Man kann die Vergangenheit nicht zurückbekommen, niemand kann die Uhr zurückdrehen. Bei der Lage gibt es (wie oben gesagt) auch keine Gegenwart dafür.
Hier hilft es nur, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen und nach vorne zu schauen.
Ist mir überhaupt noch zu helfen?
Wenn Du es schaffst, eine neue Zukunft ohne sie zu denken und zu bauen, vielleicht schon.

Aber was soll ich sagen? Mir fällt das auch schwer. :roll:

Diese Meditation geht in die Richtung:
https://www.youtube.com/watch?v=7ioX3KamtSY
Obwohl sie einen erstmal auch ärgert, weil man die Vergangenheit eben nicht loslassen möchte. Aber das ist der Punkt.

Ich schrieb ja oben, meine Liebe sei tot. Nun dachte ich, vielleicht mache ich mal so eine Art Trauerfeier dafür. Damit ich das besser begreife. Weiß noch nicht genau, wie das aussehen soll. In Thailand kann man sich (schonmal) in einen Sarg legen

https://www.youtube.com/watch?v=yxQmPJMIxC8

um danach ein neues Leben zu beginnen. Vielleicht keine schlechte Idee, so ein Ritual.
Last Escort
Beiträge: 57
Registriert: Dienstag 28. Februar 2017, 17:14
Wohnort: BW

Re: Ist mir überhaupt noch zu helfen?

Beitrag von Last Escort »

TraurigER hat geschrieben: Warum ich sie habe? „Sie“ fehlt mir, seit mehr als 23 Jahren! Aber im Grunde fehlt mir auch meine Kindheit, vor allem meine Jugend. Ich war Anfang 20, fuhr Cabrio, schmiss das Geld meiner Eltern raus, alles war möglich. Alkohol, Drogen und Sex, alles war da, immer überall.
Na ja, könnte sein, dass Du Dir die Antwort schon selbst gegeben hast.
Im Prinzip vermisst Du die geile Zeit, die Du früher von der Kindheit bis Mitte 20 hattest. Dann hat Dich deine Liebe aus dieser Zeit verlassen und Du bist in ein Loch gestürzt. Danach war es nicht mehr wie früher, die lässigen, geilen guten alten Zeiten waren vorbei. Das geht ganz vielen so, früher war alles super, dann wurde es immer beschissener. Du hast möglicherweise die Schuld an diese Vorgängen oder Veränderungen der Beendigung der Beziehung durch Deine große Liebe gegeben. Kann auch sein, dass dem in einer Kombination von Ereignissen so war. Danach war es jedenfalls nie wieder so toll wie davor. Und das ist auch nichts ungewöhnliches. Selbst angenommen Du würdest Morgen wieder mit ihr zusammenkommen und das für den Rest Deines Lebens - es wäre dennoch nicht annähernd so super wie damals.

Also musst Du das vielleicht besser getrennt betrachten. Sie hat mit Dir damals Schluß gemacht - OK, Punkt 1. Dein Leben bzw. Deine Gefühlswelt ist nicht so toll wie Du es Dir wünschst - OK, Punkt 2
Hatte damals Punkt 1 Einfluss auf Punkt 2? - Ja.
Hat heute Punkt 1 Einfluss auf Punkt 2? - Nein, denn Du kannst nicht mehr zurück in die Vergangenheit.

Wenn das also Dein Thema ist, dass Du die Schuld für Deine heutige Situation auf das damalige Ereignis projezierst, dann hast Du glaube ich einen sehr guten Ansatz um Deine heutige Situation zu verbessern indem Du Dich mit genau diesem Thema auseinandersetzt (ggf. mit Hilfe).

Es wird nie wieder so sein wie früher, aber mit der Erkenntnis leben Milliarden von Menschen ganz gut. Ist natürlich nur ein schwacher Trost in Deiner festgefahrenen Situation.
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